Читать книгу Abenteuer im Sibirien-Express - Lisa Honroth Löwe - Страница 7

Biertes Kapitel

Оглавление

Das Schloss lag überwältigend schön. Wie herausgewachsen aud dem waldigen Berg, den es krönte, beherrschte es das Land, beherrschte die kleine, bunte Stadt, deren malerische Häuser sich an seinen Fuss lehnten, als suchten sie Schutz. Auf den beschneiten Berggipfeln lag Vorfrühlingssonne. Sie spiegelte sich in den langen Fensterscheiben des Schlosses.

Ueber eine feine Handarbeit gebeut, fass die Fürstin in dem hohen Armstuhl ihres kleinen Boudoirs. Der erhöhte Erker hier war ihr Lieblingsplatz. Man konnte über die breite Schlossterrasse hinweg, die dem Publikum freigegeben war, weit ins Land hinein sehen, in das Land, über das man einst glücklich geherrscht hatte, dessen Menschen einem zugetan waren.

Gut, dass es Frühling wurde! Die grauen Herbst- und Wintertage hatten die Gedanken noch schwerer und lastender gemacht. Jetzt schien alles licht werden zu wollen. Oder war es nur der Wunsch in ihr, dass es lichter werden möge? ― Man musste es sich eingestehen, man sah der kommenden Zeit mit Unruhe entgegen, wenn nicht sogar mit Angst. Sehnte sie sich eigentlich nach Theodor? Sie musste es selbst nicht. Ja und nein. In ihrem Innern war ja immer die Liebe zu ihm, die sie unter ihrer angenommenen Kühle verbarg. Aber was ihr äusseres Leben anlangte, so hatte sie sich daran gewöhnen müssen, allein zu sein.

Von Anfang ihrer Ehe an war Theodor in der Welt herumgefahren. Hätte er das wohl auch getan, wenn er eine Frau aus wahrer Liebe geheiratet hätte? Dies Wissen, dass Theodors Wahl mehr von äusseren Rücksichten auf Familie und Stellung bestimmt gewesen, als aus innerer Neigung, dies Wissen war der wunde Punkt im Leben der Fürstin. Ihr Mann schätzte sie hoch. Das musste Dorothee. Sie war ihm immer eine verständnisvolle Gefährtin gewesen. Sie hatte im Geiste teilgenommen an seinen Forschungsreisen, an den wissenschaftlichen Arbeiten, in denen er diese Reisen zusammenfasste. Im Geistigen war sie mit ihm gegangen. Aber was war sie ihm als Frau? Die Leidenschaft des Mannes in ihm, sie hatte ihr nicht gehört. Das war das Bitterste im Leben dieser Frau mit ihrem herben Stolz. Die Fürstin hatte oft darüber nachgedacht, ob es nicht doch an ihr gewesen wäre, ihrer Ehe eine andere Richtung zu geben, die Richtung, die ihr Herz von Anfang an ersehnt hatte. Mit Weichheit und Liebe war Theodor zu nehmen. Das hatte sie längst erkannt. Aber sollte sie ihm die Hand bieten? Sie wusste ja, nur Konvention hatte ihn vor fast dreissig Jahren um sie werben lassen. Wäre es nicht an ihm gewesen, das Konventionelle ihrer Beziehungen zu durchbrechen und ihr zu sagen, dass sie ihm mehr geworden? Manchmal hatte sie es zu hören geglaubt. Aber misstrauisch, wie sie gegen sich selbst war, hätte sie seine Bestätigung gebraucht. Und doch, vielleicht hatte sie falsch gehandelt. Vielleicht hatte sie sich zu sehr vor ihm verschlossen.

Frau Dorothee seufzte. Dass diese widerstreitenden Gefühle immer noch in ihr lebten! Dass sie seit fast dreissig Jahren immer noch nicht schweigen wollten! Und doch war es ein gutes Zeichen. Besser Leben und Bewegung, Zwøifel, Sorge und Hoffnung als das Gefühl, dass alles tot in einem war.

Ihre Gedanken wandten sich der Gegenwart zu. Wie lange würde Theodor jetzt wohl in Deutschland bleiben? Er hatte viel in seinen letzten Briefen von dem fremden Land und seinen Forschungen erzählt. Aber für seine nächsten Zukunftspläne hüllte er sich in Stillschweigen. Er war ein Mensch, der sich nie gern festlegte. Vielleicht war ihm auch etwas bange vor der Rückkehr in die Heimat, die ihm nie im vollsten Sinne des Wortes Heimat gewesen war! Heute oder morgen konnte das Telegramm kommen, das seine Rückkehr meldete. Jedenfalls würde Leben mit ihm in das stille Schloss einziehen. Theodor war ein Freund der Menschen. Er zog gern Menschen zu sich heran. Ohne dass er es wollte, wurde er durch seine Art zum Mittelpunkt eines jeden Kreises. Er war es gewesen, der den engen gesellschaftlichen Ring durchbrochen, in dem man innerhalb der Standesgenossen gelebt. Wissenschaftler und Künstler waren oft wochenlang Gäste auf dem Schloss.Und Dorothee, die klug und intelligent war, nahm die Anregungen, die diese Menschen ihr gaben, mit in die einsameren Jahre hinein, die es durch Theodors langdauernde Abwesenheit immer wieder für sie gab. Wohl unterbrach sie diese Einsamkeit durch Reisen, die ihr ihre äussere und innere Unabhängigkeit gestatteten. Aber es zog sie doch immer wieder zurück nach Schloss Rodenhausen. Sie war ein Mensch, der die innere Geschlossenheit sich nur erhalten konnte in der äusseren Geschlossenheit des Daseins. War sie allzulange unterwegs in Hotelzimmern zwischen täglich wechselnden Menschen und der Vielfachheit der äusseren Eindrücke, so überkam sie leicht erwas wie Lebensangst. Sie fühlte dann die jahrelange Trennung von Theodor um so mehr. War sie dagegen in Rodenhausen, so war es ja die auch ihm vertraute Umgebung, die sie wenigstens in dieser Weise mit ihm verband. Und sie wusste, dass seine Gedanken, wenn sie zu ihr gingen, sie in dem Rahmen fanden, den auch er kannte.

Vikn leider hatte wohl etwas von dem unruhigen Naturell des Vaters geerbt. Es litt sie nie lange in der Stille von Rodenhausen. Kaum dass sie es zwei, drei Wochen aushielt, dann zog es sie wieder nach München in den lebhaften und freieren Kreis, den sie sich dort geschaffen hatte. Und man konnte nichts dagegen einwenden. Man hatte Viky nun einmal erlaubt, ihr malerisches Talent auszubilden. Das war in der Stille von Rodenhausen nicht möglich. Nun musste man die Folgerungen aus dieser Erlaubnis ziehen. Auch das hätte die Fürstin anders gewünscht. Wie gern hätte sie, einsam, wie sie war, ihre gesamte Liebe und Sorge auf Viky konzentriert, um in ihrer Zärtlichkeit Ersatz zu finden — Ersatz für das, was Theodor ihr nicht gab. Aber vielleicht wäre es auch gar kein Ersatz gewesen. Es gab nichts in der Welt, was für eine Frau Ausgleich schuf für die innere Verbundenheit mit einem Manne. Aber das Leben gewährte einem selten, was man ersehnte. Man hatte sich zu fügen, wenn es auch schwer war.

Die Fürstin riss sich aus ihren Gedanken. Es war sicher noch nicht alles für die Rückkehr Theodors gerichtet. Sie liebte es, selbst an den Vorbereitungen teilzunehmen, die für jeden lieben Gast getroffen wurden. Und diesmal, wo es galt, Theodor zu erwarten, sollte alles besonders festlich sein.

Gerade, als sie sich erheben wollte, klopfte es an die Tür:

„Ah, Sie bringen Post, Josef?“ empfing sie freundlich den Diener, und als sie gesehen hatte, dass der Brief von Theodor war:

„Bitten Sie die Prinzessin zu mir. Ist der kleine Robby im Hause?“

„Nein, Durchlaucht, Fräulein von Brock ist mit Robby in den Wald gegangen.“

„Es ist gut, Josef.“

Die Fürstin vertiefte sich bereits in den Brief ihres Mannes.

So ausführlich schrieb Theodor noch, wo er doch heute oder morgen schon hier sein wollte?

Sie blätterte in den eng beschriebenen Bogen. Hatte Theodor etwa seine Rückkehr verschoben?

Fast erschrak sie, als Viky in ihrer ungestümen Art etwas laut ins Zimmer kam.

„Was ist los, Mama? Josef sagt, es ist Post gekommen. Ist es etwas mit Papa? Kommt er? Wann kommt er? Gott, so ein langer Brief!“

Ein Schatten ging über ihr eben noch so sorgloses Gesicht.

„Wie konnte ich das vergessen, mir fällt ein“, sagte sie angstvoll, „Papa ist ja dort mitten im Kriegsgebiet. Hat er etwa Schwierigkeiten herauszukommen?“

„Nein, nein, das nicht, Kind“, meinte die Fürstin, „aber ich glaube, bei Papa wird es solange er lebt immer Ueberraschungen geben. Obgleich er meistens auf Reisen ist, hält er uns dadurch doch immer in Atem. Es ist drollig, dass er immer erwas Besonderes erlebt. Das kommt wohl, weil er in alle Dinge, die ihm begegnen, und an denen andere vorbeigehen würden, mitten hineinspringt.“

„Mama, du sprichst wirklich in Rätseln“, sagte Viky ungeduldig, „bitte, bitte, lass mich einmal selbst lesen, was Papa schreibt. Oder darf ich nicht?“

„Natürlich darfst du“.

Viky las schweigend.

„Was sagst du zu dem Briefe?“ fragte die Fürstin nach einer Weile.

„Eigentlich fabelhaft von Papa! Richtig jugendlicher Kavalier! Ob das kleine Mädel hübsch ist, das er da so eins, zwei, drei gerettet hat und uns mitbringen will? Er scheint gar nicht lange überlegt zu haben. Hast du eigentlich gewusst, Mama, dass Papa so temperamentvoll ist? Hier wird er nur lebhaft, wenn er auf seine Gesteinsarten und Erdschichten zu sprechen kommt.“

Eine kleine, abweisende Falte erschien auf ihrer Stirn:

„Aber Viky“, sagte die Mutter strafend. „Ich glaube, das ist nicht der richtige Ton, in dem man von seinem Vater spricht.“

„Nicht böse sein, Mutti! Du weisst, ich sag’ immer alles, wie ich denke. Und ich hab’ ja Papa auch wirklich lieb. Wenn ich auch seiner Rückkehr mit etwas gemischten Gefühlen entgegensehe. Wie das nur werden wird mit dieser Astrid, die er uns da bringt? Vielleicht ganz nett. Denn was sonst so an jungen Mädchen hier auf den Gütern herumwimmelt, das ist doch entweder lauter grünes Gemüse, das von Gott und der Welt keine Ahnung hat, oder es sind schon reichlich vertrocknete Dämchen, die mir durch ihr Alter imponieren wollen, weil sie nichts anderes haben,“

„Aber Viky, sei doch nicht immer so leichfertig. Du kannst doch nicht alles in der Welt danach beurteilen, ob es amüsant ist oder nicht.“

„Warum nicht, Mama? Zum mindesten soll man versuchen, alles amüsant zu nehmen. Das andere kommt schon von selbst. Nun, und was diese Astrid anlangt, na, ich werde sie erst mal beschnuppern. Am Ende ist sie auch etwas traurig. Und das könnte mir ja gerade noch fehlen.“

„Ich fasse die Sache mit dieser jungen Astrid Sjörberg doch etwas anders auf. Sie ist eine Waise, die soviel Schweres durchgemacht hat, wie wir es auch nicht im Entferntesten begreifen können. Ich glaube, Viky, wir wollen uns hier mal etwas ernster einstellen und Vaters Wunsch zu erfüllen suchen, der dahin geht, dem jungen Mädchen hier vorübergehend eine Heimat zu geben. Und ich freue mich fast, dass das Fremde, das meistens bei seiner Heimkehr zwischen ihm und uns liegt, durch die Pflichten gemildert werden wird, die er uns in der Sorge um das junge Mädchen aufgibt. —“

Viky umarmte stürmisch die Mutter.

„Du bist die famoseste alte Dame, die es gibt“. und als sie eine Missbilligung auf dem Gesicht der Fürstin sah, fügte sie schnell hinzu:

„Ich weiss, ich weiss, du liebst die studentischen Kraftausdrücke nicht. Also, du bist die süsseste und beste und anständigste Mutter von der Welt. Und immer kriegst du mich wieder herum, wenn ich leichtsinnig bin. Ach, und ich bin das doch zu gern“.

„Ja, und ich fürchte, dass der Aufenthalt in München dich sehr darin bestärkt, liebes Kind“, seufzte die Fürstin, „ich bin ja sehr gerührt, dass du dich immer wieder zu mir bekennst. Vielleicht solltest du deine Liebe nicht zu einseitig nur mir geben.“

„Woher weisst du, dass ich das tue, Mama?“ meinte Viky schelmisch.

„Du weisst schon, was für eine Liebe ich meine“, sagte die Fürstin. „Die andere, die du meinst, ja, mein Kind, da wird wohl auch noch viel mit Papa zu besprechen sein. Aber es hat ja noch gute Weile damit. Du bist noch so jung, und es ist noch lange nicht aller Tage Abend.“

Viky schwieg. Ihr Gesicht zeigte einen leisen Trotz. Sie liebte es nicht, wenn die Fürstin auf dieses Thema kam. Sie war durch das auswärtige Studium sehr selbständig geworden und wollte jetzt immer gern mit dem Kopf durch die Wand. Gerade wollte sie der Mutter etwas unfreundlich erwidern, als ein helles Kinderstimmchen im Nebenzimmer ertönte.

„Tann nicht, tann nicht“, schrie es plötzlich hell und klagend hinter der Tür. Und zwei Fäustchen hämmerten gegen das Holz.

Viky eilte lachend durch das Zimmer und öffnete die Tür.

Der kleine Robby stürzte eilig ins Zimmer herein.

„Omi, Blümchen“, lachte er und warf der Fürstin ein paar zerknitterte Märzveilchen in den Schoss.

„Robby fottelauft“, verkündete er strahlend.

Aber schon kam die alte Erzieherin, Fräulein von Brock, atemlos angekeucht.

„Das gute Kind, das gute Kind! Wie sein Lauf beschwingt ist, wenn es Durchlaucht eine Freude machen kann. Und sei es mit diesen bescheidenen Frühlingsboten“, sagte sie in überschwänglichem Ton.

Die Fürstin und Viky konnten sich kaum das Lachen verbeissen. Sie konnten eigentich an Fräulein von Brocks Komik längst gewöhnt sein. Aber es war immer wieder so unendlich erheiternd, wenn sie in blumiger Romansprache ihre Lebensweisheiten von sich gab.

Man musste sie nun einmal nehmen, wie sie war, mit all ihren komischen und doch so liebenswerten Eigenschaften.

― ― ― ― ― ― ― ― ― ―

Abenteuer im Sibirien-Express

Подняться наверх