Читать книгу Der lange Weg nach Yullima - Logan Kenison - Страница 7

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»Ein zivilisiertes Volk bringt niemanden

ohne Gerichtsverhandlung um –

auch keinen Mörder!«

(Ragnhild Thul)

Alfro Magnus Thul, Elrons Vater, war zutiefst bestürzt, vom Tod seines Sohns zu erfahren. Beinahe schien es Richter, als würde der alte Efrikinger von der Bank am Tisch kippen, so schwankte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Dann fing er sich, besann sich der Aufgabe, die er nun hatte und ließ eines der Gästezimmer räumen. Er rief die Bediensteten und alle Angehörigen zusammen, und sie bahrten den Leichnam auf. Kerzen erhellten den Raum, während sich alle versammelten und die Ahnengesänge für Elron anstimmten.

Richter stand stumm dabei, ein Beteiligter, ohne wirklich dazuzugehören, ein Anwesender, ohne zu wissen, was vor sich ging. Die Glaubens- und Mythenwelt der Efrikinger war ihm verschlossen, und, ehrlich gesagt, er wollte auch nichts darüber wissen. Doch das würde er niemals offen zugeben; jedenfalls nicht im Hause der Thuls, schon gar nicht an diesem Tag, an dem sie Elrons gedachten und seinen Tod gemäß altüberkommener Riten betrauerten.

Alfro Magnus Thul war ein eingesessener Efrikinger mit buschigem grauem Bart und einer fleckigen Glatze, auf der sich das Licht spiegelte. Sein Haaransatz war in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer weiter nach hinten gewichen, bis nur noch ein Kranz am Hinterkopf zurückgeblieben war, doch dort sprosste das Haar mit solcher Pracht, dass es ihm lang auf Schultern und Rücken hinabfiel, und er es zu einem dichten Zopf flechten ließ.

Er trug die grobe Leinenkleidung, die er schon als junger Mann geliebt hatte, und zeigte damit, dass er sich Neuerungen, neuen Moden und neuen Kleidungsstilen völlig verschloss. Seine Hosenbeine waren mit Bändern umwickelt und die Füße steckten in formlosen Lederschuhen. Nach Kriegerart trug er stets ein Schwert am reichverzierten Gurt bei sich.

In jungen Jahren hatte er Mut und Geschick im Kampf gegen einige der Stämme bewiesen, doch die Zeiten waren ruhiger geworden, die Konflikte löste man heute nicht mehr mit der Waffe in der Hand; man hatte alles den Politikern übergeben, die sich auf einem anderen Level zankten, obwohl sich gar mancher das Schwert in die Hand zurückwünschte.

Und genau das war es, worauf Magnus sich bezog, als er nach der Trauerfeier mit Richter am Tisch saß und sie beide einen Krug Garmet vor sich hatten. Der alte Kämpe hatte sich Zeit genommen, mit Richter über die Erinnerungen alter Tage zu sprechen, und dabei einige rührselige Geschichten und Erlebnisse Elrons ausgegraben. Doch irgendwann wechselte das Thema ins Hier und Jetzt, und die letzten Worte Elrons kamen zur Sprache.

»Du sagtest, Elron vermutete seinen Mörder auf dem Schiff nach Yullima?«

Richter nickte. Seine Sinne waren bereits leicht benebelt vom Garmet, und zudem saß Ragnhild mit am Tisch, die unverheiratete Schwester Elrons, was auch nicht gerade dazu beitrug, Richters Konzentration zu schärfen. Gudrid hingegen, Elrons andere Schwestern, war ins Haus ihrer Familie zurückgekehrt, wo sie sich um ihre Kinder und ihren Mann kümmern musste.

»Die Reise nach Yullima ist lang«, sagte Magnus, niemand bestimmten anblickend. »Sie führt nach Norden, zuerst durch die Fjorde Jonkthils und Utries, dann ins Eisland Griz. Es bestehen gute Chancen, den Mörder noch zu erwischen. Wir brauchen einen jungen, kräftigen Burschen, der bereit ist, die Reise mitzumachen.«

»Ich mache es!«, rief Ragnhild. Unter den missbilligenden Blicken ihres Vaters – die sie jedoch vollständig ignorierte –, hatte sie sich ebenfalls bereits den zweiten Krug Garmet gefüllt und bestritt ihren Teil der Unterhaltung mit Nachdruck. »Ich fahre mit der Orormi nach Yullima und werde alles daransetzen, Elrons Mörder zu finden. Und wenn ich ihn habe, dann …«

Sie ließ unausgesprochen, was sie dann mit ihm machte.

Aber Magnus schüttelte bereits den Kopf.

»Niemals!«, rief er empört. »Du bist ein Mädchen!«

»Ich bin eine Kriegerin und Kämpferin – wie die besten damals, Vater. Ich weiß, du lehnst es ab, doch wir Mädchen von heute sind ebenfalls im Kampf ausgebildet und geprobt.«

»Wage es nicht, dich mit den Helden der alten Zeit zu vergleichen. Ihr seid ja bloß Maulhelden. Ihr habt noch nie einen Krieg mitgemacht, noch nie eine Schlacht geschlagen, noch nie einen Kampf Mann gegen Mann durchgestanden. Ihr wisst gar nicht, was das heißt, was das bedeutet.«

»Das stimmt, weil auf Efriking seit langer Zeit Frieden unter den Stämmen herrscht, und die Götter mögen verhindern, dass dies je wieder anders wird. Denn ich kann nichts Gutes in Tod, Brandschatzung, Vergewaltigung und Verwüstung entdecken, Vater. Aber ich habe gelernt, die Klinge zu führen, den Speer zu werfen und den Pfeil abzuschießen. Wenn es darauf ankommt, und das verspreche ich dir, werde ich die Waffen zu gebrauchen wissen. Es spricht also nichts dagegen, dass ich die Fahrt nach Yullima mitmache und den Mörder stelle.«

»Nein!«, brauste der alte Kämpe noch einmal auf und schmetterte die Faust auf die Tischplatte, dass die Krüge nur so schepperten. »Ein Mann wird gehen! Entweder unser Freund Owen, oder dein Bruder.«

Ragnhild lachte hell auf.

»Brandr? Der ist noch jung. Erst 25! Außerdem ist er hinter Ludmila Yippur her und hat zurzeit andere Dinge im Kopf. Hast du dich nicht gefragt, wo er jetzt gerade ist? Bei ihr! Nein, Brandr wirst du für das Unternehmen nicht begeistern können. – Und Owen? Nichts gegen dich, Owen, aber du kennst dich auf Efriking nicht gut genug aus. Du kennst unsere Traditionen nicht, weißt nicht, wie die Männer und Frauen denken … es wäre unverantwortlich, dich zu einem Mörder an Bord zu lassen. Er würde dich …«

Wieder brach sie ab, eine Handfläche hebend, in der Meinung, dass Richter sich schon würde vorstellen können, was ein Mörder mit ihm machen würde … oder dass er es sich zumindest ausmalte. Doch Richter ließ sich nicht bluffen.

»Was würde er?«, hakte er nach. Wenn jemand etwas sagen wollte, dann sollte er es, verdammt noch eins, auch tun. Mit Andeutungen gab Richter sich nicht zufrieden.

»Dich massakrieren!«, fauchte Ragnhild wild, und ihr einst recht hübsches Antlitz wurde durch eine feurige Röte und einen zornigen Ausdruck entstellt. »Er würde dir einen Dolch zwischen die Rippen stoßen. Dich mit dem Schwert zweiteilen. Dir einen Pfeil in den Rücken jagen. Kapiert?«

Richter lachte verhalten, aber es kam leider längst nicht so überlegen rüber, wie er es sich gewünscht hätte.

»Ich werde mich nicht mit dir auf einen verbalen Wettstreit einlassen, Ragnhild. Es geht nicht darum, dass irgendjemand hier am Tisch eine Diskussion gewinnt oder wer der größte Aufschneider ist. Egal, was du oder dein Vater oder meinetwegen auch das Oberhaupt des Dorfes oder der König der Uwaren sagt – niemand kann mich daran hindern, eine Passage nach Yullima zu buchen und dieses Schiff zu besteigen. Entweder also du kommst mit mir, oder du gehst allein, wirst mich dann aber an Bord treffen, wo ich vor dir sein und auf dich warten werde.«

»Pah!«, stieß Ragnhild heraus und verschränkte die Arme vor der Brust.

Richter hatte durchaus ein Auge auf sie geworfen. Sie war 27, hatte langes blondes Haar, das in Zöpfen links und rechts herunterhing. Ihr Mund war eine Spur zu groß, doch das machten ihre großen blauen Augen wieder wett, und von der Größe insgesamt brauchte sie sich vor keinem Mann verstecken. Sie besaß breite Schultern, ihre Taille wurde durch den breiten Ledergurt betont, an dem das Schwert hing, und unter dem kunstvoll verzierten Leinenhemd waren ihre Muskeln zu spüren. Ja, sie war eine ausgebildete Kriegerin – unerprobt im Feuer, aber immerhin eine Kriegerin. Richter wusste, dass sie diese Laufbahn gegen den Willen ihres Vaters eingeschlagen hatte, und bewunderte sie dafür umso mehr.

»Große Worte für einen Außenweltler«, bekundete Magnus Thul, indem er Richter scharf im Auge hielt. »Aber weißt du was – ich glaube dir, Owen! Wenn es einer fertigbringt, dann du. Du hast eine dieser Flugmaschinen, die dich überall hinbringen können. Du kannst den nächsten Hafen, den die Orormi anläuft, also rechtzeitig erreichen.« Er wandte sich an Ragnhild. »Tochter, wenn du einmal etwas tun willst, das mein Herz erfreut, dann fliege mit Owen zu dem Hafen und geh gemeinsam mit ihm an Bord. Ihr beide werdet Elrons Mörder finden – und ihn zu mir bringen. Ich werde dann vor der ganzen Hausgemeinschaft Gericht über ihn halten.«

Ragnhild war sichtlich unzufrieden mit den Worten ihres Vaters. Zum einen hasste sie es, von ihm Vorschriften gemacht zu bekommen, zum anderen wollte sie nicht Richters Anhängsel in dieser Sache sein. Und zum Dritten wollte sie selbst das Urteil über dem Mörder vollstrecken, und es nicht ihrem Vater überlassen, der nur zuhause herumsaß und darauf wartete, bis man ihm alles mundgerecht servierte.

Nein, Ragnhild wollte den Mord an Elron selbst rächen.

Richter versuchte sie zu beschwichtigen, indem er sagte:

»Dein Vater hat recht. Ihm als Familienoberhaupt steht es zu, das Urteil zu sprechen. Wir werden den Mörder herbeischaffen und ihn diesem Urteil unterwerfen. Und glaube mir, ich kenne die Efrikinger inzwischen besser, als du denkst.«

Ragnhild ertränkte ihren Verdruss in einem großen Schluck Garmet. Dann wischte sie sich den Mund mit dem Handrücken ab und rülpste laut und vernehmlich.

»Na gut«, sagte sie, »wir sind ein zivilisiertes Volk. Wir bringen niemanden ohne Gerichtsverhandlung um. Auch keine Mörder.«

Der lange Weg nach Yullima

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