Читать книгу Nacht über der Prärie - Liselotte Welskopf-Henrich - Страница 11

Rodeo

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Es schien Eivie gewesen zu sein, der Stonehorn zur Teilnahme an dem Rodeo, das in einigen Wochen in New City stattfinden sollte, überredet hatte. Queenie war überrascht, dass ihr sonst so selbstsicherer Mann in diesem Falle hundert Bedenken, um nicht zu sagen Minderwertigkeitsgefühle, hegte und in einer Stimmung zu sein schien wie ein Schüler vor dem Abitur.

»Du wirst es aber bestehen«, sagte sie. »Alle glauben das.«

Er zuckte die Achseln. »Die Welt ist ganz anders, als du auch nur ahnen kannst, Queenie. Du bist in einer Schule air-conditioned erzogen …« Und als Queenie fragend auf ihren Mann schaute, ob denn die Erfahrungen, die sie seit kurzem gemacht hatte, nicht doch Gewicht hätten, fügte er hinzu: »Und außerdem auf einer Reservation. In einem Gewächshaus also, in einem üblen Gewächshaus vielleicht, jedenfalls nicht in freier Luft. Du wirst dich noch wundern, was dir alles um die Nase wehen kann.«

Worauf er damit zielte, wusste Queenie nicht, aber ihn zum Sprechen und zu Erklärungen zu bringen, wenn er schweigen wollte, war unmöglich.

Stonehorn und Queenie-Tashina unterhielten sich also nur noch über praktische Einzelheiten. Die Nachricht, dass auch das Bild »Verschleierte Hände« verkauft sei, war gekommen und bald darauf das Geld. Es war eine noch höhere Summe, als der erste Interessent geboten hatte, und Queenie war nicht nur darum froh, sondern auch um das Nicht-Wissen, das um diesen Verkauf lag. Sicher war auch der zweite Interessent kein Mann der Geheimnisse. Aber sie hatte ihn nicht sehen müssen, und so stand ihr frei, sich vorzustellen, was sie wünschte.

Die Summe wurde eingeteilt. Stonehorn kaufte einen Unfallwagen für einen überraschend billigen Preis. Die Karosserie war für Autofriedhof und Schrottpresse reif, aber der Sportmotor war noch nahezu intakt und in einer Werkstatt bald wieder ganz hergestellt. Stonehorn schleppte drei herrenlose Wracks zu seinem Haus und wechselte die Karosserie. Das Herumbauen machte ihm Freude. Er fand auch eine zweite Stute, an der er wenig aussetzen konnte, außer dass sie verhältnismäßig teuer war.

Schließlich blieben die Summe für den Einsatz bei den Rodeo-Wettbewerben und eine Reserve … nein, nicht die ganze Reserve, denn King entschied plötzlich, dass für dieses Geld schon Hafer und Heu für den Winter gekauft werden müsste.

Im Hause herrschte Ruhe. Queenie hielt alles sauber und in Ordnung, und seitdem sie nicht mehr befürchten musste, dass die Möbel kurz und klein geschlagen wurden, gab sie sich noch mehr Mühe, anstelle des völlig zerstörten Inventars eine Einrichtung nach ihrem und ihres Mannes Geschmack zustande zu bringen. Regelmäßig ging sie auf den nahen Friedhof und hielt ihre stillen Zwiegespräche mit dem unglücklichen alten Mann, der nun unter der Erde lag und dem sie versprochen hatte, ihn nicht zu vergessen.

Einmal hatte die Großmutter sie besucht, sich an dem neuen Heim gefreut und angedeutet, dass der Vater nun nicht mehr unversöhnlich gestimmt sei. Übers Jahr werde Queenie wohl wieder seine Tochter sein. Die Großmutter brachte ein Geschenk mit, ein Stirnband für Queenie mit dem Tipi-Muster, Dreiecke in Rot, Blau und Gelb auf weißem Grund, mit Stachelschweinborsten als Fäden mühsam gearbeitet, in alten Erdfarben gefärbt.

Queenie freute sich darüber und wollte es beim Sonnentanzfest des Stammes zum ersten Mal tragen.

Von Harold Booth sprach niemand mehr. Die Eltern hatten sich damit abgefunden, dass er verschwunden war, und sich an den Gedanken gewöhnt, dass er sicherlich eines Tages frisch und mit seiner ganzen verwöhnten Unbefangenheit wieder auftauchen werde. Es war so, als ob ein Sohn auf Reisen sei. Man musste sich eben solange ohne ihn einrichten.

Zu dieser Atmosphäre hatte die nüchterne Haltung Marys am meisten beigetragen. Mutter Booth legte schon Anzugstoff auf Vorrat hin, damit der Junge sich neu einkleiden konnte, wenn er nach Hause kam.

Im Grunde war jedermann froh, dass man Joe King nicht übereilt hingerichtet hatte.

Der Termin für das Rodeo rückte heran. Viele Familien hatten sich entschlossen, an diesem Tage nach New City zu fahren. Der gemeinsame Ehrgeiz, zu erleben, wie ein Stammesgenosse sich einen – oder vielleicht sogar zwei – Preise holte, war geweckt. Joe King wurde zu einer Art Nationalheld, noch ehe jemand wusste, wie er abschneiden würde. Aber man war ja gewohnt, dass mit ihm immer etwas Außergewöhnliches passierte. Und dieses Außergewöhnliche sollte diesmal der Sieg eines Indianers über die weißen Mitbewerber sein. Darauf hoffte die ganze Reservation. Darauf hofften sogar die Beamten der Agentur. Was für ein Triumph für den neuen Superintendenten, wenn das schwarze Schaf in so kurzer Zeit ein glänzendes Ausstellungsstück werden würde. Die Fachdezernenten hatten beschlossen, miteinander zu dem Rodeo zu fahren.

Am längsten währten die einschlägigen Beratungen in der Familie Halkett. Aber endlich konnte auch Vater Halkett nicht der Versuchung widerstehen, den Schwiegersohn als Rodeo-Sieger zu erleben. Immerhin, so hatte er gehört, besaßen Queenie und Joe bereits einen Wagen, drei wertvolle Pferde, und es herrschte Ordnung in dem Haus.

Der Abend, an dem Joe und Queenie, mit ihren Indianernamen Inya-he-yukan und Tashina genannt, hoch oben am Hang saßen, war nicht sanft. Es stürmte, die trockene Prärieerde wurde aufgewirbelt, und der Staub zog in Wolken auch über die betonierte Straße. Die Mähnen der Pferde flatterten, die Wolkenballen am Himmel ließen sich hetzen. Stonehorn hatte eine Zigarette ausgeraucht und spielte mit einem Grashalm. Beide schauten hinunter auf ihr kleines Blockhaus und auf die Wiesen, die zu der Ranch Joe Kings gehörten.

»Nach dem Rodeo wirst du dir vielleicht einen anderen Mann suchen müssen.« Stonehorn sagte es vor sich hin, ohne Queenie anzusehen, und diese horchte auf, wie ein Mensch bei irgendeinem aus der Ferne drohenden Donner aufhorcht, von dem er nicht weiß, woher er kommt, und dessen Unheimlichkeit ihm den Atem verschlägt.

»Du wirst im Herbst und Winter wieder auf die Schule gehen, und wenn ich nicht da bin, ist keiner da, der hier wirtschaftet, es sei denn, du heiratest wieder. Es wäre aber schade, alles aufzugeben, was wir eben angefangen haben.«

Queenie wandte das Gesicht langsam ihrem Mann zu. »Ich verstehe das nicht«, sagte sie mit tonloser Stimme.

»Wie ist es eigentlich mit dir … ich meine …« Stonehorn hatte eine Art von Verlegenheit in seinem Ton, die Queenie sonst nicht an ihm kannte. Sie verstand ihn aber.

»Wir werden ein Kind haben.«

Stonehorn warf den Grashalm weg. »Einen schlechten Pflegevater wirst du ihm nicht aussuchen.«

»Inya-he-yukan …«

»Wir haben keine Verwandten mehr auf unserer Reservation. Wir haben zwar einige, aber sie wollen von den Kings hier, von meinem Vater und mir, nichts mehr wissen. Zu ihnen brauchst du überhaupt nicht hinzugehen, und ich nenne dir auch die Namen nicht. Von meiner Mutter Seite her sollen noch Verwandte in Kanada leben. Sie sprach manchmal davon, aber gesehen haben wir sie nie. Vor neunzig Jahren sind einige hinaufgezogen, die nicht auf dieser Reservation hier leben wollten. Daher stammt auch mein Name … Inya-he-yukan, den meine Mutter mir gegeben hat. Es ist ein Häuptlingsname. Ich habe ihn erhalten, aber noch nicht verdient, und ich werde ihn mir kaum noch verdienen können.«

»Es wird immer so sein, und es wird alles so sein, wie du es haben willst, mein Mann. Aber ich … ich verstehe nicht … und ich weiß nicht …«

»Ich werde dir das erklären, Tashina. Du denkst, und das denken die meisten, Stonehorn ist ein guter Reiter, und er ist ein guter Lassowerfer, und er ist kräftig und schnell, er kann auch einen Stier an den Hörnern packen und niederzwingen. Er wird also einen Preis gewinnen, vielleicht nicht gleich den ersten und vielleicht nicht in allen Wettbewerben, zu denen er sich gemeldet hat. Aber er wird mit Ehren bestehen, zumindest mit guten Punkten. Er wird die Zeiten machen. Es ist nicht das erste Mal, dass er auf einem Rodeo reitet.«

Queenie lehnte sich an Stonehorns Schulter, und er lächelte wieder das gute Lächeln, das sie in der Sturmnacht zum ersten Mal an ihm gesehen hatte.

»Aber das Leben hat viele Seiten, Tashina, und in New City sind wir nicht in einem Gewächshaus, und es gibt dort keine Klimaanlage. Es wird heiß hergehen, sehr heiß – also in einer Art, die auch ein Joe King heiß nennt –, und ich weiß nicht, ob du mich nicht bald neben den Vater dort drüben legen musst, falls du meine Leiche überhaupt findest.«

»Stonehorn! Ich begreife das noch immer nicht. Ich will es auch nicht begreifen.«

»Das ist falsch, das ist air-conditioned, was du jetzt gesagt hast. Das ist Senior-Schülerin der Highschool, das ist nicht Tashina, und das ist nicht Prärie.«

»Vielleicht hast du recht. Ich wollte meine Ohren schon verschließen. Aber ich werde sie offenhalten. Sprich.«

»Du erinnerst dich an unsere erste Nacht …«

»Ja …«

»Ich bin damals fortgeritten, ohne dich mehr zu grüßen, weil ich einen zu verfolgen hatte. Er ist mir aber entkommen, und das war nicht gut. Er hat mich natürlich nicht angezeigt, weil er selbst zuviel auf dem Kerbholz hat und die Polizei scheut wie ein Huhn das Wasser. Er hat sich aber einer anderen Gang angeschlossen. Es ist eine kleine, exklusive Bande, so wie es auch die meine gewesen ist, abhängig natürlich von den großen Syndikaten, die einen ausnutzen. Vielleicht fünf oder sechs Mann, aber jeder soviel wie dreie wert – ich meine soviel wie drei qualifizierte Gangster. Er hasst mich, wie ein Totschläger hassen kann, und ich bin in den Augen dieser Leute schlechter als ein stinkendes Aas … ich bin ein Verräter, ich habe meine eigenen Brüder gekillt. Sie warten nur auf die Gelegenheit, mich abzuschaffen. Wenn das Bandengesetz verletzt ist, halten die Gangs zusammen, um es wieder zur Geltung zu bringen. Ich bin zum Tode verurteilt, nicht von Crazy Eagle und Co., sondern von Leuten, die ihre eigene Gerichtsbarkeit haben und ein Urteil selbst zu vollstrecken pflegen.«

»Bleib hier, Stonehorn. Warum hast du das angenommen, nach New City zu gehen?«

»Ich war schon ein paarmal dort. Das weißt du ja. Um den Wagen zu kaufen und den Hafer und so weiter. Ich muss informiert sein. Sonst ist alles verloren, ehe es überhaupt beginnt. Ich will mein Leben aber teuer verkaufen.«

Queenie schauerte zusammen. Der Wind war kalt.

»Ich habe auch noch Verbindungen, von denen die anderen nichts wissen. Aber alles in allem … wenn ich es nüchtern berechne … werden sie die Stärkeren sein.«

»Gibt es so viele Gangster in New City?« fragte Queenie. »Soviel ist dort doch gar nicht zu holen.«

Stonehorn lachte leise, aber hörbar. »Es ist wirklich nicht viel zu holen in dem Städtchen, außer ein wenig Rauschgift im Zwischenhandel. Aber durch die neue Industrie ist allerhand Volk dahin gezogen, und es ist mit seinen Slums eine Art Arbeitskräftereserve und Vorschule für Banditen geworden, die dann später zu lukrativeren Plätzen gehen. Manchmal sind die Anfänger nicht die Schlechtesten. Sie müssen erst etwas werden, und sie riskieren unbedachter. Sie geben sich auch noch mit verhältnismäßig kleinen Sachen ab. Natürlich sind in New City keine bedeutenden Gangs. Es kann aber sein, und es wird so sein, dass sich zum Rodeo auch Leute von außerhalb einfinden, und an mir wollen sie ein Exempel statuieren, was es bedeutet, abtrünnig zu werden. Ich will nicht lebend in ihre Hände fallen. Dann wäre ich noch lieber an den Marterpfahl meiner Vorfahren gegangen. Das war wenigstens ein zeremonielles Ereignis mit achtungsvollen Zuschauern, und der Nachruhm blieb. Wenn die aber anfangen zu arbeiten, von denen ich jetzt spreche, so bleiben höchstens ein paar Fleischklumpen übrig.«

»Kannst du die Verbrecher nicht der Polizei melden?«

»Liebes Kind! Bevor sie etwas getan haben? Und wenn es erst geschehen ist – nun, Tashina, ein Toter redet nicht mehr.«

»Du darfst da nicht hingehen, Stonehorn.«

»Hör mir auf mit solchen Sentimentalitäten. Das kann ich nicht vertragen. Ich habe mich hier mit dir zusammengesetzt, damit wir vernünftige Pläne schmieden, und nicht, damit wir Schwachheiten flüstern. Es kann also sein, dass du in ein oder zwei Tagen ohne mich auf der Welt stehst. Du weißt, ich habe es mir lange überlegt, ob ich zu diesem Rodeo gehen soll. Ich gehe auch nicht deswegen hin, weil Eivie mich dazu überredet hat. Stonehorn ist nicht der Mann, der sich beschwatzen lässt. Ich gehe hin, weil es einmal ausgetragen werden muss, und bei diesem Rodeo wird mehr los sein und mehr Aufsehen entstehen, und ich kann ihnen mehr zusetzen, als wenn ich irgendwann einmal allein in diesem New City auftauche, um Hafer zu kaufen oder Elk zu besuchen oder mich bei meiner Schwester sehen zu lassen. Da können sie mir auflauern und mich unter der Hand verschwinden lassen. Sie könnten auch auf die Reservation kommen. Ich warte jedenfalls nicht ab, was die anderen planen, sondern ich stelle mich. Ich stelle mich in einer Situation, die ich mir ausgesucht habe und die ich ausnützen werde bis zum letzten Atemzug.«

»Ich heirate aber keinen anderen, Stonehorn. Nie.«

»Du musst wissen, was du willst. Verdienen kannst du allein genug mit deiner Malerei – für dich und für das Kind. Aber ich dachte, du würdest hier auf der Reservation etwas ausrichten … auch für die anderen … damit sie ein Vorbild haben und wieder Mut bekommen. Deshalb musst du entweder die Ranch weiterbetreiben, und dazu brauchst du einen Mann, besonders im Winter, oder du musst dich einem Betrieb anschließen.«

»Du hast mit der Ranch angefangen. Ich will, dass es damit weitergeht.«

»Mit dem Wollen allein ist es nicht getan. Man muss es können. Du wirst ja sehen. Jedenfalls weißt du jetzt, worum es geht. Aber es gibt noch eine Neuigkeit, die du erfahren sollst.«

»Hoffentlich eine bessere.« Queenie wunderte sich selbst, wie sachlich zu sprechen sie imstande war, weil Stonehorn es so wollte.

»Eine spaßhafte jedenfalls. Harold Booth ist wieder da.«

»Harold? Auf der Farm?«

»Noch nicht. Ich habe ihn in New City gesehen.«

»Ein Glück! Nun ist aller Verdacht aus der Welt geschafft.«

»Ehe es mit mir aus sein wird, Tashina, wünsche ich ihn in das Konzert um Gottes Thron, und er kann dort den Bass singen. Wenn er nicht falsch singt. Er sollte nicht der Nachbar von Joe Kings Witwe werden.«

Ehe Tashina auch nur das geringste Zeichen einer Antwort geben konnte, war Stonehorn aufgestanden, und als sie das gleiche tat, legte er seinen Arm um ihre Schulter. Die beiden schauten zu den weißen Bergen hinüber, die nach Sonnenuntergang in einem Nebelschleier ihre Geheimnisse bargen.

»Hat mein Vater dir gesagt, dass jene Berge das Grabmal unseres größten Häuptlings sind …?«

»Er sagte es.«

»Wir brauchen kein Monument. Wir wissen nicht, wo er begraben liegt. Seine Mutter ruht auf dem Friedhof neben uns. Du kannst dich manchmal auch zu diesem Stück Erde setzen.«

»Ja.«

Langsam gingen die beiden zu ihrem Haus zurück.

Als sie gegessen hatten und beieinander lagen, fragte Tashina: »Stonehorn, was kann ich tun? Ich liebe dich viel mehr als mein Leben.«

»Ich nehme dich beim Wort. Bleib daheim, wenn ich zum Rodeo gehe.«

Tashina erschrak: »Nein. Das nicht. Das darfst du nicht verlangen.«

Er sagte nichts weiter. Es war die letzte Nacht, die sie daheim beisammen waren, denn als Teilnehmer fuhr Stonehorn einen Tag früher zur Rodeo-Stadt als die Zuschauer.

Auch der neue Morgen war wieder stürmisch. Gegen Mittag kam Tashinas Großmutter, zu Pferd. Sie wollte das Opfer bringen, wollte auf das Rodeo verzichten und unterdessen für die Pferde sorgen und das Haus behüten. Sie war eine alte magere Indianerin mit strengen Zügen und dünnem, grauem Haar, das sie in der Mitte gescheitelt trug. Sie war über neunzig Jahre alt und hatte die letzten Freiheitskämpfe und die schwersten Anfangszeiten der Reservation als Kind noch miterlebt. Es gab kaum etwas, was sie erschrecken konnte. Als Tashina diese Frau sah, wurde sie im Innern ruhiger. Wie oft hatten Indianerfrauen es erlebt, dass ihre Männer in den Kampf zogen, und nie hatten sie gewusst, ob sie wiederkehren würden.

Um Mittag saßen Stonehorn und Tashina in ihrem Wagen. Die Großmutter winkte nicht, aber sie schaute den beiden noch nach, als der Wagen schon auf der Talstraße unten angelangt war und seine Geschwindigkeit beschleunigen konnte. Der Wagen hatte als Sportwagen die Karosserie eines Cabriolets. Es war ein Zweisitzer. Stonehorn fuhr ihn offen.

Tashina dachte einen Augenblick, dass man ohne Dach einem Schuss noch mehr ausgesetzt war, und Stonehorn schien ihrem Blick und vielleicht einer Kopf- und Schulterbewegung entnommen zu haben, woran sie dachte, denn er sagte:

»Unsere Vorfahren haben nackt gekämpft. Ich tue das auch gern, wo es möglich ist. Nackt im offenen Gelände. Kleider und Wände behindern nur die Bewegung und die Übersicht. Aber das ist natürlich Geschmackssache. Mike zum Beispiel will immer etwas um sich haben, und ich kann nicht sagen, dass er darum viel schlechter sei als ich.«

»Wer ist das, Mike?«

»Er ist Gangsterboss, und er ist mein Boss gewesen. Er wird morgen nach New City kommen, daran gibt es keinen Zweifel. Wenn du schon durchaus mit dabeisein willst, kannst du mir etwas helfen. Ich muss wissen, wo und wann Mike und Jenny auftauchen.«

»Wie sehen sie aus?«

»Mike hat eine Boxernase. Er war Schwergewicht, nicht Weltklasse, aber nahe daran. Ein Nierenschlag hat ihn ausgebootet. Das ist nach wie vor seine schwache Stelle. Er hat eine unverständige Angst davor, dass sich so etwas wiederholen könnte. Aber das geht dich nichts an. Du musst auf das rechte Auge schauen. Das Lid ist zerfetzt. Er wirkt wie ein Bär, nicht wie ein alter Grizzly, sondern wie ein geprügelter, heimtückisch gewordener Zirkusbär. Er hat auch eine Brummstimme. Was er bevorzugt, sind rosa Halstücher mit blauen Streifen. Er lässt sie sich anfertigen. Das ist eine kindische Manie von ihm. – Ich muss also wissen, wo er auftaucht. Er ist viel schneller, als ihm einer zutraut, vor allem mit der Maschinenpistole. Colt hat er schon halb verlernt. Er ist der Eintreiber gegen mich.«

»Warum will er dich vernichten?«

»Er hat mich seinerzeit herangeholt, ich galt als sein Geschöpf, und darum ist er als erster mein Femerichter. Jenny hasste mich von der ersten Begegnung an, wie ich ihn. Jenny hat mir auch meine Gang aus der Hand gewunden und zu einem Haufen Dreck gemacht, während ich in Untersuchungshaft war. Sie hatten mich in einem Mordprozess als Strohmann vorgeschickt, die Indizien nur allzu gut zusammengestellt – nach Jennys Einfällen. Indianer und Mord, das ist für Geschworene auch jederzeit plausibel. Es wäre beinahe schiefgegangen.«

»Stonehorn! Wer ist der wahre Mörder?«

»Sie sind nicht so dumm gewesen, mir das zu sagen. Die Verhöre sind ein wenig anstrengend. Übrigens muss es Jenny gewesen sein.«

»Jenny ist Mikes Frau?«

»Jenny ist ein Mann, Kind, den du aber leicht mit einer Frau verwechseln könntest. Er hat blonde Locken, er hat so unwahrscheinlich blonde Naturlocken, dass du ihn sofort erkennst. Früher hätte das einen schönen Skalp abgegeben. Er ist einer der widerlichsten und gefährlichsten Burschen, die ich je getroffen habe. Er ist zweiter in der Gang, in der jetzt James mitarbeitet, der mir entkommen ist. Jenny hat sich diesen James geholt. – Schaue also nicht nur auf die Pferde und die Kälber und auf deinen Mann, sondern lass deine Augen auch sonst ein wenig in die Runde gehen. Beim Rodeo schießen sie mich natürlich nicht ab, aber ich will wissen, wie sie sich postiert haben und mit wem sie sprechen oder wem sie zupfeifen. Verstanden? Der Kriegstanz geht vielleicht abends bei einem bestimmten Shake los; ich weiß nicht, ob sie schon etwas verabredet haben. Es sind jedenfalls die Newt Beats verpflichtet, eine viel zu teure Gruppe für eine mittlere Stadt; es wird also Tumult geben und hysterisches Gehabe; das ist, was sie brauchen. Wenn sie dabei nicht zum Ziel kommen, dann vielleicht bei der Heimfahrt. – Nach Harold brauchst du übrigens nicht Ausschau zu halten, den beobachte ich selbst.«

»Stonehorn, ich bitte dich, denke an Mary.«

Als Queenie dies gesagt hatte, sah sie ihrem Mann an, dass es besser für sie gewesen wäre zu schweigen.

»Er hat mich einen Dieb geheißen, und er wusste wohl, dass ich nicht gestohlen hatte. Ich kam ins Gefängnis … das war der Anfang. Als ich entlassen wurde, mochte ich nicht mehr zurückgehen, nicht mehr in diese Schule, wie der Gefängnisdirektor dem Superintendenten doch empfohlen hatte, nicht auf diese Reservation, auch nicht mehr zum Vater. Ein Rechtsanwalt, der mit mir gesessen hatte, machte Mike auf mich aufmerksam. Ich fing an, bei ihm zu arbeiten. Um mich zu rächen. An allen. Aber Jenny hat mir meine Gangster zu Säuen gemacht.«

Während der weiteren Fahrt, auf der kein Wort mehr gesprochen wurde, war Queenie in Gedanken bei dem stürmischen Tag, an dem sie, von der Schule heimkehrend, die Straße in umgekehrter Richtung gefahren war. Das Zeltgerüst, die Holzfassade des Schaustellungsforts, das Wächterhaus flogen an ihr vorbei. Der Fahrtwind zauste an ihrem Haar. Damals war sie in ihr Geschick hineingefahren. Sie bereute nichts. Nichts. Was aber in ihr würgte, das war die Selbstverständlichkeit, mit der ihr Mann von den Gangstern sprach. Sie begriff, dass das seine Welt, sein tägliches Leben gewesen war, dass er die Ungerechtigkeit der Bürger und ihre Gesetze hassen gelernt, dass er Verbrechen nicht verhindert, Gesetzloses mit angeführt hatte, dass diese Unmenschen, die ihr des Nachts in der Prärie begegnet waren, als seine Brüder gegolten hatten. Er hatte sie niedergeschossen. Aber wenn er von ihnen und ihresgleichen sprach, sprach er heute noch von »Arbeit«, wie er als Rancher von einem Pferd sprach, denn mit ihnen zusammen hatte er sich jahraus, jahrein Nahrung, Kleidung und Obdach verschafft; unter dem Kommando solcher Männer hatte er sich angestrengt. Queenie ging der Sinn des Wortes »Berufsverbrecher« von dieser Seite her auf.

Stonehorn fuhr gleichmäßig eine auf der einsamen Straße vernünftige Geschwindigkeit von fünfundsechzig Meilen in der Stunde. Er lenkte nicht in die Stadt hinein, sondern fuhr auf einem Umweg gleich zu den Slums und zu dem Haus von Elk. Die Kinder spielten wieder davor wie damals. Sie erkannten Queenie und Joe King und freuten sich. Elk und seine Frau waren zu Hause. Es schien, dass sie von dem Kommen der Kings schon unterrichtet waren. Joe gab Queenie den Zündschlüssel und verabschiedete sich, um gleich bei den Rodeo-Managern vorzusprechen. Das Rodeo- Feld lag außerhalb der Stadt, nicht weit von dem Vorort entfernt. Queenie spielte mit den Kindern, und als die Mutter diese früh schlafen gelegt hatte und auch sich selbst müde dazulegte, saß Queenie noch mit Elk auf dem zweiten deckenbelegten Gestell. Die Petroleumlampe war gelöscht. Es wurde dunkel, der Mond stand mit seinem freundlich-blöden Gesicht am Himmel und täuschte die Menschen mit geborgtem Licht über seine Öde hinweg. Für Queenie aber war der Mond noch mehr als ein Gestirn. Er war Magie.

Als es elf Uhr nachts wurde und Joe noch nicht zurückgekommen war, legte sich Queenie auf eine Kante neben Frau und Kinder, und Elk ließ sich auf dem freien Gestell zum Schlafen nieder. Eine Stunde nach Mitternacht kam Joe. Er warf sich neben Elk hin und war sofort eingeschlafen. Queenie studierte im Mondlicht noch seine Züge. Sie wollte nicht einen einzigen vergessen. Jetzt, wo sie allein noch wach war, wurden ihre Augen nass. Sie dachte auch daran, dass Joes Atem nach Alkohol gerochen hatte, nach gutem Whisky.

Am Samstagmorgen waren alle früh auf, obgleich dieser Tag in der Fünftagewoche schon Feiertag war und niemand zur Arbeit ging. Aber Elk liebte ein ruhiges Beisammensein vor dem Gottesdienst, den er in der kleinen Holzkirche der Armen zu halten hatte. Joe hatte Frühstück mitgebracht, und so war die Familie Elk dieser Sorge enthoben. Man saß zusammen auf den Schlaf- und Sitzgestellen und aß. Hier war alles ruhig und gut geordnet, wenn es auch sonst täglich nichts als Brot auf dem Tisch gab. Seinen Lohn teilte Elk mit Arbeitslosen, die keine Unterstützung empfingen.

Da Joe wohl wusste, was man von ihm hören wollte, erzählte er: »Es wird etwas anders laufen, als ich vorgesehen hatte. Ich wollte das Stierringen mitmachen, dafür habe ich eingezahlt und auch für das Kälberfangen im Team. Nun fehlt ihnen aber ein Bronc-Reiter. Sie haben ein gutes Pferd, kräftig, elastisch und mit vielen Tücken, einen der richtigen Teufel. Es wäre schade, das Pferd nicht zu reiten … tatsächlich, es wäre schade. Aber Bronc und Stierreiten an einem Tag, das wird dem stärksten Mann zuviel, und ich hatte auch kein Training mehr im letzten Jahr. Aus dem Kälber-Team kann ich nicht heraus, das kann ich Russell nicht antun. Das ist auch keine Arbeit. So ein hilfloses kleines Hinterbein hat mein Lasso gleich eingefangen.«

»Und was ist nun die Frage?« erkundigte sich Elk.

»Das Geld. Sie geben mir den Einsatz für das Stierringen nicht mehr heraus, und wie das mit dem Einsatz fürs Bronc gemacht werden soll, wissen sie auch nicht. Es ist eingezahlt, aber der Reiter, der kommen wollte, ist beim Rodeo in Cardston gestürzt, schwere Rückgratverletzung … Er bleibt ein Krüppel. Sein Einsatz verfällt. Sie könnten mir den Ritt dafür geben, aber das wollen sie nicht. Geldleute!«

»Dann lässt du es eben sein.«

»Wenn es nicht so verdammt verführerisch wäre, doch noch zu reiten. Meine Pferde sind noch nicht fertig, deshalb habe ich nicht angemeldet … aber der gescheckte Teufel … und für das Bronc-Reiten sind die höchsten Preise ausgesetzt.«

»Du bist noch jung, Joe, und Rodeos gibt es am laufenden Band. Lass es sein.«

»Du hast recht, Elk, aber ich reite gern gescheckte Teufel.«

Draußen entstand Unruhe um den Wagen.

Joes ältere Schwester mit ihren fünf Kindern im Alter von einem bis acht Jahren war gekommen. Sie hatte kein eigenes Auto und sollte daher mit den Kings mitfahren. Da Tashina und Joe sehr schlank waren, konnte sie sich als dritte, wenn auch mit Mühe, neben den Fahrersitz drängen; den einjährigen Jungen legte man auf die schmale Bank hinter den Sitzen. Zwei Jungen von vier und fünf Jahren wurden im offengehaltenen Kofferraum als lebendes Inventar neben den toten Gegenständen verstaut. Die Älteste, das achtjährige Mädchen, war so vernünftig, ihre zweijährige Schwester bei sich zu behalten, um mit ihr bei der Familie Elk zu bleiben und später mit dieser nachzukommen. Elk hatte kaum etwas zu essen, aber einen alten Wagen besaß er, denn ohne diesen hätte er den täglichen Weg zur Arbeit nicht schaffen können. Die volle Fuhre der Kings fiel nicht auf. Indianerautos waren meist bis zum Dach mit Familie gefüllt, und ohne Dach ließ sich die Sache sogar noch besser an. Stonehorn fuhr vorsichtig. Queenie begegnete bei dieser Fahrt zum ersten Mal ihrer Schwägerin, die Witwe zu sein schien. Aus der Unterhaltung auf der kurzen Fahrt erfuhr sie jedoch, dass der arbeitslose Mann die Stadt verlassen hatte, damit die Frau wenigstens für die Kinder Wohlfahrtsunterstützung bekam. Sie war buntgekleidet und schien trotz allem guter Dinge. Ihrem Bruder, der ein Langschädel war, glich sie mit ihrem runden Gesicht nur wenig. Es schien, dass sie das Leben und seine Unbilden leichter nahm als er. Die Kinder waren mit Joe offenbar gut vertraut.

Queenie träumte einen Augenblick davon, wie Stonehorn im nächsten Jahr mit seinem eigenen Kind spielen würde. Der Wagen der Kings war einer der ersten, der auf dem Rodeo-Gelände eintraf. Stonehorn wählte seinen Platz nahe der Ein- und Ausfahrt so, dass ihm die Zufahrt dazu nicht verstellt werden konnte. Von dem erhöhten Platz aus ließ sich das Rodeo-Gelände ringsum übersehen. Auf den ebenen Wiesen unten war das eingerichtet, was man eine Arena nennen konnte, im Halbrund weiß umzäunt mit einem nicht allzu hohen Zaun, der die Pferde am Ausbrechen hindern konnte; Rodeo-Pferde waren im allgemeinen keine Spring- und auch keine erfindungsreichen Wildpferde. Rechter Hand, an der östlichen Schmalseite des Kampfplatzes, befanden sich die Gehege für die Rinder und Kälber. Linker Hand war der Ein- und Ausgang für die Teilnehmer, und hier warteten auch die Broncs in ihren Verschlägen auf den Kampf zwischen Reiter und Pferd. Ein Wagenrennen stand nicht im Programm; diese Nummer war größeren Rodeos vorbehalten. Es gab auch keinen Leihstall. Die Reiter mussten ihre Pferde selbst stellen oder jemanden finden, der das für sie tat.

Joe gab den Zündschlüssel seiner Schwester und ordnete an, dass Margret bis auf weiteres bei dem Wagen zu bleiben habe und dafür verantwortlich sei, dass sich kein Fremder daran zu schaffen machte. Er hoffte, dass sie später abgelöst werden konnte.

Joe und Queenie schlenderten dann über den sanft abfallenden Wiesenboden hinunter zu dem Zaun. Auf der anderen Seite der Arena befand sich die Tribüne, und Joe gab seiner Frau eine Freikarte, mit der sie die Sitzplätze der Tribüne benutzen konnte, wenn sie wollte. Zu Füßen der Tribüne befand sich ein Podium für die Kapelle.

Es fuhren schon weitere Wagen ein. Viele Familien wollten den ganzen Tag hier verbringen und hatten sich Proviant mitgebracht. Auch die geschäftstüchtigen unter den Budenbesitzern waren schon zur Stelle und richteten Ware und Kasse her. Es würde kalte gebratene Hühner, Kartoffelchips, Hamburgers, Hot Dogs, Kaffee, Coca-Cola, Limonade und Mineralwasser geben, wie sich schon überblicken ließ, natürlich auch Kaugummi, Schokolade und Zigaretten. Alkohol war dagegen nicht vorgesehen. Die ersten Kinder mit einigen Cents in den Händen drängten sich zu den Buden und kauften sich Eis am Stiel.

Drei jubelnde Kinder rannten den Hang herunter und stürzten sich auf Queenie. Es waren ihre kleinen Geschwister. Sie hängten sich an ihre Hände und an ihr Kleid und waren nicht so leicht wieder abzuschütteln. Mit staunenden Augen und großem Respekt betrachteten sie Joe, der am Wettbewerb teilnehmen konnte. Selbst noch einmal übermütig wie ein Kind warf er den Jüngsten in die Luft und fing ihn wieder auf, und nachdem der Dreijährige die erste Verblüffung überwunden hatte, rief er: »Noch einmal!«, was ihm gewährt wurde.

Die nächsten Bekannten, die man traf, waren die Mitglieder der Familie Booth. Isaac Booth begrüßte Stonehorn wie ein Rancher seinen erfolgreichsten Cowboy oder ein Großbauer seinen strebsamen kleinen Nachbarn. Ein römischer Kaiser hätte nicht huldvoller gegenüber einem Gladiator mit Siegeschancen sein können. Mutter Booth lächelte verlegen-freundlich und interessierte sich für die kleinen Geschwister Halkett.

Joe fand es an der Zeit, zu den Managern zu gehen, um zu erfahren, wie das Programm nun eingerichtet werden sollte. Mary, das Ranchermädchen mit den muskulösen Armen und dem nüchternen Sinn, war es dann, die den gefürchteten Kindermund auftat, um die Wahrheit kundzutun.

»Stelle dir vor«, bemerkte sie zu Queenie, »Harold ist gesehen worden. Er will uns wohl hier überraschen. Die Leute sagen, er habe sich eine blonde Kurbelwelle angelacht, siebenfach in Fett gelagert, eine so etwa über vierzig. Das hat mir gefehlt. Einen guten Wagen soll sie aber haben, einen pompösen.«

Hinter den gerunzelten Brauen von Isaac Booth grollte der Zorn. »Mary, schämst du dich nicht, das üble Geschwätz von Nichtstuern und Tagedieben zu wiederholen!«

»Wieso? Das habe ich von Miller.« Miller war der Geschäftsführer der größten Tankstelle von New City. »Vielleicht hat sie nicht nur einen Wagen, sondern auch noch Geld, was nicht immer zusammen geht. Vielleicht ist sie eine Weiße, vielleicht aber auch eine Gemischte. Vielleicht will sie ihn heiraten, vielleicht auch nicht.«

»Gewöhne dir nicht die Plaudersucht an, die deine Mutter abgelegt hat.« Isaac Booth wandte sich zum Gehen, um alles Weitere, was in seinen Augen nur die Bloßstellung einer höchst achtbaren Familie werden konnte, von vornherein abzuwehren. Queenie lächelte hinter den dreien her. Sie fühlte sich erleichtert und spielte mit ihren kleinen Geschwistern. Oben am Hang hatte sie auch schon Vater und Mutter entdeckt, und sie hatte das sichere und gute Gefühl, dass sie die Eltern werde begrüßen dürfen.

»So allein, junge Frau?«

Queenie hörte eine tiefe Brummstimme hinter sich, senkte die Augen und spielte weiter, als ob sie nicht verstanden habe, dass sie gemeint sei. Der große, starke Mann ließ sich aber nicht abschrecken.

Er trat zu den Kindern heran, die ihn prüfend und etwas erschreckt ansahen, weil sein Gesicht durch ein gebrochenes Nasenbein und ein zerfetztes, vernarbtes Augenlid entstellt war. Als er aber eine Tüte Erd- und Paranüsse aus der Tasche zog und die Kinder von Queenie nicht gehindert wurden anzunehmen, schwand die Scheu. Sie teilten genau und futterten.

Queenie ließ ihr Empfinden spielen, während sie den Mann nur wie nebenbei und ganz unauffällig musterte. Er trug einen Cowboyhut aus Stroh, ein rosa Halstuch mit blauen Streifen! Er hatte keinen Geschmack, und sein Auftreten war primitiv. Queenie fühlte aber, dass dieser Mann nicht nur körperlich eine Stelle hatte, an der er das zweite Mal getroffen zu werden fürchtete. Er war auch seelisch irgendwie verwundbar. Sie konnte nur noch nicht sagen, wie. Er war eine gestürzte Größe, er war ein verhinderter Weltmeister. Er war nicht von Kindesbeinen an Gangster gewesen, sondern aus Verbitterung einer geworden. Sicher konnte er organisieren, wie Stonehorn berichtet hatte; und sicher lagen ihm Boxhieb und Maschinenpistole mehr als Colt oder gar Stilett. Er war ein Kraftmensch, und Queenie hätte ihm jede Rohheit zugetraut, aber keinen Sadismus.

Ein Polizist ging vorüber, ohne Mike Beachtung zu schenken. Die Polizei musste auf dem Rodeo-Platz gegebenenfalls für Ordnung sorgen, aber es schien sich nur ein kleines lokales Aufgebot hier zu befinden.

»Auf eine so schöne junge Frau sollte der Mann aber besser aufpassen«, sagte die Brummstimme in einer noch unausgegorenen Mischung von Wohlwollen und Heimtücke.

Queenie lächelte, sie sagte noch immer nichts. Sie wusste selbst, dass sie heute sehr gut aussah im ärmellosen türkisfarbenen Kleid, mit einem silbergetriebenen Schmuck auf der Brust und einem silbernen Reif um den braunen Arm. Diese Schmuckstücke stammten noch aus der Kunstschule.

Plötzlich hatte sie eine Eingebung.

»Mein Mann ist beim Rodeo«, sagte sie.

»Macht mit? Sehr gut. Passt zu Ihnen.«

»Stonehorn!«

Mike entfuhr ein Pfiff. Er hatte sich überraschen lassen. »Da sieh an! Sucht sich wieder einmal das Beste für sich aus.«

»Wir sind doch schon lange verheiratet.«

Queenie wusste selbst nicht, warum sie das sagte. Lange war auch ein relativer Begriff. Stonehorns Frau zu sein, war für sie die Wirklichkeit schlechthin geworden; alles andere schien im Schoß einer unwichtigen, einer ganz belanglosen Zeit versunken zu sein. – Oder vielleicht hatte sie auch nur das Gefühl, dass sie einem Mike gegenüber am besten eine seit eh und je legalisierte Gangsterbraut spielte.

Mike kaute leer und wälzte die breiten Lippen. »Da sieh an …« Er entfernte sich pfeifend und trällernd. »Baby …«

Queenie ging mit den Kindern zu ihren Eltern und konnte sich an deren Lagerplatz mit niederlassen, als sei nie etwas anderes gesagt oder gedacht worden, als dass sie zur Familie gehöre. Der Vater schien aber in wenigen Wochen viel älter geworden zu sein.

»Wer war denn der Große?« fragte er die Tochter.

»Irgendeiner von denen, die Anschluss suchen.«

Das Rodeo sollte um zwei Uhr nachmittags beginnen. Es war noch lange Zeit bis dahin. Die besten Stehplätze am Zaun wurden aber allmählich schon eingenommen. Queenie machte sich auf, um sich dort unter den Jungen und Burschen mit aufzustellen. Sie wollte der Arena möglichst nahe sein, und das konnte jedermann begreifen.

Sie fand ihren Mann heraus, der mit einigen Angestellten und anderen Teilnehmern des Rodeos an dem Eingang für Reiter und Lassowerfer stand. An seinem schwarzen Cowboyhut, auch an seiner langen Gestalt, war er leicht zu erkennen. Joe hatte von seinem Standplatz aus seine Frau noch aufmerksamer, auch schon früher beobachtet als sie ihn. Die Begegnung mit Mike war ihm nicht entgangen. Er hätte gern gewusst, was dabei gesprochen worden war. Aber jetzt beanspruchte ein anderer Vorgang seine Aufmerksamkeit. Über den Rasen des Zuschauerreviers ging Harold Booth, begleitet von jener Frauengestalt, die Mary nicht ohne Vergnügen an ein wenig boshafter Übertreibung als blonde Kurbelwelle, siebenfach in Fett gelagert, bezeichnet hatte. Die beiden trafen auf Isaac Booth, seine Frau und Mary, und die Falkenaugen Joes konnten die Natur der Begrüßung leicht enträtseln. Man hatte sich wiedergefunden, jedermann freute sich, die Kurbelwelle drehte das Mundwerk an. Das Gespräch währte ziemlich lange, auch Mutter Booth wagte es, sich einzumischen. Schließlich bemerkte Joe, dass man angestrengt zu ihm herüberäugte. Er war entschlossen, sich zu beherrschen.

Harold und seine Freundin trennten sich von den Eltern und kamen zu dem Eingang für Teilnehmer herüber. Joe blieb an seinem Platz. Es konnte ihm nicht einfallen auszuweichen.

Schließlich standen sie hinter ihm, und da er nicht geneigt war, ihnen die Sache leicht zu machen und sich umzudrehen, rief Harold mit der wohlbekannten breiten Stimme: »Hallo! Hallo, Joe!«

Joe King drehte den Kopf halb, murmelte »Ha«, was bestenfalls ein unterernährtes Hallo bedeuten konnte, und hielt die halbe Wendung des Kopfes eben so lange aufrecht, dass er die Blonde aus der Nähe zu mustern vermochte. Sie war von Kopf bis Fuß ein harmloser Typ.

Es war durchaus ungewiss, wie diese Begegnung weitergehen würde, als von außen her ein neuer Anstoß kam. Einer der Manager zeigte sich bei Joe.

»Was ist jetzt, Joe! Zahlst du für Bronc sattellos ein oder nicht? Es wäre wahrhaftig schade … Aber ich muss das Programm unbedingt fertigmachen …«

»Reiten Sie für uns?« fragte die Blonde.

»Für wen?« Joe machte eine Viertelwendung mit der ganzen Figur.

»Sie sind doch der Star-Cowboy bei Booth, nicht?«

»Kennen Sie die Ranch?« fragte Joe dagegen mit einigen Hintergedanken.

»Noch nicht. Aber morgen fahren wir hin … nur mal zu Besuch. Leben kann man doch da nicht.«

»Was heißt ›leben‹. Sie natürlich nicht, Ma’am.«

»Ich hörte eben, der Einsatz für Reiten sattellos ist noch nicht für Sie einbezahlt? – Aber Harold, das kann ich nicht verstehen. Das ist doch die Figur für einen Bronc!«

Joe war boshaft genug, seine Augen über die dicke Blonde gleiten zu lassen. »Soviel ich weiß, wollte Mr Booth junior den Schecken selbst reiten.«

»Oh! Harold, tatsächlich? Das ist wunderbar. Ja, that’s wonderful!«

Harold war am Bersten. Wenn es nicht schlechthin unmöglich gewesen wäre, einen Teilnehmer vor den Wettbewerben anzugreifen, er hätte auf Joe King eingeschlagen, sollte es kosten, was es wolle. Aber dieser Weg war ihm im Augenblick versperrt, und so begnügte er sich mit einem drohenden Augenblitzen und der sachlichen Bemerkung: »Ich weiß von dieser Sache überhaupt nichts.«

»Neiiin?« Die Blonde war enttäuscht. Sie wandte sich entschlossen an den Manager, dem die Aussprache zu lange dauerte und der sich eben in die Baracken zurückziehen wollte. »Ich komme mit. Vielleicht kann ich das regeln.«

Der Manager, der einen guten Blick für Menschen hatte, schmunzelte liebenswürdig; er war überzeugt, dass er jetzt in zwei Minuten den Einsatz für Joe King in der Kasse hatte.

Während Joe und Harold, von der Gegenwart der Frau befreit, nebeneinander standen, sagte Harold leise: »Du Hundeschnauze! Darüber reden wir heute noch.«

»Bitte. Was willst du denn überhaupt?«

»Mach dich nicht an diese Frau auch noch heran!«

»Meinen Glückwunsch! Übrigens bin ich verheiratet.«

»Ich aber nicht.«

»Also?«

»Eben deswegen.«

»Wir werden uns ja noch treffen, Harold Booth. Es hätte schon lange sein können, wenn du nicht ausgerückt wärst.«

»Wir werden uns treffen, und ich mache Mus aus dir!«

»Dass dir der Wildbraten, der dazu serviert wird, nicht schlecht bekommen möge.«

Die Nächststehenden hatten etwas aufgefangen und lachten. Sie glaubten an eine einfache Eifersuchtsszene.

Die Blonde kam zurück, schloss die Tasche und strahlte über das ganze Gesicht. »Der Einsatz ist einbezahlt, Mr … Mr …«

»Joe King.«

Sie wurde bleich.

»Komm, Harold.«

Die beiden entfernten sich miteinander.

»Harold, ich habe ja nicht geahnt, dass das der Mann ist … der Mann ist … dessentwegen ich dich damals entführen musste … gleich von unserem Stelldichein aus. Das ist ja furchtbar, dass dieser Gangster wieder … und ich bitte dich, ich bitte dich, lass dich in keiner Weise mit ihm ein.«

Joe King hatte nicht nur gute Augen, er hatte auch scharfe Ohren.

Sobald das Paar verschwunden war, ging er noch einmal in die Baracke, ehe das Rodeo begann. Als er wieder herauskam, fand er zwischen den Umherstehenden Mike. Mike schielte unter seinem verunstalteten Lid auf Joe, und Joe nahm den Blick sofort an. Mit einer für andere völlig unmerklichen Bewegung forderte er Mike auf, mit ihm beiseite zu kommen, so dass ein leise geführtes Gespräch nicht belauscht werden konnte.

Mike entschloss sich, dem Wink zu folgen. In diesem Augenblick bestand weder für den einen noch den anderen eine unmittelbare Gefahr.

»Mike …«, Stonehorn sprach, ohne den anderen anzusehen, »was tut ein Boss, wenn seine Gang nicht pariert?«

Mike grunzte.

»Du weißt es. Also habe ich getan, was sich gehörte. James allerdings ist mir davongelaufen. Es war ein Fehler von mir, dass das passieren konnte. Ich gebe es zu. Aber du bist auch einmal in die Nieren geschlagen worden. James gehört mir, und Jenny, der aus meiner Gang ein Häuflein Diebe und Schweine gemacht hat, auch. Ich verlange die beiden, und ihr solltet euch hüten, sie mir nicht zu geben. Verstanden? – Es ging um meine Frau.«

»Jenny –? Mhm … Jenny ist nicht schlecht.«

»Unzuverlässig ist er und hält es auch mit der andern Gang – mit dem Schurken Leo Lee.«

»Lee sitzt.«

»In ein paar Jahren ist er wieder da. Dann hast du den Ärger.«

Mike grunzte vor sich hin. Er grunzte noch lange vor sich hin, als die Musik schon eingesetzt hatte. Zunächst spielte die Kapelle der Pathfinders, erst später sollte die Schlagerkapelle kommen.

Die Rodeo-Eröffnungsparade begann.

Die Bronc-Reiter, überhaupt alle, die beritten an den Wettkämpfen teilnehmen sollten, ritten in langer Reihe in die Arena ein. Sie ritten die Runde in der entspannten, unbeschwerten Haltung bester Reiter, und sie präsentierten sich dann in einer Reihe den Tribünen gegenüber. Alle trugen die übliche Cowboykleidung, den breitkrempigen Hut, das bunte Hemd mit oder ohne Halstuch, Hosen, die keine Bewegung behinderten, und leichte Stulpenstiefel. Die individuelle Note lag in den Farben. Joe hatte zum schwarzen Hut auch wieder schwarze Hosen gewählt und ein dunkles Hemd; der ins Auge springende Punkt an ihm war das gelbe Halstuch. Auf die breiten ledernen Beinschützer, die die meisten Reiter angelegt hatten, hatte er verzichtet; beim sattellosen Reiten brauchte er die freie Fühlung mit dem Pferd. Auch Frauen, als Cowgirls gekleidet, hielten in der Reihe. Sie sollten um die Wette reiten, eine Art Slalom zu Pferd und die letzte Strecke als Galopprennen.

Joe sah Queenie am Zaun stehen, aber er lächelte ihr nicht zu. Jetzt war er keine Privatperson mehr, jetzt war er Teilnehmer des Rodeos, bei dem die Männer ihre Geschicklichkeit und ihre Kraft in allen Künsten des Cowboys zu messen hatten. Es waren die nationalen Wettspiele der weißen so gut wie der indianischen Bewohner der Prärie. Doch befanden sich in der langen Reiterparade nur drei Indianer. Als die Reiter die Arena wieder verließen, studierten die Zuschauer die Programmhefte. Es wurde über den Lautsprecher eine Abänderung angekündigt: »Bronc Nr. 7, sattellos, Reiter nicht Dick McNally, sondern Joe King.« Der Ansager wiederholte: »Joe King!«

Viele klatschten, auch Kate Carson und Superintendent Hawley auf der Tribüne waren unter denen, die Beifall spendeten. Die Kinder kletterten am Zaun hoch und im Hintergrund auf die Bäume. Bei den Verschlägen der Pferde war schon Unruhe. Jedes Tier befand sich in einem besonderen, oben offenen Verschlag. Der Reiter sprang von der Wand des Verschlags auf den Rücken des Tieres hinab, der Verschlag wurde zur Arena hin geöffnet, und das Tier tobte sofort hinaus, bockend und schlagend.

Die erste Bedingung für einen Sieg war die Zeit: Der Reiter hatte einige Sekunden auf dem Rücken des Tieres zu bleiben, ohne herabzustürzen. Die weiteren Bedingungen, die zu Punktgewinnen führten, hingen mit der Haltung des Reiters zusammen.

Die bucking horses waren besonders elastische und kräftige Tiere, zumeist auf freier Weide herangezogen, schon geritten, aber für diesen Wettbewerb durch eine besondere Art der Riemenführung um die Lenden in hemmungslose Wut versetzt. Sie stiegen, bockten mit Katzenbuckel, so dass der Reiter immer wieder wie ein Ball hochgeschleudert wurde, sie machten unvorhergesehene Sätze, und wenn sie besonders listig und gewandt waren, gingen sie mit allen vieren in die Luft und ließen sich dann fallen. Es war nach Ablauf der Zeit für den Reiter, der oben geblieben war, kaum möglich, allein abzuspringen. Ein Helfer musste kommen, der den Reiter zu sich auf sein Pferd herübernahm, und auch dieser Moment barg noch große Gefahren in sich. Manche Pferde bockten auch ohne Reiter weiter und mussten mit viel Geschick von zwei Helfern wieder aus der Arena gebracht werden.

Es war ein waghalsiger Sport, mit und ohne Sattel. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer war aufs äußerste gespannt. Zuerst wurde mit Sattel und Sporen geritten, dann kam die Reihe der Bewerber für den Ritt ohne Sattel, den Joe bevorzugte.

Die Teilnehmer waren Amateure, Männer, die im Beruf Pferd und Lasso brauchten und damit aufgewachsen waren. Das Provinz-Rodeo konnte nicht Preise bieten, die die Professionals anlockten, jene Cowboys, die an Spezialschulen für die Rodeos trainierten und dann von Wettkampf zu Wettkampf in den großen Zentren zogen.

Die meisten Zuschauer waren hier in New City wenigstens insofern sachverständig, als sie fast alle noch reiten gelernt hatten, wenn sie auch das Auto zur Fortbewegung bei weitem vorzogen. Die Zuschauer kargten dann auch nicht mit Kritik und Beifall, wenn schlecht oder besonders gut geritten wurde, und die Menschen hinter dem Zaun fühlten noch mit, was ein Reiter empfand, wenn er nach einem guten Kampf eine Sekunde zu früh geworfen wurde und seinen Einsatz verlor. Die Pferde selbst waren verschieden nach Kraft und Temperament, insofern waren die Vorbedingungen für die Reiter nie die gleichen, und mancher verdankte es nur dem größeren Phlegma seines Tieres, wenn er durchkam. Zierliche, gelenkige, blitzschnell reagierende Pferde wurden den Reitern meist gefährlicher als die größeren, stark erscheinenden, aber auch plumperen und langsameren.

Queenie schaute bei allen diesen Wettkämpfen zwischen Mann und Pferd nur wenig in die Arena. Ohne es sich anmerken zu lassen – diese Taktik hatte sie sich sehr schnell angeeignet –, beobachtete sie das Publikum. Nach dem letzten Ritt auf dem gesattelten Pferd, der mit einem Sturz des Reiters in der siebten Sekunde geendet hatte, entdeckte sie plötzlich den Burschen, der niemand anders als Jenny sein konnte. Er saß gegenüber auf der Tribüne, für sich allein, rechts und links waren noch Plätze frei. Wenn er nicht in Männerkleidern gesteckt hätte, hätte ihn wohl jeder für eine Frau gehalten. Es war etwas Unnatürliches an ihm.

Nach einer kurzen Pause begann das Reiten auf ungesattelten Broncs. Queenie wusste, dass ihr Mann den letzten Ritt hatte. Die ersten fünf Reiter beachtete sie daher noch kaum. Sie wusste aber, dass Harold und seine Blonde bei der Familie Booth auf der Tribüne saßen, dass Mike noch immer mit Rodeo-Angestellten und jenen Reitern, die ihr Pensum absolviert hatten, am Eingang der Teilnehmer stand und dass Jenny einsam und in gleichgültiger Haltung auf der Tribüne hockte. Sie war auch bei Margret gewesen. Niemand war bisher an das Auto herangekommen. Niemand hatte irgendein verständliches oder unverständliches Interesse dafür gezeigt.

Ein Mann, auf den die Charakteristika von James passten, war noch nirgends an ihrem Gesichtskreis aufgetaucht.

Mike hatte gelegentlich geklatscht. Jenny pfiff, als ein Pferd nicht bocken wollte. Es blieb schlicht und gemütsruhig stehen und war zu keinerlei Aktion zu bewegen. Als der Reiter das Tier, nicht eben in guter Laune, selbst wieder aus der Arena hinausführte, begann es plötzlich auszuschlagen. Aber nun war es zu spät. Die Preisrichter erlaubten keinen zweiten Versuch. Der Einsatz war verfallen.

Queenie konnte nicht entdecken, dass mit Mike jemand gemeinsam geklatscht oder mit Jenny gemeinsam gepfiffen hätte. Was die Polizei anbelangte, so stand sie mit einem bescheidenen Jeep bereit. Der Sanitätsdienst hatte einen Rettungswagen herangefahren, der vor allem für unglücklich gestürzte Reiter gedacht war.

Die Menschen gaben sich ungestört ihrem Sonntagsvergnügen hin. Die Kinder der verschiedenen Familien hatten schon Bekanntschaft miteinander gemacht und rannten im Zuschauerrevier unbekümmert und unbehindert über den Rasen und zwischen den zahlreichen parkenden Autos hindurch. Da es sehr heiß geworden war, machten die Budenbesitzer vor allem mit Eis und den erfrischenden Getränken ein gutes Geschäft.

Reiter Nr. 6, der Vorgänger Joe Kings, kam an die Reihe. Queenie richtete ihre Gedanken von nun an ausschließlich auf die Arena. Nr. 6 hatte ein strammes, aber phantasieloses Pferd. Als es mit einem Sprung dem Verschlag entronnen war, verlegte es sich ausschließlich darauf, seinen Rücken auf und ab zu schnellen, und zwar so rasch und spannkräftig, dass der Reiter bei jedem Mal in die Höhe und wieder auf den Pferderücken herunterflog. Es hatte auch ganz offenbar im Sinn, den Reiter an die Wand zu drängen, aber das misslang ihm. Mit dem Auf- und Abschnellen hatte es mehr Erfolg. Der Reiter, dessen Wirbelsäule bei jedem Schnellen mehr in Mitleidenschaft gezogen werden musste und dem es von halber Sekunde zu halber Sekunde schwerer fiel, das Gleichgewicht zu halten, stürzte nach siebeneinhalb Sekunden mit verzogenem Gesicht so schwer, dass er liegenblieb. Das Pferd aber hatte noch nicht genug. Es schnellte sich in seinem unglaublich schnellen Takt weiter, und der Gestürzte kam in Gefahr, auch noch von den Hufen getreten zu werden. Da die beiden Helfer sich um das aufgeregte Tier kümmern mussten, das wegzubringen ein Kunststück für sich blieb, sprang Joe King mit den Sanitätern in die Arena, um dem Gestürzten behilflich zu sein und ihn zu bergen. Als der Verunglückte die Sanitäter und den Rettungswagen sah, der jetzt vorsichtig in die Arena fuhr, winkte er plötzlich ab und erhob sich, äußerst mühsam, von dem Arzt und Joe geschickt gestützt. Queenie erkannte, dass ein kurzer Wortwechsel stattfand, dann wandte sich der nahezu Gelähmte von Arzt und Sanitätern ab und erlaubte nur Joe King, ihn langsam bis zu dem Bretterzaun zu führen. Dort blieb er, halb angelehnt, stehen. Joe sprach ihm offenbar gut zu, denn der hilflose Mann innerhalb der Arena war nicht nur selbst in Gefahr, sondern gefährdete auch noch alle in den folgenden Wettbewerben, die auf ihn Rücksicht nehmen mussten oder wollten. Doch blieb der Verletzte hartnäckig, und der Sanitätswagen fuhr wieder hinaus.

»Warum will er sich nicht fortbringen lassen?« fragte Queenie einen Mann, der neben ihr am Zaun stand und wie ein alt gewordener Cowboy und Sachverständiger wirkte.

Der Alte musterte die junge Frau, ob sie einer Antwort würdig sei, und sagte dann: »Weil er ein armer Teufel ist. Wovon soll er die ärztliche Hilfe und das Krankenhaus bezahlen, und von wem soll er noch einmal einen Ritt bekommen, wenn er den Invaliden spielt? Er selbst hat weder Pferd noch Geld. Warum kümmert Sie denn das?«

»Vielleicht, weil mein Mann der nächste sein wird.«

»Joe? Na, dann Hals- und Beinbruch. Der Schecke ist eine heimtückische Kreatur und hat im vergangenen Jahr schon zwei Boys zuschanden gemacht. Er gehört jetzt Krader, dem Händler. Es ist ein Hengst!«

»Sie waren selbst einmal Rodeo-Reiter?« fragte Queenie.

»Sie haben mit dem Gefängnisaufseher Rex gesprochen, liebe junge Frau. Aber mit sechzehn bin ich Cowboy gewesen; sieht man mir das immer noch an?«

»Alles blöde Kerle«, sagte eine unangenehme Stimme hinter Queenie und dem Alten. »Ich jedenfalls hätte den Affen nicht dort am Zaun stehenlassen.«

Queenie wandte sich nicht um, weil sie den Sprecher nicht sehen wollte und weil sie, auch ohne ihn anzusehen, wusste, wer er war. Diese Stimme hatte damals an ihrem Auto, in dem der betrunkene Bruder lag, gefragt, ob man dem Fräulein behilflich sein könne … Das musste James sein. Wenn sie wünschte, dass jemand nicht mehr auf der Welt wäre, so war er es. Er hatte zu denen gehört, die sich nachher in die Prärie schlichen.

Nr. 7, Bronc sattellos, Reiter Joe King, war an der Reihe.

Joe King, der sich selbst in diesem Moment als Stonehorn fühlte, saß schon auf der Wand des Verschlages, in dem der Schecke auf das Ausbrechen lauerte. Er ließ sich jetzt auf das Pferd hinunterfallen. Es stieg sofort, schon in der engen Box, schlug mit den Vorderhufen, und als der Verschlag hastig geöffnet wurde, war es nahe daran, ebenso rasch zu Boden zu gehen.

Das durfte aber nicht sein, damit wäre das Ende schon dagewesen. Stonehorn hatte nicht nur keinen Sattel, er hatte auch keinen der üblichen Zügel, sondern nur einen einzigen einseitig befestigten, dicken Strick zur Hand, wie es die Regel erforderte. Es gelang ihm, das Tier abzufangen und am Niedergehen zu hindern. Der erste Beifall kam auf. Dieser Hengst hatte Einfälle. Er warf seinen Reiter nur ein paarmal auf- und niederschnellend in die Luft, was dieser mit vorgestreckten Beinen, den einen Arm leicht nach hinten genommen, im Gleichgewicht parierte. Dann setzte der Schecke zu einem großartigen Sprung an und buckelte, alle viere in der Luft. Sein Reiter verlor den Hut, aber nicht die schwierige Balance. Das Tier hatte Sehnen! Hager war es, nicht zu groß und elastisch wie Gummi. Es kannte seine eigene Kraft und Geschicklichkeit, und daher rührte wohl sein Temperament. Kaum, dass seine Hufe den Boden wieder berührten, schlug der Hengst hoch nach hinten aus, und der Reiter musste sich flach zurücklegen, um nicht über den Hals zu fliegen. Es hing an einem Haar, dass das Pferd mit diesem Manöver gesiegt hätte. Ein paar bewundernde Schreie und anerkennende Pfiffe ertönten, aber darauf konnte Queenie jetzt nicht achten. Sie war bei ihrem Mann auf dem Pferd.

Der Schecke versuchte es mit seinen letzten Künsten. Er ging noch einmal mit allen vieren in die Luft und bockte – und jetzt – nein … es war ihm nicht gelungen, sich unter dem hochfliegenden Reiter zu Boden zu werfen. Den Bruchteil einer Sekunde früher war Joe wieder auf dem Rücken des Pferdes gelandet und hatte das Tier gezwungen, auf den Beinen zu bleiben.

Die Zeit war um.

Der Ansager selbst war in Begeisterung geraten über diese Leistung auf dem Rodeo von New City.

»Time for Joe King! Time for Joe King!«

Ja, die Zeit war gemacht und in einer bewundernswürdigen Haltung, mit vielen Pluspunkten. Aber die Helfer konnten nicht an das Tier herankommen. Obgleich Joe den aufreizenden Riemen schon gelockert hatte, bockte der Hengst weiter. Es verlegte sich jetzt vor allem darauf, so, wie es auch das vorhergehende Tier versucht hatte, auszuschlagen und den Reiter an die Wand zu drängen. Da die Helfer nicht durchkamen, sprang Stonehorn mit einem weiten, gefährlichen Sprung mitten aus dem Kampf mit dem Pferd ohne Hilfe ab und lief mit großen Sätzen zu dem Mann, der noch immer hilflos an dem Zaun stand. Unterdessen gelang es den berittenen Helfern, das Tier zum Ausgang zu drängen, wo es allmählich zur Ruhe kam.

Beifall brauste auf. Bronc ohne Sattel mit Joe King war ohne allen Zweifel die Bestleistung des Tages von Reiter und von Pferd gewesen, und es war eine Leistung, wie sie sonst nur auf den großen und berühmten Rodeos für hohe Preise von Professionals gezeigt wurde. Bronc mit Sattel, sonst ein traditioneller Höhepunkt, trat an diesem Tage in der Meinung der Zuschauer zurück.

Queenie hatte heiße Wangen. Sie war erfüllt von dem glücklichsten Gefühl der Liebenden, dem Stolz auf den Geliebten. Stonehorn selbst lag in der Baracke auf einer Matratze. Er spürte alle Knochen und alle Sehnen, seinen Kopf und alle Nerven.

Draußen wurde unterdessen das Kälberfangen mit Lasso als nächstes Ereignis bekanntgegeben, zunächst die einfache Übung, einem Kalb das Lasso über den Kopf zu werfen, es damit zum Sturz zu bringen und es so schnell wie möglich zu fesseln. Stonehorn war froh, dass er mit seinem Team erst zur folgenden Nummer gehörte. Er war jetzt schon wieder auf. Aber er fühlte sich etwas angeschlagen. Die Stöße beim Auf- und Niederschnellen wirkten auf jeden. Die Vorstellung, dass er heute noch das Ringen mit einem Stier vor sich hatte, machte ihm wenig Freude. Elk hatte natürlich recht gehabt. Aber der Schecke war unvergleichlich, und Stonehorn hatte einen einwandfreien ersten Preis nach Zeit und Punkten davongetragen. Wenn er bei dem steer wrestling, dem Niederzwingen eines schwarzen Bullen, wenigstens den Einsatz wieder herausholte, mochte es genügen. Das Vieh sollte ihn nur nicht schleifen und stoßen. Er hätte absagen können, aber daran hinderten ihn sein Ehrgeiz, auch das natürliche Aufleben seines Selbstbewusstseins, das lange Jahre gelitten hatte. Er zeigte sich draußen, damit es nicht aussah, als ob er doch in den vorgeschriebenen zehn Sekunden von einem Pferd erledigt worden wäre. Alles in allem: Stonehorn, ein Indianer, hatte einen Preis errungen. Er hatte nicht nur für sich etwas erreicht.

Der Verletzte am Zaun war inzwischen mit sanfter Gewalt hinausgeführt worden. Eivie war zur Stelle, kam aber nicht dazu, Stonehorn zu gratulieren, da er den Verletzten in seinem Wagen mitnahm, so dass der Rodeo-Arzt nicht beansprucht wurde.

Das Schauspiel des Kälberfangens, an dem sich die beiden anderen Indianer mit achtbarem Erfolg beteiligten, war eine Erholung. Dabei konnte nichts passieren. Es ging um die Geschicklichkeit. In noch höherem Maße galt das für das Kälberfangen im Zweierteam. Die Aufgabe bestand darin, dass der eine Lassowerfer das Lasso um den Kopf, der zweite das Lasso von unten her um ein Hinterbein warf. Das zweite war bedeutend schwieriger als das erste. Es erforderte eine viel schnellere Reaktionsfähigkeit und höhere Geschicklichkeit. Eine bestimmte Zeit war auch für diese Übung vorgesehen. Sechs Teams hatten sich gemeldet. Zum Ziel kamen nur zwei; dabei war es bei den übrigen vier immer das Hinterbein, das verfehlt wurde. Zu den beiden Siegerteams gehörte auch das von Stonehorn und Russell. Der Beifall war besonders freundlich, da man den Doppelsieger ehren wollte.

Queenie war sich ihrer Aufgabe als Beobachterin wieder bewusst geworden, aber sie hatte nichts entdeckt, was ihr noch von Belang schien. Mike, James und Jenny hielten sich voneinander fern, und sie hatte nicht verfolgen können, ob sie mit anderen in Verbindung standen.

Vor dem letzten Teil des Programms, dem Stierringen, waren das Wettreiten der Cowgirls auf ihren zierlichen, eleganten Pferden, anschließend eine längere Pause eingelegt. Die Musikkapelle unterhielt das Publikum. Stonehorn ließ sich nicht bei den Zuschauern sehen. Er hatte sich wieder in die Baracke zurückgezogen. Aus dem Rindergehege war Brüllen zu hören. Die Arena war schon stark von Pferdehufen zerstampft. Die Getränke in den Buden waren fast ausverkauft, und die Budenbesitzer ließen mit ihren Wagen Nachschub holen, um sich das gute Geschäft nicht entgehen zu lassen. Queenie besuchte Margret, die mit bewundernswerter Ausdauer beim Wagen saß, und ging noch einmal zu ihren Eltern.

Der letzte Teil des Programms begann. Die Aufgabe im Wettbewerb war folgende: Einer der schwarzen, schlanken, langhörnigen Stiere, die speziell gezüchtet wurden, wurde in die Arena gejagt. Er wurde von zwei galoppierenden Reitern verfolgt und in die Mitte genommen, damit er nicht zur Seite ausbrechen konnte. Dann hatte sich der eine der Reiter, der im Wettbewerb stand, vom Pferd auf den Stier mit einer Art Hechtsprung hinüberzuschwingen, ihn von hinten an den Hörnern zu packen, mit den Füßen auf den Boden zu gleiten und das galoppierende Tier zum Stehen zu bringen. War das gelungen, so begann die letzte Phase. Der Mann hielt den Stier noch an einem Horn, packte ihn mit der andern Hand an der Nase und versuchte, dem Starknackigen den Kopf so zu drehen, dass das Tier sich fallen lassen musste, um sich nicht das Genick zu brechen. Die schwarzen jungen Stiere waren wendig, schnell und kräftig. Der Ausgang des Kampfes zwischen Mann und Tier war immer ungewiss und die Übung sehr anstrengend, auch gefährlich. Ein Rodeo-Clown stand bereit, um im Gefahrenfall einzugreifen. An vielen anderen Plätzen wurden für diesen Wettbewerb anstelle der Stiere Ochsen gebraucht – daher die Bezeichnung steer wrestling –, aber in New City hielt man an der gefährlicheren Gewohnheit fest. Stonehorn war an vierter Stelle angesetzt. Er wurde wieder mit Beifall begrüßt, aber diesmal war der Vorapplaus schwächer. Manche meinten wohl, dass dieser Mann sich zu sehr vordränge. Wollte ein Indianer allround champion werden?

Stonehorn hatte ein geborgtes Pferd, da er seine eigenen Pferde aus einem gewissen Misstrauen heraus für diesen Zweck nicht nach New City hatte bringen wollen. Es wäre auch mit weiteren Kosten verbunden gewesen. Was das Pferd anbetraf, so kam es darauf an, dass es sehr rasch ein hohes Tempo beim Galopp erreichte und dass sein Galopp schnell war, kurzum, dass es die gleichen Eigenschaften wie ein guter Wagen besaß. Die Strecke, auf der sich alles abspielte, und die gegebene Zeit waren relativ kurz, und es galt als einer der springenden Punkte für den Ausgang des Kampfes, wann der Reiter den Stier einholen und fassen konnte. Noch wesentlicher aber war, was für ein Tier man dem Reiter gab. Die Stiere waren von verschiedener Findigkeit. Stonehorn hatte das Gefühl, dass man ihm die letzte Aufgabe schwer machen würde. Es gab sicher genug Leute, die ihn einmal im Grase liegen sehen wollten.

Der Stier, auf den es ankam, war aus dem Gehege geholt und an die gegenüberliegende Seite der Arena gebracht worden. Er strebte natürlicherweise, sobald er freigelassen wurde, zu seiner Herde zurück; er wurde dazu auch noch beim Start angetrieben.

Er preschte los, und die beiden Reiter kamen ihm im gestreckten Galopp von hinten rechts und links zur Seite.

Queenies Augen waren in Besorgnis und Spannung aufgerissen, als sie beobachtete, wie ihr Mann vom Pferderücken auf den langhörnigen Stier hinüberhechtete, wie sein Pferd zurückfiel, wie er mit den Füßen zu Boden glitt, die beiden Hörner noch in den Fäusten, und wie er versuchte, das Tier in seinem Galopp zu bremsen. Es war ein starkes Tier, und Stonehorn war zwar sehr gewandt und schnell, aber er war kein Muskelprotz. Er durfte auch nicht so lange mit dem Tier um die Wette laufen, wie er vermochte – die Strecke und die Höchstzeit waren vorgegeben –, er musste das Tier stoppen. Es war ein starker und entschlossener junger Stier – Joe musste ihn stoppen, oder das Geld war verfallen. In den Gesichtern vieler Zuschauer malte sich schon die Besorgnis, wie der Kampf ausgehen werde, denn Stonehorn war gestolpert, und es hätte nur noch eines kleinen Fehltritts bedurft, und schon wäre er von dem triumphierenden Tier im Staub geschleift, abgeschüttelt und mit den Hörnern angegriffen worden. Der Stier spürte wohl, dass er Aussichten hatte. Er setzte seine Kraft voller Angst und Wut ein. Da … doch – er stand.

Stonehorn hatte sofort den Griff gewechselt und mit der einen Hand dem Stier in die Nase gegriffen, um den Kopf zu drehen. Eben der erste Ruck war dabei wichtig. Stonehorn wurde es schwarz vor den Augen vor Anstrengung. Nur in ganz jungen Jahren war es Männern überhaupt möglich, in diesem Kampf zu siegen. Die Älteren mussten sich von einer solchen Aufgabe zurückhalten. Sie verloren die Kraft, oder sie verloren die Schnelligkeit, die beide in hohem Maße erforderlich waren.

Stonehorn kämpfte. Der Stier stand wie aus Stein gehauen und hielt seinen starken Nacken steif. Er drückte gegen die Kraft der Arme, die allein durch die Hebelwirkung des langen Hornes siegen konnten. Höchstens fünf Sekunden blieben noch, dann hatte Joe überhaupt keine time mehr; jetzt hatte er schon eine schlechte! Er wusste das nicht, aber er fühlte die Spanne … und er fühlte die Kraft, die ihm entgegenstand. Endlich … ein letzter wütender Ruck: Der Stier gab nach und ließ sich fallen. Stonehorn stand gebeugt, zitternd, nass von Schweiß am ganzen Körper. Sein Puls ging schnell. Er hielt sich mit Mühe auf den Beinen, und er hörte nur wie von ferne die Stimme des Ansagers: »Time for Joe King.«

Er fuhr sich mit der Hand über das Haar – den Hut hatte er längst wieder verloren – und ging zum Ausgang zurück. Er erkannte wieder Farben und Helligkeit, aber alles tanzte noch um ihn. Doch fand er den geraden Weg. Er sah ein Lächeln der anderen Teilnehmer, der Helfer, der Angestellten, die ihn am Tor empfingen. Sie wussten, wie den Männern nach einem solchen steer wrestling zumute war. Einer hatte den Hut aufgehoben und brachte ihn Stonehorn.

Der allgemeine Beifall blieb schwach; er wirkte nur als ein Ausdruck der Erleichterung darüber, dass kein zweites Unglück an diesem Tage geschehen war. Doch schnitt durch das verbreitete Plätschern des Händeklatschens von einer Seite her ein frenetisch anerkennendes Johlen für Joe King, der drei Wettbewerbe erfolgreich bestritten und den besten Preis des Tages gewonnen hatte. Die Allround-Kombination der Leistungen war äußerst rar.

Queenie hatte hin und wieder die Gruppe der Indianer beobachtet, die sich am Zaun zusammengefunden hatte; es waren Indianer aus der Reservation und Indianer aus den Slums, und von dort war der erste Anstoß zur Beifallsdemonstration gekommen. Eine gegnerische Gruppe schien geschlossen oben auf der Tribüne bei Jenny zu sitzen. Von dort schrillten abfällige Pfiffe. Seinen Einsatz für das Stierringen bekam Stonehorn zurück und ein paar Dollars dazu. Punkte hatte er diesmal drei geholt: beim schnellen Einholen des Rindes und bei dem geschickten Hinüberwechseln sowie bei dem ersten Ruck, mit dem er den Kopf des Stieres zu drehen begann.

Die Musik setzte zu einem letzten Schlager an, das Rodeo war zu Ende, und die Menge der Zuschauer war schon in Bewegung. Stonehorn fand sich bei seinem Wagen ein. Queenie sah ihm an, dass sein Kopf blutleer war und dass sein Rücken und seine Schultern mehr angegriffen sein mussten, als er zugeben wollte. Sie machte Miene, an das Steuer zu gehen. Aber er war schneller, setzte sich auf den Fahrersitz und fuhr Queenie sowie seine Schwester und diesmal die beiden Mädchen zu Elks Haus. Bei Elk verabschiedete sich Margret. Die Kinder sprachen nur von dem Rodeo und würden des Nachts von Joe träumen, dem sie nacheifern wollten.

Stonehorn warf sich auf das Schlafgestell, auf dem er die Nacht verbracht hatte, und übergab Queenie das Geld, das ihm ausbezahlt worden war.

»Das Pferd müsste ich haben, den Schecken«, war sein erstes Wort.

»Er gehört Krader«, teilte Queenie mit.

»Dem feisten Wucherer! Der Bursche ist nicht wert, über ein solches Tier zu verfügen.« Joe schaltete rasch um. »Queenie, hast du außer Mike, Jenny und James noch irgend jemanden oder irgend etwas beobachtet?«

»Sie haben zum Schluss auf der Tribüne gegen dich gepfiffen. Sonst waren sie sehr vorsichtig. Oder ich war zu unaufmerksam, wenn ich dich in der Arena sah.«

Stonehorn aß und trank, rieb seine Schultern und machte etwas Gymnastik. »Verdammter Stier«, sagte er. »Sie haben mir da einen ausgesucht … der hatte Kraft in sich, und ich war auch schon zu müde. – Aber gerade, während ich in der Arena war, hättest du aufpassen müssen, denn so lange konnte ich es nicht tun.«

Queenie senkte den Kopf wie ein gescholtenes Kind.

»Sei nicht traurig, Liebste. Zum Schluss haben sie sich selbst verraten. Ich weiß, wer da ist.«

Stonehorn fing an, seine Waffen sorgfältig zu überprüfen. Als er mit dem Ergebnis zufrieden war, fragte er Queenie: »Was hast du denn mit Mike gesprochen?«

»Dass ich deine Frau und schon lange deine Frau sei.«

Stonehorn hob rasch den Kopf. »Offenbar hast du den sechsten Sinn. Das eben brauchte ich … was du da gesagt hast. Ich bin nicht der Angeklagte, ich bin der Ankläger … – Hast du übrigens bemerkt, wo Familie Booth hingegangen ist? Auf einmal waren sie weg.«

»Sie sind mit ihrem Wagen noch vor dem Ende des Rodeos weggefahren. Was hat sich Harold da nur herangeholt!«

»Findest du nicht, dass sie zu ihm passt? Ich finde das. Dumm, aber gut frisiert. Mollig und leicht zu haben. Verführerisch und entführend …«

»Ach so.«

Stonehorn legte sich wieder hin. »Ich schlafe jetzt drei Stunden, Queenie. Dann gehen wir tanzen. Die Miss Rodeo ist noch nicht gewählt. Sie hatten ihr eigenes Rodeo nicht ganz ernst genommen, aber nun ist ihnen eingefallen, was noch dazugehört. Sie wollen sich also nachträglich eine Miss Rodeo wählen; Mike ist im Komitee. Die Vorstellung erfolgt beim Tanz mit den ›Newt Beats‹. Das gibt eine doppelte Attraktion.«

»Wozu brauchen wir noch eine Miss Rodeo! Das ist unsportlich und darum unsinnig. Rodeo-Queen ist Joan Howell, die am besten geritten hat. Nächstes Jahr will ich mit meiner Stute dabeisein.«

»Noch nicht, Queenie. Du gehst auf die Kunstschule, und du trägst unser Kind. Du kannst nicht trainieren.«

Queenie-Tashina seufzte ein wenig.

Stonehorn rauchte noch eine Zigarette, dann fiel er ohne Übergang in einen tiefen Schlaf.

Nacht über der Prärie

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