Читать книгу Abenteuer im Sibirien-Express - Lisa Honroth Löwe - Страница 6

Drittes Kapitel

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Wenige Stunden später fuhr man bereits wieder, als wäre nichts geschehen, dem europäischen Russland entgegen.

In Astrids Seele brannten die Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Rodenhausens Leben und dem ihrer Eltern. Es war, als ob sie während der letzten Stunden an nichts anderes gedacht hätte.

„Sie sprachen von meiner Mutter, Herr Rodenhausen?“

„Ja, ich habe Ihre Eltern gekant, Astrid. Ich habe Ihnen erzählt, dass ich Forscher bin, es hat mich merkwürdig oft nach diesem Land hier gezogen, weiter hinein nach China mit seinen geheimnisvollen Menschen. Vielleicht ist es dem Forscher eigen, alles Geheimnisvolle ergründen zu wollen ― so zogen mich ausser dem Land hier auch dessen Bewohner an in ihrer Undurchdringlichkeit. Vor fünfzehn Jahren war es, ich war damals zwei Jahre lang in der Mandschurei, da hatte ich von den Bergwerken Jhres Vaters gehört und hatte ihn schriftlich gebeten, sie besichtigen zu dürfen. Er antwortete mir freundlich und lud mich ein. Er zeigte wohl immer mit Stolz seinen Besitz?“

Astrid nickte.

„Aber am ersten Tag gleich, als ich mit Ihrem Vater von dem einen Werk zum anderen ritt, stürzte ich mit dem Pferd und erlitt einen Knöchelbruch. Es war mir sehr peinlich ― zum erstenmal bei fremden Menschen. Ihre Mutter hat mich rührend gepflegt, Astrid ― Sie waren damals ein ganz kleines Mädchen, so zwei oder drei Iahre. Sie müssen jetzt siebzehn oder achtzehn Jahre sein ― stimmt es?“

„Im nächsten Monat werde ich achtzehn“, sage Astrid träumend und ebenso weiter: „Haben Sie gleich gewusst, wer ich bin? Alle sagen ich sähe Mutter so ähnlich. Und Sie waren gleich so ― so merkwürdig ― so gut zu mir?“

„Ob ich es gleich gewusst habe? Ich weiss es nicht, die Erinnerung ― ja, ich ahnte es wohl. Ich wäre wohl jeder Dame gegenüber ritterlich gewesen“, lächelte Rodenhausen, „aber ja, Sie haben recht, Sie haben das sicherlich empfunden, zu Jhnen zog es mich besonders. Es muss wohl irgend etwas in usn sein, ― ― ich bin Jhren Eltern zu grossem Dank verpflichtet“, sagte er plötzlich fest und bestimmt, als fürchte er, sich in Sentimentalität zu verlieren. „Es war ein aufregender Tag heute für uns beide“, meinte Rodenhausen jetzt väterlich, „wohl am aufregendsten durch die Erinnerungen, die in uns aufgewühlt wurden. Viel, viel müssen Sie mir noch erzählen, mein Kind. Ich hoffe, Sie werden es jetzt mit vollstem Vertrauen tun, besonders, wenn ich Ihnen über meine Person volle Aufklärung gegeben habe. Aber wenn Sie es zu sehr erregt, viel von der Vergangenheit zu sprechen, ― dann sagen Sie mir nur kurz die letzten Ereignisse und in welcher Lage Sie jetzt sind. Vor allem möchte ich aber wissen, wie Sie sich Ihre Zukunft gedacht haben, ob Sie wieder in Ihre Heimat zurück wollen, Denken Sie nicht, dass dieser fremde Mann hier sich in Ihr Vertrauen drängen will, Astrid“, er fasste ihre Hände, und sie liess es ergriffen geschehen, ―„ich fühle mich Ihnen nicht fremd, und ich spüre, dass Sie einen Menschen brauchen. Aber jetzt gehen Sie schlafen, Kind, Sie brauchen dringend Ruhe, morgen wollen wir alles besprechen.“

Astrid schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie, „ich kann jetzt doch nicht schlafen, Herr Rodenhausen, ich bin nach allem, was gewesen ist, und was Sie mir erzählt haben, zu erregt. Kein Mensch kann je besser zu mir sein, als Sie es heute zu mir waren, ― Sie haben meine Eltern gekannt, meine Mutter. Sie müssen mir von meiner Mutter erzählen. Aber vorher will ich Ihnen erzählen, was ich vorhabe. Sie sollen mir sagen, ob ich recht tue. Dann will ich auch gleich schlafen gehen, und ich glaube, ich werde so gut schlafen, wie seit langem nicht.“

Lange sassen die beiden noch zusammen in dem Abteil des D-Zuges. Und Astrid erzählte. Erzählte, wie die Erinnerung an die Mutter sie nie verlassen, und wie sie sich immer nach ihr gesehnt hatte. Gewiss, sie hatte den Vater sehr lieb gehabt, und der Vater liebte sie, aber er hatte sie innerlich doch allein gelassen. Er was überzeugt gewesen, dass es seinem Mädel gut ginge, seinem Jungen, wie er sie immer nannte. Sie hatte ja alles, was sie wollte, ― und er war sehr stolz darauf, wie mutig sie war, wie forsch, wenn sie mit ihm durch die Wälder ritt. Dass sie mehr brauchte, dass dem Kinde die wetche, führende Hand fehlte, das später diese junge Frauenseele litt, an sich und ― an anderen, das fühlte er nicht. In den letzen Monaten hatte sie den Vater kaum gesehen. Sorgen waren zu ihm gekommen, eines der grössten seiner Werke lag still. Er war viel in die alte Heimat nach Schweden, um wegen Weiterausnutzung des Bodens im Ural wirtschaftliche Verhandlungen zu führen. Sie war oft in Angst. Man sagte, dass die Arbeiter, die Vater entlassen hatte, ihm Rache geschworen hätten. Vor zehn Tagen brachte man ihr den Vater erschossen ins Haus. Ein junger Ingenieur, Torsten, Redderson, auch ein Schwede, der dem Vater treu bis zuletzt zur Seite war, hatte ihr versprochen, alles so gut wie möglich zu ordnen. . . Ja, wenn Torsten Redderson immer im Hause gewesen wäre! Aber er hatte ja die Aufficht über die anderen Werke, während der Vater das Hauptwerk geleitet, in dessen Nähe sie wohnten. Redderson kam allerdings oft für viele Tage, um dem Vater Bericht zu erstatten oder Pläne mit ihm auszuarbeiten, und das waren immer Lichtblicke für sie gewesen. Denn Torsten verstand sie in vielem, sie waren eigentlich richtige Kameraden geworden. Und sie war immer trauig, wenn er wieder fortfuhr.

Der Fürst hatte Astrid bis jetzt nicht unterbrochen, er fühlte, dass sie sprechen musste, dass sie sich freisprach, ja, ― und seine Gedanken gingen zurück zu Karen, ― so hatte ihre Tochter gelitten, so, wie sie selbst. Er seufzte auf: O, hätte er Karen doch geben dürfen, was ihr Mann ihr verwehrt hatte, das Sichausgeben in Liebe und Weichheit, die ganze Leidenschaft eines reichen Gefühls! Aber es hatte nicht sein dürfen. So war ihre gegenseitige Liebe wie eine Blüte gewesen, die nie zu voller Entfaltung gelangt. Kurz war ihr Zusammensein nur gewesen. Er erinnerte sich, er hatte damals Familienverhältnisse halber nach Deutschland zurück gemusst und sich danach einer Expedition angeschlossen, die nach Tiflis ging. Aber Karen musste gewusst haben, dass er sie nicht vergessen hatte, denn von Zeit zu Zeit schickte er Grüsse an sie und schrieb, dass es sein Ziel sei, bald wieder in den Ural zu kommen. ― Antwort hatte er nie erhalten. Und eines Tages erreichte ihn die Todesanzeige von Karen Sjörberg, die ihr Mann ihm nach Schloss Rodenhausen geschickt hatte. ―

Astrid erzählte, und in Rodenhausen erstand neu eine kurze, klingende Strecke seines Lebens, die ein Stück zu seiner inneren Menschwerdung gewesen war. ― Jetzt aber horchte der Fürst auf:

„Der junge Ingenieur will alles für Sie ordnen, mein Kind, und Sie fliegen jetzt einfach in die Welt, wohin? Haben Sie gar keinen Anhang, Verwandte, Freunde in Russland oder anderswo, die sich mit Rat und Tat Jhrer annehmen konnten?“

Astrid schüttelte den Kopf:

„Nein, der Pope aus dem Dorf in unserer Nähe hat den Vater begraben. Er ist ein guter Mensch, sonst hätte er es wohl nicht getan, denn Vater war doch nicht griechischkatholisch, wie Russen. Sonst weiss ich nichts. Vater hat sehr zurückgezogen gelebt, nur seinen Bergwerken und seiner Jagd. Ich habe, bis ich sechzehn Iahre alt war, einen Erzieher und Lehrer gehabt. Der hielt wohl auch nur bei uns in der Einsamkeit aus, weil Vater ihn gut bezahlt hat. Nachher ist er auch nach Omsk zurückgegangen. Aber ich weiss, dass wir Verwandte in Schweden haben, besonders von Mutters Seite. Da habe ich in Vaters Schreibtisch Briefe gefunden. Vater hat mir nie von diesen Briefen gesagt. Aber dort will ich jetzt hin. Ingenieur Redderson hat mir Geld gegeben, und er hofft, dass Vaters grosses Werf wieder in Gang kommt, und er mir dann immer Geld schicken kann, und dass ich wieder zum Ural zurückkomme“, sie seufzte nachdenklich, aber sie riss sich von ihren Gedanken los. „Aber denken Sie nicht, dass ich nur träume. Ich weiss, dass mein Leben unmöglich so weitergehen kann wie bisher, ich sehne mich danach, irgend etwas zu leisten, aber sicher muss ich noch sehr viel lernen. Glauben Sie nicht auch, Herr Rodenhausen, dass die Verwandten in Schweden mir da helfen und raten werden?“

Sie blickte wie ein vertrauendes Kind zu ihm auf.

„Ich denke es“, erwiderte der Füfst, „aber ich kenne Ihre Verwandten und deren Lebensumstände und Lebenseinstellung nicht. ― Aber diese wenigen inhaltsschweren Stunden unseres Zusammenseins genügten mir, um Sie kennen-zulernen, mein Kind.“

Astrid sah ihn fragend an.

„Nein, nein, nicht bis in den kleinsten Winkel Jhres Herzens, so überheblich bin ich nicht, das zu glauben“, fuhr Rodenhausen fort. „Aber Sie sind mir nicht fremd, Astrid, Ihr Wesen ist mir so vertraut, ich habe unendlich viel von Ihrer Mutter in Ihnen wiedergefunden. Lassen Sie uns nicht heute abend, nicht morgen, Ihre Zukunft endgültig besprechen, nicht hier, ruhen Sie erst einmal von der Vergangenheit aus, sammeln Sie sich innerlich, und lassen Sie uns dann zusammen die Wege beraten, die Sie in Zukunft gehen werden. Ich biete Ihnen mein Haus an, liebes Kind. Sie werden in meiner Frau eine Mutter finden, keine so weiche und zarte, wie Ihre war, aber doch eine gütige. Und dann, ich habe eine Tochter, die ein Iahr älter ist als Sie, ― ja, ja, kleine Astrid, Sie sehen mich ungläubig an, aber Ihr Ritter ist ein alter Mann, ― nicht immer“, lächelte er, als sie drollig nd energisch verneinend den Kopf schüttelte, „Ihnen gegenüber aber leider doch. Meine Vikn ― das ist nämlich meine Tochter ― ist ein recht energisches Mädchen. Ganz modern ist sie mit einem richtigen Beruf. Ich denke, Sie werden sich an sie anschliessen, sich gut mit ihr verstehen, ― ich kenne Viky zwar so wenig“, setzte er mehr für sich hinzu. Und plötzlich durchfuhr ihn ein innerlicher Schmerz: erging es Viky mit ihm nicht ähnlicht, wie es Astrid mit ihrem Vater ergangen war? Aber wer war hier der Schuldige? ― Sollte dieses Kind hier vielleicht ihm vom Schicksal in den Weg geschickt sein, sollte es das Bindeglied werden zwischen ihm und seiner Familie? Nein, nicht um ihn ging es, es ging um Astrid. „Und Ihre gewohnte Freiheit brauchen Sie bei uns nicht zu entbehren, kleine Astrid“, fügte er hinzu, „einen Ural finden Sie zwar nicht, dafür brauchen Sie aber auch nicht den Dolch im Gürtel zu tragen, wenn Sie durch unsere Wälder reiten. Sicher werden Sie ihn bald lieben, unseren schönen deutschen Wald. Meine Besitzung liegt mitten in Thüringen ― ja so, ich habe mich Ihnen nicht mal richtig vorgestellt, und darauf haben Sie doch ein Anrecht, wenn ich Ihnen meinen Schutz anbiete, nicht wahr, kleines Mädchen? Also: Fürst Theodor von Waldburg-Rodenhausen“, sagte er fast leichthin und ohne Wichtigkeit, gerade, als wolle er Astrid mit seinem Titel nicht erschrecken.

Sie nahm auch ganz natürlich und ohne Scheu seine Vorstellung auf.

„Wir gelten zwar heute im armen Deutschland nicht mehr viel“, sagte Rodenhausen einfach, „aber vielleicht wird es mir durch meine Beziehungen, die ich grossenteils allerdings meinem Forscherberuf zu verdanken habe, und meiner Kenntnis Ihres Vaterlandes, doch leichter als manchem anderen sein, auch Ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten zu ordnen.

― Jetzt führe ich Sie aber wirklich in den Schlafwagen, ― es ist nach Mitternacht ― schlafen Sie bis in den Tag hinein. Wenn Sie aufwachen, ist ohne Ihr Zutun Ihr Schicksal schon ein Stückchen weitergerollt, ich schreibe jetzt noch an meine Frau, dass ich eine kleine Tochter mit nach Hause bringe. Darf ich es tun?“

Astrid war zu bewegt, um sprechen zu können. Sie gab nur Rodenhausen fest beide Hände wie zu einem Bündnis.

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Abenteuer im Sibirien-Express

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