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ОглавлениеRückkehr ins Land der Täter
Es war immer Schaffers größter Wunsch, dem Fußballsport nach dem Ende seiner aktiven Zeit verbunden zu bleiben und die Trainerlaufb ahn einzuschlagen. Erste Erfahrungen sammelte er, wie bereits erwähnt, bei Hapoel Kfar Saba, seinem letzten Verein als Spieler. Dort hatte er die Jugendmannschaft übernommen und war als Co-Trainer der Herrenmannschaft aktiv. In einem Empfehlungsschreiben an die Sporthochschule Köln betonte der Verein, dass Schaffer als Trainer die Jugendmannschaft aufgrund „seiner aufopfernden Leitung und fachmännischen Kenntnisse zu einem hohen spielerischen Niveau gebracht“ habe. Mit dem Ergebnis, dass „unsere heutige erste Liga-Mannschaft nur aus diesen Jugendnachwuchsspielern besteht, ohne fremde auswärtige Kräft e“. 1956, offenbar nachdem er seine Spielerlaufb ahn verletzungsbedingt hatte beenden müssen, übernahm er als hauptverantwortlicher Trainer die 1. Herrenmannschaft .68 Gleichzeitig begann er am 1. August 1956 mit der Ausbildung zum Sportlehrer beim israelischen Sportverband Hapoel. Diese Ausbildung dauerte bis zum 1. Februar 1958. Nach Mitteilung des Verbandes absolvierte er den Kurs „auf eigene Kosten“.69 Entsandt wurde er zu diesem Lehrgang von seinem damaligen Verein Hapoel Kfar Saba70.
Der überraschende Titelgewinn der westdeutschen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz hatte dem deutschen Fuß-ball in der Welt zu großem Ansehen verholfen. Da über den Verlauf des Turniers auch in der israelischen Presse berichtet wurde, konnte Eddy Schaffer den Weg der deutschen Mannschaft und die taktischen Tricks und Kniffe des Trainers Sepp Herberger zeitnah verfolgen. Allerdings überrascht aus heutiger Sicht die Art der Berichterstattung in der hebräischen Presse über die WM 1954 und ihren Ausgang: Nicht mal die Zeitung der Partei Herut, die 1951/52 vehement gegen die Wiedergutmachung aus der Bundesrepublik wetterte, hat die Erinnerung an die Shoah in diesem Zusammenhang zum Thema gemacht. Die Verquickung von Sport und historischer Erinnerung, die sogenannte Erinnerungspolitik, kam paradoxerweise erst später zur Geltung.71
Schaffer war in Deutschland aufgewachsen, er beherrschte die deutsche Sprache, lag es da nicht nahe, seine Trainerausbildung im Land des Weltmeisters fortzusetzen? Deutschland war aber auch gleichzeitig das Land der Täter. Seine Eltern und Schwestern waren von Deutschen verfolgt, entrechtet und ermordet worden, er selbst war dem mörderischen Rassenwahn nur durch seine Flucht entkommen, die ihn bis nach Kasachstan geführt hatte. Konnte er vor diesem Hintergrund nach Deutschland zurückkehren?
Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel gab es in den 1950er Jahren, auch nach dem Wiedergutmachungsabkommen im Jahr 1952, noch keine diplomatischen Beziehungen. Reisen von Israel nach Deutschland waren zwar möglich, aber nicht gerade erwünscht. Die israelischen Reisepässe trugen bis 1956 auf der ersten Seite den Stempel: „Alle Länder − Mit Ausnahme Deutschlands.“ Diplomatische Beziehungen nahmen beide Länder erst 1965 auf. Zwar waren insbesondere in Wissenschaft und Kultur bereits zuvor erste Kontakte geknüpft worden. Der erste Besuch einer Delegation der Bundeszentrale für politische Bildung in Israel fand 1963 statt, und der erste Besuch einer Max-Planck-Delegation 1964 im Weizmann-Institut in Rehovot, um nur zwei Beispiele zu nennen. Dennoch war, zumal in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, die Ausbildung eines israelischen Staatsbürgers in Deutschland alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
In dem „klassischen“ Bereich der Massenkultur, dem Sport72, genoss die Deutsche Sporthochschule Köln auch international bereits einen guten Ruf durch die Diplomsportlehrer-Ausbildung sowie u. a. durch die Trainerkurse im Fußball, die der deutsche Bundestrainer Sepp Herberger leitete. David Schweitzer, gebürtiger „Sabra“, Nationalspieler, Rechtsverteidiger von Hapoel Tel Aviv und Hapoel Haifa, war 1957 der erste Israeli, der in Köln an einem Fußballlehrer-Lehrgang teilnahm.73 Er wurde später (1973-1977), also nach Eddy Schaffer, Trainer der Nationalmannschaft.
Ende des Jahres 1957 erkundigte sich Eddy Schaffer in einem Brief an den Rektor der Sporthochschule Köln, Carl Diem, über die Voraussetzungen für die Teilnahme an einem Fußball-Trainerkurs, die Kosten „sowie alle anderen Details und Bedingungen“.74 In diesem Brief beschrieb Schaffer kurz seine Karriere als Fußballspieler und -trainer. Es war einzig und allein seine Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren und dort seine Ausbildung zum Fußballtrainer fortzusetzen. Mit seiner Familie hat er über diese Entscheidung nicht diskutiert. Sein Sohn Moshe war mit zwei Jahren noch zu klein, um die Zusammenhänge der Familiengeschichte mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands zu verstehen. Eddys Ehefrau Shoshana akzeptierte den Entschluss ihres Ehegatten.75 Er selbst hatte keine Probleme damit, nach Deutschland zurückzukehren, und er sah offenbar auch kein Problem darin, dass der Rektor der Sporthochschule der Mann war, der für Hitler die Olympischen Spiele 1936 in Berlin zum internationalen PR-Erfolg gemacht hatte.
Bereits wenige Wochen später, am 7. Januar 1958, antwortete Carl Diem. Er, Eddy Schaffer, erfülle die Voraussetzungen, um an dem Fuß-ball-Lehrgang 1958/59 teilzunehmen, der sich „mit den Ferien über ein Jahr erstreckt und zwar beginnen wir mit dem Sommersemester am 1. Mai 1958 und enden am 31. Juli. Das Wintersemester beginnt am 1. November und Lehrgangsschluß ist am 28. Februar 1959.“ Die Kosten für den Lehrgang betrugen pro Semester 210,- DM. Dazu kamen noch Kosten für die Unterkunft mit 45,- DM und für Verpflegung in den drei Monaten im Sommer- und Wintersemester mit jeweils 450,- DM. Offensichtlich erschienen Diem die Gesamtkosten für die Teilnahme an dem Ausbildungskurs selbst sehr hoch, denn er machte Schaffer auf die Möglichkeit aufmerksam, sich als Trainer bei einem Amateurverein Geld zu verdienen: „Es bestehen in jedem Fall Möglichkeiten, daß Sie das Training eines Amateurvereins übernehmen können (DM 150,- bis DM 200,- monatlich), so daß Sie mehr oder weniger nur die Semestergebühren zu berücksichtigen haben.“76
In seinem Antrag auf Zulassung zu dem Trainerlehrgang gab Schaffer als Geburtsdatum den 1. Februar 1923 an. Die Änderung seines Geburtsdatums nach dem Ende des Kriegs in Bielawa hatte nach Aussage seines ältesten Sohnes Moshe dazu geführt, dass sein Vater häufiger sein Geburtsdatum durcheinanderbrachte, was aber letztlich folgenlos blieb. Als seine „derzeitige Tätigkeit“ führte er „Trainer in Hapoel Kfar Saba“ an.77 Neben Emanuel Schaffer nahm mit Eli (Eliyahu) Fuchs78 ein weiterer Israeli, einer der damals bekanntesten und besten Fußballspieler Israels, an dem Fuß-balllehrer-Lehrgang teil. Dessen Leitung lag in den Händen des Dozenten an der Sporthochschule Köln, Hennes Weisweiler. Die Ausbildung umfasste neben der Vermittlung fußballtechnischer und -taktischer Konzepte die Schulung der Lehrbefähigung, die Vermittlung medizinischer Kenntnisse, pädagogischer, soziologischer und psychologischer Grundlagen, die von Dozentinnen und Dozenten der Kölner Sporthochschule gelehrt wurden. Da Deutsch seine Muttersprache war, hatte Emanuel Schaffer keine Probleme, dem Unterricht zu folgen. Vom 16. bis 20. Februar 1959 fanden die Prüfungen in den verschiedenen Teilgebieten statt. Sie bestanden aus einer schriftlichen Arbeit, Lehrproben, Vorträgen zu wissenschaftlichen Anteilen der Ausbildung in Pädagogik, Soziologie, Psychologie und Medizin, praktischen Prüfungen u. a. in Balltechnik und einer mündlichen Prüfung in Regelkunde. Schwerpunkte der Abschlussprüfungen waren jedoch Taktik, Mannschaftsführung und Trainingslehre. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, erreichte Schaffer in allen Teilprüfungen eine „2“ und bestand die Prüfung insgesamt mit „2“.
Emanuel Schaffers Zeugnis der Sporthochschule Köln für Staatlich geprüfte Fußballlehrer.
Quelle: Nachlass Schaffer
Mitglied des Prüfungsausschusses waren der Leiter des Lehrganges Hennes Weisweiler, Helmut Schön, seinerzeit Assistent des Bundestrainers Herberger, und als Vertreter des DFB Hermann Lennenbach.
Das Thema der Diplomarbeit von Emanuel Schaffer lautete „Allgemeine Taktik als Grundlage des Zusammenspiels in Abwehr und Angriff“.79 Ausgangspunkt von Schaffers Überlegungen zu dem Thema seiner Abschlussarbeit waren die veränderten Anforderungen des Fuß-ballspiels, die – so Schaffer – „überdurchschnittlich intelligente und bewegliche Spieler“ erforderten. Eine Ansicht, die auch 60 Jahre später noch ihre Gültigkeit hat. Bedingt durch ständige Positionswechsel der Stürmer hatte sich in der Verteidigung eine Kombination aus Mann- und Raumdeckung herausgebildet, die die Entwicklung besonderer taktischer Verhaltensweisen erforderte, die Schaffer im Weiteren näher erläuterte. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der Verteidigung von direkten und indirekten Freistößen sowie von Eckbällen. Grundlegend war für Schaffer die Zusammenarbeit der verschiedenen Mannschaftsteile, um das angestrebte schnelle Umschalten von Abwehr auf Angriff sowie auch von Angriff auf Abwehr realisieren zu können. Das verlangte nach seiner Meinung das unmittelbare Stören des Gegenspielers nach Ballverlust. Die „Seele“ des Zusammenspiels im Angriff war für ihn das Freilaufen, dem er einen längeren Abschnitt im Zusammenhang mit „Täuschen“ einräumte. Eine Mischung aus Quer-, Diagonal- und Steilpässen sollte letztlich das Ziel des Spiels vorbereiten: den erfolgreichen Torschuss, zu dessen Vorbereitung aber auch das Dribbling zählen konnte. Die Arbeit von Eddy Schaffer überzeugte nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich und formal. Sie komplettierte damit den insgesamt „guten“ Abschluss seiner Ausbildung. Diese Diplomarbeit hat Schaffer später ins Hebräische übersetzen lassen und als 180-seitiges Buch veröffentlicht. Es erschien erst im Jahr 1981 unter dem Titel „Grundlagen der Fußballtechnik ,“ nachdem eine kurze Fassung bereits 1969 erschienen war.
Trainer in Würselen
Es war sicherlich ein glücklicher Zufall, dass der Verbandsligist SV Rhenania 05 Würselen vor der Saison 1958/59 einen Trainer suchte und dass der Vorsitzende des Vereins Heinz Wacker, Chefredakteur der „Aachener Zeitung“, über gute Kontakte zur Sporthochschule Köln und zu Hennes Weisweiler verfügte. Auf Empfehlung von Hennes Weisweiler verpflichtete der Verein Emanuel Schaffer am 15. Juli 1958 für das Amt des Trainers bei Rhenania Würselen.
Emanuel Schaffer mit seiner Mannschaft von Rhenania 05 Würselen im Jahr 1958. Von li. stehend: Hans Suleja (Betreuer), Heinz Tetz, Franz Schaffrath, Winand Mohren, Josef Cappel, Alfred Reiß, Emanuel Schaffer; zweite Reihe von li.: Herbert Kampsmann, Josef Weihrauch, Heinz-Peter Pütz; knieend von li.: Adam Plum, Rolf Schauer, Manfred Marzurzack.
Quelle: Privat.
SV Rhenania 05 Würselen wurde am 10. August 1905 gegründet. An seiner Wiege standen mit Emil Hartog und Julius Voß auch zwei jüdische Bürger der rheinischen Kleinstadt.80 Zwei Jahre nach der Gründung trat der Verein dem Rheinisch-Westfälischen Spielverband bei und hatte damit die Möglichkeit, sich an Meisterschaftsspielen zu beteiligen. Mehrfach spielte die Fußballmannschaft des Vereins in den 1920er Jahren um die Westkreis- und Rheingaumeisterschaft. Der bislang größte Erfolg in der Vereinsgeschichte war der Aufstieg in der Saison 1948/49 in die Oberliga West, der damals höchsten Liga in Westdeutschland.
Zum Zeitpunkt der Verpflichtung von Emanuel Schaffer spielte Würselen in der höchsten Amateurliga. Trotzdem war die Verpflichtung eines israelischen Trainers keine Meldung wert. Auch in den Spielberichten fand der Name des Trainers keine Erwähnung.81 Schaffer blieb allerdings nur wenige Monate in Würselen. Zum Beginn der Rückrunde übernahm sein Co-Trainer Bartel Thomas, der auch mit Schaffer zusammen die Trainerausbildung in Köln absolvierte, das Amt des Cheftrainers. Auch nach über 50 Jahren ist einigen ehemaligen Spielern die Trainertätigkeit von Eddy Schaffer in Würselen noch in sehr positiver Erinnerung. „Er war ein interessanter Trainer, der vor allem auf Angriff und Kondition setzte und Disziplin verlangte“. Zum Standardprogramm seines Trainings zählten auch gymnastische Übungen, die, wie auf dem Bild zu sehen ist, Körperspannung und Kraft der Spieler schulten. Diese Übungen setzen gegenseitiges Vertrauen voraus. „Ich erinnere mich noch sehr gut, wie er immer ‚Attackieren, Attackieren‘ über den gesamten Platz rief“. Schaffer verlangte von seinen Spielern intensive Laufarbeit, was manchmal dazu führte, dass „ältere Spieler das Lauftraining boykottierten“. Für Schaffer war die Position des Verteidigers nicht ausschließlich auf die Defensive beschränkt: „Rauf und runter“ sollte der Verteidiger im Spiel agieren. Eine taktische Vorgabe, die für die damalige Zeit fast revolutionär war. Sie entsprach der Spielphilosophie von Hennes Weisweiler. Eddy Schaffer erwies sich als aufmerksamer Schüler und setzte das Erlernte aus der Trainerausbildung mit seiner Mannschaft in die Praxis um, und die „Mannschaft folgte ihm“. Eddy Schaffer reiste zweimal wöchentlich zum Training und zu den Spieltagen mit dem Zug von Köln nach Würselen. Für den Verein erwies sich der gesamte Aufwand (Trainerentgelt und Reisekosten) als zu hoch, sodass das Engagement Schaffers nach wenigen Monaten endete.82 Am 18. Januar 1959 legte Schaffer sein Amt nieder; ohnehin war seine Ausbildung in Köln wenige Wochen später abgeschlossen, und er kehrte nach Israel zu seiner Familie zurück.
Training bei Rhenania Würselen
Foto: Nachlass Schaffer
In einem Zeugnis bescheinigte der Vorstand des Vereins Emanuel Schaffer, „dass er seinen Trainerverpflichtungen in ausserordentlich gutem Masse nachgekommen ist. Seine Trainerleistungen sind […] als überdurchschnittlich zu bezeichnen. Herr Schaffer versteht es, sich dem Mannschaftsgefüge gewandt und sicher anzupassen und die Mannschaft in psychologischer Hinsicht einwandfrei zu leiten. Seine theoretischen Kenntnisse verdienen vollste Anerkennung.“83
Oktober 1979. Emanuel Schaffer im Kreise ehemaligen Spieler von Rhenania 05 Würselen.
Foto: Wolfgang Sevenich/Herzogenrath.
In diesen wenigen Monaten seiner Arbeit hatte sich eine tiefe Freundschaft zwischen Trainer und Spielern entwickelt, die über Jahrzehnte Bestand haben sollte. Als Eddy Schaffer im September 1978 mit der israelischen Fußballnationalmannschaft in den Niederlanden ein Trainingslager durchführte, statteten Alfred Reiß und Franz Mohren ihrem ehemaligen Trainer einen überraschenden Besuch ab. Die Wiedersehensfreude war auf beiden Seiten riesengroß. Als Erinnerung überreichten die Verantwortlichen des israelischen Fußballverbandes ihren Gästen den Wimpel der Nationalmannschaft. Schaffer versprach seinen ehemaligen Spielern, die Rhenania, „die erste Liebe, die man nicht vergisst“, demnächst in Würselen zu besuchen. Wenige Wochen später machte er sein Versprechen wahr. Im Oktober 1978 kam es in Würselen zu einem großen und emotionalen Wiedersehen.
Im nächsten Jahr folgten einige Mannschaftsmitglieder mit ihren Frauen der Einladung Schaffers nach Israel. Es wurde eine Reise mit unvergesslichen Eindrücken. Die Freundschaft wurde von beiden Seiten noch viele Jahre gepflegt.