Читать книгу Meine Seele gehört dir - Lisa Lamp - Страница 13
ОглавлениеKapitel 8
Die Zimmertür wurde erneut geöffnet. Eine kleine, zierliche Frau um die fünfzig mit wirren schwarzen Locken stand im Türrahmen. Sie wickelte ihren bunten Morgenmantel ein bisschen enger um ihre Taille und sah sich misstrauisch im Raum um. Ihr Kinn war so kantig wie das ihres Sohnes und ihre dunklen Augen hatte sie ebenfalls an Alejo vererbt. Ihre vollen Lippen kräuselten sich verärgert, als sie mich genauer betrachtete. Trotz ihres Alters war die Latina eine wunderschöne Frau, auch wenn die Tränensäcke und ihre hervorstehenden Wangenknochen zeigten, dass sie sich nicht so gut fühlte, wie sie aussah.
»Raúl, hör gefälligst auf mit dem Schwachsinn und schlaf deinen Rausch aus. Ahora mismo! Jetzt sofort!« Ihre Stimme klang scharf und duldete keine Widerrede.
Sie hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt und zwang Raúl mit ihren Blicken in die Knie. Wow! Die Frau hatte Feuer. Trotz der geringen Größe, ich schätzte sie auf maximal einen Meter fünfzig, verließ der Betrunkene ohne Widerspruch den Raum, weshalb ich mir fest vornahm, mich nie mit der Latina anzulegen.
»Alejo, du hast Besuch. Komm! Mach dich sauber!«
Mit diesen Worten warf sie mir ein Handtuch zu. Einen kurzen Augenblick wusste ich nicht, was sie von mir wollte, doch dann spürte ich etwas Warmes an meiner Lippe. Dickflüssiges Blut tröpfelte aus der Wunde und die Stelle brannte furchtbar.
»Ich habe das blonde Püppchen nicht hereingebeten, weil sie bestimmt einen Herzinfarkt bekommt, wenn sie die Unordnung sieht, deshalb solltest du dich beeilen. Es scheint wichtig zu sein, wenn sie aus ihrem Nobelviertel zu uns kommt. Sollte ich etwas wissen, Alejo?«, fragte sie und ihre Augen strahlten in einer merkwürdigen Farbe.
Natürlich, sie musste denken, dass ich eine von Alejandros Schnepfen war, die er vermutlich geschwängert hatte. Sie dachte wohl nicht daran, dass ich mich nie mit jemandem wie ihrem Sohn einlassen würde.
Schnell schüttelte ich den Kopf, rappelte mich auf und suchte die Eingangstür, ohne dass sie Verdacht schöpfte. Jeder Schritt tat weh und schon auf der Hälfte der Strecke musste ich leise keuchen, weil meine Seite schmerzhaft stach.
»Du kannst mich nicht einfach hier draußen stehen lassen«, hörte ich eine aufgebrachte Stimme, als ich im Eingangsbereich ankam.
Das war unverkennbar mein Tonfall, jedoch hätte ich nicht einmal im Traum daran gedacht, eine fremde Frau zu duzen.
»Was hast du jetzt schon wieder angestellt?«, zischte ich und hätte Alejo am liebsten die Tür vor der Nase zugeschlagen. Stattdessen trat ich zu ihm nach draußen und zog sie hinter mir zu.
Es war unglaublich. Als würde ich in einen Spiegel sehen. Ich blickte direkt in mein eigenes Gesicht. Das waren meine blauen Augen und meine blonden, glatten Haare, die er offen trug, weshalb ihm Strähnen über die Lider fielen und seine Sicht teilweise verdeckten. Mein Gesicht war nicht von ihm geschminkt worden, sodass jede Unreinheit wahrzunehmen war. Die roten Male hoben sich von meinem blassen Teint ab und meine Wimpern standen in alle Richtungen ab. Hatte er noch nie etwas von einer Wimpernzange gehört? Ich versuchte, mich deshalb nicht zu ärgern, da es besser war, als wenn er meine Haut mit Make-up zugekleistert und mir einzelne Härchen unbeabsichtigt ausgerissen hätte.
Die Kleidung an meinem Körper war ungebügelt und wies mehrere Falten auf, aber das Schlimmste war, dass Alejo einen blauen Rock angezogen hatte, der bereits bei der Mitte meines Oberschenkels aufhörte. Dazu trug er ein grünes Shirt, dass überhaupt nicht zu dem roten BH, dessen Träger unter dem Oberteil hervorstachen, passte. Das ärgert mich wiederum schon. Hatte meine Mom ihn heute nicht aus dem Haus gehen sehen? Wieso hatte sie ihn nicht aufgehalten?
»Was ich angestellt habe?«, wiederholte Alejandro entrüstet und verschränkte die Arme vor der Brust. »Die bessere Frage ist doch, was du getan hast«, meinte er provozierend und ging, ohne hereingebeten worden zu sein, an mir vorbei ins Innere des Hauses.
Zugegeben, es war sein Heim, auch wenn er gerade in meinem Körper steckte. Trotzdem war das kein Benehmen. Hatte seine Mom ihm keine Manieren beigebracht?
Zielstrebig lief Alejo in sein Zimmer und ließ mich einfach stehen. Erzürnt, weil er automatisch annahm, dass ich ihm folgen würde, blieb ich mit dem Handtuch in der Hand vor der Tür und wartete darauf, dass er es sich anders überlegte und zurückkam. Aber das tat er nicht.
Wutentbrannt stampfte ich ihm hinterher und betastete meine Unterlippe, die inzwischen aufgehört hatte zu bluten. Jede meiner Bewegungen schmerzte. Mein Oberschenkel pochte und auch mein Magen verarbeitete die Schläge nicht besonders gut, weshalb ich immer wieder kurz stehen bleiben musste, um mich zu sammeln und den Schmerz wegzuatmen. Als ich endlich in Alejandros Zimmer stand, lag er auf seinem Bett und starrte an die Decke.
»Na los, Prinzessin, erzähl mir, was hier los ist«, verlangte Alejo und ich musste lächeln, weil er mich, obwohl ich in seinem Körper feststeckte und überhaupt nicht königlich aussah, immer noch Prinzessin nannte.
Das Lächeln verschwand allerdings sofort wieder aus meinem Gesicht, als der Rest seiner Worte in mein Bewusstsein drang.
»Ich habe nichts damit zu tun«, erklärte ich wütend und setzte mich auf die Bettkante.
»Wenn du es nicht warst und ich auch nicht, wer dann?«, überlegte er ruhig und es überraschte mich, dass er mich nicht einer Lüge bezichtigte, stattdessen versuchte er, eine Lösung für unser Problem zu finden. Das sah ihm gar nicht ähnlich.
Wo blieb das Geschrei und die Aggressivität? Auch keine Beleidigungen verließen seinen Mund. Und warum zur Hölle konnte er so gelassen bleiben? Ich war hingegen kurz vor dem Durchdrehen. Ich war ein Mann! Nicht irgendein Mann, sondern zu allem Übel auch noch Alejandro. Wie war das möglich?
»Ich weiß es nicht. Gestern bin ich ganz normal eingeschlafen und heute Morgen in deinem Körper aufgewacht«, berichtete ich und begann, meine Handflächen mit den Fingern durchzukneten, um meine innere Spannung abzubauen.
»Dann geht es dir wie mir. Ich bin zwar sehr spät schlafen gegangen, doch es war definitiv mein Zimmer und mein Bett. Ist irgendetwas Seltsames passiert?«, wollte er wissen und setzte sich auf, um mich ansehen zu können.
Wieder stockte mir der Atem, als ich mir selbst ins Gesicht sehen konnte, aber wenigstens fühlte es sich nicht mehr so an, als würde ich einen Herzinfarkt bekommen. Das erachtete ich als positive Entwicklung.
Schnell ließ ich den gestrigen Tag Revue passieren. Es war ein Tag, wie jeder andere gewesen. Bis auf die unerfreulichen Zusammenstöße mit Alejandro und dem folgenden Ärger mit Dalma Bigelow.
Natürlich. Bigelow! Mit einem Mal fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die Kunstlehrerin. Wie war das mit der Lektion in Empathie? Bestimmt hatte sie ihre Finger im Spiel. Die körperlichen Veränderungen, die ich beim Handschlag mit Alejo gespürt hatte, konnten kein Zufall gewesen sein.
Aber das war verrückt. Bigelow war weder eine Hexe, noch besaß sie irgendwelche magischen Fähigkeiten, sonst wäre das längst in der Schule bekannt geworden. Geheimnisse kamen immer irgendwann ans Licht und in unserer kleinen Stadt wusste jeder alles über jeden. Über mich wussten alle, dass ich Fantasy-Romane hasste und weder an Feen, Kobolde und Drachen noch an Hexen, Vampire oder Werwölfe glaubte. Für mich waren diese Fabelwesen Hirngespinste von Spinnern, die mit der realen Welt nicht klarkamen und sich deshalb ein eigenes Universum erschufen, in dem nicht alles erklärbar war.
Schon als Kind hatte ich den Drang verspürt, auf so genannte Wunder logische Erklärungen und Antworten zu finden, und heutzutage war kaum noch etwas wissenschaftlich nicht belegbar. Selbst die Liebe, das größte Wunder von allen, war nur eine biologische Folge der Evolution. Welchen Grund hätte ich gehabt, an so etwas wie Magie zu glauben? Damals hatte mir aber niemand gesagt, dass ich irgendwann in einem fremden Körper aufwachen und plötzlich Muskeln und einen Schwanz haben würde.
Verdammte Scheiße! Ich war ein Mann. Wie zum Teufel konnte das passieren?
»Bigelow«, flüsterte ich, um meinen Verdacht kleinlaut zu äußern, und hoffte, dass Alejo mich nicht gleich auslachen oder mir eine halbwegs logische Erklärung für das Geschehen liefern würde.
Seine Pupillen weiteten sich und kurz konnte ich Verständnis in seinen blauen Augen aufblitzen sehen. Er schien sich auch an die gestrige Situation im Kunstsaal zurückzuerinnern. Oder er erlitt gerade einen Schlaganfall. Abrupt sprang Alejo auf und lief aus dem Zimmer.
»Alejandro, wohin willst du?«, rief ich und rannte ihm, so schnell ich konnte, hinterher.
Jeder Schritt war eine Qual und ich hustete, weil ich schlecht Luft bekam. Alejo sollte dringend aufhören, zu rauchen, wenn er nicht mit dreißig an einer Lungenkrankheit sterben wollte. Aber das war eine Sorge, der er sich zu einem späteren Zeitpunkt annehmen konnte. Bevorzugt, wenn wir nicht gerade die Körper getauscht hatten.
»Zur Schule, Prinzessin. Mal sehen, was Bigelow zu den Anschuldigungen sagt«, zischte Alejo, bevor er auf einmal stehen blieb. »Hast du große Schmerzen?«, fragte er und seine Stimme klang mitleidig.
Erneut sah ich ihn überrascht an. Einerseits war ich schockiert, weil Alejo keinesfalls entsetzt wirkte, dass ich geschlagen worden war, andererseits hätte ich ihm nicht zugetraut, sich Sorgen um jemand anderen als sich selbst zu machen.
Obwohl ich noch nie im Leben solche Schmerzen gehabt hatte, schüttelte ich den Kopf. Alejandro schien meine Lüge zu durchschauen, denn er ging in langsamerem Tempo nach draußen, sodass ich mithalten konnte, und er warf immer wieder besorgte Blicke über seine Schulter. Ich war froh, dass er nicht genauer auf das Thema einging, da ich sonst meiner Neugierde nachgegeben und ihn gefragt hätte, warum der Partner seiner Mom mich verprügelt hatte. Und ich war mir sicher, dass ich es gar nicht wissen wollte.