Читать книгу Eva sieht rot - Liza Cody - Страница 8
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ОглавлениеAm nächsten Nachmittag, es war so gegen halb fünf, kam die ganze Truppe ins Studio gestöckelt. Vor Wut wäre ich beinahe aus der Kniebeuge auf die Nase gekippt. Mein Gesicht war so heiß wie ein kochender Suppentopf.
Sie waren vollzählig erschienen – Crystal, Bella, Mandy und Stef, und sie hatten auch noch die beiden anderen angeschleppt, Kath und Lynn. Sie hatten knallenge, knallbunte Gymnastikanzüge und Leggings an und geschminkte Lippen. Ich wäre am liebsten gestorben.
»Achtung«, sagte Gruff Gordon. »Fotzen im Anmarsch, Fotzen im Anmarsch.«
Alle ließen sofort alles stehen und liegen, nur California Carl nicht, der vor dem Spiegel seine waschbrettartigen Bauchmuskeln auf Hochglanz polierte.
»Wo ist Eva?«, fragte Bella, die Fäuste in die Hüften gestemmt, Kinn in die Höhe gereckt. Aber trotz dieser selbstbewussten Pose konnte man sie nicht für voll nehmen. Ihre Haare sahen aus wie ein Haufen Brombeeren.
»Was willst du mit Eva?«, sagte Pete Carver und wanzte sich schon an sie ran.
»Was du brauchst, ist ein richtiger Mann«, sagte Gruff. Die beiden treten immer als Pärchen auf, genau wie die Bullen.
»Da hätte ich schon lieber Hämorrhoiden«, sagte Bella.
»Sie steht auf mich«, sagte Gruff.
»Eva!«, brüllte Mr. Deeds. »Was zum Teufel soll das werden?« Seine Augäpfel kullerten in ihren Höhlen herum, was immer ein schlechtes Zeichen ist.
Ich legte die Hantel weg, blieb aber in der Hocke, um nicht ins Schussfeld zu geraten. Doch leider bin ich nun einmal nicht als Glückspilz geboren.
»Eva bringt uns Selbstverteidigung bei«, sagte Crystal. Sie war die Einzige, die wenigstens annähernd wie ein Mensch aussah. Nur waren die Kerle von den Neonfarben und der Schminke anscheinend so geblendet, dass sie sie überhaupt nicht bemerkten.
Eine von den Weibern, Kath, wie sich später herausstellte, hatte einen Busen, auf dem man Teetassen hätte abstellen können. Gruff Gordon konnte seinen Blick nicht davon lassen. Dafür konnte sie die Hände kaum von California lassen.
»Was für ein Knackarsch«, sagte sie. Weil sie ein Organ hatte, auf das jeder wilde Buchmacher beim Pferderennen stolz gewesen wäre, bekamen wir es alle mit.
»Wehe, du fasst mich an«, sagte California. Was ebenfalls nicht zu überhören war. Es klang nicht gerade freundlich.
»Oh«, sagte sie. »Legst du mich dann etwa übers Knie?«
Sie hatten alle getrunken, bis auf Crystal. Die sagte nur: »Eva, wann fangen wir an?«
Die Tussi, die Lynn hieß, ließ schon ihre Fäustchen und Füßchen fliegen – Pinocchio, der sich über Kung-Fu lustig machte. »Ha!«, quiekte sie. »Ha, ho! Ha!«
In diesem Augenblick sagte Flying Phil: »Selbstverteidigung. Deshalb sind die Weiber hier, Mr. Deeds.« Es hatte zwar ein bisschen gedauert, aber nun war der Groschen doch noch gefallen. »Eva bringt den Torten Selbstverteidigung bei.«
Harsh sagte: »Wie interessant.«
Und Mr. Deeds schoss heißer Dampf aus den Ohren. Er sagte: »Wenn das mal wieder eine von deinen Schnapsideen ist, Eva Wylie …«
Ich stellte die Lauscher auf Durchzug. Von da an lief alles wie im Fernsehen vor mir ab.
Es sah ganz so aus, als ob Bella mit Pete Carver über eine schnelle Nummer im Stehen verhandelte. Stef drehte sich einen Joint. Gruff Gordon grapschte nach Kath. Kath grapschte nach California. California holte zu einem brutalen Schwinger aus, traf aber nicht Kath, sondern Gruffs Brustkorb.
Mandy, die zur Tür flüchten wollte, stolperte über eine Hantel und riss Mr. Deeds mit sich auf die Matte – zwei Fleischklöpse mit Armen und Beinen.
Gruff rammte California den Kopf in die Magengrube.
Harsh ging duschen.
Mir reichte es. Das Studio war voll von Chaoten und Irren, und California spuckte Lynn mit blutigem Schleim an. Ich tat, was ich schon immer tun wollte, solange ich den Kerl kannte – ich versenkte meine Faust in Gruff Gordons Wampe.
Ich weiß auch nicht, warum, ich wollte es einfach. Ich war voll bei der Sache. Das Ziel lag direkt unter Gruffs Rippen. Ich zielte, ließ die rechte Faust fliegen und traf genau ins Schwarze. Wuff! Hätte ich das bei California Carl versucht, hätte ich mir die Hand gebrochen, aber der hat schließlich einen Bauch wie eine Tür. Gruff Gordons Wanst ist so weich wie ein Wäschesack, und meine Knöchel versanken tief in seinem Speck. Hätte ich mehr Kraft in den Schlag angelegt, hätte ich ihm die Nieren kitzeln können – so schlaff waren seine Bauchmuskeln.
Ein Liegestuhl hätte nicht schneller zusammenklappen können. Ich war höchst zufrieden mit mir.
Gruff Gordon meint, Frauen gehören nicht in den Ring. Andauernd nervt er Mr. Deeds, damit er mich aus dem Programm nimmt. Gruff Gordon, der meint, eine Frau gehört mit den Röcken über dem Gesicht rücklings auf den Küchentisch, klappte wie ein Liegestuhl zusammen und lag würgend auf dem Boden.
Es war herrlich. Und wenn du irgendwann die Chance kriegst, jemandem eine reinzuhauen, der dich so lange getriezt hat wie Gruff Gordon mich, wirst du mir recht geben. Darauf kannst du Gift nehmen.
»Was sollte das denn?«, fragte Flying Phil verdattert. »Was hat Gruff dir denn getan?«
Weil ich immer noch ein bisschen überdreht war und keine Lust zum Reden hatte, stieß ich ihn mit der Schulter weg und ging.
Als Nächstes weiß ich nur noch, dass ich in einem Auto auf dem Weg zu meiner Ma war und nasse Haare hatte. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich geduscht habe, aber das muss ich wohl, weil meine Haare nass waren. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich umgezogen habe, aber das muss ich wohl auch, weil ich nämlich Jeans und ein Sweatshirt anhatte. Ich weiß nicht mehr, ob ich mir einen Wagen ausgeborgt habe, aber das muss ich wohl, weil ich nämlich in einem gelben Ford Cortina saß, an dessen Innenspiegel ein kleines blaues Püppchen baumelte. Ich weiß nicht, ob ich das Studio verlassen habe, aber das muss ich wohl, weil ich schließlich nicht mehr dort war.
So was hasse ich. Es ist unheimlich. Du bist irgendwo, und plötzlich bist du ganz woanders. Und dazwischen liegt eine Lücke. Ich hasse diese Lücken. Schließlich bestimme immer noch ich. Aber wer bestimmt, wenn ich nichts mitkriege?
Außerdem wollte ich meine Ma gar nicht besuchen. Früher bin ich regelmäßig zu ihr gefahren, aber letztes Jahr hat sie mich tief enttäuscht, was ich ihr bis heute nicht vergessen habe. Sie hat nicht so viel Familiensinn wie ich. Sie könnte uns alle wieder zusammenbringen, aber sie will nicht. Das hat sie noch nie gewollt. Also werde ich sie erst wieder besuchen, wenn sie es sich anders überlegt hat. Vorher nicht.
Früher habe ich geglaubt, sie hätte deshalb nicht so gut für meine Schwester und mich sorgen können, wie sie es gern gewollt hätte, weil sie es selber nicht leicht gehabt hat im Leben. Aber letztes Jahr habe ich erkannt, dass sie es nie gewollt hat – dass sie uns lieber ins Heim gesteckt hat, als uns selber ein Heim zu geben. Uns ein Heim zu geben, das wäre meiner Ma zu anstrengend gewesen.
Ich habe also nicht den leisesten Schimmer, wieso ich auf dem Weg zu ihr war. Da wollte ich nun wirklich nicht hin. Außerdem hatte ich die Nase gestrichen voll von Leuten. Und wenn man von Leuten die Nase voll hat, ist meine Mutter der letzte Mensch, den man sehen will.
Also wendete ich und fuhr nach Hause, zu Ramses und Lineker. Kann sein, dass sie mich nicht besonders mögen, aber wenigstens weiß ich bei ihnen immer, woran ich bin. Und sie tun, was ich ihnen sage, wenn ich sie laut genug anbrülle, was man von Menschen nicht behaupten kann. Dabei dachte ich besonders an fünf Nutten und Crystal, die angesäuselt in meinem Studio aufgekreuzt waren und das totale Chaos angerichtet hatten. Weil sie nicht kapierten, was mir meine Arbeit bedeutet, und weil es ihnen außerdem egal war.
»Okay«, brüllte ich Ramses an. »Platz und Schnauze.« Dann holte ich seine Bürste und striegelte ihn. Ich fing am Hals an, bürstete das Fell gegen den Strich und untersuchte die bläuliche Haut nach Wunden und Flöhen. Dann kämmte ich das Fell über den festen Muskeln vom Schwanzende aus – wenn er einen Schwanz gehabt hätte – Strich für Strich wieder glatt. Zuletzt nahm ich einen nassen Lappen und säuberte ihm das Gesicht und die Ohren, ich wusch jede Falte und Macke an seinem schweren, hässlichen Schädel und tastete die steinharte Narbe rings um seinen Hals ab. Die ganze Zeit verfolgte er mich mit seinem stählernen Blick. Er saß völlig reglos vor mir, aber er ließ mich nicht aus den Augen, und während ich ihn nach Flöhen absuchte, suchte er bei mir nach einem Anzeichen von Schwäche. Er lauert ständig auf einen schwachen Augenblick.
Da kann er warten, bis er schwarz wird, weil ich mir nämlich keine Blöße geben werde.
Dann nahm ich mir Lineker vor, der schlanker und schneller ist als Ramses. Er hat eine lange, schmale Schnauze und kurzes, drahtiges Fell, das wie der Lack eines nagelneuen Autos glänzt. »Halt still, du Haigesicht«, knurrte ich, weil er nicht so geduldig wie Ramses ist. Er hat einen kleineren Kopf und ein kleineres Hirn, und er kann sich nicht so gut konzentrieren. Aber er lässt sich herrlich striegeln.
Die beiden sind meine Werkzeuge, und sein Werkzeug muss man gut in Schuss halten, das wird dir jeder bestätigen können. Ramses und Lineker sind in Topform. Genau wie ich.
»Aber nur so lange, wie du auf der Hut bist«, hörte ich Ramses sagen, und er sah mich mit seinen stählernen Knopfaugen an.
Die Sache mit den Ellenbogen ist die: Wenn sie einmal wehtun, dann tun sie richtig weh. Mein Ellenbogen war wieder angeschwollen. Es musste wohl die Hantel gewesen sein, obwohl ich es im Training gar nicht bemerkt hatte. Aber jetzt konnte ich es nicht mehr übersehen.
Im Hänger setzte ich Wasser auf. Zuerst machte ich mir einen Tee, denn im Leben musst du immer die richtigen Prioritäten setzen. Dann hängte ich den Ellenbogen in eine Schüssel mit heißem Wasser und besah mir den Bluterguss, wo Gypsy Jo mich mit ihrem Stiefel erwischt hatte.
»Heißes Wasser«, sagt Harsh. »Die Venen und Kapillargefäße müssen sich weit öffnen. Die Verletzung muss gut durchblutet werden. Dein Blut muss die Gifte herausspülen.«
Wobei ich an Dawn denken musste, die totgetrampelt worden war. Um ihre Zirkulation wieder in Gang zu bringen, reichte eine Schüssel mit heißem Wasser nicht mehr.
Meine Ma ist mal von einem Macker getreten worden, bis ihre Beine grün und blau waren. Also ist sie in den nächsten Schnapsladen gehinkt, um sich ein paar Flaschen gegen die Schmerzen zu holen. Und den durchgedrehten Macker wollte sie damit auch gleich besänftigen. Aber als sie wieder nach Hause kam, war ihr Freund verduftet, also hat sie sich hingesetzt und ihre Schmerzen allein ersäuft. Aber während sie trank, rauchte sie auch, und je mehr sie rauchte, desto mehr trank sie. Und wie es so geht, wenn man säuft und raucht, dauerte es gar nicht lange, bis sie einnickte und ihr die brennende Zigarette ins Sofa fiel. Erst kokelte die Kippe, dann kokelte das Sofa, und das Polster kokelte ebenfalls. Bald kokelte auch das Kleid meiner Mutter.
Woher ich das weiß? Weil ich’s gerochen habe, daher. Aus dem Schrank unter der Treppe, wo meine Ma meine Schwester und mich jedes Mal eingesperrt hat, wenn sie bumsen oder sich prügeln wollte – oder beides. Sie steckte uns in den Schrank unter der Treppe und drehte den Schlüssel rum, und dann machte sie das, was wir nicht sehen sollten.
Es war dunkel im Schrank. Man baut keine Schränke mit Fenstern. Wir wussten nicht, wie spät es war. Wir saßen schon so lange in dem Schrank. Simone war eingeschlafen. Sie ist immer eingeschlafen, wenn sie Angst hatte. Und sie hatte deshalb Angst, weil wir zwar nicht sehen konnten, was unsere Ma trieb, aber hören. Und wir hörten jeden einzelnen blaugrünen Bluterguss auf den Beinen meiner Ma mit.
Du meinst, Blutergüsse kann man nicht hören? Glaub mir, man kann.
Ich roch den Rauch. Ich war damals noch ziemlich jung und dumm, aber ich wusste immerhin schon, dass Rauch Feuer bedeutet. Ich weckte Simone auf, und wir fingen an zu schreien und zu weinen und an die Schranktür zu hämmern.
Keiner hörte uns. Ma wachte nicht auf, und wir kriegten schon fast keine Luft mehr. Wir waren zu klein, um die Tür aufzubrechen, und zu schwach, um ein Loch in die Treppe über uns zu machen. Also taten wir das, was alle kleinen, schwachen Leute machen – wir schrien und weinten und machten uns in die Hose. Und Ma ist nicht aufgewacht. Wie denn auch? Sie war sternhagelvoll und hatte uns schon vorher total vergessen gehabt.
Siehst du? Um ein Haar hätte es keine Eva gegeben, keine Armour Protection, keine Londoner Killerqueen, und alles nur wegen ein paar Blutergüssen. Wenn du meinst, Blutergüsse könnten nicht töten, liegst du schief. Ich weiß es besser. Genau wie Dawn.
Ich sah mir den Bluterguss an meinem Ellenbogen an und spielte mit dem Gedanken, mir eine Tätowierung machen zu lassen, einen rot-grünen Drachen, der sich an meinem Arm runterschlängelte. Oder rauf. Wie rum wäre es besser? Wenn er den Kopf oben hätte, sähe es aus, als ob er mir auf die Schulter klettern wollte, was in Ordnung ging, solange ich nackte Schultern hatte. Aber wenn ich ein Hemd anhatte, würde es so aussehen, als ob er mir in den Ärmel kroch. Ein Drache mit dem Kopf am Handgelenk würde so aussehen, als ob er sich verdrücken wollte. Ich musste an Ratten denken und an sinkende Schiffe. Ratten. Ich habe noch nie jemanden mit einer Rattentätowierung gesehen, aber vielleicht würden Ratten sogar noch besser zur Londoner Killerqueen passen als Drachen.
Ich stellte mir einen Kampf vor. Ich, in meinem schwarzen Kostüm, mit drei tätowierten Ratten auf dem linken Arm. Nur auf dem linken. Das hätte mehr Klasse als Tätowierungen auf beiden Armen. Drei Ratten – eine auf dem Deltamuskel, eine auf dem Bizeps und eine auf dem Unterarm. Weil die drei Ratten nicht alle in dieselbe Richtung blicken würden, wäre auch das Problem gelöst, ob sie kamen oder gingen.
Manchmal kommen mir solche Ideen. Ich bin viel kreativer, als die meisten Leute denken.
Mittlerweile war das Wasser kalt geworden, und ich hatte Kohldampf. Aber ich hatte mal wieder nichts eingekauft. Ich würde gern eine Pille erfinden, die du immer dann einwerfen kannst, wenn du vergessen hast, einkaufen zu gehen. Im Magen würde sie auf die Größe einer anständigen Mahlzeit anschwellen und du hättest zwölf Stunden keinen Hunger mehr. Das ist das Blöde mit dem Essen – du musst Massen davon kaufen, wenn du satt werden willst. Und wenn du endlich satt bist, hast du meistens schon zu viel gegessen. Und wenn du zu viel gegessen hast, wirst du dick. Und wenn du dick wirst, beult sich das schwarz Kostüm an den falschen Stellen aus, und das Publikum schmeißt dir noch wüstere Beleidigungen an den Kopf. Wenn es dich zum Beispiel »Kampfschwein« nennt, heißt du dann auf einmal »Kampfschwein mit Saftarsch«. Was nicht sehr schön wäre. Aber ich bin groß und kräftig, und wenn ich nicht genug esse, kriege ich Hunger. Was auch nicht sehr angenehm ist.
Tätowierte Ratten würden alle Blicke auf sich ziehen. Alle würden nur noch auf die Ratten sehen und vergessen, wie groß mein Arsch ist. Obwohl mir mein Arsch eigentlich keine Sorgen macht. Schon eher die Bauchmuskeln. Hängebauchkampfschwein.
Das Leben kann manchmal ganz schön schwierig sein.
Aber es wird nicht leichter dadurch, dass man auf dem Arsch sitzt und den Ellenbogen in eine Schüssel mit kaltem Wasser hängt, also trocknete ich mich ab und ging nach draußen. Ich nahm eine Taschenlampe mit und einen von den großen Hundekuchen, mit denen ich ab und zu Ramses und Lineker verwöhne, und ging los, um den Zaun zu überprüfen.
Ein böser Fehler.
Crystal tauchte wie ein Kobold hinter einem geparkten Auto auf und sagte: »Wo hast du gesteckt, Eva? Ich warte schon seit Stunden.«
»Verpiss dich, du Zwerg«, sagte ich. »Hast du für einen Tag nicht schon genug angerichtet?«
»Wir hätten nicht ins Studio kommen sollen«, sagte sie und kratzte sich den Lockenkopf. »Das war mir sofort klar.«
»Du hast es erfasst«, sagte ich. »Ich will nichts mehr mit euch zu schaffen haben.«
»Wir brauchen einfach eigene Räume«, sagte sie, als ob ich den Mund nicht aufgemacht hätte. »Also habe ich uns Räume besorgt«, sagte sie. »Komm mit und schau sie dir an.«
»Hast du Bohnen in den Ohren?«, sagte ich. »Ihr könnt euch den Job in die Haare schmieren.«
»Was machst du da? Knabberst du einen Hundekuchen?«, fragte sie.
»Quatsch«, sagte ich und schluckte. »Lineker und ich trainieren. Wenn er gehorcht, kriegt er eine Belohnung. Siehst du?« Ich warf Lineker, der mir nachgeschlichen war wie einer läufigen Hündin, die andere Hälfte von dem Hundekuchen hin.
»Ich hätte Lust auf eine Pizza«, sagte Crystal. »Mit einer doppelten Portion Käse und Peperoni. Möchtest du auch eine? Ich lade dich ein.«
»Wo sind die anderen?«, fragte ich misstrauisch.
»Beim Hahnenkampf«, sagte sie.
»Was?«
»Beim Hahnenkampf«, sagte sie. »Die Markthändler und die Kunden aus dem Full Moon veranstalten manchmal Hahnenkämpfe auf dem Parkplatz.«
Wir gingen die Mandala Street rauf. Nichts ist so tot wie ein Straßenmarkt ohne Markt. Die Stände waren über Nacht in irgendwelchen Schuppen untergestellt, in der Gosse lagen kniehoch Salatblätter und durchgeweichte Papiertüten. Es war so ruhig, dass einem die Stille auffiel. Normalerweise herrscht immer Geschrei auf einem Markt, aber nachts stinkt es bloß nach totem Blumenkohl.
»Wo willst du bin?«, sagte Crystal. Sie war vor einer Tür stehen geblieben, aber ich ging weiter.
»In die Pizzeria.«
»Gleich«, sagte sie. »Ich wollte dir doch was zeigen.«
»O nein«, sagte ich. »Ich will den Job nicht. Hörst du überhaupt nicht zu?«
»Wir sind schon da«, sagte sie.
Wir standen vor einem runtergekommenen Laden, dessen Schaufenster mit Brettern vernagelt war und an dem ein Zu-vermieten-Schild hing, das so aussah, als wäre es schon vor der Zeit der Beatles dort angebracht worden.
»Willst du nicht wenigstens mal gucken?«, sagte sie.
»Lass mich in Frieden«, sagte ich. »Ich habe Hunger.«
»Ich auch«, sagte Crystal. »Ich dachte bloß, wir sollten vorher noch die Räumlichkeiten inspizieren.«
»Dann inspizier du mal schön«, sagte ich. »Ich gehe.«
»Ich kann nur blöderweise den Schlüssel nicht finden«, sagte sie. »Es dauert keine Minute, wenn du mir die Tür aufmachst. Danach bestelle ich die größte Pizza aller Zeiten.«
Ich sah mir die Tür an. Ich drückte versuchshalber mit der Schulter dagegen. »Sie ist abgeschlossen«, sagte ich.
»Ja«, sagte sie. »Ich habe den Schlüssel verloren.«
»Du hast doch einen Schlüssel?«, sagte ich. »Das ist doch dein Laden, ja?«
»Wir brauchen eigene Räume«, sagte sie. »Ich fand die Hütte hier sehr geeignet.«
Anscheinend hatten Penner in dem Laden gehaust, bis man ihn leergeräumt und mit Brettern vernagelt hatte. Es sah so aus, als hätte jemand vergeblich versucht, die Tür aufzukriegen.
Ich stemmte mich mit der Schulter dagegen. Sie gab nicht nach. »Such lieber den Schlüssel«, sagte ich. »So kann ich nichts ausrichten.«
»Ich hab eine Brechstange dabei«, sagte sie und fing an, in einer Plastiktüte zu wühlen, die neben dem Eingang stand und wie ein Müllsack aussah.
Es war ein gutes, stabiles Schloss. Sogar mit der Brechstange musste ich meine ganze Kraft einsetzen, bevor die Tür aufsprang.
Es war fast wie früher, wenn Crystal und ich einen Schlafplatz brauchten. Es roch genauso muffig, und es war genauso kalt. In solchen Löchern kommt man sich auch in einer warmen Nacht wie in einem Keller vor.
»Wie in der bösen alten Zeit«, sagte ich und ging hinein.
Crystal blieb hinter mir, und auch das war genau wie früher. Ich bin immer vorneweg gegangen. Nur für den Notfall. Aber wenn bloß noch clevere Ausreden halfen, war immer Crystal die Erste. Sie hatte schon damals ein ziemliches Mundwerk.
»Jede Menge Platz«, sagte Crystal und leuchtete mit ihrer Taschenlampe herum. Der Lichtkreis tanzte über die Wände und die leeren Ecken. »Ich lege einen Teppich rein«, sagte sie. »Und ein paar Matratzen oder so, wie die Matten bei euch im Studio. Siehst du, hier ist es viel besser. Die Mädchen und ich haben nicht so weit zu laufen. Und für dich ist es auch näher.«
»Ohne mich«, sagte ich. »Wie oft muss ich es dir noch verklickern?«
»Und wir wären unter uns«, sagte sie. »Keine dämlichen Kerle, die überall ihre Nase reinstecken und einen rumkommandieren wollen. Bis man sich wie der letzte Mensch vorkommt. Hier wärst du der Boss, Eva. Du hättest dein eigenes, privates Fitnessstudio. Und wir müssten keinem Geld geben außer dir. Der Fettsack heute Morgen hat gesagt, ohne Aufnahmegebühr dürften wir nicht rein. Der alte Geizkragen. Hier dagegen würdest du bestimmen. Und wenn wir uns die Aufnahmegebühr sparen, könntest du mehr für den Unterricht verlangen.«
»Wie viel?«, fragte ich.
»Das ist allein deine Sache«, sagte sie. »Du kannst nehmen, was du willst. Du hast das Sagen. Ich würde das Geld auch für dich einsammeln, wenn es dir zu lästig ist.«
»Vergiss es«, sagte ich. »Um meine Kröten kümmere ich mich schon selber.« Aber mir kam ein Gedanke. »Wie sieht es eigentlich mit der Miete aus?«, sagte ich. »Wer bezahlt die Miete?«
»Die Miete?«, sagte Crystal. »Die lass mal meine Sorge sein. Das ist das Wenigste, was ich tun kann. Wenn ich bloß schon daran gedacht hätte, bevor die arme Dawnie …«
»Und wir brauchen Licht«, sagte ich, bevor sie wieder weinerlich werden konnte. »Die Bretter müssen dranbleiben. Ich will nicht, dass man vom Markt aus reingucken kann.«
»Klar«, sagte sie. »Das will ich auch nicht. Mit dem Licht lass ich mir was einfallen. Hast du immer noch keinen Hunger? Mir hängt der Magen schon in den Kniekehlen.«
»Und die Tür?«, sagte ich. »Die ist hin.«
»Das hätte ich beinahe vergessen«, sagte sie. »Ich habe ein Vorhängeschloss mitgebracht. Damit wir sie provisorisch wieder zusperren können.«
Sie hatte wirklich an alles gedacht, das musste man ihr lassen. Sie hielt die Taschenlampe, während ich das Vorhängeschloss anbrachte, und dann gingen wir endlich Pizza essen.
Sie spendierte mir zwei riesige Pfannenpizzas mit doppelten Portionen Käse und Schinken.
»Weißt du noch?«, sagte sie mit vollem Mund. »Damals, im West End? Als eine kalte Pizza aus dem Papierkorb für uns das höchste der Gefühle war?«
»Nein«, sagte ich. Aber ich erinnerte mich genau. Und eins kann ich dir flüstern, eine heiße Pizza mit weichem, zerlaufenem Käse in der Mitte schlägt jede kalte, angefressene, betonartige Pizza um Längen.
Wenn Crystal ihre sentimentalen fünf Minuten hat, wenn sie zum Beispiel an die alten Zeiten und an die tote Dawn denkt, kann sie ein ziemlicher Jammerlappen sein. Deshalb war ich auch so zufrieden mit mir. Schließlich hatte Crystal, die ach so ausgekochte Type, die jeden übers Ohr haut, mir an ein und demselben Abend mietfreie Übungsräume beschafft und zwei Riesenpizzas spendiert. Also frage ich dich, wer hatte diesmal die Oberhand behalten, hm?