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Eins zu null für Lilleman

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Klatschender Regen gegen meine Fensterscheiben weckte mich am nächsten Morgen. Es war der Anfang eines Wolkenbruchs, der mehrere Tage hindurch anhielt. Würde ich Lilleman jemals Wiedersehen, oder wollten die himmlischen Mächte mir jede Hoffnung nehmen? Ich mußte mich beschäftigen; ich schnitt Pferdebilder aus alten Zeitschriften aus und versuchte mir einzureden, daß dieses Trommelfeuer auf unserem Hausdach Gemütlichkeit verbreitete. Sonst gehört es zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, Bilder von schönen Pferden anzusehen, diesmal machte es mich aber nur traurig. Dann war es schon besser, sich mit den Zwillingen an Brettspiele zu setzen und sich sehnlichst besseres Wetter zu wünschen.

Endlich war es dann soweit. Die Hosentasche voller Zuckerstückchen, radelte ich an einem schönen Morgen jenem Hag zu und hoffte, Lilleman würde sich diesmal ein wenig zutraulicher zeigen als bei unserem ersten Zusammentreffen. Aber schon als ich über die Brücke fuhr, sah ich, daß der Weideplatz leer war.

Sollte das Pony am Ende wieder ausgerissen sein? fragte ich mich. Aber da das Gattertor offenstand, hatte Hakan Lilleman wohl während der Schlechtwettertage in den Stall geholt.

Der Weg zu Hakans Elternhaus führte durch eine schöne Birkenallee. Es war ein großes, altmodisches Gebäude; allerhand Holzschnitzwerk zeugte vom Stil und der Arbeitsfreudigkeit vergangener Zeiten. Der Stall lag etwas abseits, links vom Haus. In der Stalltüre stand Hakan und lehnte sich gegen eine Heugabel.

„Hej!“ rief er mir schon von weitem entgegen. „Prima, daß du kommst.“ Er ging vor mir in den Stall hinein. „Da steht ja unser stolzer junger Prinz. Hej, Lilleman!“ scherzte er. Das schwarze Pony stand in seiner Box und kaute an einem großen Büschel Heu. Als wir herantraten, wendete es den Kopf und schaute uns neugierig an. Ich trat in die Box und gab ihm ein Stückchen Zucker; er nahm es äußerst vorsichtig mit den Lippen von meiner Hand, ließ sich dann aber willig streicheln. Freilich war ich darauf bedacht, seinem Kopf nicht zu nahe zu kommen und keine unvorsichtigen Bewegungen zu machen.

„Wie gesagt, prima, daß du kommst“, wiederholte Hakan mit einem hinterlistigen Lächeln. „Ich bin nämlich gerade beim Ausmisten. Und um diesen Burschen sauber zu kriegen, brauchte man einen Staubsauger. Falls du aber mit einer Wurzelbürste vorliebnehmen willst?“

Ich strahlte vor Begeisterung. „Wahnsinnig gern! Ich tu nichts lieber, als Pferdemähnen oder Schwänze bürsten und striegeln, mit allem, was dazugehört.“

Ach, es war schön, wieder einmal ein Pferd zu pflegen! Ich arbeitete mit aller Kraft und Begeisterung, um das schwarze Fell des Tieres zum Glänzen zu bringen, und Lilleman stand ganz still da und schien diese Pflege richtig zu genießen. Den Schwanz zu bürsten verlangte allein schon eine halbe Stunde. Er war unglaublich dick, schleppte beinahe am Boden und war voll angetrocknetem Lehm.

„Wie wäre es, wenn wir ihn in die chemische Reinigung geben würden?“ schlug ich vor, als ich mich – rot und heiß von der Anstrengung – eine Zeitlang auf die Haferkiste setzte. „Hast du noch eine weichere Bürste, für den Kopf?“

„Dort drüben, auf dem Regal, liegt eine.“ Hakan versuchte, mit dem Kopf die Richtung anzugeben, da er eben einen großen Sack mit Sägespänen vorbeitrug. Während er ihn in Lillemans Box entleerte, holte ich die Bürste. Dann setzte ich mich auf den Rand der Futterkrippe, griff halb zärtlich in Lillemans Schopf und versuchte ganz vorsichtig, seinen Kopf zu bürsten. Lilleman setzte alles daran, mir zu entkommen: entweder er versteckte seinen Kopf in der hintersten Ecke der Box, oder er schlug so stark damit, daß ich seinen Schopf loslassen mußte.

„Er hat wirklich wenig Sinn für Zusammenarbeit“, stöhnte ich. „So, so, Lilleman, es ist nicht gefährlich, es ist gut für dich, verstehst du? Du wirst sauber und schön!“

Aber Lillemans Miene drückte größten Unwillen aus, sauber und schön zu werden.

Endlich war ich mit meiner Arbeit zufrieden und fragte Hakan, ob er nun mit Lilleman ausfahren wolle.

„Nein, bestimmt nicht, du bist ja verrückt! Er hat jetzt drei Tage im Stall gestanden, das wäre ja Selbstmord. Ein Sulky hat er mir schon kaputtgemacht, als er vor ein paar Wochen plötzlich im Wald scheute. Nein, besser stellen wir ihn wieder auf die Koppel hinaus, es regnet ja nicht mehr.“

Wir führten das Pony ins Freie. An jeder Seite hielt einer von uns kräftig das Halfter. Lilleman trabte ganz ruhig und brav zwischen uns dahin, und ich legte eine Hand auf seinen runden Rücken und wünschte nichts sehnlicher, als ihn reiten zu dürfen. Als wir die Weide erreicht und ihn losgelassen hatten und er plötzlich merkte, daß er frei war, raste er unter wilden Bocksprüngen im Galopp davon, und mir blieb nur zu überlegen, ob er es auch getan hätte, wenn ich auf seinem Rücken gesessen wäre. Im geheimen entschloß ich mich in diesem Augenblick, dies einmal zu erproben.

Was diesem Pferd fehlt, ist gründliche Bewegung, dachte ich weiter. Hätte ich doch ein eigenes Pferd … und ich verlor mich rettungslos in Träumen: ein eigenes Pferd, das ich jeden Tag reiten würde. Ein gehorsames, zutrauliches Pferd. Wie Rinaldo … dachte ich.

Die Tage gingen dahin, ich radelte fast täglich zu Lilleman und Hakan. Mama klagte, daß ich so selten zu Hause war und daß ein furchtbarer Pferdegeruch von mir ausging, wenn ich zufällig mal da war. Sogar Papa wurde etwas unruhig, als er von Lillemans wildem Gehabe hörte. Ich mußte vorsichtiger werden, um mich nicht der Kritik und den Ermahnungen der Erwachsenen ganz auszuliefern. Ausnahmsweise hielten diesmal die Zwillinge zusammen, und beide raunzten: „Pferde und immer wieder Pferde! Kannst du niemals von etwas anderem erzählen?“

Meiner verständnislosen Familie zum Trotz genoß ich meine Ferien. Ich hatte ein Pferd, ich durfte es pflegen. Das war genug; ich war mit dem Dasein zufrieden. Sooft ich auf meinem Fahrrad über die Brücke fuhr, hob Lilleman seinen Kopf und sah zu mir herüber – und erkannte mich. Er war auch nicht mehr so scheu wie anfangs, er kam sogar oft zu mir, um etwas Gutes zu kriegen. Dann stand ich immer eine Weile an ihn gelehnt, mit einem Arm über seinem Rücken, denn nach wie vor mochte er es nicht, wenn man seinen Kopf berührte.

Eines Tages fragte ich Hakan: „Willst du mich nicht einmal reiten lassen? Geh, sei doch nett!“

„Nein“, weigerte sich Hakan. „Und zudem ist der Sattelgurt gerissen.“

„Ich kann auch ohne Sattel reiten“, versicherte ich eifrig. „Du könntest schon einmal nett sein!“

„Mach, was du willst“, erklärte Hakan. „Aber gib dann nicht mir die Schuld! Ich habe dich gewarnt: diesen Kerl zu reiten ist lebensgefährlich.“

„Ach – das glaubst nur du!“ lachte ich ihn aus. Dann holte ich das Halfter aus dem Stall und ging auf die Koppel und rief Lilleman. Aber, als hätte er gemerkt, daß etwas Besonderes geschehen solle, schlug er wild mit dem Kopf um sich; sein Sehopfhaar flog nach allen Seiten, er wollte nicht kommen. Als ich zu ihm hinging, blieb er unbeweglich stehen, aber als ich nur noch einen Meter von ihm entfernt war, trabte er los, und mir war, als blitze reiner Trotz in seinen dunklen Augen auf.

„Lilleman, sei doch nicht albern!“ rief ich ungeduldig, war aber gleich darauf mit mir selbst unzufrieden, eben weil ich ungeduldig werden wollte. Wenn man mit Pferden umgehen will, muß man ganz einfach Geduld haben.

Nach einer Weile machte es Lilleman wohl keinen Spaß mehr, mich zu ärgern, und er ließ sich ganz ruhig aufzäumen. Zitternd vor Neugier und Erwartung, griff ich in die lange Mähne und sprang auf den Pferderücken. Und dann war es auch schon geschehen: ich saß mit verdutztem Gesicht auf dem Boden und sah Lillemans Hinterhufe nur noch in der Ferne.

„Was ist eigentlich passiert?“ fragte ich ganz dumm. Hakan, der neben uns gestanden und zugesehen hatte, sagte, Lilleman sei sozusagen explodiert und ich selber ein paar Meter hoch in die Luft geflogen.

„Na ja“, murrte ich. „Dann muß ich es eben noch einmal versuchen.“

Lilleman hatte sich mit den Vorderbeinen in den Zügeln verheddert, also konnte er nicht ausreißen, sondern mußte sich einfangen lassen. Als ich dann zum zweitenmal aufsaß’, tat, ich es mit verkürzten Zügeln und war auf alles gefaßt. Aber was half’s! Einen Augenblick lang stand das Pony ganz still … dann wurden mir die Zügel beinahe aus den Händen gerissen, als es kräftig mit dem Kopf ausschlug und davonraste! Seine kurzen Beine fielen in rasenden Galopp, die Wiese dröhnte unter dem Schlag seiner Hufe, und ich hatte keine Chance, ihn zu halten.

Der Zaun, der Zaun! fuhr es mir zu meinem Schrecken durch den Kopf. Er wird geradewegs durchrasen – er geht mir durch!

Schon waren wir dem Zaun beängstigend nahe, alles ging so schnell. Krampfhaft die Zügel haltend, machte ich einen letzten, verzweifelten Versuch – aber schon stemmte Lilleman seine Vorderhufe steil in den Wiesenboden und blieb jäh stehen …

Als ich mich jenseits des Zauns aus dem Haferfeld herausarbeitete, hielt ich die Zügel noch fest in den Händen. Neben mir lag das Zaumzeug. Bedrückt wurde mir klar, daß der Kehlriemen gerissen war.

Drüben, in der Koppel, stand Lilleman und schaute mich an. Es war, als hätten seine dunklen Augen einen triumphierenden Glanz. „Lilleman, du Unglücksvogel!“ keuchte ich und bemühte mich, mein Pech mit Humor zu tragen. „Du bist ein hoffnungsloser Fall!“

Hakan zeigte ich das zerfetzte Zaumzeug, aber er war nett und anständig: „Ach, das spielt keine Rolle, das kann ich selbst richten. Aber wie ist es dir ergangen? Keine gebrochenen Knochen?“

„Mir fehlt nichts“, antwortete ich. „Komme mir nur ein bißchen mürbgeschlagen vor.“

„Das kann ich gut verstehen“, grinste Hakan. „Und unseren Lilleman werden wir in den nächsten Tagen wohl kaum einfangen können.“

„Ich werde ihn wieder reiten, sobald du den Kehlriemen geflickt hast“, erklärte ich entschlossen.

Britta reitet die Hubertusjagd

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