Читать книгу Eva sieht rot - Liza Cody - Страница 6
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ОглавлениеIch habe gesagt, dass ich gerne Geschichten höre, aber diese gefiel mir nicht besonders. Außerdem habe ich sie schon viel zu oft gehört. Mit anderen Namen und anderen Worten kommt sie dir doch bestimmt auch bekannt vor.
Crystal döste auf meiner Couch ein, also ging ich raus und patrouillierte mit Ramses und Lineker noch ein paarmal durch das Gelände.
»Ein Glück, dass du kein Weibchen bist«, sagte ich zu Lineker. »Du bist genau die Sorte, die sich von einem verheirateten Kerl ein Kind anhängen lassen würde.« Er war schlank, schön und dösig, und wenn er Ramses und mich nicht gehabt hätte, die ihn auf Trab hielten, wäre er von allen nach Strich und Faden ausgenutzt worden.
Als ich noch jung war, habe ich andauernd solche Geschichten gehört. Wenn du viel Zeit in Besserungsanstalten und Heimen verbringst, hörst du so ziemlich alles, was einem Mädchen überhaupt zustoßen kann. Und eines kann ich dir sagen, die Liebe kann ein verdammt tödliches Spiel sein. Was für die Mädchen Liebe ist, ist für die Jungen Gebumse, nur wollen das die Mädchen nicht wahrhaben. Ich bin bloß froh, dass ich mehr Rückgrat habe.
Wetten …? Du denkst jetzt bestimmt, ich habe keinen Schimmer, wovon ich rede. Du wirfst einen Blick auf mich und denkst, auf die war nie einer scharf. Was weiß die schon von Sex? Das beweist mal wieder, wie wenig Ahnung du hast.
Ich habe es einmal probiert, und es hat mir nicht gefallen. Jetzt weißt du’s.
Na ja, eigentlich habe ich es nicht probiert. Sondern jemand hat es mit mir gemacht. Aber gefallen hat es mir trotzdem nicht. Und um die Wahrheit zu sagen, er hatte auch nicht viel davon. Vor allem nicht, nachdem ich seine Hose in den Heizkessel geschmissen hatte. In einem Heizungskeller ist es nämlich passiert – als ich mal wieder im »Heim« war. Ich habe oft den Unterricht geschwänzt und mich im Heizungskeller verkrochen, weil es der wärmste Raum in dem ganzen Bau war, und eines Nachmittags hat mich der Hausmeister erwischt. Er sagte, er würde mich nicht verraten, wenn ich mich von ihm betatschen ließe. Haha. Jedenfalls hat er seine Hose verloren, und ich habe rausgekriegt, wo manche Mädchen ihre Süßigkeiten und Zigaretten herhatten.
Und so was sollte ein »Heim« sein? Dass ich nicht lache!
Was du in diesen Anstalten natürlich nie hörst, sind die Geschichten von den Mädchen, die den todschicken Kerl im großen roten Wagen geheiratet haben. Denn irgendeine muss ihn sich ja schließlich geangelt haben, oder? Sonst hätte er wohl kaum Frau und Kinder gehabt. Und vielleicht glaubte sie, sie wäre sein Ein und Alles. Vielleicht sind sie samstags zusammen losgezogen und haben Tapeten für das Gästezimmer ausgesucht. Vielleicht hat sie nie etwas von der kleinen Dawnie und dem blauen Baby erfahren. Oder sie wusste es doch. Vielleicht hat sie sich von ihm scheiden lassen und ihn ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Oder sie ist immer noch mit ihm zusammen, kocht ihm das Essen und sieht sich mit ihm seine Lieblingssendungen im Fernsehen an, weil sie nicht an seine Kröten rankommt und lieber unglücklich sein will als arm.
Wer die Mäuse hat, hat die Macht, sage ich immer. Deshalb will ich auch so viel Kohle wie möglich machen. Und wenn ich dann reich und berühmt bin, muss ich nie mehr irgendwelchen Geldsäcken in den Arsch kriechen.
Als ich keine Lust mehr hatte, Lineker zuzusehen, wie er Ratten jagte, ging ich zurück in den Hänger. Crystal war wieder wach und hatte den Kessel aufgesetzt. Ihr kleines Affengesicht war todtraurig, und ich fand, es wurde langsam Zeit, dass sie nach Hause ging. Sie machte mir Beulen in mein sonniges Gemüt.
Aber sie sagte: »Wenn ich bloß wüsste, was für Schweine das gewesen sind, Eva. Es war nämlich mehr als einer. Die Mädchen haben gesagt, dass Dawn mit zwei Kerlen rausgegangen ist, und ihr Körper war mit Abdrücken von Fäusten und Stiefeln übersät.«
»Falls ich den Selbstverteidigungskurs gebe«, sagte ich, »lautet eine meiner ersten Regeln: ›Nimm dir nie mehr als einen Kunden auf einmal vor.‹ Blöder geht’s doch wirklich nicht.«
»Dawn war nicht sehr helle«, sagte Crystal.
»Na ja, sie war aber auch ziemlich abgefüllt«, sagte ich großmütig. »Vielleicht hat sie doppelt gesehen.«
»Sie hatte kein Geld mehr bei sich«, sagte Crystal. »Die Scheißkerle müssen sie auch noch ausgeraubt haben.«
»Vielleicht hat sie alles versoffen.«
»Nein«, sagte Crystal. »Die Mädchen haben gesagt, ihren letzten Drink hätte sie mit einer Zehnpfundnote bezahlt.«
»Die nächste Regel«, sagte ich. »Immer schön dein Geld bei dir behalten. Ist doch Schwachsinn, mit großen Scheinen zu wedeln und irgendwen auf dumme Gedanken zu bringen.«
»Ich glaube nicht, dass es um das Geld ging«, sagte Crystal. »Es waren doch bloß ein paar Pfund. Und sie hat auch nicht gerade reich ausgesehen. Im letzten Jahr jedenfalls nicht mehr. Da machte sie eher einen abgerissenen Eindruck.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich habe sie gesehen.« Wie aus der Gosse gezogen. Keine Selbstachtung.
»Aber mir hat sie trotzdem etwas bedeutet«, sagte Crystal. »Sie war meine Dawnie. Nur konnte ich ihr das Saufen nicht abgewöhnen und das Anschaffengehen auch nicht. Das habe ich nie geschafft. Auch früher nicht, als wir noch jünger waren. Und jetzt gibt kein Schwein mehr einen Pfifferling für sie. Den Bullen ist sie egal. Die suchen noch nicht mal nach dem Mörder. Die sagen, für eine wie Dawn ist so was Berufsrisiko.«
»Typisch«, sagte ich. Es soll keiner behaupten können, dass ich mit der Polizei einer Meinung bin, aber diesmal hatten die Bullen gar nicht so unrecht.
»Also, Eva«, sagte Crystal. »Wenn ich herauskriege, wer es war, hilfst du mir dann, die Kerle umzubringen? Oder mich sonst irgendwie zu rächen?«
Was für eine Frage! Ich sollte wegen Dawn jemand umbringen? Crystal musste verrückt geworden sein. Je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass sie tatsächlich übergeschnappt war. Wenn meine Schwester in einem Kühlfach liegen würde, von oben bis unten mit Stiefelabdrücken übersät, wäre ich wohl auch durchgedreht. Aber wegen Dawn würde ich mich in nichts hineinziehen lassen. Nie im Leben.
»Okay«, sagte ich. »Du suchst sie, und ich zahle es ihnen heim.«
Mir blieb nichts anderes übrig. Crystal war schließlich wahnsinnig. Mit Wahnsinnigen kannst du nicht diskutieren, weil du sonst selber wahnsinnig wirst. Und zum Schluss gibst du ihnen sowieso recht. Da kannst du dir die Diskutiererei genauso gut sparen und ihnen gleich recht geben.
Ausnahmsweise hatte ich diesmal das Richtige gesagt, denn Crystal trank ihren Tee aus und döste wieder ein. Doch noch im Schlaf sah sie einsam und verlassen aus. Aber sie war mir im Weg. Ich musste um sie herumschleichen, damit sie nicht aufwachte und womöglich noch ein paar grandiose Ideen hatte, die nur ein Mensch mit einem Gehirn-Bypass verstanden hätte.
Irgendwie brachte ich die Nacht rum, dann sperrte ich die Hunde ein und ging ins Bett. Und dann musste ich natürlich davon träumen, was sonst? Der Kummer anderer Leute ist ansteckend. Den fängst du dir ein wie einen Schnupfen. Na gut, du vielleicht nicht. Kann sein, dass ich zu sensibel bin. Genau, das ist es. Aber in einem Traum kommt alles ganz verquirlt wieder hoch. Denn mir ist zwar Crystals Schwester scheißegal, aber an meiner Schwester liegt mir was. Und in diesem Traum hatte ich ein Baby. Nur war es kein Baby, sondern meine Schwester Simone, und sie war ganz grün und blau. Und sie war tot. Aber das Schlimmste war, dass sie sich immer wieder aufsetzte und mir ihr blau-grünes Gesicht hinhielt und so Sachen sagte wie: »Du hättest das nicht zulassen dürfen. Du hättest auf mich aufpassen müssen.« Und ich sagte: »Was nicht zulassen dürfen? Du bist doch nur ein Baby.« Und: »Ich kann kein Baby haben. Du bist meine Schwester.« Und ich wollte, dass es aufhörte. Ich wollte weglaufen. Aber ich konnte mich nicht bewegen.
Ich hatte wirklich die Nase voll, das kann ich dir flüstern. Und es war alles Crystals Schuld. Endgültig genug von ihr hatte ich, als sie mich am nächsten Mittag um eins weckte. Ich hatte entschieden zu wenig geschlafen.
»Was hast du denn für eine Stinklaune?«, sagte sie. »Reiß dich zusammen. Wir gehen ins Full Moon.«
»Typischer Fall von denkste«, sagte ich. »Ich gehe nirgendwohin.« Ich drehte mich um und zog mir den Schlafsack über die Ohren. Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Und außerdem hatte ich nie versprochen, dass ich mitkommen würde. Ich hatte bloß gesagt, ich würde es mir überlegen.
»Das sieht dir gar nicht ähnlich, einen gut bezahlten Job abzulehnen«, sagte Crystal. »Ein paar von den Frauen schwimmen im Geld.«
Ich machte die Augen zu und sagte nichts.
»Ist auch egal«, sagte Crystal. »Es gibt schließlich genug Kerle, die Kung-Fu und so was draufhaben. Bella könnte einen von denen anheuern. Kein Problem. Einen von deinen Kollegen aus dem Fitnessstudio. Wahrscheinlich haben die sowieso viel mehr Ahnung als du.«
Ich war schon die halbe Mandala Street hinaufgestürmt, Crystal im Schlepptau, als mir wieder einfiel, was sie für eine Type ist. Such dir einen Doofen und nimm ihn aus, das ist ihre Devise. Das sollte auf ihrem Grabstein stehen. Und den wird sie früher kriegen, als sie denkt, wenn sie meint, sie kann mich genauso um den Finger wickeln wie ihre unterbelichteten Kunden. Die hinterlistige kleine Kuh.
Wir mussten die ganze Mandala Street hoch, also auch über den Markt. Unterwegs riefen die Leute ihr nach: »Mein Beileid, Spätzchen«, und: »Sag mir Bescheid wegen der Beerdigung, Crys. Ich wollte ein paar Blumen schicken.« Lauter solche Sachen. Crystal kannte jeden. Zu mir hat keiner ein Wort gesagt, obwohl mein Name auf Plakaten steht.
Das Full Moon war gerammelt voll. Die Einzigen, die fehlten, waren Bella und ihre Truppe. Typisch. Diese Schlampen waren so unzuverlässig, dass sie es nicht mal für nötig hielten aufzukreuzen, wenn es etwas zu lernen gab, was ihnen vielleicht das Leben retten konnte. Ich hatte mir extra die Mühe gemacht zu erscheinen. War es zu viel verlangt, dass auch sie sich aufrafften?
Crystal machte sich auf die Suche nach ihnen, und ich bestellte mir eine Fleischpastete mit Pommes. Harsh sagt nämlich, ich soll mehr Gemüse essen. Pommes sind schließlich Kartoffeln, oder? Und Kartoffeln sind Gemüse. Ich weiß wirklich nicht, was Harsh immer gegen Pommes hat.
Harsh sagt auch, ich soll Obstsaft trinken, deshalb bestellte ich mir ein Lager & Lime, also Bier mit Limonensaft, obwohl das ein ziemlicher Tuntentrunk ist. Ich fühlte mich sehr tugendsam. Nach Obst und Gemüse zum Frühstück konnte ich nun den Rest des Tages essen, worauf ich Lust hatte.
»Bist du also doch gekommen«, sagte Bella, als sie endlich aufkreuzte.
»Immerhin noch vor dir«, sagte ich.
»Das ist Eva Wylie«, sagte Bella zu den beiden Frauen, die hinter ihr standen. »Und das sind Stef und Mandy«, sagte sie zu mir.
Crystal sagte: »Kath und Lynn mussten erst noch stempeln gehen. Sie kommen so bald wie möglich nach.«
Also nahm ich in der Zwischenzeit schon mal Stef, Mandy und Bella unter die Lupe. Und soll ich dir was sagen? Gurkentruppe wäre für diese Bande noch ein Kompliment gewesen. Bella war nur zwei Fingerbreit größer als Crystal, Stef war ein magerer kleiner Zombie, und Mandy hätte eine Abmagerungskur gebraucht, um in ein Zirkuszelt zu passen. Wenn die drei einen einzigen funktionstüchtigen Muskel hätten vorweisen können, wäre ich ziemlich überrascht gewesen.
»Turnschuh«, sagte ich.
»Was?«, sagte Crystal.
»Fit wie ’n Turnschuh, aber ein ganz ausgelatschter«, sagte ich. »Besonders gut in Form sind die nicht.« Das war noch höflich ausgedrückt.
»Wieso in Form?«, sagte Mandy. »Ich will doch nicht hoffen, dass wir genauso aussehen müssen wie du.«
»Dann würde ich nicht mehr viel verdienen«, sagte Stef. »He, Bella, wir sehen doch hinterher nicht etwa aus wie die, oder?«
»Ich finde muskulöse Frauen widerlich«, sagte Mandy, der Fettkloß.
»Muskeln sind nicht feminin«, sagte Stef.
»So redet man nicht mit seiner guten Fee«, sagte ich und stand auf. Von mir aus sollten sie sich ruhig die Rübe weichklopfen lassen. Es geschah ihnen ganz recht. »Wenn ihr meint, als wandelnde Zielscheibe durch die Gegend zu stöckeln wäre feminin«, sagte ich, »kann ich euch nur viel Glück wünschen. Dann habt ihr es nicht anders verdient.«
»Was bildest du dir ein, uns so anzufauchen?«, kreischte Bella. »Ich dachte, du hättest wenigstens etwas Verständnis. Du bist auch nicht besser als ein Mann – uns wegen unserem Beruf schlechtzumachen.«
»Und ihr seid auch nicht besser als Männer, wenn ihr euch über mein Aussehen lustig macht«, sagte ich. »Ich bin wahrhaftig kein Ölgemälde, aber mir geht keiner an die Wäsche, es sei denn, ich werde dafür bezahlt.«
»Das würde doch sowieso keiner wollen«, sagte Mandy.
»Ruhe, Ruhe, Ruhe«, brüllte Crystal. Für einen Gartenzwerg hatte sie eine ziemlich kräftige Lunge. »Ruhe und hinsetzen. Alle wie ihr da seid.«
Ist es zu glauben? Wir hielten tatsächlich die Klappe und setzten uns hin. Diese Crystal. Sie sah aus wie eine Maus unter Atomstrom. Wenn einer das Licht ausgemacht hätte, hätte sie im Dunkeln geleuchtet.
»Was ist denn mit euch los?«, sagte sie. »Ihr seid ja allesamt reif für die Klapsmühle. Gestern ist Dawnie gestorben. Nur ein paar Meter von hier. Und gestern habt ihr hier gesessen und gejammert: ›Was sollen wir machen? Was sollen wir bloß machen? Hier treibt sich ein Killer rum. Wir sind unseres Lebens nicht mehr sicher.‹ Und was ist jetzt? Denkt denn keiner mehr an Dawn? Denkt ihr nicht einmal mehr an euch selber? Wenn ihr im Leichenschauhaus gewesen wärt, wenn ihr sie gesehen hättet, keinen heilen Knochen mehr im Leib, würdet ihr bestimmt noch dran denken. Dann hätte eure Angst länger als vierundzwanzig Stunden vorgehalten.«
»Ich habe ständig Angst«, sagte Bella. Was darauf schließen ließ, dass sich unter all der Schminke und all den Haaren tatsächlich so etwas wie ein Hirn verbarg. Ich hätte auch Angst, wenn ich so ein Würstchen wäre wie sie und in einem Rock rumlaufen müsste, der nicht breiter ist als ein Hutband. So was ist kein Rock, so was ist eine Oberschenkelfessel.
»Schluck’s runter«, sagte Crystal, als ob sie Gedanken lesen könnte. »Wehe, du sagst was. Halt die Klappe und hör dir an, was sich hier abspielt. Bella, du bist am längsten im Geschäft. Erzähl du ihr, worüber ihr gestern geredet habt.«
»Über drei tote Frauen haben wir geredet«, sagte Bella. »Sie haben alle in dieser Gegend gearbeitet. Sie kamen alle in diese Kneipe. Wir glauben, dass es irgendwer auf uns abgesehen hat.«
»Sie könnten auch zu zweit sein«, sagte Mandy. »Dawn ist mit zwei Kerlen abgezogen.«
»Aber ihr habt sie doch nicht gesehen«, sagte Crystal. »Das habt ihr zumindest den Bullen erzählt.«
»Na ja, irgendwie haben wir sie schon gesehen«, sagte Bella. »Aber andererseits auch wieder nicht. Bloß, dass es zwei Typen waren. Ich habe nicht besonders auf sie geachtet. Ich achte nur auf die, die auf mich achten. Tut mir leid, Crys.«
»Wir haben alle nicht aufgepasst«, sagte Stef. »Und jetzt laufen da draußen zwei Killer rum, und wir würden sie nicht wiedererkennen.«
»Vielleicht sind sie gar nicht da draußen«, sagte Mandy. »Vielleicht sind sie hier drin.«
»Und glotzen uns an«, sagte Stef.
»Und nehmen schon die Nächste aufs Korn«, sagte Mandy.
»Sucht euch eine andere Stammkneipe«, sagte ich. Sie sahen mich an, als ob ich nicht ganz dicht im Kopf wäre. Aber während sie schnatterten und sich gegenseitig Angst machten, hatte ich schon ein bisschen darauf geachtet, wie die anderen Gäste sie beäugten. Normalerweise sehe ich nur Menschen, Gesichter. Aber diesmal sah ich Männer, nichts als Männer. Wenn du die unterschiedlichsten Männertypen beobachten willst, brauchst du dich nur einmal mit einem Trupp Professioneller in eine volle Kneipe zu setzen.
»Dieser Pub hat seine Vorteile«, sagte Bella.
»Was für Vorteile?«
»Der Markt«, sagte Bella. »Viele Leute, die auf den Markt gehen, kommen auf ein Gläschen hier rein.«
»Er hat den ganzen Tag geöffnet«, sagte Mandy. »Wir können uns die Arbeitszeit selber aussuchen.«
»Der Wirt lässt uns in Frieden«, sagte Stef.
»Wir wohnen in der Nähe«, sagte Bella. »Die Blagen wissen, wo sie uns finden, und wir können sie ein bisschen im Auge behalten.«
»Du kannst ja noch von Glück sagen«, sagte Stef. »Du hast einen Opa als Babysitter. Aber mir haben die Bullen meinen Trevor weggenommen.«
»Ihr Freund«, sagte Bella. »Wegen Zuhälterei, hieß es.«
»Die haben mir meinen Babysitter eingelocht«, sagte Stef. »Das ist einfach nicht fair.«
»Scheiße«, sagte ich. »Heißt das etwa, ihr habt alle Kinder?« Und ich dachte immer, meine Ma wäre die größte Schlampe.
»Ein paar von uns«, sagte Bella. »Was dachtest du denn? Dass man keine Kinder haben darf, wenn man auf den Strich geht?«
»Davon hat sie kein Wort gesagt«, sagte Crystal. »Fang nicht schon wieder an. Bleib bei der Sache. Und die Sache ist doch die, dass ihr Hilfe braucht. Stimmt’s?«
»Wie soll man denen denn helfen?«, sagte ich zu Crystal. »Weil sie Geld verdienen wollen, müssen sie alleine sein. Sie müssen schon selber auf sich aufpassen.«
»Zeigt ihr die Gasse und den Parkplatz«, sagte Crystal. »Damit sie sich ein Bild machen kann.«
»Zeig du sie ihr doch«, sagte Bella. »Sie will nicht mit uns ›Schlampen‹ gesehen werden. Sie hält sich für was Besseres.«
Wie witzig! Ist dir das auch schon aufgefallen? Dass ausgerechnet die Leute, die auf dich runtersehen, dir vorwerfen, du würdest dich für was Besseres halten? Achte mal drauf, und du wirst sehen, dass ich recht habe.
Diese Schlampen sahen auf mich runter! Und nur, weil ich groß und kräftig und nicht feminin genug für sie bin. Und mir meine Brötchen mit ehrlicher Arbeit verdiene. Auf jeden Fall mit ziemlich ehrlicher Arbeit. Was Besseres als diese Schlampen? Und ob ich was Besseres bin!
»Was wollt ihr trinken?«, fragte Crystal schnell. »Los, Eva, wir holen eine Runde. Ich gebe einen aus.«
Also gingen wir an die Theke. Was mir nur recht war, ich hätte es keine Minute länger an dem Tisch ausgehalten. Sie waren solche Luschen, alle durch die Bank. Sie konnten es gar nicht abwarten, ins Kühlfach zu klettern und sich neben Dawn zu legen. Ich hasse Frauen, die herumstolzieren, als ob sie sagen wollten: »Hier bin ich, du kannst mich haben, und wenn du es auf die härtere Tour willst, bitte sehr. Ich kann sowieso nichts dagegen machen außer jammern.« So ein Benehmen bringt uns alle in Verruf.
Ich bin nicht so. Bin noch nie so gewesen. Werde nie so sein. Und ich bin froh drum.
»Es ist ein Job«, sagte Crystal. »Es ist doch bloß ein Job, Eva.« Wir standen an der Theke und warteten darauf, bedient zu werden.
»Was mich stört, ist gar nicht der Job«, sagte ich, obwohl es gelogen war. »Was mich stört, ist die Einstellung.«
»Du darfst sie nicht verurteilen«, sagte Crystal. »Ich habe Dawnie auch nie verurteilt. Eine Zeit lang dachte ich, sie würde sich ein bisschen Geld zusammensparen und Kosmetikerin werden. Fürs Schminken hatte sie nämlich ein Händchen. Und sie hätte ihren eigenen Salon aufmachen können. Sie hat ja auch nicht schlecht verdient. Aber sie konnte mit Geld nicht umgehen. Was sie verdient hat, hat sie ausgegeben. Sie hat nie was zurückgelegt. Es hat keinen Sinn, sich die Leute so zu wünschen, wie man sie gern hätte. Klüger, vorsichtiger oder stärker.«
»So was kann man lernen«, sagte ich.
»Kann man nicht«, sagte Crystal. »Okay, das eine oder andere kann man vielleicht doch lernen. Aber ich kann nicht lernen, groß oder hübsch zu sein. Du kannst nicht lernen, Einstein zu sein, und Dawn konnte nicht lernen, eine berufstätige Frau zu sein, nur um mir einen Gefallen zu tun. Jeder ist so, wie er ist.«
Und dann waren wir endlich an der Reihe. Der Wirt sagte: »Was soll’s denn sein, Crystal?«
Und Crystal wollte gerade die Bestellung aufgeben, als die Wirtin rüberkam und sagte: »Das geht aufs Haus, Crystal. Es tut uns sehr leid wegen deiner Schwester.«
Crystal sagte: »Danke, aber ich wollte eine Runde ausgeben, und wir sind zu fünft«
Die Wirtin sah zu dem Tisch, an dem Bella, Stef und Mandy saßen. Sie sagte: »Na gut, ausnahmsweise. Die Mädels sind bestimmt auch ziemlich fertig mit den Nerven.«
Und sie spendierte uns allen einen Drink, sogar mir. Es war nicht zu übersehen, dass jeder große Stücke auf Crystal hielt. Vielleicht, weil keiner sie so gut kannte wie ich. Ich kannte sie schon, als sie noch eine kleine Diebin und Schnorrerin war. Wahrscheinlich ist sie das heute noch. Woher hätte sie sonst den ganzen Trödel, den sie an ihrem Stand verkauft?
Aber so hatte sie überlebt, als sie noch gefroren und gehungert hat und nicht einmal einen Pinkelpott ihr Eigen nannte – mit Stehlen und Schnorren und damit, dass sie immer einen Doofen fand, den sie ausnehmen konnte.
Und ich habe überlebt, weil ich groß war und gelernt habe stark zu sein.
Und Dawn? Dawn hat schließlich nicht überlebt, deshalb kann ich sie kaum als Beispiel hernehmen.
Was ich meine, ist Folgendes. Vom Denken kriege ich Zahnschmerzen. Und Zahnschmerzen erinnern mich daran, warum ich Kies brauche.
»Wo willst du hin?«, fragte Crystal.
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Nirgendwohin.« Ich kann es nicht ausstehen, wenn mich wer beim Denken stört.
»Was macht ihr da drüben?«, fragte die Wirtin. »Soll das so was wie ein Kriegsrat sein?«
»Eva will ihnen Selbstverteidigung beibringen«, sagte Crystal. Was für eine Frechheit.
»Gute Idee«, sagte die Wirtin.
»Saublöde Idee«, sagte der Wirt. »Den Weibern beibringen, wie man Männer vermöbelt! Das find ich überhaupt nicht gut.«
»Man lernt doch nicht, wie man Männer vermöbelt«, sagte Crystal. »Man lernt, was man machen kann, dass man selber nicht vermöbelt wird.«
»Hätte nie gedacht, dass du ein kesser Vater bist, Crystal«, sagt der Wirt. »Dafür sind deine Beine nicht haarig genug, und außerdem bist du viel zu klein.«
»Also, ich finde die Idee gut«, sagte die Wirtin. »Nach allem, was hier passiert ist. Als Frau ist man seines Lebens nicht mehr sicher, wenn man sich bloß eine Zeitung holen geht. Ich melde mich auch für ein paar Stunden an, Crystal.«
»Wozu willst du Selbstverteidigung lernen?«, sagte der Wirt. »Du hast doch mich.«
»Aber immer bist du auch nicht da«, sagte sie. »Und außerdem, wer beschützt mich vor dir, wenn du ausrastest?«
»Das reicht!«, sagte der Wirt. Er zeigte auf Bella, Mandy und Stef, die an ihrem Tisch saßen und auf die Drinks warteten. »Es kommt nicht in Frage, dass du zusammen mit diesem Gesocks einen Kurs machst. Meine Frau gibt sich nicht mit der Sorte Frauen ab. Vielleicht wäre es ja tatsächlich gut, wenn sie lernen, auf sich aufzupassen, was weiß ich. Es ist mir auch egal. Ich bin für sie nicht verantwortlich. Aber für meine Frau. Und ich lasse mir doch durch dich und deine Schnapsideen nicht meinen guten Ruf ruinieren.«
Das Komische an der Sache war, ich hätte ihn am Schlafittchen packen, über die Theke ziehen, ihm ein paar leichte Schläge auf das Knubbelkinn geben, einen Schluck Bier trinken, seiner Frau eins über den Schädel geben und seine Kasse ausrauben können, ohne dafür länger zu brauchen als er für seine kotzblöde Rede. Der Typ? Der hätte nicht mal ’ne Ente vor einer trockenen Brotrinde beschützen können! Seinen guten Ruf konnte er sich meinetwegen sonst wohin schieben.
»Eva!«, sagte Crystal. »Bring die Gläser rüber und halt die Klappe.«
Der Mickerling von Wirt konnte von Glück sagen, dass ich Selbstbeherrschung und mentale Disziplin geübt habe.
Ich brachte die Gläser an unseren Tisch, aber die Klappe hielt ich nicht. »Was du von mir hältst, ist mir scheißegal«, sagte ich zu Bella. »Euer Beruf ist mir scheißegal, und ihr seid mir scheißegal. Aber wenn ihr lernen wollt, euch zu verteidigen, und wenn die Kohle stimmt, dann zeige ich euch, was Sache ist. Ja oder nein, ihr müsst euch entscheiden.«