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Reitklub Nordacker

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Ein strahlender Himmel begrüßte uns, als wir gegen elf Uhr vormittags in Nordacker ankamen. Hoch am Mast wehte die schwedische Fahne, und die großzügig angelegte Springbahn lag einladend im Sonnenschein.

Während ich die verschiedenen Hindernisse von weitem betrachtete, fühlte ich ein Kribbeln im Magen: Bald sollte ich dort mit meinem Pony Silber springen.

Dann erkannten wir Lasses Auto! Er hatte es ganz dicht vor dem Stall geparkt. Onkel Magnus, unser Reitlehrer, warf lächelnd einen Blick auf das Auto, dann entdeckte er uns. „Nun ist ja die Mannschaft in voller Stärke versammelt“, begrüßte er uns schmunzelnd, als wir aus dem großen Wagen kletterten und unsere Beine streckten.

„Gemütlich ist es hier“, stellte Gunnel fest und sah sich begeistert um. „Herrlich muß es sein, die Reitschule und die Reitbahn im Freien neben dem Stall zu haben!“

„Stimmt, es ist etwas unbequem, wenn man die Pferde an einem und die Reitschule am anderen Ende der Stadt hat wie wir“, stimmte ihr Vater, Onkel Magnus, zu.

„Oh, bin ich durstig!“ klagte Ann-Marie. „Mein Hals ist ganz trocken.“

„Komm, laß uns in den Stall gehen“, schlug ich vor. „Wir müssen doch die anderen Pferde anschauen!“ Ich war darauf sehr neugierig.

„Noch lieber würde ich mir die Skizze der Reitbahn betrachten“, erklärte Helena, und sie wirkte ein wenig nervös. „Onkel Magnus, wann kommt unsere Klasse dran?“

In diesem Augenblick öffnete sich die Stalltür, und ein Mann in einem eleganten dunkelblauen Reiterrock, in hellen Hosen und blankgeputzten schwarzen Stiefeln trat zu uns heraus. Onkel Magnus begrüßte er herzlich mit einem dröhnenden und fröhlichen Lachen.

„Mir war doch, als hätte ich ein Auto gehört“, sagte er. „Willkommen, alle miteinander! Einige von euch sind wohl schon etwas früher hier angekommen? Und die Pferde? Sie sind sicher schon unterwegs?“

„Selbstverständlich“, erklärte Onkel Magnus. „Sie müßten in etwa einer halben Stunde ankommen. Der erste Start ist für ein Uhr mittags angesetzt, stimmt’s? Ich muß dazu einige Programmänderungen ankündigen …“

Helena und ich warfen uns einen Blick des Einverständnisses zu. „Wir“ waren nämlich die Programmänderungen. Vor zwei Tagen hatte Helenas kleine Stute Hexe all unsere Pläne umgeworfen. Sie stolperte im Training und lahmte seitdem. Helena sollte auf Hexe und ich auf dem Schulpferd Menuette in derselben Klasse reiten. Wir waren recht verzweifelt, denn wir fürchteten, wir würden dieses Klub-Springen in Nordacker nicht mitmachen können.

Aber in letzter Stunde hatte sich eine Lösung gefunden, eine blendende Idee, ausgeheckt von Lasse, unserem nettesten Reiterfreund, und meiner Freundin Ann-Marie, die über den Sommer bei uns zu Gast war. Sie überredeten mich, Helena das Pferd Menuette abzutreten und mich selbst mit meinem jungen Welsh-Pony Silber anzumelden! Jetzt galt es nur abzuwarten, wie Helena mit der heißblütigen, unmöglichen Menuette zurechtkam und ich mit meinem Pony, das zum erstenmal bei einem Turnier springen sollte!

„Papa, dürfen wir uns inzwischen hier ein wenig Umsehen?“ fragte Gunnel. „Ich möchte so gerne die Pferde anschauen.“

Onkel Magnus blickte zu unserem Gastgeber, der freundlich nickte. „Selbstverständlich! Gern! Die anderen sind schon im Stall.“

„Seid aber wieder da, wenn unsere Pferde ankommen“, ermahnte uns Onkel Magnus. Wir versprachen es und liefen in den Stall. Im Kreis vieler junger Leute, alle schon im Reitdreß, stießen wir auf unsere restlichen Kameraden.

„Na also! Da seid ihr, hej!“ rief Lasse mit einem spöttischen Glitzern in seinen Augen. „Und ich dachte, ihr habt es euch inzwischen anders überlegt und seid zu Hause geblieben!“

„Was Besseres hast du dir wohl nicht ausdenken können?“ fragte Helena herausfordernd. „Das tolle Vergnügen, mit in deinem Wagen herauszufahren, hatten wir allerdings nicht!“

„Na – habt ihr endlich genug Höflichkeiten gewechselt?“ mischte sich Gunnel ein. „Ihr zwei Kampfhähne! Wollen wir nicht lieber feststellen, wo unsere Pferde untergebracht werden sollen?“

Wir gingen durch den Stall. Er war recht geräumig. Auf jeder Seite, links und rechts vom Mittelgang, gab es zehn große Boxen. Auf der rechten Seite herrschte lebhaftes Treiben: Jungen, Mädchen und auch Erwachsene waren voller Eifer dabei, ihre Pferde zu striegeln, die Mähnen zu bürsten, die Schweife zu kämmen und die Hufe ihrer Tiere auszuputzen. In dem breiten Mittelgang bildeten sich immer wieder Gruppen von Reitern, die in einem angeregten Gespräch beisammenstanden. Auf einer Haferkiste vor dem Eingang zur Sattelkammer saßen zwei Mädchen in lustigen blauen Overalls mit eingestickten Pferdenamen. Sie trugen Holzpantinen, auf denen auch die Namen ihrer Pferde standen. Im Stall war eine eigenartige Stimmung: Gemütlichkeit, gepaart mit einer angenehmen Spannung, wie sie immer entsteht, wenn befreundete Reitklubs ein Turnier austragen.

Die linke Seite des Stalles war leer. Über den Boxen hingen die Namensschilder der Pferde, die sonst hier standen.

Eine ältere Dame, das Haar schon etwas grau durchzogen, stand in beigen Reithosen und moosgrüner Jacke neben ihrem lebhaften kohlschwarzen Pferd: einem Wallach mit weißem Stirnfleck, an allen vier Beinen weiß hochgefesselt. Als wir neben ihr stehenblieben, sah sie von ihrer Striegelarbeit auf, und über ihr wettergebräuntes Gesicht flog ein freundliches Lächeln. „Sieh an, Gunnel! Guten Tag! Sind eure Pferde schon gekommen?“

„Noch nicht, Tante Maggie“, antwortete Gunnel. „Aber wir erwarten sie jeden Augenblick.“

„Ihr könnt sie dann hier hereinführen. Wir haben unsere Pferde auf die Weide geschickt, dadurch sind die Plätze frei. Wie viele habt ihr mit?“

„Sieben“, sagte Gunnel und betrachtete voller Bewunderung den schwarzen Wallach. „Er scheint heute in Topform zu sein!“

„Oh, Sultan ist eigentlich immer in Form!“ Die Dame lächelte stolz und klopfte dem Pferd den Hals. „Er ist temperamentvoller als ein Junghengst!“

„Und wie alt ist Sultan?“

„Zweiundzwanzig.“ Tante Maggie bürstete energisch über das Hinterteil ihres Pferdes. „Grüß deinen Vater, Gunnel, und sag ihm, wir wollen ihm morgen einen harten Kampf liefern!“ Dann lachte sie übermütig.

Wir gingen weiter, vorbei an einer Box, in der ein bildschöner Schimmel wütend gegen die Lattenwand ausschlug.

„Nehmt euch vor dieser Stute in acht!“ warnte uns eines der Mädchen. „Sie beißt und schlägt aus, sie ist immer schlecht aufgelegt. Aber springen kann sie wirklich!“

In der nächsten Box erkannte ich die alte Bonita, die ich vor vielen Jahren einmal geritten hatte. Sie sah noch genauso klumpig und träge aus wie damals, als unser Klub zum erstenmal hierher eingeladen war. Damals hatten wir unsere eigenen Pferde nicht mitgenommen, sondern waren auf Pferden des Reitklubs Nordacker geritten.

„Die Pferde kommen!“ riefen draußen laute Stimmen. Neugierig strömten alle ins Freie. Wir kamen gerade zurecht, als der Transportwagen von rückwärts an die Laderampe des Stalles fuhr. Endlich! Mir war es, als sei eine Ewigkeit vergangen, seit ich Silber in den Transportwagen geführt hatte, aber es waren nur dreieinhalb Stunden gewesen.

Jetzt wurde die rückwärtige Tür heruntergelassen, und schon begann im Innern des Wagens ein furchtbares Stampfen, Schlagen und Wiehern. Siv erschien als erste und führte Kim heraus. Er war in Schweiß gebadet und rollte die Augen so wild, daß man das Weiße aufblitzen sah. Dann wurde ein Pferd nach dem anderen herausgeführt. Vor den interessierten Zuschauern des Reitklubs Nordacker erschienen Menuette, Trixi, Fuchs und Mister. Als dann aber Onkel Magnus seinen Don Dinero herausgeleitete, war es ringsum ganz still. Don Dineros Ohren spielten leicht, zugleich aber machte er ein arrogantes Gesicht, als wollte er sagen: „Ich bin nicht das erstemal dabei …“, und seine Augen ruhten herablassend auf den staunenden jungen Leuten.

Dann war es endlich soweit, und ich konnte in den Transportwagen hineingehen, um Silber zu holen. Er spitzte die Ohren und wieherte ganz leise, als ich auf ihn zukam.

„Jetzt darfst du auch heraus und kannst dir Bewegung verschaffen, mein Junge!“ sagte ich zärtlich und lockerte seine Halfterkette. Da machte Silber eine rasche, unerwartete Drehung und schleppte mich beinahe mit sich aus dem Wagen heraus. Draußen auf dem freien Platz blieb er einen Augenblick lang unbeweglich stehen, blähte die Nüstern und stellte die Ohren hoch; er war gespannt wie eine Stahlfeder. Dann stieß er ein gellendes, herausforderndes Wiehern aus wie ein richtiger Hengst. Und er war so schön, daß ich ganz tief durchatmen mußte.

„Habt ihr ein Maskottchen dabei?“ rief irgend jemand, und alle lachten.

„Soll er wirklich zu den allgemeinen Bedingungen starten?“

Ein Pony beim Springderby! Dann muß es aber gut sein! Die Neuheit ging von Mund zu Mund, und ehe ich noch mit Silber in den Stall kam, waren alle überzeugt davon, daß Silber der „große Star“ dieses Springturniers sei. Sie bombardierten mich mit Fragen, wie hoch er springen könnte.

„Ihr werdet es schon sehen“, sagte ich nur. Innerlich schickte ich einen Stoßseufzer zum Himmel: Worauf hatte ich mich eingelassen? Was tun, wenn er schon das erste Hindernis verweigerte?

Wir banden unsere Pferde in den einzelnen Ständen fest, dann untersuchten wir sie genau, denn sie hätten sich ja während des Transports verletzen können. Silber hatte nicht ein feuchtes Haar; seine schöne mittelgraue Decke war trocken und glänzend. Sicher war er so sehr damit beschäftigt, all die anderen Pferde zu betrachten, daß er völlig vergaß, sich aufzuregen oder Angst zu haben.

„Komm jetzt!“ rief Helena. „Wir müssen uns die Bahn einprägen, unsere Klasse beginnt um ein Uhr, und ich weiß noch nicht, welche Startnummer ich habe!“

Ich ließ Silber mit einem großen Haufen Heu allein. Er begann auch sofort zu fressen und schien die Welt um sich herum zu vergessen. Turniernerven? Das kennen wir nicht!

„Ich kann Kim nicht allein lassen“, klagte Siv. „Er bekommt einen Anfall, wenn er hier allein und angebunden stehen muß.“

„Ich kann ja nach ihm sehen“, erbot sich eines der Mädchen mit den Holzpantinen, ein braunhaariges junges Ding mit fröhlichen Augen.

Die Skizze der Springbahn und die Startliste waren an der Tür des Reithauses angeschlagen. Es zeigte sich, daß Helena Startnummer zwei und ich Nummer sieben hatte. Wir waren beide bei dem Springen angemeldet, das um ein Uhr begann. Es war die Einzelwertung. Das nach Punkten festgelegte Derby-Springen sollte am nächsten Tag um zehn Uhr vormittags folgen. Leif und Marita aus unserem Klub waren in derselben Klasse wie wir angemeldet, Gunnel und einige andere Reiterkameraden zu einem schwierigeren Springen. Nach der Liste der Teilnehmer konnte es ein spannender Wettkampf werden.

„Diese Skizze der Springbahn ist furchtbar verwirrend“, seufzte Helena. „Ich sterbe, wenn ich falsch anreite! Komm, laß uns lieber die Hindernisse ansehen. Was bedeutet übrigens die Klassifizierung A:l?“

„Alle, die fehlerfrei geritten sind, müssen noch einmal springen, und dann geht es um Zeitpunkte“, erklärte ich ihr. „Aber ich fürchte, darüber brauchen wir uns nicht den Kopf zu zerbrechen.“

Die Hindernisse waren interessant: Tonnen, auf denen Balken lagen, dann eine imponierende Hecke, Birkenstämme, im Kreuz übereinandergelegt, sehr schwierige Hindernisse, die man ganz senkrecht anreiten muß. Schließlich entdeckten wir noch ein rot-weiß gestrichenes Tor von beachtlicher Höhe.

Die Wettkampfstimmung wurde immer gespannter. Es lag etwas in der Luft, nicht zu greifen, aber zu spüren. Immer mehr Autos rollten vor den Stall und vor die Klubgebäude, und eine unübersehbare Menschenmenge – Reiter ebenso wie Zuschauer – bewegte sich rund um die Springbahn und in den Ställen. Einige Reiter führten schon ihre Pferde ins Freie; Helena, Marita, Leif und ich striegelten noch einmal unsere Tiere, dann sattelten wir sie. Lasse, Gunnel und Ann-Marie begleiteten uns zur Springbahn und gaben uns noch gute Ratschläge. Siv blieb wie immer bei ihrem Pferd Kim.

Silber war kaum zur Vernunft zu bringen: Seine Augen bewegten sich nahezu im Takt hin und her, so neugierig war er, alles Neue zu erspähen. Um ihn zu beruhigen und etwas abzulenken, ritt ich im Trab eine große Runde. Die Sonne schien, die Fahnen flatterten im leichten Wind. Die Hindernisse kamen mir jetzt nahezu einladend vor, und wohin man auch sah, überall bewegten sich gepflegte Pferde mit Reitern in Turnierkleidung. Es war ein schwedischer Sommertag, wie man ihn sich nur wünschen kann, und ich war glücklich. Silber bewegte sich ruhig und ausgeglichen, alle Nervosität fiel von mir ab.

Erst als wir kurz vor Beginn des Springens die Bahn noch einmal zu Fuß abgingen, ergriff mich wieder leichte Unsicherheit. Die Hindernisse wirkten, so aus der Nähe besehen, furchteinflößend, beinahe unbezwingbar. Alle anderen Reiter kamen mir in ihrer Haltung ungewöhnlich sicher vor. Was sollte bloß aus mir werden? Aber Gunnel tröstete mich: Das sei so kurz vor einem Wettkampf eine ganz normale Stimmung.

Wir saßen schon im Sattel, als vom Lautsprecher ein Willkommensgruß an alle Reiter und Zuschauer ertönte. Und dann wurde noch die Programmänderung bekanntgegeben: „Startnummer zwei, Helena Jonson, reitet Menuette, nicht Hexe. Nummer sieben, Britta Daniels, reitet nicht Menuette, sondern Silber …“

Britta siegt auf Silber

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