Читать книгу Tiergeschichten vom Ponyhof - Lise Gast - Страница 5
Ein Stück aus meinem Leben
ОглавлениеAls ich ungefähr siebzehn war, wohnten wir in der Stadt, und ich bekam so gut wie kein Pferd zu sehen, geschweige denn zu reiten. Als Beruf wählte ich zwar Landwirtschaftslehrerin, mußte aber dem Direktor die Kasse führen und junge Mädchen im Kochen unterrichten. Ich blieb nicht lange dabei. Heute kann man in den Sattel gelangen, wenn man Taschengeld spart oder jobbt, insofern ist die heutige Jugend zu beneiden.
Nun aber gab es in unserer weitläufigen Verwandtschaft einen Onkel Hagemann, der ein Weingut am Rhein und zwei Kinder besaß, die etwa in meinem Alter waren: Markus und Brigitte. Seine Frau lebte nicht mehr, und unsere Großmutter führte ihm die Wirtschaft. Ich sage „unsere“, weil sie für viele Enkel zuständig war, an die dreißig Stück. Alles, was zwischen zehn und dreißig Jahren alt war, besuchte diesen Onkel in allen Ferien. Er hatte sich selbst viele Kinder gewünscht — „von jeder Sorte eins, das ist so gut wie keins“, pflegte er zu sagen und freute sich an dem bunten Gewimmel.
Wir durften den ganzen Tag über tun, was wir wollten, wenn wir nur pünktlich zu Tisch kamen. Nachgeliefert wurde nichts, wer nicht zur Zeit da war, mußte bis zur nächsten Mahlzeit warten. Unsere Betten und Zimmer machten wir selbst, sonst aber war alles erlaubt, was gefiel. Herrliche Ferien! Bei Tisch konnte es passieren, daß Onkel Hagemann plötzlich auf einen von uns deutete, egal ob Mädchen oder Junge, und ermunternd rief: „Heute haben zwei von euch Hochzeit! Nun halt mal die Damenrede!“ Dann mußte derjenige aufspringen und aus dem Stegreif loslegen. Was haben wir da oft gelacht! Aber frei sprechen lernten wir auch.
Ich verstand mich am besten mit Brigitte, die ein Jahr jünger war als ich, und schwärmte insgeheim für Markus, meinen schönen, etwas älteren Vetter mit den dunklen Augen und dem frechen Mundwerk. Er war, wie ich, ein großer Pferdeliebhaber, das gefiel mir doppelt. Ein Wunder war das nicht, denn Onkel Hagemann hatte, abgesehen von der Leidenschaft, junge Menschen um sich zu versammeln, noch eine: Er züchtete Shetlandponys und besaß eine ganze Anzahl jener kleinen, drolligen Pferdchen, die Kinder so lieben. Einen Meter hoch, im Winter zottig, im Sommer spiegelblank. Als wir klein waren, ritten wir auf ihnen, später durften wir sie einspannen und mit ihnen fahren. Nur den Hengst sollten wir nicht nehmen, er war stark und unberechenbar. Wir liebten ihn alle. Er war ein drahtiger Rappe und schöner als die andern, sehr edel, während Stuten und Fohlen drollig und lieb wirkten. Er hieß Tango.
Eines Tages schlug Onkel Hagemann selbst ans Glas. Alles horchte auf. Er wollte aber keine Rede halten, sondern fragte nur: „Wer von euch ißt denn leidenschaftlich gern Haferflocken?“
Wir waren verblüfft. Zu einem Gutsfrühstück gehörten damals keine, eher Schlackwurst, Schinken, Eier oder sogar Sahnequark. Er erklärte uns seine Frage. Seit einiger Zeit verminderte sich der Hafer in der auf dem Vorwerk stehenden Haferkiste auf eine merkwürdig schnelle Art. Er verdunstete geradezu. Dabei war die Haferkiste verschlossen, das wußten wir alle.
„Hat vielleicht jemand von euch den Schlüssel gefunden und ernährt sich jetzt von gequetschtem Hafer, weil er hier nicht satt wird?“ Er wies lachend auf die reichlichen Vorräte des Sonntagsfrühstücks.
Der Schlüssel zu dieser Kiste fehlte seit einiger Zeit, wir wußten es. Wenn gefüttert werden sollte, mußten wir den Ersatzschlüssel holen, den Onkel Hagemann dann herausgab und den wir ihm wiederzubringen hatten. Sonntags fütterten wir öfter, wenn wir Ponywagen fahren wollten, das war so ausgemacht.
Nein, keiner hatte sich von Hafer ernährt. Wir frühstückten fertig und verstreuten uns dann. Brigitte und ich schlenderten zum Vorwerk hinaus. Dort gab es eine schöne, windgeschützte Ecke, wo wir uns in die Sonne legten. Nach einer Weile erschien Markus, sah uns liegen, schubste Brigitte ein wenig an und sagte: „Na, ihr Flaschen?“ „Flasche“ war damals das gängige, halb verächtliche Schimpfwort wie etwa „trübe Tasse“ oder „Döskopp“.
„Selber Flasche“, knurrte Brigitte, machte aber nicht einmal die Augen auf. Ich schwieg.
„Ihr liegt hier rum ... Wollen wir ein Stück mit den Ponys fahren?“ schlug er vor. Und als wir nicht reagierten, fragte er: „Ihr habt wohl Angst?“
„Angst?“ fragte ich, so verächtlich wie möglich. „Wenn, dann fahr’ ich mit dem Tango.“
Markus lachte mit glitzernden Augen.
„Wollen wir? Ich hol’ ihn. Den Schlüssel hab’ ich.“ Tango ließ sich nur einspannen, wenn ihm jemand eine Schüssel mit Hafer vorhielt.
„Ihr seid verrückt“, sagte Brigitte und wälzte sich auf die andere Seite. „Aber von mir aus. Vater fährt ja auch mit ihm. Und Vater ist heute nicht da.“ Er war über Land gefahren, die Gelegenheit war also günstig. Wir waren schon manchmal heimlich gefahren, gerade, weil wir nicht sollten. Es war nie herausgekommen. Es verlockte uns, keine Frage. Wir standen auf. Während wir dem Stall zu gingen, gerieten wir beiden Mädchen schon mit Markus aneinander.
Der Ponystall auf dem Vorwerk lag etwas abseits und hatte zwei große Boxen, eine für Tango, eine für die andern Ponys. Im Stallgang stand die Haferkiste, weiter nichts. Wir hatten uns wegen einer Kleinigkeit so zerstritten, daß unser Plan zu scheitern drohte. Markus setzte sich auf die Haferkiste, und wir gingen zu den Stuten und Fohlen hinein und streichelten sie. Und dann, ohne noch etwas zu Markus zu sagen, spannten wir Tango ein.
Die Ponygeschirre waren uns so vertraut wie anderen Kindern ihre Schulranzen, auch die verschiedenen Kutschen kannten wir. Wir nahmen den Einspänner, den sogenannten Dogcart. Tango ließ sich gutwillig hinausführen und machte keine Schwierigkeiten, als ich ihn striegelte. Währenddessen kämmte Brigitte ihm die Mähne. Er war wirklich bemerkenswert schön, zierlich und dabei kräftig, kein Wunder, daß Onkel Hagemann ein wachsames Auge auf ihn hielt. Markus war im Stall geblieben. Als ich noch einmal hineinging, um den Hufkratzer zu holen, sah ich ihn nicht, plötzlich aber polterte es in der Haferkiste, der Deckel krachte hoch, und ich erschrak fast zu Tode. Natürlich war es Markus, der sich hineinverkrochen hatte, um mich zu erschrecken. Das war ihm gelungen.
Ich weiß nicht mehr, ob ich überlegte oder in Wut handelte. Jedenfalls griff ich zu, bums! schlug der Deckel der Kiste zu, ich fingerte am Schloß und schob es durch die Haspe. Er war gefangen.
„So, wenn du nun schön bittest, lass’ ich dich wieder raus, eher nicht“, sagte ich atemlos und schadenfroh. Ich wußte, daß Markus nicht bitten würde. Er tat es auch nicht. Er war so still, daß es bedenklich wurde. Hatte ich ihm den Deckel etwa so auf den Kopf gehauen, daß er betäubt war? Vorsichtig schlich ich heran, um durch den Spalt des Deckels zu schielen — und war beruhigt. Markus, der mich wohl gehört hatte, versuchte, mir durch eben diesen Spalt ins Auge zu spucken.
„Du bist ein Ferkel“, sagte ich entrüstet, während ich zurückfuhr, „nun sitz und tu Buße.“
Damit drückte ich das Schloß zu — es war ein Schnappschloß —, steckte den Schlüssel ein und stand noch einen Augenblick davor. „Möchtest du noch was?“ fragte ich.
Darauf ertönte ein höhnisches: „Danke der Nachfrage!“
Ich ging. Mochte er hocken, es würde ihm nichts schaden. „Iß nicht zu viel Hafer, sonst sticht er dich!“ rief ich noch zurück. Dann trat ich zu Tango hinaus.
„Kommt Markus nicht mit?“ fragte Brigitte. Sie stand an Tangos Kopf und hielt ihn. Bei ihm konnte man nämlich nicht einsteigen, ohne daß er sofort im Galopp losging.
„Nein“, sagte ich obenhin und stieg in den Wagen, „wir fahren ohne ihn.“
Während ich die Zügel nahm, ließ Brigitte den kleinen Hengst los und sprang im Anfahren auf. Der Tango ging los, daß uns Hören und Sehen verging. Er mußte lange gestanden haben, war stallmutig wie ein Rennpferd.
„Das kann ja heiter werden“, sagte Brigitte. Wir fegten durch den Hof und bogen in die Straße ein. Heute, am Sonntag, war alles still und menschenleer.
Wir lachten mit einem kleine Unterton der Angst, genossen die sausende Fahrt aber doch. Brigitte hielt jetzt die Zügel, sie fuhr nach dem alten Grundsatz: „Wenn das Pferd durchgeht, dann treib. Laß es laufen, schneller, als es selbst will. Einmal hört es auf.“
Natürlich würde Tango einmal aufhören und langsamer werden. Und dann nichts wie zurück! Ich mußte ja Markus herauslassen. Vorläufig aber konnte ich nichts anderes denken als: Halt dich fest, und hoffentlich kommt nichts, wovor er scheut. Tango war autosicher, aber Mähdrescher, Trecker oder Lastwagen konnten ihn in blinde Panik jagen. Zum Glück würde heute am Sonntag wohl kein solches Schreckgespenst auftauchen.
Schließlich gelang es Brigitte, den kleinen Vulkan einigermaßen zu bändigen. Er trabte jetzt, die Vorderbeine fast waagerecht aus der Schulter werfend, dahin, daß es eine Lust war, und wir konnten uns schon wieder unterhalten. Plötzlich hob Brigitte den Kopf.
„Hörst du nichts?“ fragte sie. Ich lauschte. Tatsächlich, das klang wie ein Jammern, halblaut und kläglich. Brigitte parierte Tango durch, und da hörten wir es deutlich. Wie ein weinendes Kind — aber wo sollte hier eins stecken? Die Felder waren eben und weit zu übersehen, der Wald noch entfernt.
„Dort!“ rief Brigitte, zeigte auf einen Steinhaufen etwas abseits der Straße und warf mir den Zügel zu, während sie absprang. Kurz darauf kam sie zurück, ein etwa vierjähriges Mädchen auf dem Arm tragend, dem sie beruhigend zuredete.
„Nun wein doch nicht mehr, wir sind ja da. Sag, was ist los? Bist du ausgerissen von zu Hause?“
„Nein, ich —“, Schniefen, Schluchzen, „ich — die Großen sind so gemein — sie wollten mich nicht —“, wieder schluchzte es herzzerreißend. „So ge-mei-hein ...“
„Was wollten sie denn nicht?“ fragte Brigitte freundlich und wischte am Gesicht der Kleinen herum.
„Mich — mitnehmen — und da bin ich — hinterher — rennt — und auf einmal warn sie weg.“
„Wer sind denn die Großen?“
„Na, Felix und Ingo —“
„Deine Brüder?“
„Mhm —“
„Aha, große Brüder.“ Ich dachte an Markus, aber nur flüchtig. Denn nun galt es erst, herauszubekommen, woher dieses kleine Bündel stammte und wohin wir es bringen konnten. Das war schwierig, denn auf unsere Frage, wie sie hieße und wo sie wohnte, antwortete die Kleine zwar geläufig: „Monika Bülz, Frankfurt, Lerchesbergring fünfzig —“, das half uns aber nicht viel. Die vielen Kilometer von Frankfurt bis hierher konnte sie nicht hinter den bösen Brüdern hergelaufen sein. Es war, wie wir scharfsinnig schlossen, ein Kind, dessen Familie hier irgendwo Ferien machte. In welchem Dorf aber?
Wir fragten. Wir schmeichelten. Schließlich hoben wir sie einfach auf den Ponywagen, Brigitte nahm die Zügel, ich den kleinen Ausreißer auf den Schoß.
„Erst mal versuchen wir es in der nächsten Ortschaft, und wenn wir dort nichts hören, in der übernächsten“, sagte Brigitte und ließ Tango ausgreifen. Ich schwieg.
Das war natürlich dumm. Jetzt hätte ich Brigitte erzählen müssen, daß — aber ich dachte, vielleicht geht es schnell, und wir kämen bald heim. Es ging aber nicht schnell. Und dann sagte ich erst recht nichts, denn ich schämte mich vor Brigitte, daß ich so lange geschwiegen hatte. Himmel, was mußte sie denken! Nun saß der Unglücksrabe schon zwei Stunden in seiner Dunkelhaft.
Endlich fanden wir einen Anhaltspunkt. Wir hatten beschlossen, die Polizei einzuschalten. Die Wirtin des Gasthofes, von wo aus wir telefonierten, sah das kleine Mädchen und hielt uns erst einmal zurück. Sie fragte, und wir antworteten. Natürlich, so mußte es sein. Sie war vorhin angerufen worden, ob man etwas von einem verlaufenen Kind wüßte. Die Anschrift hatte sie. Wir riefen sofort an. Eine vor Glück und Erleichterung schluchzende Mutter antwortete. Wir versprachen, ihr das Kind auf der Stelle zu bringen. Das heißt, Brigitte versprach es, ich konnte nichts ändern, denn ich stand draußen bei Tango. Und dann brausten wir los, noch einmal in der falschen Richtung. Es war ein schönes Gefühl, der Mutter das Kind wiederzugeben. Aber daß sie uns dann noch unbedingt zum Kaffee einladen wollte, damit wir ihrem Mann alles erzählen konnten, der nach einer anderen Himmelsrichtung losgefahren war, um Klein-Monika zu suchen, und ›sicher‹ bald wiederkommen würde, das war weniger schön, jedenfalls für mich. Ich briet sozusagen auf glühenden Kohlen und sah in immer kürzeren Abständen auf die Uhr, zuletzt in stummer Verzweiflung überhaupt nicht mehr.
Was würde Markus sagen, wenn ich ihn endlich befreite! Wie würde er toben! Das würde er mir nie, nie, nie wieder verzeihen, und ich würde nie wieder zu den Ferien kommen dürfen, und überhaupt ...
Endlich kamen wir los. Brigitte, die nun auch heim wollte, sagte, sie wüßte einen Weg durch den Wald, der die Strecke abkürzte. Wir fuhren ihn in unvermindertem, geradezu rasantem Tempo. Tango merkte, daß es in den Stall ging. Ich überlegte. Eines war sicher: Ich mußte durchsetzen, Tango allein in den Stall zu bringen, damit Brigitte nichts merkte. Brigitte sollte lieber gleich zu den andern gehen und sich den erstaunten anderen zeigen, das war unauffälliger, als wenn wir zusammen eintrafen. Sie ging darauf ein, völlig ahnungslos.
Während ich, Tango am Zügel, hinten herum um die Scheune schlich, dachte ich nach. Ich hatte den Schlüssel zur Haferkiste eingesteckt. Niemand konnte demnach geholfen haben, selbst wenn einer, was unwahrscheinlich war, in den abgelegenen Stall gekommen war. Mir war sehr bang zumute. Markus saß jetzt ungefähr vier Stunden in der Kiste. Er schäumte voraussichtlich vor Wut. Wie, um Himmels willen, würde ich ihn je versöhnen können? Da kam mir eine Idee. Wenn ich ganz, ganz leise aufschloß, das Schloß abnahm, die Haspe hob und mich davonschlich, vielleicht hörte er das nicht. Versuchte er dann wieder einmal den Deckel zu heben, so würde dieser aufgehen, und ich könnte hinterher frech behaupten, ich hätte ihn schon längst befreit. Getobt und gegen den Deckel gedrückt hatte der Gefangene wahrscheinlich nur in der ersten Viertelstunde.
Gedacht, getan. Ich brachte Tango zunächst in den Schafstall, der leer war, und ließ ihn dort frei laufen. Dann schlich ich leise, barfuß, die Schuhe in der Hand, zum Ponystall. Dort war es totenstill. Ich blieb mit angehaltenem Atem stehen. Sobald Markus mich hörte, würde er wahrscheinlich eine Wut- und Schimpfkanonade auf mich loslassen, vor der ich mich fürchtete. Ganz vorsichtig drehte ich den Schlüssel im Schloß. Offen. Noch immer kein Ton. Ob er schlief — oder erstickt war? Unsinn. In einer Kiste, durch deren Deckelspalt man spucken kann, erstickt man nicht. Wahrscheinlich schlief er.
Um so besser. Ich schlich rückwärts, so leise wie möglich davon, immer in der Angst, daß in jedem Moment der Deckel hochgehen und ein rotes, wutverzerrtes Gesicht auftauchen würde. Dann war eiligste Flucht angezeigt, zu den anderen, vor denen Markus, der Blamage wegen, nichts sagen würde. Jetzt war ich an der Tür, drehte mich um und rannte davon. Gerettet!
Ich riß, noch im Schwung, die Haustür auf und prallte auf — Markus, so nah und so plötzlich, daß er mich an den Oberarmen halten mußte, damit ich ihn nicht umrannte. Ich glaubte, ein Gespenst zu sehen. „Markus, Menschenskind, wo kommst du her?“
„Und du?“ stellte er drohend die Gegenfrage, wobei er aber lachte. Ein abscheuliches, überlegenes Lachen, während er meine Oberarme nicht losließ. Ich fühlte plötzlich, daß es eine Wonne gewesen war, ihn wütend, aber ohnmächtig in der Haferkiste zu wissen. Ich versuchte, mich loszureißen, und fauchte: „Laß mich los! Es geht dich gar nichts an, woher ich komme!“
„Wohl geht mich das was an“, sagte er frech, „wenn ich Vater nun erzähle —“
„Was erzähle“, fragte ich atemlos vor Wut, „etwa, daß wir mit Tango gefahren sind? Du wolltest es ja selbst, und jetzt petzen — pfui —“
Gepetzt wurde nicht, nie, das war klar. Markus sah mich an, seine Augen waren halb geschlossen.
„Was heißt hier petzen“, sagte er leise, aber wie er das sagte, das ging mir durch und durch. In diesem Augenblick gongte es: Abendessen. War es wirklich schon so spät? Ich hatte durch die Warterei ganz das Zeitgefühl verloren.
„Übrigens: Darf ich das gnädige Fräulein zu Tisch bitten?“
Markus bot mir feierlich den Arm. Ich erriet, warum.
Von allen Seiten strömte es jetzt heran, unsere Vetter und Kusinen, auch Großmutter, an Onkel Hagemanns Arm. Die beiden nickten uns zu.
„Das ist nett, daß ihr auch da seid“, sagte der Onkel freundlich. „Setzt euch zu uns, kommt, wir wollen euch erzählen. Es war reizend heute. Zu schade, daß ihr nicht mit wart.“
Eigentlich befanden sich unsere Plätze etwas unterhalb am Tisch, mit unseren Altersgenossen zusammen. An diesem Abend aber mußten wir uns zum Onkel setzen. Während ich nur mit halbem Ohr zuhörte, ging es mir unablässig durch den Kopf: Wie ist Markus aus der Kiste herausgekommen? Oder war er gar nicht darin? Bildete ich mir das Ganze nur ein? Dann war ich geistig gestört, das war sicher.
Ich würde es heute noch nicht wissen, wenn Markus es mir am Ende der Ferien auf inständiges Bitten hin nicht verraten hätte. Ich bat ungern, aber ich mußte doch wissen, ob ich mich von nun an zu den Verrückten rechnen müßte, die man nicht ernst nehmen kann.
Deshalb bat ich und bat immer wieder, und als er nicht wollte, sagte ich, dann käme ich nie wieder hierher zu den Ferien. Da gab er zu meiner Verblüffung plötzlich nach, dabei hatte ich das nur versuchsweise gesagt.
Er berichtete: „Ganz einfach, jemand hatte den ersten Schlüssel gefunden, ein Jemand, den ich längst im Verdacht hatte. Dieser Jemand wollte nun gern den ungefährlichen, menschenleeren Sonntag benutzen, um seine Kaninchen einmal wieder richtig mit unserm Hafer satt zu füttern. Sein Gesicht, das mich anstarrte, als der Deckel der Kiste aufging, war Gold wert. Ich hätte dir eigentlich noch danken müssen für die Einsperrerei.“
Ich sah Markus an, noch immer schuldbewußt. Merkte er es? Er lachte sein überlegenstes Lachen.
„Schlechtes Gewissen? Tut dir ganz gut. Aber sonst — ach, vorbei. Alles in Ordnung. Und nächste Ferien kommst du wieder?“
Daß er das fragte! Ich lachte, nun ganz erleichtert und froh: „Klar! Gern! Und dann fahren wir wieder mit Tango, diesmal du mit. Einverstanden?“