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Inko

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Ehe wir Winnetou hatten, ließen wir unsere Stuten von einem kleinen Shetlandhengst decken, der in Hohenstaufen stand. Hohenstaufen ist ein kleinerer Ort am Fuße des Kaiserberges gleichen Namens, und dort lebte eine Ofensetzer-Familie, die wir ganz am Anfang um Hilfe gebeten hatten, als wir den Ponyhof einrichteten. Der Vorbesitzer hatte uns nämlich einen Herd hinterlassen, der viel zuviel Hitze spuckte, und wir meinten, man solle diese Hitze ausnützen. Wir fragten also, ob man nicht auf der anderen Seite der Wand, die Wohnzimmer und Küche trennte, einen Kachelofen anbauen könnte, so daß man mit dem Herd gleichzeitig zwei Räume heizte. Der gutmütige Ofensetzer bejahte das, versprach gleich ans Werk zu gehen und bewunderte nebenbei unsere Ponys. Binnen kurzem hatte er sich auch eins angeschafft, eine tragende Stute. Sie brachte bald darauf Inko zur Welt, einen niedlichen braunweißen Schecken. Er hatte wie seine Mutter Zuchtpapiere und versprach schon bald, gut zu vererben. Er hat uns eine ganze Anzahl schöner Fohlen gebracht.

Jedes Frühjahr kam er über Autostraßen und Bahnkörper hinweg zu uns herabgebraust, wenn unsere Stuten rossig wurden. Er roch das auf weite Entfernungen hin. Wir wußten immer schon Bescheid: Wenn es durchdringend trompetete, dann war Inko im Anmarsch. Sofort stürzten wir ans Telefon und riefen unsere Freunde an, schrien ohne Vorwarnung: „Er ist da, er ist da!“ Inko blieb meist ein paar Wochen, bis alle Stuten gedeckt waren.

Inko war klein, aber oho. Vorm Wagen war er gut und schnell, aber mit der Reiterei war er gar nicht einverstanden. Nur die jüngste Tochter einer anderen ponynärrischen Familie, die später nach Island heiratete, paßte als einzige von der Größe auf Inko, und wir amüsierten uns immer, wenn sie versuchte, ihn zu reiten. Es blieb stets bei dem Versuch, denn er war eifrig bestrebt, sie sofort loszuwerden. Kaum war sie aufgesessen, so fing er ein Rodeo an, ging vorn und hinten hoch, drehte sich, ging in die Knie oder stand auf den Hinterbeinen und schlug mit den Vorderhufen wild in der Gegend herum. Ulrike, genannt Nikkel, zeigte sich jedoch als ebenbürtiger Gegner. Sie ließ und ließ sich nicht abwerfen. Bockte er, so saß sie im Drehpunkt, ging er in die Knie, so stützte sie sich rechts und links ab, stieg er, so trieb sie. Wir standen daneben, schlossen Wetten ab und betätigten die Stoppuhr. Einmal filmte mein Schwiegersohn das ganze Theater. Einen ganzen Film hindurch hielt sich Nickel auf Inkos Rücken. Den Film haben wir noch. Er erheitert alle Zuschauer, die beim Anschauen die Gesichter verziehen und von einem Bein aufs andere treten. Es ist auch für uns jedesmal wieder ein Vergnügen, zuzugucken.

Inko brachte uns eine sehr schöne kleine Stute, Nike, die schwarz geboren wurde und dann langsam weiß wurde, erst die Mähne und der Schweif — das stand ihr am besten, und jeder, der sie zu dieser Zeit sah, wollte sie kaufen —, später am ganzen Körper. Dieses Fohlen schenkte ich meiner jüngsten Tochter zur Hochzeit. Sie war sehr beglückt und meinte dann später, wir sollten doch noch ein Fohlen aus diesem Paar, Mutter Nikolette, Vater Inko, ziehen. Es war viele Jahre später, und wir wußten nicht, ob Inko noch erfolgreich decken könnte. So borgten wir ihn uns aus, zogen zu Steffi, die damals noch im Nachbardorf wohnte und einen kleineren Ponyhof betrieb, und versuchten, Inko zum Decken zu verlocken. Es war sehr schwierig. Er hatte wenig Lust, immer führten wir ihm eine andere Stute vor die Nase, aber Inko verhielt sich ablehnend. So blieb Nike die einzige ihrer Art, denn andere Hengste schlug Nikolette ab. Nike geht heute noch immer im Reitschulbetrieb meiner Tochter mit und wird von allen geliebt, bekommt auch immer noch erste Preise.

Damals, zu jenem Versuch, war Inko nicht von selbst heruntergekommen, sondern wir hatten ihn geholt. Das war ein besonderes Vergnügen. Christoph, mein jüngster Sohn, hatte das Abitur gemacht, studierte nun und war nur noch in den Ferien daheim. Damit waren meine kleineren Pferde reiterlos geblieben, und da ich überhaupt finde, daß auf einen Ponyhof Kinder gehören, nahm ich zwei Jungen auf, zehn und elf Jahre alt, aus einem Heim, dessen Leiterin ich kannte.

Diese beiden habe ich jahrelang bei mir gehabt, und jahrelang gab es mit ihnen Freude und Last. Freude, weil es einfach schön ist, mit Kindern zu leben, Last, weil sie vom ersten Tag an klauten wie die Raben! Ich konnte das lange Zeit nicht glauben, schließlich aber mußte ich es doch einsehen. Auch in der Schule gab es Ärger. Und bei mir im Hause naschten sie, daß wir nichts mehr aufheben konnten. Wir mußten also, was wir bisher nie getan hatten, die Speisekammer abschließen. Durch ein Fensterchen, das von dort zum Heuboden führte, kamen sie trotzdem auf ihre Kosten. Bis wir — bis dahin gutgläubig und dumm — auch das merkten. Von da an wurde das Fensterchen vernagelt und die Tür abgeschlossen. Ich behielt sogar alles Geld in der Tasche, damals wurde ich erstaunlich ordentlich, was sich später wieder gab, und alle Gäste wurden gewarnt. Dies nur, damit man versteht, wie es zuging, als wir Inko holten.

Margot, meine älteste Tochter, besaß bereits ein Auto, mit dem konnte sie uns nach Hohenstaufen fahren und dort absetzen. Uns, das waren meine damalige Haustochter, eine „Bekannte“ und ich. Ich hatte Kartoffelsalat gemacht und Würste dazu gekauft, Festtagsessen also, weil die Tochter zu Besuch war. Beides hatte ich in die Speisekammer gestellt und danach diese natürlich abgeschlossen. Ehe wir abfuhren, merkten wir allerdings, daß wir den Schlüssel verlegt haben mußten, denn er war weg.

Wir suchten. Auf einem Ponyhof herrscht nie penible Ordnung. Ich habe schon viele Ponyhöfe im In- und Ausland besucht und angesehen, um von anderen zu lernen, und nur ein einziger, in Holland, geführt von zwei Frauen, war wirklich ordentlich, sonst aber ging es überall recht großzügig zu. Auf unserem Hof mit den vielen Kindern gilt das erst recht. Meine Tochter war trotzdem etwas ungehalten.

„Wenn man etwas wegschließt, merkt man sich, wo man den Schlüssel hinlegt“, sagte sie, fuhr uns aber nach Hohenstaufen, damit wir Inko holen konnten. Ich bat sie, inzwischen zu suchen. Sie ließ uns bei unseren Ofensetzer-Freunden aussteigen und kehrte wieder um. Wir spannten Inko ein, klemmten uns zu dritt auf das Bänkchen, auf das eigentlich nur zwei gehörten, und fuhren ab. Es geht von dort immerzu bergab, aber so sanft, daß man nicht Schritt zu fahren braucht. Wir fuhren — es war Mai — durch das grüne, blühende Land nur Trab und Galopp. Inko merkte, daß es seinen Stuten entgegenging, und zog vorwärts wie eine Lokomotive. Es war ein Genuß und unvergeßlich.

Am Ponyhof angekommen, spannten wir aus und ließen Inko zu seinen Stuten auf die Koppel. Als wir sahen, daß er sich mit den anderen vertrug, gingen wir beruhigt ins Haus und freuten uns auf das Mittagessen.

„Hast du den Schlüssel gefunden?“ fragten wir unsere Älteste. Sie hatte nicht.

„Ich hab’ mich halb krank gesucht“, sagte sie zu mir, „gehabt hast du ihn zuletzt. Und wie ihr ausseht! Verstrubbelt und verweht! Wartet, ich kämm’ euch erst noch mal die Haare durch.“

Freilich, bei einer solchen Fahrt bleibt keine Frisur ordentlich. Wir widersprachen nicht, als sie den Kamm aus der Tasche ihres Kittels ziehen wollte, und da war es gar nicht der Kamm, sondern der Schlüssel. ›Du hast ihn zuletzt gehabt‹, dieser Satz stand sozusagen noch im Raum. Wir lachten, glücklich und dankbar, und als sie uns schön gemacht hatte, saßen wir vergnügt und hungrig und futterten den Kartoffelsalat, als hätten wir persönlich den Wagen den langen und wunderschönen Weg bergab gezogen.

Von unseren Ofensetzer-Freunden muß ich aber noch etwas anderes erzählen. Ich mußte damals irgendwann einmal ins Krankenhaus, was mich schrecklich ärgerte, denn es war ausgerechnet in den Weihnachtsferien, und alle Kinder waren daheim.

Sie besuchten mich zwar fast jeden Tag, aber trotzdem verpaßte ich doch viel. Unter anderem hatte eins der älteren Kinder einen Perser mitgebracht, der gern deutsche Weihnachten erleben wollte, und ohne mich ging es zu Hause wahrscheinlich etwas wild zu.

Für Silvester hatten sich nun die Kinder vorgenommen, eine Nachtwanderung zu machen, alle drei Kaiserberge zu besteigen, den Hohenstaufen, den Stuifen und den Rechberg. Sechs von ihnen stapften auch tatsächlich los, sie hatten Vorräte mitgenommen, unter anderem auch saure Gurken, die bei uns eine große Rolle spielen. Sie erstiegen zunächst den Stuifen, dann wieder hinunter, auf den Rechberg hinauf, und hier fing die Meuterei schon an.

„Immerzu ruff und wieder runter, ich seh’ den Sinn nicht ein“, maulte Katrin, und ein paar von den Kleinen sekundierten ihr. Es ergab sich eine heiße Debatte, mitten im Schnee auf der Straße, die lautstark genug war, um andere Wanderer aufmerksam zu machen. Und wer war das? Die Kinder unserer Ofensetzer-Familie.

„Was, ihr wandert ins neue Jahr hinein? Das finden wir gut. Kommt doch mit zu uns“, sagten sie sofort.

Zu ihnen! Es war verlockend, den dritten Berg wegzulassen, droben war sowieso nur eine Tafel, keine Ruine mehr, keine Burg.

„Wenn sie es doch noch mal sagen würden“, murmelte Ackus vor sich hin, „wir können doch nicht auf das allererste Angebot gleich ja sagen!“

Die andern dachten ähnlich. Aber die Familie Tampe meinte es ernst und wiederholte ihre Einladung mehrmals, und nun sagte unsere Gruppe ja, vielstimmig und glücklich. Sie waren immerhin zu sechst!

Aber die anderen gaben nicht nach, binnen kurzem hatte man das Haus erreicht, es wurde den Eltern erzählt, was man vorhatte, und diese stimmten freundlich zu. Der Tisch war schnell gedeckt, eine Mahlzeit aufgetischt, und über Nacht durfte der späte Besuch auch bleiben. Das war echte Gastfreundschaft! Jeder bekam ein Bett oder doch etwas Ähnliches, später erfuhren wir, daß der Vater seines hergegeben hatte und die Nacht im Lehnstuhl schlief.

Die Meinen waren alle glücklich und dankbar, bekamen ein deftiges Frühstück mit Weihnachtsstollen und luden nun die Familie zu uns ein. Der älteste Sohn packte alle in seinen Kombi und fuhr sie zu uns herunter.

Es wurde noch ein fröhlicher Feiertag, wir denken heute noch gern daran. Als wir später neu anbauten, bestellten wir die Öfen natürlich bei diesen Freunden. Sie sind uns inzwischen in der dritten Generation immer noch gute Freunde, es ist eben eine echte Ponyfreundschaft!

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