Читать книгу Die blauen Schuhe - Lisa Beiersmann - Страница 15
ОглавлениеLeslie brauchte zwei Sekunden, um diese Information zu verarbeiten, bevor sie in schallendes Gelächter ausbrach. Sie lehnte sich an die Backsteinwand des alten Bahnhofes.
„Der war gut“, japste sie, als sie sich langsam wieder beruhigte und immer noch wie verrückt grinsen musste. Der Typ sah eingeschnappt aus.
„Ich bin Akira, ein großer Zauberer!“
Aus Leslie platzte erneut das Gelächter heraus.
„Ist klar und ich bin die Tanzprinzessin“, sagte sie und kicherte.
„Die könntest du werden. Deshalb hast du mich ja auch gerufen.“
Immer noch leise glucksend fragte sie: „Gerufen?“
„Mit dem 1-Cent-Stück.“
Ihr blieb das Lachen im Hals stecken und Leslie starrte ihn perplex an. Auf Akiras Gesicht hatte sich ein zufriedener Ausdruck ausgebreitet.
„Du musst nur die drei Aufgaben lösen“, erklärte er seelenruhig weiter, als wäre nichts an seiner Aussage außergewöhnlich oder verrückt.
Er unterbrach dabei kein einziges Mal den Blickkontakt zu Leslie. Die starrte ihn nun mehr erschrocken mit weit aufgerissen Augen an und trat weitere Schritte von ihm weg.
„Du bist so ein Freak!“, rief sie und lief davon.
Panik breitete sich in ihr aus. Schweiß trat aus allen Poren und die Haare auf ihren Armen stellten sich auf. Ihr war kalt. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie warf einen Blick über die Schulter, doch der Asiate saß immer noch da.
So schnell sie konnte verließ sie das Gelände und rannte blindlings zurück nach Hause. Immer wieder blickte sie gehetzt hinter sich, doch von dem angeblichen Zauberer fehlte glücklicherweise jede Spur.
Zuhause knallte sie die Haustür hinter sich zu und lehnte sich schweratmend dagegen.
„Leslie?“
Ihr Vater streckte den Kopf aus der Küche. Erst jetzt bemerkte sie den verführerischen Duft von Knoblauch, der vermischt mit Kräutern und Tomaten durch das Haus zog.
„Alles in Ordnung? Du siehst aus, als wäre dir ein Axtmörder auf den Fersen“, erkundigte er sich besorgt.
„Nein…nein, alles gut“, winkte sie ab.
Die Geschichte würde er ihr sowieso nicht glauben. Sie war sich selbst ja nicht einmal sicher, ob sie sich das nicht vielleicht doch eingebildet hatte. Das 1-Cent-Stück in ihrer Hosentasche wog Tonnen.
Nachdem sie die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, saß sie ziemlich mitgenommen im Unterricht und bemühte sich, nicht einzuschlafen.
Die Begegnung mit dem angeblichen Zauberer ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
„Was hat es mit diesem Kerl nur auf sich?“
Darja hatte sich in ihren gemeinsamen Fächern überraschenderweise neben sie gesetzt und Leslie mit einem Kaffee versorgt, den sie nur mühsam runterbekam. Außerdem stupste Darja sie immer wieder an, wenn sie zu sehr abdriftete.
Leslie wusste nicht, was sie von dieser plötzlichen Nettigkeit halten sollte. Allerdings fühlte sich ihr Kopf ohnehin schon voll genug an, um sich intensiv damit zu befassen.
Louis versuchte in der Pause mit Darja zu reden, doch die blockte ihn weiterhin ab. Sie erzählte Leslie, dass er ihr wohl gestanden hatte, sie mit der Blondine auf der Toilette betrogen zu haben.
Um sich bei Darja erkenntlich zu zeigen, warf Leslie ihm einen blöden Spruch an den Kopf, als er wieder einmal Darja zu nah kam. Drohend baute sie sich vor ihm auf und brachte Abstand zwischen die beiden. Mit verschränkten Armen stand sie vor Louis, der nervös an ihr vorbeihuschen wollte.
„Verpiss dich“, knurrte Leslie.
Ängstlich zuckte er zusammen. Allein traute er sich nicht, sich mit ihr anzulegen und trat den Rückzug an. Dieses Spielchen zog sich über den gesamten Schultag hinweg. Jedes einzelne Mal schenkte Darja ihr ein dankbares Lächeln.
Auf dem Heimweg blieb Leslie gefühlte Stunden vor dem alten Bahnhof stehen und starrte hinüber. Schließlich ging sie langsam zu dem Bahnsteig.
Wie neu stand die Bank immer noch dort, doch der junge Mann war verschwunden. Allerdings bewies der restaurierte Zustand, dass die Begegnung keine Einbildung gewesen war. Leslie schaute sich im Gebäudeinneren um, konnte allerdings niemanden sehen.
„Suchst du mich?“, kam es da von der Seite und sie zuckte zusammen.
Tatsächlich, als sie sich wieder der Bank zuwendete, saß dort Akira. Er musterte sie ebenso wie sie ihn, bevor er auf den Platz neben sich klopfte. Zögerlich ließ Leslie sich dort nieder. Eine leise Stimme in ihr schrie, dass sie die Flucht ergreifen sollte. Eine weitere überredete sie zum Bleiben.
„Ich wusste, dass du wiederkommst“, meinte er.
Grinsend und mit einem Hauch Überheblichkeit in der Stimme schaute er sie an.
„Wenn du wirklich ein Zauberer bist, bist du ein verdammt komischer!“
„Inwiefern? Es ist ein verdammtes Vorurteil, dass Zauberer alt sind und weiße Bärte haben!“
Sie musste widerwillig schmunzeln und entspannte sich tatsächlich.
„Du hast die Umhänge vergessen.“
„Genau das meine ich!“
Der Asiate wirkte nun wirklich zutiefst empört und Leslie lachte leise.
„Aber schau mal“, entgegnete sie, „normalerweise trifft man keine Zauberer, die so jung und trainiert sind, gut aussehen und allen Klischees widersprechen.“
Oder überhaupt keinen. Zauberer waren Märchenfiguren. Was redete sie da eigentlich?
„Nun, das ist auch wahr…“
Ein Lächeln huschte über Akiras Gesicht.
„Also: Bist du bereit für deine Aufgaben?“
Leslie war sich immer noch nicht sicher, ob er sie nicht auf den Arm nahm. Fast rechnete sie mit einer versteckten Kamera und Guido Cantz, der um die Ecke sprang und ihr eine Einladung zu „Verstehen sie Spaß?“ überreichte.
„Du meinst das wirklich ernst?“, hakte sie nach.
Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen und musterte seine Mimik gründlich.
„Sehe ich aus, als würde ich Späße machen?“
„Du willst mir erklären, dass du ein Zauberer bist. Von daher: JA!“
Akira seufzte theatralisch auf und streckte die Hand mit der Innenseite nach oben von sich. Frost bildete sich darauf und sammelte sich auf der Handinnenfläche. In Sekundenschnelle formte sich ein kleiner Schmetterling, der seine Flügel ausbreitete. Er hob ab und flatterte auf Leslie zu.
Überrascht schnappte sie nach Luft, den Blick wie gebannt an dem winzigen Wesen, das sich vor ihrer Nase in blauen Glitzerstaub auflöste.
„Brauchst du noch mehr Beweise oder möchtest du endlich deine Aufgabe hören?“
Leslie schluckte schwer und erwiderte den Blick dieser schwarzen Augen. Ihre Stimme zitterte, dennoch bejahte sie seine Frage.
Kapitel 5