Читать книгу Udo Jürgens - "Merci" - Lisbeth Bischoff - Страница 12

Gesellschaftskritiker, Hitmaschine
und Musicalschöpfer

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Die politischen Entwicklungen in Deutschland, gekennzeichnet durch Studentenrevolten und massive Proteste gegen den Vietnamkrieg der USA, sowie die Vormachtstellung des Beat und Rock’ n’ Roll führte in der Musikindustrie dazu, Interpreten mit einem gepflegten und sauberen Image zur Beruhigung der Konsumenten aus der Elterngeneration auf den Markt zu bringen.

Udo ist mit dabei. Allerdings nicht gerne. Doch die Auseinandersetzung mit diesen Liedern zeigt ihm ganz klar seinen eigenen musikalischen Weg auf, den er zu gehen hat. Und als die Plattenverkäufe stagnieren, löst er sich mit gesellschaftskritischen Liedern und Interviews vom Image des reinen Schlagerstars. Ob »Ein ehrenwertes Haus« oder »Griechischer Wein«, Udo Jürgens setzt populäre Signale gegen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Singt statt gefühlvoller Chansons Lieder wie »Lieb Vaterland«, womit er öffentliche Diskussionen, einen Proteststurm und Boykott-Aufruf der katholischen Kirche hervorruft.

Die Fans machen auch das mit. Längst ist Udo Jürgens zu Deutschlands Hitmaschine geworden. »Lieb Vaterland« hält sich 1971 zwölf Wochen lang in den deutschen Charts.

»Ich hab mich immer drum bemüht, mit Liedern wie ›Lieb Vaterland‹, ›Ein ehrenwertes Haus‹ Gesellschaftstöne anzuschlagen, aber eben im dunklen Anzug, weil ich glaube, da hören mir genau die Leute zu, die wir ein wenig verändern wollen. Die haben mir immer zugehört und die habe ich auch sehr oft mit meinen Liedern schockiert, aber dann doch zum Nachdenken vielleicht mehr angeregt, als wenn ich diese Schocktherapie mancher Popgruppen gemacht hätte.«

Der von Eckhard Hachfeld verfasste Text zu »Lieb Vaterland« setzt sich kritisch-provokativ mit dem zeitgenössischen Deutschland auseinander. Sowohl textlich als auch in Anlehnung an die Melodie zitiert dieses Lied die erste Zeile des von Max Schneckenburger 1840 verfassten und von Karl Wilhelm vertonten Gedichtes »Die Wacht am Rhein«, das im 19. Jahrhundert als Symbol der völkischen Bewegung und später des Dritten Reiches auch für das Ausland galt, wie eine Filmszene aus Casablanca von 1942 belegt, in der in einem »Sängerkrieg« die »Wacht am Rhein«, von deutschen Offizieren gesungen, der von Widerstandskämpfern angestimmten Marseillaise unterliegt.

Udo Jürgens artikulierte mit »Lieb Vaterland« ein gesellschaftliches Problembewusstsein und vergraulte damit seine konservative Anhängerschaft, ohne dafür von den linksintellektuellen Meinungsführern als einer der ihren akzeptiert zu werden.5 Wenn auch den Publizisten Axel Eggebrecht die überraschend aggressiven Texte von Udo Jürgens an die Protestsongs engagierter linker Sänger erinnerten, so kritisierte der konservative Schriftsteller Hans Habe, Udo Jürgens lasse »auch nichts aus, weder die Dollar-Lieschen noch die Protest-Hippies. […] An uns ist es, zwischen Rebellen aus Überzeugung und Opportunisten zu unterscheiden. Zwischen Rebellen mit und ohne Public Relations.«6

Das Publikum von Udo Jürgens gehörte nicht zu denen, die den Staat und die Gesellschaft abschaffen wollten. Doch es zeigte Bereitschaft, über die Texte von Udo nachzudenken, auch über die kritischen Textpassagen, die Missstände in der Gesellschaft anprangerten. Udo hielt es »für eine Bürgerpflicht«, um sich zu schauen und wahrzunehmen, was in der Welt vorging. Sein Publikum wusste, dass er nicht nur von der heilen Welt sang, sondern auch Probleme aufzeigte, indem er sie in Musik verpackte.

Eigenen Angaben zufolge saß Udo Jürgens politisch stets zwischen den Stühlen. Er wurde von der rechten Parteifront genauso angegriffen wie von der linken. Seine Art der politischen Haltung beschrieb er mit dem »Prinzip Hoffnung«, das seinen Liedern unterlag.

Mit dem Lied »Gehet hin und vermehret euch« kritisierte er zwar die Haltung der Kirche gegenüber Verhütungsmethoden, hielt sich aber an die Aussage des Liedes selbst am wenigsten, wie seine beiden unehelichen Kinder bewiesen.

Jürgens’ Erfolg als Schlagersänger begann mit dem Siegertitel »Merci Chérie« des Grand Prix Eurovision de la Chanson 1967. Seine Adressaten waren vor allem junge Leute, die in ihm sowohl ein Idol als auch ein ästhetisches Vorbild sahen. Er schuf durch sein Äußeres und sein öffentliches Auftreten einen Gegenpol zur aufständigen Beat-Kultur der Sechzigerjahre. Sein über Jahre aufgebautes Image wurde durch das 1971 erschienene, das politische System der damaligen Bundesrepublik verurteilende Lied »Lieb Vaterland« erheblich verändert und nicht zuletzt um die Facette des sozialkritischen Sängers mit politischen Ambitionen erweitert. Begünstigt wurde der vom Manager Beierlein ausdrücklich geplante Imagewechsel durch die zur gleichen Zeit aufkommende Liedermacher-Szene. Innerhalb des deutschen Schlagers sollte sich ein weiteres Themenfeld ergeben, dessen Vorreiter Udo Jürgens wurde. Die von Beierlein anvisierte Käufer-Zielgruppe sollte aus mittleren bis höheren Angestellten bestehen. Die Erhebung dieser biografischen Arbeit konnte dies belegen: 60 Prozent der Befragten haben eine Ausbildung absolviert, 24 Prozent schlugen eine akademische Laufbahn ein.

Am 29. August 1971 zeigt Udo Jürgens ein Herz für Kinder und hebt im Berliner Olympiastadion das Lied der Deutschen Fernsehlotterie, »Zeig mir den Platz an der Sonne«, vor 75 000 Menschen aus der Taufe.

Diese Initiative hat ihre Wurzeln in der Zeit der Berliner Blockade von 1948/49. Damals flogen die »Rosinenbomber« der Alliierten Kinder aus dem isolierten West-Berlin nach Westdeutschland aus, wie es später dann auch Fluggesellschaften wie die Deutsche Lufthansa, KLM, Pan Am und British Airways getan haben. Unter dem Motto »Ein Platz an der Sonne« konnten diese Kinder einige erholsame Ferienwochen auf dem Lande erleben. Das Motto hatte seinen Ursprung in der deutschen Kolonialpropaganda Ende des 19. Jahrhunderts. Der damalige deutsche Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Bernhard von Bülow, erklärte am 6. Dezember 1987, dass die Deutschen gegenüber anderen europäischen Kolonialmächten einen »Platz an der Sonne« verlangten. Das Erste Deutsche Fernsehen unterstützte ab 1956 diese Hilfsaktion. Half man zu Beginn nur Kindern, wurde die Aktion ab 1959 auch auf kranke und ältere Menschen ausgeweitet. Jährlich wurde die Lotterie von einem »Lied der ARD-Fernsehlotterie« begleitet. Es sollte die Sendungen und Veranstaltungen der Lotterie repräsentieren. Im weitesten Sinne nahmen die Lieder die Thematik der Lotterie auf. Meistens wurden diese Lieder von bekannten Schlagersängern gesungen, die mit den Titeln beachtliche Erfolge erringen konnten.

Udo ist ein Garant für Erfolg. »Zeig mir den Platz an der Sonne« wird zum Hit und hält sich sechzehn Wochen in den deutschen Charts und verhilft auch der Initiative zu einem gewaltigen Bekanntheitsgrad. Sicher auch einer der Gründe, warum Udo Jürgens 1976 (»Ein Lied für alle, die einsam sind«) und 1980 (»Ist das nichts?«) nochmals gebeten wird, sich der guten Sache anzunehmen.

»Udo Jürgens übernahm mit ›Zeig mir den Platz an der Sonne‹ das politische Credo der Zeit, kritisierte mit ›Lieb Vaterland‹ 1971 die kapitalistische Gesellschaft und übte sich auch in der Folgezeit als witzelnder Protestsänger«, schreibt André Port le roi in seinem Buch über den deutschen Schlager und Politik in ihrer Zeit.7

Lieder der ARD-Fernsehlotterie

Jahr Titel Interpret
1958 Kleine Leute, große Reise Schöneberger Sängerknaben
1959 Hätt’ ich doch einen Wagen Frank Forster
1960 Ich fahr’ mit dir und du mit mir Maria und Franco Duval
1961 Mach’s doch so wie Aladin Willy Hagara
1962 Fortuna-Melodie Orchester Bela Sanders
1963 Junge Herzen haben Sehnsucht Bully Buhlan und die Schöneberger Sängerknaben
1964 Bald klopft das Glück auch mal an deine Tür Gerhard Wendland
1965 Miteinander, füreinander Lawrence Winters
1966 So schön, so leicht kann unser Leben sein Vico Torriani
1967 Schmiede dein Glück Lolita
1968 Deine Welt, meine Welt Freddy Quinn
1969 Wie schön ist diese Welt Anneliese Rothenberger
1970 Ich hab geträumt, das Glück kam heut zu mir Roy Black
1971 Zeig mir den Platz an der Sonne Udo Jürgens
1972 Hans im Glück Mireille Mathieu
1973 Aber deine Ruhe findest du nicht mehr Reinhard Mey
1974 Der Weg zum Glück ist frei Olivia Molina
1975 Das ganz große Glück René Kollo
1976 Ein Lied für alle, die einsam sind Udo Jürgens
1977 Du bist mein Hauptgewinn Rudi Carrell
1978 Schalt mal dein Herz auf Empfang Michael Schanze
1979 Zweimal Glück und zurück Salvatore Adamo
1980 Ist das nichts? Udo Jürgens
1981 Mach dir das Leben doch schön Tony Marshall
1982 Und die Sonne wird wieder scheinen Karel Gott
1983 Sonnenschein – Glücklichsein Heino
1984 Worauf wartest du? Freddy Quinn
1985 Gib dem Glück eine Chance Heinz Schenk
1986 Mensch, sag doch einfach Na und Katja Ebstein
1987 Unser Land Marianne und Michael
1988 Lasst uns singen Fischer-Chöre
1999 Ganz weit vorn Roland Kaiser
2000 You’re welcome Billie Fleck
2001 Ein Platz an der Sonne Die Jungen Tenöre
2003 Das Lied vom Glück Johannes Kalpers

Der deutsche Schauspieler Joachim Fuchsberger schreibt mit Thomas Hörbiger Texte zu Udos Kompositionen. Der Schriftsteller Hans Hellmut Kirst macht den vielbeachteten und allseits begrüßten Anfang, auch für »leichte« Musik »anspruchsvolle« Texte zu dichten. Er ist vom Komponisten Udo voll überzeugt: »Udo macht nicht Musik, er ist Musik!« Eine Auswahl der Texte wird von Kirst selbst im Udo Jürgens Songbuch von 1970 zusammengefasst.

Udos Leibtexter ist aber Walter Brandin. Er verfasste oder übersetzte zahlreiche Liedertexte für Helen Vita, Salvatore Adamo, Charles Aznavour, Gilbert Bécaud, Karel Gott, Katja Ebstein und René Kollo. Erfolghits wie »Es wird Nacht, Senorita« (1968) und »Anuschka« (1969) stammen aus seiner Feder.

Der Beginn einer erfolgreichen Zusammenarbeit startet 1970: Der deutsche Liedtexter, Schriftsteller und Librettist Michael Kunze arbeitet für Udo Jürgens. Schon während seines Jurastudiums begann er Mitte der Sechzigerjahre Liedtexte zu schreiben, für Nana Mouskouri, Peter Alexander (»Die kleine Kneipe«), Jürgen Drews (»Ein Bett im Kornfeld«), die Münchener Freiheit (»Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein«) und Juliane Werding (»Nacht voll Schatten« und »Stimmen im Wind«).

Kunze produziert darüber hinaus internationale Hits für Silver Convention, Julio Iglesias, Herbie Mann, Gilbert Bécaud, Sister Sledge und andere. Hier verwendet er zeitweise das Pseudonym »Stephan Prager« (in Anlehnung an seinen Sohn Stephan und seine Geburtsstadt Prag). Mit Silver Convention und dem von ihm getexteten »Fly, Robin, fly« erreicht er Platz 1 der US-»Billboard«-Charts.

Udo werden zuhauf Blumen überreicht. Seine Lieblingsblume ist die Rose – das wissen natürlich die Verehrerinnen und auch die professionellen Rosenzüchter. Dem »Barden deutscher Seele« widmen sie eine Rose, die seinen Namen trägt: Die »Udo Jürgens-Rose« gibt es seit dem 22. Juni 1972 für alle, die Udo im eigenen Garten erblühen lassen möchten.

Und hier erinnere ich mich an eine Geschichte, die mir Udo Jürgens erzählt hat. Es war zu früher Morgenstunde, als er, wie schon öfter und gleich einem Ritual, dem Walzerkomponisten Johann Strauß, dem »güldenen« Denkmal im Wiener Stadtpark, eine Rose überbringen wollte. Er war dort mit einem Musiker verabredet, den Namen weiß ich leider nicht mehr, ich weiß nur noch, dass er bei strömendem Regen auf seiner Geige den Donauwalzer spielte, während Udo auf das Strauß-Denkmal kletterte, um die Rose zu platzieren. Plötzlich tauchte ein Polizist auf, um nach dem Rechten zu sehen. Udo Jürgens versuchte dem Gesetzeshüter seine Art der Verehrung für den Walzerkönig zu erklären. Als dieser den Sänger erkannte, zeigte er Verständnis. Nur »a bisserl leiser, Herr Professor« sollte es sein.


12 1972 brilliert Michael Heltau als Bluntschli in der Wiener Inszenierung des Musicals «Helden, Helden«, von Udo Jürgens.

Mit der von ihm in japanischer Sprache gesungenen Version »Was ich dir sagen will« (»Wakare no asa«) schlägt Udo die Aufnahmen der Beatles und der Rolling Stones. Mit diesem Titel ersingt sich die japanische Rock-Sängerin Mari Takahashi über Monate hinweg die Nummer-Eins-Position der japanischen Hitparade. Den Text des Originals schrieb kein Geringerer als Joachim Fuchsberger.

Udo Jürgens und seine Lieder sind in Japan damals absolute Highlights, die Tournee durch Japan ist ein Sensationserfolg. Udo ist ständig auf Achse, hat wenig Zeit für seine Familie und seine Hobbys: »Ich arbeite vierzehn bis fünfzehn Stunden pro Tag! Man muss das eben so lange mitmachen, wie man gefragt ist – das ist der Preis für den Erfolg!«

Basierend auf George Bernard Shaws Komödie Helden schrieb Udo Jürgens das Musical Helden, Helden. Udos Wunschtraum wäre gewesen, das Werk mit Peter Alexander als Hauptmann Bluntschli und unter der Stabführung von Herbert von Karajan aufzuführen. Karajan klatschte in einem Jürgens-Konzert nicht nur begeistert den Takt mit, er soll auch Interesse bekundet haben, den Taktstock für Jürgens-Kompositionen zu führen.

Am 22. Oktober 1972 fand die Uraufführung im Theater an der Wien statt. Den Ton gab schlussendlich der musikalische Chef des Hauses, der Dirigent Johannes Fehring, an. »Meine erfolgreiche Komponistentätigkeit bei Helden, Helden hätte ich nicht durchführen können, wäre mir Johannes nicht in allen Phasen mit Rat und Tat zur Seite gestanden«, berichtete Jürgens.

Für die Wiener Inszenierung von Rolf Kutschera konnten große Namen verpflichtet werden: Julia Migenes, Irmgard Seefried, Gabriele Jacoby, Ossy Kolmann und Michael Heltau als Bluntschli.

Am 23. Februar 1973 fand dann im Hamburger Operettenhaus die Deutschland-Premiere statt. Die Kritiken waren schon in Wien sehr unterschiedlich: »Sie waren fünfzig zu fünfzig, aber in Deutschland wurde nur von den fünfzig Prozent schlechter Kritiken gesprochen. Dabei lief das Musical in Wien drei Monate lang vor ausverkauftem Haus«, erzählt Jürgens. Paul Hubschmid, der den Bluntschli in der Hamburger Inszenierung von Karl Vibach spielte, glaubte an das Musical und gab ihm eine große Chance: »Wenn ich nicht daran glauben würde, hätte ich die Rolle nicht übernommen.«

Helden, Helden wurde mit dem Orchester des Theaters an der Wien auch auf Langspielplatte eingespielt. Verkaufsergebnis: 60 000 Stück.

Udo Jürgens -

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