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Erste Erfolge – Panja
Оглавление1954: Der Chef des RIAS-Tanzorchesters in Berlin, Werner Müller, lädt Udo ein. Der Anfang einer Karriere ist greifbar nah: Er bekommt den ersten Plattenvertrag mit Heliodor/Polydor: »Es waren weiße Chrysanthemen« ist der erste Plattentitel, zählt aber nicht zu seinen großen Erfolgen. Er wird – laut Udo – ein kapitaler Flop.
Während Udo sich bei vielen Live-Auftritten als Jazzpianist einen Namen macht, ändert er erneut seinen Künstlernamen: Udo Jürgens, abgeleitet von seinen beiden Vornamen Udo und Jürgen. Eine Entscheidung von ungeahnter Auswirkung. Mit neuem Namen geht er bereits mit dem Orchester Max Greger auf Russland-Tournee. Seine Freundin Brigitta »Gitta« Köhler, seine erste länger währende Liebesbeziehung, bleibt in Wien zurück.
Doch der Durchbruch ist immer noch nicht geschafft. Es sind die schweren Jahre des Anfangs, des Wartens auf einen Hit. Udo wohnt inzwischen mit dem Sänger Frank Forster in einer Pension in München-Schwabing. Es reicht nur zum Tingeln oder zu unbeachteten Auftritten in dem kleinen Lokal »Bei Gisela« für 20 Mark pro Abend.
»Bei Gisela« in der Occamstraße 8 traf sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die in München wohnende oder gelegentlich weilende Prominenz: Ob Dirigent und Komponist Leonard Bernstein, Politiker Franz Josef Strauß, die Schauspieler Kirk Douglas und Orson Welles, der Astronaut Juri Gagarin, Prinzessin Soraya oder der Schriftsteller Erich Kästner, sie alle waren fasziniert von der jungen Wirtin mit der rauchigen dunklen Stimme. Mit dem Chanson »Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen« wurde sie zur Berühmtheit Schwabings. Einige ihrer rund 30 Platten, wie »Späte Reue« oder »Morgengrauen«, gerieten auf den Index. 1960 bescheinigte ein Münchner Richter der Sängerin und Wirtin, sie sei »eine gebildete Dame mit stark unzüchtigem Charakter« – und sprach sie dann frei. Die Schwabinger Gisela und ihre Chansons waren über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt, sie war eine »poetische Institution«.
In dieser Münchner Zeit begegnet Udo dem Fotomodell Erika Meier aus Venne im Landkreis Osnabrück. In seinem 2004 erschienenen biografischen Roman Der Mann mit dem Fagott, den er gemeinsam mit Michaela Moritz geschrieben hat, beschreibt Udo mit sehr persönlichen Worten dieses Kennenlernen: »Sie heißt Erika, nennt sich Panja, manchmal jobbt sie als Fotomodell, manchmal hilft sie in einer Bar aus. Panja ist eine der attraktivsten und eigensinnigsten Frauen in der Münchener Existenzialistenszene. Als ich sie zum ersten Mal sah, wirbelte sie barfuß, schwarz gekleidet und mit unbändigen dunklen Haaren auf der Tanzfläche des ›Hotclubs‹ herum. Alle anderen Tanzpaare waren auf die Seite getreten und feuerten sie an, ihr Partner spielte eine Statistenrolle für die berauschende Vorstellung, die sie gab, und ich fühlte eine Faszination, die mir fast den Atem raubte. Sie war die beste Rock’n’Roll-Tänzerin, die ich jemals gesehen hatte. Sie sah meinen Blick, und ich erwiderte ihn mit einer gewissen Herablassung, aber sie versicherte sich fortan immer wieder der Tatsache, dass ich sie immer noch ansah.
So begann eine heftige, leidenschaftliche Affäre, die so ganz anders ist als meine Beziehung mit Gitta. Vor Gitta fühle ich mich oft unzulänglich – menschlich und musikalisch. Panja gegenüber kenne ich solche Gefühle nicht, aber die verworrene Situation kostet mich unendlich viel Kraft.«
Das war am 12. Mai 1959. Panja besuchte das Lokal mit einer Freundin, Udo war dort Stammgast. »Liebe auf den ersten Blick« soll es gewesen sein.
Später, im Herbst, ziehen sie zusammen, Verlobung gefeiert wird ein Jahr später – nach Udos Erfolg beim Festival im belgischen Knokke.
Zum ersten Mal erregt der 26-jährige Udo Jürgens Aufsehen, als er mit »Jenny« zum besten Einzelsänger dieses Musikfestivals gewählt wird. »Jenny« stürmt in Belgien die Charts als sein erster Nummer-Eins-Hit. Da beschließen Panja und Udo: Sollten wir heiraten und eine Tochter bekommen, werden wir ihr den Namen Jenny geben!
Bei seinem mehrwöchigen Tramp durch Nordamerika hatte Udo ein Mädchen kennengelernt: Jenny. Ihr widmete er das Lied, das sein erster Erfolg werden sollte.
Für Panja schreibt er eine andere Komposition: »Wie könnt’ ich von dir gehen …«
In dieser Zeit entsteht auch sein Welthit »Reach for the stars«, gesungen von Shirley Bassey.
1957 entdeckt ihn der Unterhaltungsfilm: Sein Filmdebüt gibt er neben Germaine Damar, Claus Biederstaedt, Grethe Weiser, Bum Krüger, Ruth Stephan, Theo Lingen und Ralf Wolter in dem Revuelustspiel Die Beine von Dolores. Ein Jahr später, 1958, dreht Udo Lilli – Ein Mädchen aus der Großstadt an der Seite von Ann Smyrner, Adrian Hoven, Claude Farell und Werner Peters. 1961 folgt mit Und du mein Schatz bleibst hier eine starbesetzte musikalische Komödie mit Vivi Bach, Hans von Borsody, Hans Moser, Trude Herr, Susi Nicoletti, Fritz Muliar und Paul Hörbiger. Heimatfilme und Lustspiele wie Unsere tollen Tanten (1961), Unsere tollen Nichten (1962) und Drei Liebesbriefe aus Tirol (1962) brachten die heile Welt in unsere Kinos. »In einer Zeit, wo niemand an mich geglaubt hat, hat Carl Spiehs, der Filmproduzent, immer gesagt: ›Der wird eines Tages groß werden!‹ Ich habe in seinen Filmen kleine Rollen gespielt und das vergisst man nicht.«
3 »Filmproduzent Carl Spiehs hat immer an mich geglaubt.«
Die standesamtliche Hochzeit mit Panja findet 1963 statt – in eben jenem Jahr, als Polydor beschließt, den Schallplattenvertrag mit Udo nicht zu verlängern. Er möchte das Singen aufgeben und nur noch komponieren. Da trifft er auf den erfolgreichen Showmanager Hans R. Beierlein. Er stimmt ihn um und verpflichtet Udo für seine Firma »Edition Montana«. Beierlein hilft Udo Jürgens dabei, zu einer unverwechselbaren Marke zu werden. Er rät ihm, sich musikalisch am französischen Chanson zu orientieren und sich an etwas gesellschaftskritischere und frechere Texte heranzuwagen.
4 Udo Jürgens mit Ehefrau Panja 1965: »Ich fühlte eine Faszination, die mir fast den Atem raubte.«
1960 wird Beierlein die Aufgabe übertragen, für eine große Schallplattenfirma alle Künstler anzusehen, die bei dieser Firma unter Vertrag stehen, und sie auf ihre Verwendungsmöglichkeiten in dem neuen Medium Fernsehen zu prüfen. Auch Udo Jürgens steht bei dieser Firma unter Vertrag. Beierlein ist bald überzeugt, dass der junge Künstler mehr kann, als er zeigen darf. Gleichzeitig erkennt er, dass Udo ziemlich hilflos ist und seine Karriere angeht, wie er seinen Tag beginnt – ohne Konzept. »Ich bin ein Späterwacher und ein Langsamstarter. Mit mir ist am Vormittag nichts anzufangen. Ich mache auch keinerlei Pläne. Ich gebe weder ein Interview, noch gehe ich ins Studio, noch komponiere ich. Ich gehe nicht Klavierspielen, ich mache gar nichts am Vormittag. Ich schlafe möglichst lange, gehe dann täglich in ein Dampfbad, und wenn ich das hinter mir habe, wird ausgiebig eiskalt geduscht und dann Zeitung gelesen. Ich lese pro Tag acht bis zehn Zeitungen. Das geht los bei der ›New York Harold Tribune‹ und endet bei der ›Neuen Zürcher‹ und der Münchner ›Abendzeitung‹, die besseren Boulevardzeitungen sind mit dabei, und dann bereite ich in Ruhe so eine Art Mittagsbrunch vor. Am Nachmittag beginnt für mich eigentlich der Tag. Am Vormittag bin ich nicht schlagkräftig.«
1963 wendet sich Udo Jürgens also an Hans R. Beierlein, der sich von den Qualitäten des Komponisten Udo Jürgens überzeugt zeigt, von denen des Sängers weniger. Sie einigen sich auf einen Kompromiss und produzieren eine Platte: Wird sie mehr als 25 000 Mal verkauft, machen wir weiter. Innerhalb kürzester Zeit werden 75 000 Stück mit dem Haupttitel, der Jürgens-Komposition »Tausend Träume«, abgesetzt.
Die Tatsache, dass Jürgens professioneller Klavierspieler ist, nutzt sein Manager Beierlein für seine Vermarktungsstrategien: »Er saß am Klavier, der einzige, der am Flügel gesessen war. Das Klavier ist also ein Imagebestandteil geworden für Udo […] Diese Klavierspielarie, die wir in den ersten Jahren außerordentlich gepflegt und gefördert haben, hat bei den Leuten draußen immer wieder den Eindruck erweckt, das ist nicht einer, der hingeht und mit Technik zum Singen gebracht wird, sondern einer, der es kann.«2
Das Entstehen eines Images im Spannungsfeld Medien – Fans – Star – am Beispiel Udo Jürgens ist sogar Thema einer Diplomarbeit von Christian Mädler. Und das, obwohl sich manche Menschen eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem Interpreten aus dem Schlagergenre nicht vorstellen können. Die Arbeit bestätigt nicht nur das funktionierende Image des Künstlers, sondern liefert darüber hinaus Ansatzpunkte, die seinen lang anhaltenden Erfolg begreiflich machen.
Auch wenn es heißt, dass sein Image nicht »geformt« wurde, belegen Aussagen seines Managers Hans R. Beierlein, dass dieser an dessen Image-Gestaltung sehr wohl beteiligt war. Um die Unabhängigkeit von Udo zu seinem Management zu unterstreichen, wird ins Treffen geführt, dass der Star der Chef sei, weil er schließlich seine Leute bezahle. Doch Jürgens ist sich der Beziehung zwischen Manager und Star bewusst: »Künstler und Manager, Manager und Künstler – eine merkwürdige Mischung, doch man weiß, dass man sich gegenseitig auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Für keinen geht’s ohne den anderen. […] Ein Manager ist immer irgendwo auch ein Spieler. Was er auch tut, er setzt immer auf etwas, auf einen Sänger, einen Maler. Wie ein Spieler setzt er auf Zahl oder Farbe. Und immer liebt er eine Farbe ganz besonders – die des Geldes! Ja – ein Manager ist letztendlich einer, der aus den Hirnschalen der anderen Champagner trinkt und nicht nur nippt! Und wäre ein Manager nicht so, könnte kein Künstler mit ihm groß werden.«3
Christian Mädler führt in seiner Diplomarbeit weiter aus, dass biografische Fakten bis heute durch das Management in der Öffentlichkeit so eingesetzt werden, dass sie ein bestimmtes, durchgängiges und in sich konsistentes Image propagieren, das darüber hinaus auch noch gut zu den Songtexten passt. Die Wirksamkeit dieser Strategie zeigt sich an den Äußerungen der Fans, die Eigenschaften wie Talent, Persönlichkeit und Aussagekraft ihres Stars als besonders wichtig bewerten. Die Imagekonstruktion vor allem durch das Management ist niemals abgeschlossen. Heute wird hauptsächlich über die Programmhefte und die Homepage im Internet gearbeitet. Die Fans zitieren auffällig häufig bestimmte, zur jeweiligen Situation passende Textpassagen aus den Liedern von Udo Jürgens und verweisen zur Untermauerung ihrer Argumentation nicht selten auf die an den genannten Stellen veröffentlichten Statistiken und Umfragen des Managements. Die positive Resonanz auf das Image von Udo Jürgens äußert sich schließlich auch darin, dass sein Name als Werbeträger für bestimmte Produkte, u. a. für die Sektmarke Deinhard, den Baumarkt OBI oder für Produkte der Marke Abtei, fungiert, die als Sponsoren wiederum bei sämtlichen öffentlichen Aktivitäten des Stars anzutreffen sind.
So wäre es zum Beispiel undenkbar gewesen, Udo Jürgens mit einem Hammer in einem OBI-Baumarkt auftreten zu lassen. Es wurde an einer imagegerechten Lösung gefeilt. Udo schrieb ein Lied mit dem Refrain »Mehr als nur vier Wände«, das in allen Filialen lief. Im ganzen Lied kam nie der Name OBI vor.
Dabei wollte Udo Jürgens für OBI nicht komponieren. »Die Abneigung gegen Leute, die mit einem Koffer voller Geld ein Lied kaufen wollen«, erinnert sich der Gründer der OBI-Baumärkte Manfred Maus, »war spürbar.« Er habe vier Stunden lang mit Jürgens diskutiert. »Dann stand der Udo auf, gab mir die Hand und sagte: ›Du bist ein Pfundskerl, darf ich dich duzen?‹«
Udos späterer Manager Freddy Burger lehnte die Anfrage, Udo Jürgens für eine Waschmittelwerbung zu gewinnen, ab.