Читать книгу Britta reitet die Hubertusjagd - Lisbeth Pahnke - Страница 4
Wie glücklich sind alle anderen!
ОглавлениеDas war die letzte Reitstunde dieses Sommers! Rinaldo galoppierte weich über den stark aufgeworfenen Hufschlag rund um die Wiese neben dem Stall, und ich genoß es, seinen Eifer zu spüren. Als ich seinen dunkelbraunen, beinahe schwarz glänzenden Hals kurz zärtlich klopfte, schüttelte er seinen schönen Kopf und wollte das Tempo beschleunigen. Und als ich die Zügelführung ein wenig locherte, wurden seine Sprünge länger, er wechselte den Rhythmus und fiel in verstärkten Galopp … es war herrlich! Der Wind packte mein Haar und trieb mir Tränen in die Augen. Es war die letzte Reitstunde vor den großen Sommerferien; ich bemühte mich, nicht daran zu denken. Unsere Pferde sollten auf die Weide; nahezu drei lange Monate würden vergehen, ehe im Herbst der Reitunterricht wieder begann.
„Der letzte Galopp“, seufzte ich leise vor mich hin und parierte Rinaldo halb durch, damit er nicht mit Trixi Zusammenstoße, die vor ihm lag. Trixi war eine elegante, zierliche Stute mit weißen Fesseln an beiden Hinterfüßen. Sie bewegte sich schön und ausgeglichen vor uns im versammelten Galopp. Gunnel, die Tochter des Reitlehrers, saß locker und doch korrekt im Sattel und hielt die Zügel mit ruhiger, weicher Hand. Gunnel besaß das Reiterabzeichen in Gold; ich bewunderte sie grenzenlos.
Bei ihr wirkte alles so einfach, wenn sie sich mit ihrem Pferd befaßte. Sie kannte keine großen Gesten und erreichte es doch, daß selbst ein schwierig zu reitendes Pferd sich beispielhaft fügte. Es war nahezu unbegreiflich.
Hinter mir ertönte ein munteres Schnauben; über meine Schulter lachte ich Helena zu. Ihre Augen glänzten, sie zog mir eine ulkige Fratze und schien sich nichts daraus zu machen, als ihre kleine, flinke „Hexe“ beim Galopp nach hinten ausschlug, daß die Grasbüschel durch die Luft flogen.
Glückliche Helena! dachte ich ein wenig eifersüchtig. Die Stute Hexe sah so lustig aus, ihre kräftige Mähne sträubte sich nach allen Himmelsrichtungen. Sie war Helenas eigenes Pferd, und die beiden paßten wirklich gut zusammen, beide waren total verrückt und für jeden Unsinn zu haben.
Rinaldo kaute an seinem Gebiß. Seine schwarze Mähne flatterte im Wind … Ich schaute zu den Reitern und ihren Pferden, die sich im Viereck bewegten:
Lasse und sein großer Fuchs „Mister“ kamen gut miteinander aus wie immer. Marita sah ein wenig verbissen drein und mußte mit kräftigem Schenkeldruck arbeiten, um ihren alten „Rex“ in Bewegung zu halten. Rex war ein hochbeiniges, schwarzes Tier, er glich einem holzgeschnitzten Pferd und blieb stehen, sobald der Reiter nicht mehr trieb. Marita war schon ganz rot im Gesicht, die Gläser ihrer eleganten, blaubogigen Brille waren beschlagen.
„Tempo verkürzen!“ Onkel Magnus, Gunnels Vater, fand wohl, wir hätten genug galoppiert. Nun ließen wir die Pferde am langen Zügel auslaufen. Helena arbeitete sich zu mir vor.
„Hexe ist wieder total verrückt!“ sagte sie mit lustigem Lachen, zog die Füße aus den Steigbügeln und setzte sich bequem zurecht, die Beine auf den Sattelpauschen. „Hoffentlich dürfen wir heute auch springen, Hexe ist gerade in der richtigen Stimmung dafür.“
„Du wirst bald runterfliegen, wenn sie so weitertut“, antwortete ich.
Helena lachte. „Es wäre nicht das erste Mal. Sie ist ein kleiner Teufel, aber man muß sie einfach gern haben.“
„Kurze Kehrt, links, auf der Mittellinie halt!“ kommandierte Onkel Magnus, während er auf der einen Längsseite ein Hindernis aufbaute. Wir ritten alle zur Mitte und verkürzten schon die Riemen unserer Steigbügel für das Springen.
„Mister!“ rief Onkel Magnus. „Von links anreiten!“
Lasse ritt zur linken Spur hinaus. Das Hindernis war eine Triplebarre, sie stand einladend in der Reitbahn. Während Lasse seinen Mister antraben ließ, schaute er ruhig den blauweißen Ricks entgegen. Gesammelt und wie selbstverständlich fiel Mister auf der Längsseite in Galopp. Im Sprung machte Lasse die Bewegung des Tieres ausgeglichen mit und holte dann Mister zum Trab zurück.
„Es war gut“, sagte Onkel Magnus. „Du kennst dein Pferd und weißt, daß du nicht mehr tun mußt. Aber hüte dich, allzu passiv zu reiten! Wiederhole den Sprung!“
Diesmal trieb Lasse Mister schon auf der anderen Längsseite zum Galopp, nahm die Ecke noch galoppierend und parierte dann halb durch, sobald das Hindernis in den Blickwinkel des Pferdes kam. Dann legte Lasse die Schenkel mit energischem Druck an den Leib des Pferdes. Mister nahm längeren Tritt, spitzte die Ohren und glitt schwungvoll über das Hindernis. Onkel Magnus wirkte zufrieden.
„Das war viel besser!“ lobte er Lasse und nickte ihm zu.
Nun war ich an der Reihe, zu springen. Rinaldo kaute an seinem Gebiß und begann zu galoppieren. Als das Hindernis auftauchte, spitzte er die Ohren und beugte den Hals willig nach vorn. Sein Galopp war weich und rhythmisch, er nahm das Hindernis mit einem weiten Sprung. Wir sprangen noch einmal und schließlich ein drittesmal, Rinaldo wurde immer eifriger. Mir schien es, als wäre das Springen noch nie so schön gewesen. Aber vielleicht kam dieses Gefühl nur aus dem Wissen, daß es für lange Zeit das letzte Mal war.
Der große, kräftige Rinaldo war mein Lieblingspferd. Er war schön gebaut und hatte die köstliche Gewohnheit, einen mit dem Kopf an die Schulter zu stoßen, wenn er etwas Gutes haben wollte. In der letzten Zeit hatten wir uns gut aufeinander eingespielt. Wir hatten einmal in der Woche Reitunterricht, und ich ritt Rinaldo, so oft es mir nur erlaubt wurde. Meist durften wir ja unsere Lieblingspferde reiten, manchmal aber gab uns Onkel Magnus völlig fremde Pferde, um zu sehen, wie wir dann zurechtkamen. Sicher war das nur gut für uns.
Mit einem mächtigen Sprung flog Rinaldo ein letztes Mal über das Hindernis, und es war nicht leicht, ihn zur ruhigen Gangart zurückzuholen.
„Ihr zwei seid aber heute wirklich in Stimmung“, stellte Gunnel fest.
Onkel Magnus erhöhte das Hindernis. Wir saßen alle ganz still zu Pferd, als Gunnel sprang. Ohne Zweifel war sie die beste Reiterin unter uns, und ich fragte mich oft, ob ich es jemals so weit bringen würde wie sie. Als Trixi mit ihren weichen, gleitenden Bewegungen sprang, hielt Gunnel ausgezeichnet die Balance, vermied jede kleinste Störung und ließ ihre Hände weichen Kontakt mit dem Zaumzeug und dem Maul des Tieres nehmen.
„Du springst einfach großartig“, sagte ich nachher zu ihr.
Gunnel wurde rot. „Ach was, Trixi springt, nicht ich! Sie ist ein Engel. Ich sitze nur im Sattel und führe ein wenig“, behauptete sie. Und, als wolle sie das Thema wechseln, fragte sie im selben Atemzug: „Hast du mein kleines schwarzes Kaninchen schon gesehen? Komm mit, ich zeig es dir!“ Die Reitstunde war nun zu Ende, wir ritten alle langsam im Schritt über die Wiese dem Stall zu.
Von außen gesehen, wirkte der Stall wie eine alte Scheune. Aber innen war es gemütlich, es roch herrlich nach den Pferden in ihren sechs geräumigen Boxen. Als wir mehr oder weniger elegant vor der Stalltür absaßen, wurden wir von tiefem Wiehern aus dem Stallinnern begrüßt. Lasse schaffte es besonders elegant, aus dem Sattel zu kommen: Er warf beide Beine nach rückwärts, knallte mit den Stiefelabsätzen über dem Schwanz des Pferdes zusammen und kam dann mit geschmeidigem Sprung neben seinem Mister auf den Boden.
„Du machst dich wohl wegen deiner neuen Reitstiefel wichtig“, neckte ihn Helena.
Wir führten die Pferde in den Stall. Trixi und Rinaldo hatten ihre Boxen auf der linken Seite. Dort stand schon ein Pferd, ein hochbeiniger Fuchs, der eben ganz einfach „Fuchs“ genannt wurde. Dieser Fuchs war Onkel Magnus’ Problemkind: er hatte einen ungewöhnlich hohen Widerrist und bekam dadurch sehr leicht Druckstellen vom Sattel. Nun aber würde sein armer Rücken sich lange ausruhen, denn schon am nächsten Tag sollten die Pferde auf die Weide gelassen werden.
„Was hast du im Sommer vor?“ fragte Gunnel unvermittelt.
Ich sah auf. Rinaldos Sattel und Zaumzeug hatte ich noch in den Armen. „Nichts weiter“, antwortete ich mißmutig. „Nichts, was mit Pferden zu tun hat. Wir werden in ein Häuschen am Meer ziehen. Und du?“
Gunnel spielte mit ihrem schwarzen Kaninchen. „Ich habe es vorige Woche bekommen, als ich achtzehn wurde“, sagte sie. „Schau doch, ist es nicht süß?“
Das Kaninchen hob schnuppernd seinen Kopf in die Luft, seine kleine Nase zog Falten. Gunnel strich ihm über den Rücken, als sie erzählte:
„Papa wird bei Rennen in Deutschland und Dänemark auf ,Don Dinero’ starten, und ,Djinn‘ soll auch mitkommen und in niedrigen Klassen starten, um etwas Renn-Sicherheit zu bekommen. Ich soll als Pferdepfleger mit.“ Sie sprach ganz ruhig, einfach und natürlich, nicht die Spur von Angabe in der Stimme. Ich starrte sie voller Bewunderung an. „Don Dinero“ war Onkel Magnus’ berühmtestes Rennpferd, es hatte schon viele Preise von schwierigsten Hindernisrennen heimgebracht. Das noch junge Pferd „Djinn“ würde vielleicht in einigen Jahren genauso berühmt werden. Beide standen in einem großen Stall in der Stadt.
„Wie aufregend, wie herrlich wirst du es haben!“ stieß ich atemlos aus. „Es wird ein wunderbarer Sommer werden!“
„Ja-a“, sagte Gunnel etwas zögernd.
„Na, zweifelst du am Ende daran?“ fragte ich erstaunt. „Ich könnte mir nichts Schöneres denken.“
Sie lachte. „Klar, es ist flott und vor allem was Besonderes. Die Atmosphäre auf den Rennplätzen, diese Spannung, all die Pferde … ja, sicher! Aber stell dir einmal vor, du hättest einen berühmten Rennreiter zum Vater, und alle erwarten nun von dir, daß du wunderbar reitest …“
„Aber das tust du doch wirklich!“ fiel ich ihr ins Wort. Ich konnte sie einfach nicht verstehen. „Ich fände es nach wie vor geradezu herrlich.“
„Was wäre herrlich?“ erklang eine muntere Stimme, und Onkel Magnus kam durch die Stalltüre. Ich wurde über und über rot.
„Für dich Pferdebursch machen zu dürfen bei den Rennen, Onkel Magnus“, bekam ich mit Mühe und Not heraus.
Er warf einen forschenden Blick auf Gunnel.
„Hat sich meine liebe Tochter beklagt?“ neckte er. „Gunnel hat nämlich einen Fehler – einen einzigen Fehler! Sie huldigt zu gerne dem Morgenschlaf … ansonsten ist sie ein ausgezeichneter Pferdepfleger.“
„Papa! Ich habe ein einziges Mal verschlafen!“ protestierte Gunnel.
Ich lachte und ging in die rechte Stallseite hinüber, um einen Hufräumer auszuborgen.
„… sechs Pferde, und ich soll also jeden Tag reiten …“, berichtete Marita über ihre Ferienpläne. Ihr süßes kleines Puppengesicht mit den runden blauen Augen und dem hellen Haar war voller Wichtigkeit. Jetzt wendete sie sich zu mir: „Ich werde auf einem Gutshof im südlichen Schweden leben, weißt du“, sagte sie ganz begeistert.
„Das klingt wie ein Roman“, antwortete ich. „Hat hier jemand einen Hufräumer?“
„Einen Hufräumer! Hier im ländlichen Stall!“ spielte Lasse den Fassungslosen. „Ich habe seit Jahren keinen mehr gesehen. Nimm diesen Nagel, der tuťs auch.“
„Hier“, unterbrach Helena und reichte mir einen Hufräumer. „Lasse hat heute seinen neckischen Tag.“
„Schickst du Hexe auch auf die Weide?“ fragte ich Helena.
Nein, sie würden das Pferd mit aufs Land nehmen, damit sie hie und da reiten könne, erzählte sie.
„Großartig!“ sagte ich. „Und du, Lasse?“
„Alles wie immer! Ich fahre aufs Land und helfe meinem großen Bruder, die Jungpferde zuzureiten“, sagte er mit gespielter Gleichgültigkeit. Dabei lehnte er sich gegen den Verschlag einer Box und kaute an einem Strohhalm. Sein dunkles, leicht gewelltes Haar fiel ihm in die Stirn; er sah gut aus.
„Na, na, halb so gelangweilt!“ gab ich’s ihm. Dann aber fragte ich mit echtem Interesse: „Hat dein Bruder ein Gestüt?“
Lasse gab sich wieder natürlich. „Ja, aber ein recht kleines, so nebenbei, denn er hat ja eine große Landwirtschaft“, sagte er mit liebevollem Interesse. „Fünf Stuten mit Fohlen und ein paar Jungpferde. Und ich verbringe jeden Sommer bei ihm, man lernt unglaublich viel über Pferde.“
Lasse war siebzehn, und im Grunde hatten wir alle großen Respekt vor ihm, denn er ritt gut und wußte mit Pferden umzugehen. Ich war jetzt eben vierzehn und ging erst seit drei Jahren zum Reiten. Helena und Marita waren beide jünger als ich, aber sie ritten schon ebenso lange.
Als wir mit den Stallarbeiten fertig waren, verabschiedeten wir uns draußen, auf dem Hügel vor dem Stall. Onkel Magnus sagte, er hoffe, uns alle im Herbst beim Reitunterricht wiederzusehen – und dann verschwand er mit Gunnel in seinem schwarzen Auto. Wir anderen radelten nach allen Himmelsrichtungen auseinander, bis auf Helena, die ganz in der Nähe wohnte.
Als ich den letzten Hügel nahm, bei dem man heftig in die Pedale treten muß – denn unser kleines weißes Haus liegt auf einer Anhöhe, von dichtem Tannenwald umgeben –, wurde ich traurig. Alle Kameraden würden in diesem Sommer mit Pferden leben, nur ich nicht! Allerdings hatte ich damals noch keine Ahnung, was ausgerechnet diesen Sommer alles geschehen sollte …!