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Die Marathon-Tournee »Udo ’70«
ОглавлениеUdo Jürgens bereitet sich seit Anfang 1969 auf sein bisher größtes Abenteuer vor: eine Marathon-Tournee, die Udo ’70-Tour.
Warum geht ein Künstler auf Reisen? Es liegt eine besondere Kraft darin, dass sich die Fans ihrem bisher unerreichten Idol nähern können. Es besteht Hoffnung, auch wenn es nicht jedem gelingt, ihm nahe zu kommen. Es entsteht zwischen Star und Fan eine stärkere Bindung, was für den Plattenverkauf nicht unerheblich ist. »Sich das Publikum erobern gehört zum Schwierigsten in unserem Beruf«, erklärt Jürgens. Der Star schüttelt von der Bühne herab Hände, gibt brav Autogramme, sozusagen als Dank für allerlei Liebesbezeugungen wie Maskottchen, Briefe, Blumensträuße oder ganz persönliche Kleidungsstücke, die er vom Publikum unten im Saal entgegennehmen kann. Die Vertrautheit mit dem Star wird schlussendlich durch das Autogramm dokumentiert: je persönlicher gestaltet, desto größer die Nähe.
In meinem Tagebuch ist unter dem Datum 6. April 1970 folgende Aufzeichnung nachzulesen: »Heute ein Udo ’70-Plakat bekommen. Udo Jürgens kommt im Rahmen der Udo ’70-Tournee am 17. April 1970 nach Dornbirn.«
Und am Tag des Konzerts geht meine Tagebuchaufzeichnung über drei Seiten: »Heute ist UDO JÜRGENS in Dornbirn. Ich hatte um 15 Uhr die Schule aus. Mit meinen Freundinnen Inge, Erna, Anni und Elke ging ich ins Parkhotel, das wohl nobelste Hotel der Stadt. Jeder Star residiert hier. Udo ist noch nicht da. Man sagte uns (ein dicker Mann)« – Es ist Udos Manager, Hans R. Beierlein möge mir meine jugendliche Ausdrucksweise verzeihen! –, »dass er um 16 Uhr 30 kommt. Er bezahlte uns allen eine Cola. Kurz nach 16 Uhr kam Telefon von Udo, es herrsche dichter Verkehr. Er werde um 17 Uhr 30 eintreffen. Er ist da: braune Hose, weißer Rollkragenpullover, braun-weißes Sakko. Er wollte gerade wieder in seinen Mercedes einsteigen, als ich zu ihm ging und um ein Autogramm bat. Er sagte: ›Bitte sehr, Fräulein!‹ Dann setzte er sich ins Auto und fuhr ab. Er drehte sich um und winkte. Ich natürlich zurück. Der ist so nett, ja wahnsinnig. Und vor allem er hat so schöne gepflegte Hände und Fingernägel.«
7 Unterwegs mit Luxuskarosse
Ich bin vierzehn und begeistert von diesem ersten Treffen mit Udo!
So reist ein Star: Das Mercedes-Werk hat ihm den 600er Pullman für die Dauer der Tournee zur Verfügung gestellt: eine Original-Staatskarosse, in der er arbeiten, telefonieren und fernsehen kann. Auch eine eingebaute Bar fehlt nicht, wie ich der Yellow Press entnehmen kann. Hans R. Beierlein sorgte für ein besonders originelles Zubehör des Pullman: Er schenkte Udo zum 35. Geburtstag ein Piano, das in den Fond passt und auf dem der Sänger sogar während der Fahrt spielen kann.
Es ist die »Tournee der Tourneen«. Sie dauert genau zehn Monate: Vom 4. September 1969 (im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth) bis 4. Juli 1970 (in der Berliner Deutschlandhalle).
In 153 Städten in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Holland, Belgien, Luxemburg, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien fanden insgesamt 222 Konzerte statt, darunter 69 Wiederholungen.
8 »Udo ’70«-Tournee: Über eine halbe Million Konzertbesucher erleben einen faszinierenden Udo.
Mit Udo stehen fünf Künstler von Weltklasse auf der Bühne: Pianist Heinz Allhoff, Schlagzeuger Bob Blumenhofen, Gitarrist Walter Graegel, Bassgitarrist Siggi Uebelherr und an der Orgel Willy Uebelherr. Diese sechs Herren bilden die »Udo Jürgens-Band«. Sie sind mehr als Kollegen, mehr als Chef und Mitarbeiter – sie sind gute Freunde. Diese Freundschaft bildet die Grundlage für eine perfekte Show, bei der jeder einzelne Musiker dokumentiert, dass er seinen Beruf liebt und ernst nimmt. Das kommt beim Publikum an. »Ich war und bin ein Mensch, der überzeugen will«, sagt Udo.
Die Statistik dieser Tournee spricht Bände: Über eine halbe Million Besucher kamen zu den Konzerten. 23 000 mussten sich mit Stehplätzen begnügen. Nur 22 Konzerte waren nicht ganz ausverkauft.
Der Damenanteil im Publikum lag Schätzungen zufolge bei 60 Prozent.
70 000 Kilometer legte Udo zurück, davon 60 000 im Wagen, den Rest im Flugzeug. Der Sänger übernachtete in 108 Hotels. Pro Konzert wurden von Udo durchschnittlich 34 Lieder gesungen. Hinzu kamen meistens sieben Zugaben. Unterm Schlussstrich heißt das, während der Tournee sang Udo 9102 Lieder. Unter ihnen Hits wie »Anuschka«, »Was wirklich zählt auf dieser Welt«, »Mary Ann«, »Babuschkin«, »He’s got the whole world«, »Ich glaube« und »Mein Freund, der Clown«.
1332 Tassen Kamillentee flossen durch Udos Kehle. Der Troubadour schüttelte rund 100 000 Hände. Er gab etwa 200 000 Autogramme – auf Programmhefte, Eintrittskarten, Postkarten, Geldscheine, Schallplattenhüllen, Poster, Zeitschriften, Handtaschen, Reisepässe, Kennkarten, Stirnbänder, Blusen, Busen, Stirnen, Arme, Beine und Schenkel. Der Verbrauch an Schreibutensilien war enorm: 238 Filzstifte und 1867 Kugelschreiber.
Jedes Konzert dauerte durchschnittlich zwei Stunden und 20 Minuten. Udo stand demnach 518 Stunden auf der Bühne. 30 000 Geschenke wurden dem Tournee-Rekordler verehrt, darunter rund 24 000 Blumen, hauptsächlich Rosen, Nelken, Tulpen, Flieder, Vergissmeinnicht, Narzissen, Orchideen, Geranien, Primeln, Feldblumen, Kleeblätter – und vierzehn Kakteen. Von Blumen abgesehen waren es Hunde, Katzen, Goldfische, Singvögel und Hamster, ferner Uhren, Teller, Zeichnungen, Zinnwaren, Bilder, Schlüsselanhänger, Armbänder, Ketten, Feuerzeuge, Aschenbecher, Amulette, Stofftiere, Puppen, Fotoalben, Kämme, Spiegel, Porzellan, Nippes, Fotorahmen, ein Kleinklavier, selbstgebackene Torten und Kuchen, Fußbälle, Sportgeräte, Teppiche, Vasen, Leuchter, Kerzen, Bestecke, Tassen, Wein und Schnaps – sowie fast ein Zentner Tee! Und eine bisher unbekannte Großtante Udos soll aufgetaucht sein.
9 Nach getaner Arbeit befindet sich Udo im Glückstaumel.
Auf der Verlustliste stehen, neben Filzstiften und Kugelschreibern, drei Mercedes-Sterne, sieben Radkappen, eine Telefonantenne, 23 Teegläser samt Inhalt, 412 Einstecktücher und vier Smokings samt 43 zerschlissenen Hemden.
Amateurkomponisten und -dichter überhäuften Udo mit Noten, Texten und Tonbändern im Gesamtgewicht von 21 Kilo. Ferner konnte er sich vor Einladungen zum Tee, Kaffee, Mittagessen, Abendessen, zum Schäferstündchen und zum Gruppensex kaum retten!
»Von Udos Absagen können zwei deutsche Schlagersänger ein paar Jahre leben!« Dieser beinahe zum geflügelten Wort gewordene Spruch hat seine Berechtigung, denn wegen der zehnmonatigen Tournee hatte Udo mehrere Angebote vorläufig ablehnen müssen: ein sechzehntägiges Gastspiel im »Olympia«, Paris; die Mitwirkung als Stargast beim Olympiade-Ball zur Unterstützung der Olympischen Spiele 1972; die Teilnahme als Stargast bei »Midem« in Cannes, der größten Musikfachmesse der Welt; eine Drei-Wochen-Tournee durch Südafrika mit der höchsten Gage, die in diesem Land je für einen kontinentalen Sänger angeboten wurde; die Teilnahme als Stargast auf der Weltausstellung in Osaka; die Mitwirkung in der von 42 Fernsehstationen in aller Welt übertragenen Gala der Französischen Schauspieler-Union; eine mehrwöchige Tournee durch Japan und ein Dutzend Fernsehauftritte im selben Land; eine mehrwöchige Tournee durch Südamerika und ein Dutzend Fernsehauftritte in Brasilien, Argentinien und Mexiko; die Mitwirkung als Stargast beim exklusiven »Bal paré« der »BUNTEN«; die Mitwirkung in 21 Fernsehshows in Deutschland, Österreich, Frankreich, Holland, Belgien, der Schweiz, England, Italien und Spanien, darunter der Nana Mouskouri/Harry Belafonte-Show.
Über eineinhalb Millionen Mark (767000 Euro) hätte Udo Jürgens für diese Engagements bekommen – aber seine Mammut-Tournee war auch sehr ertragreich. Wäre er nicht bereits vorher Millionär gewesen (wir sprechen von DM-Millionär), hätte er es spätestens jetzt erreicht. Die Tournee ließ Udos Stern im bisher hellsten Licht erstrahlen.
Während des an sich reibungslosen Ablaufs gab es doch zwei Zwischenfälle: Unbekannte drohten Udo umzubringen, wenn er nicht 24 000 Mark zahlen würde. Und bei einem Konzert in Meppen im deutschen Niedersachsen explodierte eine Tränengasbombe – bei dem Lied »Dann kann es sein, dass ein Mann auch einmal weint«.
10 Udo und seine Fans: eine Neverending Story
Bei dieser größten Tournee, die es bis dahin gab, musste Udo allerdings für ein paar Tage pausieren. Er hatte Grippe.
Der – nach Tom Jones – teuerste Star Europas brachte es auf ein Monatseinkommen von 500 000 Mark (255 645,94 Euro), so munkelt man. Sein »Apparat« verschlang davon allerdings die Hälfte. Nichts verdienten die Plakatanschlagfirmen: Man brauchte sie nicht. Udos Konzerte waren im Voraus ausverkauft.
»Angst habe ich keine, wenn ich auf die Bühne gehe«, resümiert Udo Jürgens, als ich ihn auf diese Erfolgstournee anspreche. »Das ist auch etwas ganz Falsches, Angst zu haben, wenn man auf die Bühne geht, dann hat man schlechte Voraussetzungen. Aber eine gewisse Spannung ist natürlich immer da. Zudem ist es nicht eine Frage der Eitelkeit, dass ich auf die Bühne gehe, es ist eine Frage, ob die Menschen mich wollen oder nicht.«
11 Ehemann und Papa Udo: Sein Zuhause ist die Bühne.
»Udo ’70 – der beste Udo, den es je gab!« Udo Jürgens ist das Idol der deutschen Jugend, die ihm zu Füßen liegt. Für die Zehnjährigen ist der »König des deutschen Schlagers« der zweitbeliebteste Mann der Welt, er kommt gleich nach Mao und noch vor John F. Kennedy. Udo hat einen Bekanntheitsgrad von 93 Prozent, den in Deutschland nur der verstorbene Exkanzler Konrad Adenauer mit 97 Prozent übertrifft. Auch bei Popularitätsumfragen liegt Udo ganz vorne: Er belegt den dritten Platz hinter den beiden ermordeten Brüdern John F. und Robert Kennedy.
Auf die Frage nach dem aufregendsten Erlebnis seiner Tournee gibt Udo Jürgens die beruhigende Antwort: »Das Fußballspiel Deutschland gegen Italien während der Weltmeisterschaft in Mexiko!«
Für Manager Beierlein war klar, dass es eine Tournee durch Deutschland in dieser Form nie mehr geben würde – auch mit Udo nicht. »Das macht man nur einmal im Leben!«, erklärte er. 22 Menschen arbeiteten tage- und manchmal auch nächtelang durch für die Vorbereitung und die Organisation dieses Riesenunternehmens.
Ehefrau Panja war sich nicht so ganz sicher, ob es nun früher schöner gewesen war, als die Familie mehr Zeit miteinander verbrachte, oder ob es jetzt, da Udo mehr Geld verdiente, angenehmer war. »Wenn ich sagen würde: Früher war es schöner, würde ich ja meinem Mann den Erfolg nicht gönnen – und den gönne ich Udo von Herzen.« Sie träumt aber von einem Leben auf dem Bauernhof mit Udo und den Kindern Johnny und Jenny.
»Mein Vater hat mich immer ›Schweinchen‹ genannt. Oder ›Steckdose‹. Das macht er manchmal heute noch. Ich sah ja auch so aus, mit diesen riesigen Nasenlöchern. Einmal hat er sogar das Kabel seines Elektrorasierers in meine Nase gehalten und das Rasierer-Geräusch gemacht. Ich dachte wirklich, jetzt kommt der Strom aus meiner riesigen Nase«, erzählt Jenny.4
Auf Anfrage hielt Udo 1970 eine Selbstbiografie noch für verfrüht, aber als Titel hätte er vorgeschlagen: »Was wirklich zählt auf dieser Welt, bekommst du nicht für Geld«.