Читать книгу Der alte Trostdoktor - Lise Gast - Страница 6
ОглавлениеManches war merkwürdig hier im Haus des alten Trostdoktors. Jörg, der zu wissen glaubte, warum er hier war – nicht wegen der Rippenfellentzündung; die war nur der äußere Anlaß gewesen – fing schon nach zwei, drei Tagen an, sein anfängliches Urteil zu revidieren. Freilich, nur lustig kann es nirgends sein, auch hier nicht, aber es war so – so –
Der Doktor war freundlich und eigentlich immer zu Neckereien und Schabernack aufgelegt. Er erzählte aus der Praxis lauter drollige Dinge.
Und Frau Bruckmann war stets gleichbleibend sanft und freundlich, nur lag etwas über ihr, was Jörg nicht recht bei Namen nennen konnte. Wie ein Schleier, hauchdünn, dennoch unzerreißbar; man kam nie ganz an sie heran. Jörg betrachtete manchmal insgeheim ihr Gesicht.
Es war zart und mochte früher einmal sehr lieblich gewesen sein. Das merkte man jetzt noch trotz Alter und Falten um Augen und Mundwinkel. Merkwürdig, noch nie hatte er etwas Ähnliches bei einem Menschen beobachtet. Ihre Stirn war noch glatt, sie hatte etwas Leuchtendes. Freilich leuchtete sie nicht glücklich, eher – nein, traurig auch nicht. Es gibt kein Wort, das richtig auszudrücken, dachte Jörg und ärgerte sich über sein Unvermögen.
«Ist eigentlich mit Frau Bruckmann irgend etwas nicht in Ordnung?» fragte er schließlich eines Tages Heidel, als sie miteinander die steile Straße zur Apotheke hinaufwanderten. Hier lag die Apotheke seltsamerweise ganz einsam zwischen zwei Ortschaften, sie gehörte wohl zu beiden. Wundervoll war diese Lage, eigentlich die einer Fremdenpension.
«Frau Bruckmann? Sie ist herzkrank», sagte Heidel ruhig. «Sie darf sich nicht aufregen – merkst du das nicht? Wenn sie diesen Mann nicht hätte, der sich ganz genau auf sie versteht, lebte sie sicher nicht mehr. Aber sie will doch noch –» Heidel brach ab. Jörg sah zu ihr hinüber.
«Was will sie noch?» fragte er halblaut, dringlich.
«Na, leben. Weiterleben. Das will doch jeder», sagte Heidel rasch. Es klang ärgerlich. Jörg merkte genau, daß sie im Grunde etwas anderes meinte. Aber er merkte auch, daß Heidel nicht weitersprechen wollte, ja, daß sie bereute, soviel gesagt zu haben. Wortlos gingen sie bergauf.