Читать книгу Reni und die Ponys - Lise Gast - Страница 7

III.

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In der nächsten Woche wurde Mutter krank, oder richtiger: es ging ihr so schlecht, daß Vater anordnete, sie müsse für einige Zeit liegen, komme, was wolle. Zum Ängstigen war gottlob kein Grund. Mutter litt unter der Hitze und vertrug das Essen nicht. Tante Mumme ging es auch nicht rosig. Es war aber auch so heiß wie am Äquator!

Zum Glück sagte Vater zu Reni nicht: „Nun zeig mal, daß deine Vorsätze kein leeres Gerede waren!“ Insofern war Vater wirklich einmalig, der beste von der Welt. Er wußte genau, daß es gar nichts nützte, wenn immer mit lauter weisen Ratschlägen hineingeredet wird. Man muß von sich aus beginnen. Reni tat es mit Feuereifer.

Glücklicherweise hatten sie immer noch Ferien. An der Schule wurde umgebaut, was eigentlich in den großen Ferien hätte passieren sollen. Zum großen Glück aber war das nicht der Fall gewesen. Nun fuhren die Kinder nur kurz in die Schule und holten sich Hausarbeiten. Wenn man, wie sie und Erika, zusammen wohnte, brauchte sogar immer nur eine zu kommen. Sie wechselten ab. Und sie wechselten auch mit dem Ausrechnen und ähnlichen Dingen ab, jeden Tag machte nur eine richtig Schularbeiten, während die andere nachher von ihr abschrieb. Bis der Vater eines Tages dahinterkam.

Na ja, die Schule war bei ihnen, da sie gute Noten bekamen und nie Schwierigkeiten hatten, ein bißchen Nebensache, etwas, was man mitnahm und so schnell wie möglich erledigte, um zum „Wichtigen“ zu kommen. Reni schüttelte also auch diese Sache ab wie die Ente das Wasser, obwohl sie Vater recht gab: Vom Abschreiben lernte man nichts. Von jetzt an machten sie also wieder richtig Schularbeiten, alle beide.

Vor allem aber halfen sie im Heim. Sie hatten sich vorgenommen, Mutter alle, aber auch alle Sorgen abzunehmen. Sie mußten eben frühzeitig aufstehen und Mutters Anweisungen entgegennehmen, damit sie dann schon Bescheid wußten. Mutter konnte sowieso morgens nicht schlafen, sagte sie.

Das ging tatsächlich wunderschön. Reni stellte sich den Wecker und warf dann Erika aus dem Bett, und gemeinsam liefen sie in den Duschraum, um munter zu werden. Dann kochten sie für Mutter Tee und machten ihr ein paar Brote zurecht. Mit dem Tablett bewaffnet, das vorsichtshalber Erika tragen mußte, erschienen sie also in grauer Morgenfrühe bei Mutter und saßen an ihrem Bett, während sie frühstückte. Dabei gab sie ihnen ihre Anweisungen. Reni hatte einen Block bei sich und schrieb alles auf. Mit diesem Zettel rannte sie dann zu Tante Mumme, und von ihr bekamen sie die weiteren Aufträge.

Es war hier im Heim nicht so wie in einem Haushalt, wo man für Mutter Kartoffeln schälen oder den Abwasch machen mußte. Dafür waren die Küchenmädchen da. Es gab aber hier hundert andere Dinge zu besorgen. Reni war ja im Heim aufgewachsen und wußte vieles, was sogar Mutter nicht beherrschte. Sie half also wirklich mit diesem Bereitschaftsdienst.

Manchmal war es geradezu spannend, dieses Leben. Mitunter aber hatten es die Mädel auch herzlich satt. Beispielsweise, wenn sie stundenlang auf die Kleinen aufpassen mußten, die im Sandkasten buddelten. Dabei kamen natürlich die Ponys zu kurz. Reni verschluckte manchen Seufzer. Das Reiten mußte eben verschoben werden.

Lieber spielte Reni mit den größeren Kindern, mit denen, die ungefähr in ihrem Alter waren. Besonders ein Spiel liebte sie sehr. Sie hatte es im vergangenen Jahr mit einem etwas wilden Mädel, der Liselotte, zusammen erfunden, die ihr noch manchmal schrieb. Es heißt „Kobold“ und wird am besten im Dunkeln gespielt. Jetzt, wo die Tage nicht mehr so lang waren wie im Juni, ging es wundervoll. Weil es tagsüber so schrecklich heiß war und alle nur so umherkrochen wie die Fliegen in der Buttermilch, erlaubte Mutter es mitunter, daß sie nach dem Abendbrot noch mal hinausdurften. Das war dann mit das Schönste vom ganzen Tag.

„Aber seid nicht so wild“, mahnte Mutter dann immer. Reni versprach es und sauste los, um ihre Getreuen um sich zu versammeln. Sie spielten das Spiel oberhalb der Liegewiese, wo inmitten von Gesträuch ein alter Schuppen stand, in dem allerlei aufbewahrt wurde, was im Haus störte. Einen Teil des Schuppens hatten sie dieses Jahr freigemacht, um das Heu für die Ponys unterzubringen. Ein freistehendes Gebäude gehörte zu dem Spiel, um das man ganz herumlaufen konnte und das eine offene Tür hatte. Der Schuppen war einfach ideal dafür geeignet.

Die Spielregeln waren ganz einfach. Einer war Kobold. Er mußte sich im Dunkeln verstecken, irgendwo in der Nähe des Schuppens. Die andern warteten in der Tür und zählten dreimal bis tausend, erst eins bis zehn, dann zehn bis hundert, dann hundert bis tausend. „Tausend!“ schrien sie jedesmal laut, damit der Kobold wußte, wie weit sie waren, und sich danach richten konnte. Beim drittenmal schrien sie noch hinterher: „Wir kooommen!“

Nun teilte sich der Schwarm der Spielenden. Eine Hälfte schlich rechts um den Schuppen, eine links. Man mußte ganz behutsam gehen, und die Kleineren nahm man am besten an die Hand. Der Kobold hielt sich so lange wie möglich verborgen, um einen der Suchenden zu packen, wenn er ihm nahe genug kam. Sah ihn aber vorher einer von den beiden Suchkolonnen, so schrie er so laut er konnte: „Kobold!“ Alles lief dann, rechts oder links, um den Schuppen herum, zurück zur rettenden Tür. Wen der Kobold auf der Flucht noch ergriff, der war das nächste Mal Kobold.

Manche Kobolde kletterten auf das nicht sehr hohe Dach des Schuppens. Wenn man barfuß war, konnte man geräuschlos darüberschleichen und dort herunterspringen, wo man den andern am besten den Weg abschnitt. Reni war natürlich unbestrittener Meister im Koboldspielen, da sie es am längsten kannte und viele Schliche wußte.

An einem Abend nun hatten sie Mutter wieder einmal breitgeschlagen, daß sie Kobold spielen durften, zumal Christian versprochen hatte, mitzumachen. Es war schon dämmerig. Vater mahnte: „Aber beim dritten gebrochenen Nasenbein hört ihr auf, verstanden?“

Es wurde sehr lustig. Erst war Christian Kobold. Reni liebte es nicht sehr, wenn er sich dazu meldete. Etwas von oben herab tat er das immer, fand sie. Und er konnte so unverschämt gut rennen, daß er jeden kriegte, auf den er es abgesehen hatte. Da war es wirklich keine Heldentat, freiwillig den Kobold zu spielen.

Außer langen Beinen hatte Christian auch noch gute Augen. Unglaublich scharf sah er selbst in der Nacht. Sie ärgerte sich im geheimen sehr darüber. Mich aber soll er trotzdem nicht bekommen, nahm sie sich wieder einmal vor. Mich nicht!

Er erwischte dann einen kleineren Jungen, der auch gutwillig das nächste Mal Kobold spielte. Wenig später meldete Reni an, Kobold sein zu wollen. Sie hatte sich vorgenommen, Christian zu fangen, und wollte ihn dann so recht aus Herzenslust auslachen.

Ihr Plan lag schon bereit. Der Schuppen stand auf dem sachte ansteigenden Hang, so daß das Dach hinten niedriger war als vorne. Man konnte, wenn man einen Halt mit den Füßen fand und sich hochstemmte, ganz schnell hinaufklettern. An einer Stelle waren ein paar Schindeln kaputt. Dort konnte man sich zwischen ihnen und den Sparren hindurch ins Innere des Schuppens zwängen.

Die andern zählten noch zwischen zehn und hundert, als Reni schon, flink wie eine Katze, über das Dach lief. Mit den Heimkindern, die zur Zeit da waren, hatte sie noch nie Kobold gespielt. Sie kannten also den Trick noch nicht. Reni schubste die Dachpappe beiseite und zwängte sich durch den Spalt. Wenn man sich fallen ließ, landete man im Heu, konnte dann die Stiege hinunterklettern und von dort aus den Eingang besetzen. Es war für die Suchenden immer überraschend, wenn sie von hinten erwischt wurden, während sie den Kobold draußen im Umkreis des Schuppens suchten.

Reni hatte sich hineingequetscht und horchte nach den andern, aber die waren draußen beschäftigt. Sie ließ los und fiel hinunter. Das war immer spannend, weil man nicht sah, wohin man fiel. Aber im Heu landete man ja auf alle Fälle.

Reni wackelte und fiel seitlich ins Heu. Dabei griff sie in etwas Hartes, Starres, was nicht hierher gehörte. Sie schürfte sich die Haut am Unterarm auf und hätte beinah geschrien, weil sie nicht darauf vorbereitet war. Es war ein Rad – was sollte ein Rad hier im Heuschuppen? Sicher war es Christians. Sie hatte es neulich benutzen wollen und nicht gefunden, worüber sie sich sehr geärgert hatte. Christians Rad hatte Gangschaltung und sogar einen Tachometer, alles Dinge, die er selbst bezahlt hatte. Er verlieh dieses Eigentum nur ungern, was man ja verstehen konnte. Bei ihr aber, fand Reni, könnte er ruhig eine Ausnahme machen.

Hier also hatte er es versteckt. Na warte! Sie mußte einen Plan ersinnen, bei dem sie diese Entdeckung ausschlachten konnte; jetzt aber hatte sie dazu keine Zeit. Wie ein Affe turnte sie die Heubodentreppe hinunter und sprang, leise wie eine Katze, in die Tür. Noch war keiner der Suchenden zurück!

Sie drückte sich hinter den einen Pfosten und wartete, atemlos und mit klopfendem Herzen. Einer nach dem andern der Suchenden kam jetzt heran, von rechts, von links, manche schlichen, manche rannten. Reni ließ sie sich sammeln und lauerte Christian auf. Endlich! Mit einem Sprung war sie draußen und packte ihn. Gleich darauf hörte sie sein schadenfrohes Lachen von der anderen Seite her, ganz untrüglich seins, während sie doch sicher war, ihn hier an der Joppe festzuhalten. Wie ging das zu?

Ganz einfach. Christian hatte als einziger eine Jacke angehabt, sie aber vorhin einem andern Jungen gegeben, der in der Nachtluft ein wenig gefröstelt hatte. Das konnte Reni natürlich nicht ahnen. Sie hatte sich auf den einzigen im Kreis gestürzt, der nicht im hellen Turnhemd war. Pech!

„Haha! Jetzt dachtest du ...“

Reni ärgerte sich.

„Überhaupt müssen wir aufhören. Mutter hat gesagt, wir dürfen nur eine halbe Stunde spielen“, sagte sie verdrossen. Die andern protestierten.

„So genau kommt das doch nicht drauf an!“

„Doch! Schluß, ins Bett“, kommandierte Reni und wandte sich der Liegewiese zu. „Ich hab sowieso keine Lust mehr.“

„Deshalb brauchst du aber doch uns den Spaß nicht zu verderben“, brummten die andern. Nur Erika sprang zu ihr heran, hakte sich bei ihr ein und sagte eifrig: „Reni hat recht. Paß auf, wie Mutter sich freut, wenn wir pünktlich sind.“

Das tat Mutter wirklich. „Sind die andern alle zusammen? Sagt ihnen noch gute Nacht, ja? Ich möchte nicht noch einmal hinübergehen. Und wenn ihr wollt, dann ... oder seid ihr sehr müde?“

„Nein. Was?“

„Heute nacht fallen so viel Sternschnuppen. Jedes Jahr, ja. Man nennt sie die Tränen des heiligen Laurentius. Wollt ihr noch ein bißchen hinausgehen und sie ansehen?“

„Oh!“ jauchzten Reni und Erika unterdrückt. Die Mutter lachte.

„Das dachte ich mir. Nun lauft. Aber nehmt Christian mit, hört ihr?“

„Das ist schade, daß Mutter das noch einfiel“, sagte Reni, nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatten. „Wollen wir wirklich? Oder wollen wir es vergessen?“ Sie guckte Erika verschmitzt an. Die hob die Schultern.

„Ich weiß nicht.“

„Du hast bloß Angst, allein zu gehen. Komm, erst in den Schlafsaal, fix. Und dann – ach, soll er doch mitkommen!“ Sie rannten über den dunklen Hof und kamen nach fünf Minuten zurück, blieben unter Christians Fenster stehen.

„Hallo! Christian? Na endlich, alte Schlafmütze.“

Gedämpft riefen sie ihm ihren Plan hinauf. Gleich darauf ging in seinem Zimmer das Licht aus, und er kam die Treppe heruntergesprungen. Zu dritt gingen sie los.

Es war mittlerweile ganz dunkel geworden. Man sah deutlich die Sterne. Über die Wiese lief ein ganz sachter Wind, vielleicht der erste seit Tagen, der sich regte. Er war gesättigt von der Wärme und dem bittren Tannennadelduft des Waldes. Reni sog ihn ein. Einen winzigen Augenblick lang wußte sie, daß sie glücklich war, hier in ihrer Heimat, umgeben von Menschen, die sie kannte und in deren Mitte sie gehörte. Es war wie ein Hauch, dieses Wissen, wie ein Husch. Vielleicht wurde es ihr nur dadurch bewußt, weil sie ausnahmsweise einmal schwiegen, alle drei. Keiner wollte anfangen, zu sprechen; Christian nicht, wahrscheinlich, weil sie vorhin so unausstehlich zu ihm gewesen war, und sie auch nicht. Später dachte sie mitunter an diesen Augenblick, in dem sie das Wort „Daheim“ so ganz und voll erfaßt hatte. Immer, wenn sie an ihre Kindheit zurückdachte, war es diese Nachtstunde, die ihr gegenwärtig wurde. Diese Sommernacht mit den Sternen über dem Schuppendach und dem süßen Duft des Heus und dem bittren der Tannen.

„Kommt, wir legen uns hier an den Hang. Ich hole euch etwas Heu, da habt ihr es schön weich“, sagte Christian leise. Er sprach so freundlich, als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen. Reni war auf einmal sehr froh.

„Danke, Christian. Aber auch für dich.“

Es fielen wirklich eine ganze Menge Sternschnuppen. Trotzdem verpaßte Reni immer wieder, sich etwas zu wünschen. Die andern lachten sie schon aus, wenn sie wieder einer nachrief: „Da! Da! Habt ihr gesehen?“ und sich dann vor die Stirn schlug: „Wieder nichts gewünscht!“

„Was würdest du dir denn wünschen, wenn es mal klappte?“ fragte Christian schließlich. Reni überlegte.

„Ich denke, man darf es nicht sagen?“ fragte sie dann.

„Hinterher nicht. Man darf nicht erzählen: das und das hab ich mir gewünscht“, erklärte Erika. Reni nickte. Trotzdem konnte sie sich nicht entschließen, zu verraten, was sie sich wünschte.

„Na, dann wird es ja eine rechte Dummheit sein!“ sagte Christian hinterhältig. Er dachte, jetzt würde sie sich verraten. Reni aber ließ sich nicht fangen.

„Und du? Was würdest du dir wünschen?“ fragte sie lachend.

„Ich hab’ mir voriges Jahr was gewünscht, als ich hier allein lag und die Sternschnuppen zählte“, sagte er ruhig.

„Und?“ fragte Reni gespannt.

„Was denn: und?“

„Ist es eingetroffen?“

„Ja.“

„Toll! Und was war es? Oder darf man es auch dann nicht erzählen, wenn es eingetroffen ist?“

„Doch. – Ich hab mir gewünscht, daß – aber nun wirst du eingebildet werden, Reni. Ich kannte dich ja damals noch nicht und ...“

„Mach es nicht so spannend“, schaltete sich hier Erika ein. Da sagte Christian lachend und ganz schnell:

„Nun also, ich habe mir gewünscht, dich kennenzulernen, Reni. Vater erzählte so viel von dir, daß ich schon ganz neugierig auf dich war. Und deine Briefe kannte ich ja auch. Siehst du, und nun ist es so gekommen.“

„Hm“, sagte Reni. Weiter nichts. Aber von nun an paßte sie noch genauer auf, tastete den ganzen, dunklen Samt des Himmels mit den Augen ab, um eine goldene Schnuppe zu erwischen. Auch Christian schwieg. Sie lagen lange da und sahen hinauf in den Himmel. Und das war eigentlich, wenn sie ehrlich sein wollten, der schönste Teil dieser Nacht, das stille, schweigende Hinaufschauen in die Sterne. Wäre es nicht vielleicht viel klüger gewesen, sich nichts mehr zu wünschen?

Auf einmal faßte Erika nach Renis Hand.

„Du, hörst du nicht?“

„Was denn?“ Auch Reni flüsterte. Sie horchten gespannt. Wirklich, Schritte, vorsichtige, tastende Schritte. Jetzt hörte man auch den Atem eines Menschen. Es klang eigentlich, als wären es zwei.

Und es waren auch zwei. Zwei Gestalten lösten sich aus dem Schatten der Turnhalle und kamen auf die drei Liegenden zu.

„Hallo?“ fragte Christian, als sie nahe heran waren, und setzte sich auf. Wie gut, daß Christian mit war! Die Ankommenden blieben stehen, sehr erschrocken.

„Oh!“ sagten sie wie aus einem Munde. Es klang mehr wie „Ouh“, so, wie ein Engländer rufen würde. Merkwürdig, daß man aus diesem einen Laut, der nicht einmal ein Wort war, heraushörte, daß dies keine Deutschen waren. Christian ging es nämlich genauso, er war aufgestanden und fragte:

„Who are you?“ Das würden sie schon verstehen, die beiden. Und richtig! Hörbar erleichtert und dankbar kam die Antwort: „Good friends!“ Na also! Die drei Heimkinder lachten. Christian ging den beiden andern ein paar Schritte entgegen.

„Where are you coming along?“ Das war sicher nicht unbillig, zu fragen, wenn jemand zur Nachtzeit über eine Wiese ging, die ihm nicht gehörte.

„We come from Sverige.“

„Von Sweden“, sagte die zweite Stimme. Es klang akzentuiert und deutlich. In diesem Augenblick packte Reni Erikas Hand. „Ich weiß“, flüsterte sie, „im Schuppen lag ein Rad ...“

Es stellte sich heraus, daß sie richtig gedacht hatte. Es waren zwei schwedische Studenten, diese beiden jungen Männer, die durch Deutschland radelten. Christian verständigte sich ziemlich rasch mit ihnen. Sie hatten nicht viel Geld und deshalb eine kostenlose Unterkunft gesucht: den Schuppen. Dort waren ihre Räder, und dort hatten sie schon die letzte Nacht geschlafen. Christian lachte.

„Ihr seid mir die richtigen Strolche“, sagte er, nachdem er sich überzeugt hatte, daß ihr Deutsch bestimmt nicht so weit reichte, das zu verstehen. „Na, da werdet ihr wohl auch hungrig sein. – Are you hungry?“ fragte er, wieder zu den beiden gewandt.

„Ouh, yes“, antwortete es zweistimmig. Alle fünf lachten herzlich und in Einigkeit. Christian sah die Mädchen an.

„Was meint ihr, wollen wir?“

Die nickten. „Klar!“

„We bring you!“ versprach Reni jetzt eifrig, und Erika machte die Gebärde des Futterns. Dann rannten alle drei, Christian und die beiden Mädchen den Hang hinunter. Dabei beratschlagten sie.

„Es sind Studenten, nette Kerls“, erzählte Christian im Laufen, „sie waren schon bis zum Bodensee. Jetzt sind sie auf dem Heimweg. Da kann einem freilich das Geld ausgehen! Was meint ihr, sagen wir es drunten?“

„Den Eltern? Ich weiß nicht. Mutter denkt womöglich ... Dann dürften wir nie wieder abends hinaus!“ gab Reni zu bedenken. Christian lachte. „Aber Vater kann es ruhig erfahren!“

„Gut, Vater, ja!“

Vaters Fenster indes war dunkel. Vielleicht saß er bei Mutter oder war im andern Haus. Sie liefen zur Garage – leer. Aha, also bei einem Patienten.

„Na, dann nicht. Schließlich haben sie ja auch schon eine Nacht hier geschlafen, ohne daß wir es wußten. Aber zu essen bringen wir ihnen was, das haben wir versprochen.“

„Wie willst du das denn machen?“ fragte Erika gespannt. Christian fuhr ihr über das Gesicht.

„Glaubst du, ich komm nicht in die Verwaltung? Ich bin ja schon ein ganzes Jahr hier im Heim“, sagte er. Reni puffte ihn in die Seite. „Da hört man ja nette Sachen!“.

„Na, weißt du, Reni, wenn ich das nicht wüßte! So dumm bin ich ja auch nicht. Ein Kellerfenster steht immer offen; wenn man da hineinrutscht“, er hockte schon am Boden, „und dann durch den Heizungskeller läuft ...“ Hops, war er unten. Reni und Erika kauerten gespannt vor dem Fenster. Was mochte er erwischen? Reni war noch etwas empört. Sie hatte geglaubt, sie allein wüßte so genau Bescheid. Dieser Christian – und immer tat er so scheinheilig!

Er brachte nacheinander die merkwürdigsten Kostbarkeiten ans Kellerfenster und reichte sie hinauf: eine Schüssel Bohnensalat, drei Äpfel, ein Stück kaltes Fleisch und einen Rest Pudding. Brot hatte er keins erwischt, es lag im andern Keller, in der sogenannten Kuchenkammer. Die aber war extra verschlossen, Tante Mumme wußte schon, warum. Es mußte also auch ohne Brot gehen.

„In der allergrößten Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot“, meinte Reni denn auch, während sie mit Erika zusammen Christian aus dem Kellerfenster zerrte. „So, hopp, siehst du. Allein wäre das nicht so gut gegangen.“

„Denkste. Wo man hineinkommt, muß man auch herausfinden“, sagte er und richtete sich auf. „Na, zart im Anfassen seid ihr aber wahrhaftig nicht! Erika hat mir beinahe den Arm ausgerenkt!“

„Ach, er ist schon noch dran. Nun komm, die beiden haben Hunger!“ drängte Reni. Sie nahmen die eroberten Herrlichkeiten auf und liefen wieder der Liegewiese zu.

„Hoffentlich tun sie aber den Ponys nichts“, sagte Reni noch. Die beiden andern lachten sie aus.

„Wahrscheinlich sind sie froh, wenn die ihnen nichts tun“, meinte Christian.

Reni und die Ponys

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