Читать книгу Die Farbpalette der Sehnsucht - Louis Geras - Страница 8

5. Kapitel

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Auf dem Bahnsteig blieb ich stehen. Trotz der späten Stunde drängten sich viele Menschen auf dem Steig. Da ich nicht wusste, wo der Anschlusszug nach Padua abfahren würde, blickte ich mich suchend um. Endlich sah ich einen Bahnbediensteten.

Ich eilte auf ihn zu und fragte aufgeregt: „Wo fährt der Zug nach Padua ab?“ Er runzelte nur die Stirn und sah mich fragend an. Zuerst dachte ich er wäre unhöflich, doch dann fiel mir wieder ein, dass ich ja in Italien war und mich der Mann wahrscheinlich gar nicht verstand. Und so wiederholte ich nur noch einmal fragend das Wort „Padua?“ Nun schien er zu verstehen, denn er zeigte lächelnd seine strahlend weißen Zähne, nickte eifrig und wedelte mit seiner Hand nach rechts und sagte: „Si, si, Signorina. Patova.“

Hastig lief ich nach rechts, den Bahnsteig entlang, zwängte mich zwischen den Reisenden hindurch und entschuldigte mich fortwährend bei den Angerempelten. Endlich erreichte ich den nächsten Bahnsteig, doch zu meinem Endsetzen fuhr der Zug, der hier gewartet hatte, gerade aus. Keuchend blieb ich stehen und starrte dem davonfahrenden Zug hinterher.

Dann stieß ich wütend laut aus: „Mist! Das hat mir gerade noch gefehlt!“ Eine Weile stand ich nur da und wusste nicht was ich tun sollte. Dann stellte ich mutlos meinen schweren Rucksack neben mir auf den Boden. Es dauerte eine Weile bis ich endlich wieder klar denken konnte. Irgendwo musste doch hier eine Informationstafel über die ankommenden und abfahrenden Züge stehen. Dort würde ich sehen, wann und wo der nächste Zug nach Padua abfahren würde.

Während ich mich noch suchend umsah, näherte sich eine lautplaudernde Gruppe von Burschen und Mädchen. Ein Blick in ihre Richtung genügte, um zu sehen, dass sie mit ziemlicher Sicherheit Studenten waren. Beladen mit Rucksäcken und Taschen in ihrer typischen legeren Kleidung schlenderten sie über den Steig und ließen sich in unmittelbarer Nähe nieder, so dass sie den ganzen Bahnsteig mit ihrem Gepäck absperrten.

„Super!“ dachte ich gereizt, „Nun muss ich mich auch noch da durchdrängen.“, und seufzte. In diesem Moment blickte einer der Burschen aus der Gruppe in meine Richtung. Als er meinen Blick sah, lächelte er mich an.

Ich fühlte mich ertappt. Und sofort stieg mir vor Verlegenheit die Röte ins Gesicht. Rasch blickte ich weg, um meine Unsicherheit zu verbergen. Umständlich fing ich an in meiner Tasche zu kramen, so als würde ich etwas suchen. Als ich nach geraumer Zeit wieder in seine Richtung blinzelte, hatte er sich zu seinem Sitznachbarn gewandt und war in ein Gespräch mit diesem vertieft.

Verstohlen musterte ich ihn nun genauer. Er sah nicht im herkömmlichen Sinne gut aus, aber er war mir sofort sympathisch, auch wenn ich nicht sagen konnte warum. Dunkle, starkgelockte, wirre Haare, braungebrannt, - was soll man auch von einen Studenten erwarten -, schlank, trainiert und, - ich konnte nur schätzen -, mittelgroß. Aber, und nun wusste ich auch, was mir sofort an ihm aufgefallen war, er hatte fröhliche, humorvolle Augen, die seinem Gesicht etwas unbeschwertes Gaben. Sein Kinn wirkte jedoch energisch und um seinen Mund lag ein melancholischer Zug, was im krassen Gegensatz zu seinen Augen stand.

‚Welche Farbe haben sie wohl‘, fragte ich mich. Auch jetzt, während er mit seinem Freund sprach, bildeten sich Lachfalten um seine Augen, als gingen davon lauter feine Strahlen weg.

Nun da ich ihn aufmerksamer betrachtete, fiel mir auf, dass er offenbar etwas älter war als seine Begleiter. Ich schätzte ihn auf dreißig, vielleicht fünfunddreißig Jahre. Er trug alte ausgebeulte Jeans und ein T-Shirt, das wahrscheinlich irgendwann einmal schwarz gewesen war, doch nun nach häufigem Waschen mehr gräulich wirkte. Trotz seiner scheinbar, schäbigen Kleidung wirkte er nicht vernachlässig, sondern sauber, gepflegt. Seine Hände, die er zur Untermalung seiner Worte sparsam, aber trotzdem ausdruckstark bewegte, waren braungebrannt mit langen schlanken gepflegten Fingern. Die dunklen Locken fielen ihm in die Stirn und immer wieder fuhr er sich unbewusst durch das füllige Haar.

Unwillkürlich schüttelte ich meinen Kopf und murmelte vor mich hin: „Endlich den Einen los und schon schau ich mich nach einen Neuen um. Das fehlt mir gerade noch! Eine Ferienromanze ist ja wohl das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann! Mein Leben ist kompliziert genug.“ Dabei verdrehte ich meine Augen und schnaufte hörbar verächtlich über mich selbst. Ich beschloss dieses Verhältnis abzuschließen, bevor es noch begonnen hatte, und verfrachtete meinen Rucksack auf den Rücken, schnappte den Malkoffer und marschierte mit hoch erhobenem Haupt auf die Gruppe zu. Ich musste mittendurch um zur Informationsstelle zu gelangen, die ich in dieser Richtung vermutete und konnte schließlich mein Gepäck nicht hier unbeaufsichtigt stehen lassen. Ich fing an mich durch die Sitzenden zu schlängeln, die die ganze Breite des Bahnsteigs beanspruchten. Dabei war es unmöglich, nicht zumindest die Hälfte der Personen ungewollt mit meinen Rucksack anzustoßen.

‚Was müssen sie sich auch hier gerade breitmachen‘ – dachte ich ärgerlich. Sagte jedoch jedes Mal, wenn ich anstieß mit einem entschuldigenden Lächeln laut: „Sorry! Sorry!“ Endlich hatte ich es geschafft. Den Studenten schien es egal zu sein, denn sie ließen sich dadurch nicht bei ihren Gesprächen stören.

Mit dem schweren Rucksack auf den Rücken blieb ich suchend stehen, aber nirgends war das Schild „Information“ zu sehen. Inzwischen war es schon spät, wahrscheinlich zweiundzwanzig Uhr und da ich schon seit sechs Uhr früh auf den Beinen war, war ich hundemüde. Ich seufzte. Zusehends kamen mir Zweifel, ob ich nicht doch lieber zu Hause geblieben wäre. Ich hätte ja auch in Salzburg bleiben können, und mir ein paar schöne gemütliche, dafür langweilige Tage machen können. Ich straffte meine Schultern und reckte mein Kinn vor. Dass half meistens, wenn ich verunsichert oder mutlos war. Es fiel mir dann leichter missliche Situationen zu meistern, denn im Grunde meines Herzens war ich sicher kein Held. Ich gab mir einen Ruck und wollte den Bahnsteig weiter entlanggehen, als ich hinter mir etwas hörte, wodurch ich mich abrupt umdrehte. Meine schnelle Kehrtwendung ließ mich heftig mit einer Gestalt hinter mir zusammenprallen. Erschrocken machte ich einen Schritt zurück, doch der kurze Moment der Berührung ließ mir Zeit genug einen angenehmen männlichen Duft einzuatmen. Leicht würzig, gemischt mit einem nicht zu aufdringlichen männlichen Parfüm hüllte er mich ein und ein Kribbeln, das langsam über meinen Rücken aufwärts lief, erfüllte meinen Körper mit angenehmer Wärme. Dieses Gefühl, dass man alles um sich herum vergessen möchte, kannte ich nicht. Aber ich musste mich zusammenreißen, um es von mir abzuschütteln. Ich holte tief Luft und trat noch einen Schritt zurück, heraus aus der gefühlsbetonten Zone, die mich einhüllte und meinen Kopf von jeglichen vernünftigen Gedanken leere. Ich blinzelte verwirrt und starrte schließlich mein Gegenüber an. Trotzdem brauchte ich eine Weile bis mein Verstand wahrnahm, wer vor mir stand. Ein Paar ungewöhnlicher Augen beobachtete mich aufmerksam. Der „Student“, der mir schon vorher aufgefallen war, schien genauso erstarrt wie ich. Aber dann lächelte er mich freundlich an, während ich wie gebannt in seine Augen starrte. Sie besaßen ein Grün von solcher Intensivität, wie ich es noch nie in meinen Leben gesehen hatte. Ich war so fasziniert, das ich anfangs gar nicht bemerkte, dass er mich etwas fragte. Dann aber drangen seine Worte in mein Bewusstsein vor. Trotzdem verstand ich nichts, denn er sprach italienisch. Als ich ihn verständnislos ansah, wiederholte er seine Frage in Englisch.

„Can I help you?“, fragte er und lächelte breit, so dass man seine weißen ebenmäßigen Zähne sah. Dabei blitzten seine fröhlichen Augen, wie sonnenbestrahlte grüne Smaragde.

Mein Englisch war nicht besonders gut, aber das verstand sogar ich. Ich musste zweimal Schlucken um den Kloss in meinem Hals hinunterzuschlucken. Dann gelang es mir schließlich, nach mehrmaligen Räuspern, krächzend hervorzustoßen: „ I’m looking for the information.“

Er nickte und fing an mir ausführlich den Weg zur Information zu beschreiben, wobei er auch seine Hände zur Verdeutlichung hin-und her bewegte. Wie hypnotisiert starrte ich auf seine Bewegungen, so dass ich mich nicht auf seine Beschreibung konzentrieren konnte. Den ersten Teil seiner Erklärung verstand ich noch, doch nach der zweiten Rechtsbewegung verlor ich den Faden und schließlich rief ich: „Halt! Stopp! Ich verstehe kein Wort!“ Er hielt in seinem Bemühen den Weg zu beschreiben inne. Dann lachte er sichtlich erleichtert auf und meinte:“ So ein Glück! Ich hätte nicht mehr weiter gewusst! Auf Deutsch fällt mir die Wegbeschreibung leichter.“ Sein Lachen steckte an und so grinste ich nun auch und bat ihn mir doch noch einmal den Weg zu beschreiben – aber dieses Mal in meiner Muttersprache.

Wie sich herausstellte, war es nicht weit. Ich bedankte mich und zögerte. Ich hätte mich noch gerne länger mit ihm unterhalten - sofern man das als Unterhaltung bezeichnen konnte – denn er hatte eine angenehm dunkle Stimme, die mein Herz in seltsame Schwingungen versetzte. Aber, wie meistens in solchen Situationen, fiel mir nichts Intelligentes ein, das ich noch sagen hätte könnte. So wandte ich mich mit Bedauern um. Schnell blickte ich mich nochmals über die Schulter, um mich noch einmal zu bedankend, aber in erster Linie um ihn noch einmal zu sehen.

Dann ging ich in die beschriebene Richtung, möglichst langsam, denn ich wollte noch seine Nähe spüren. Aber anstatt stehen zu bleiben, wie ich es erwartet hatte, setzte er sich nun auch in Bewegung und schritt neben mir her in die gleiche Richtung.

Nun blieb ich irritiert stehen und wandte mich ihm zu, da ich dachte, er hätte etwas vergessen, oder wolle noch etwas sagen. Er lächelte und sagte: „ Ich will nur sicher gehen, dass Sie in die richtige Richtung gehen.“

Ich war verwirrt. Warum tat er das? Kurz überlegte ich, doch dann zuckte ich die Schultern und ging weiter. Langsam legten wir die kurze Strecke bis zur Information, schweigend, nebeneinander hergehend, zurück. Es war ein seltsames Gefühl der Vertrautheit, das mich überkam, während wir so neben einander gingen. Und ich hätte nichts lieber getan, als neben ihm weiter zu gehen. Aber dann standen wir schon vor dem Büro der Auskunftsstelle.

Das kleine Informationsbüro war nichts anderes als ein viereckiger Glasverschlag mitten auf dem Bahnsteig. Über einer Öffnung im Glas stand in großen dicken Lettern: „INFORMATION“. Durch ein Glasfenster sah ich eine dickliche Frau, die gelangweilt umherblickte, während sie ihre lackierten Nägel feilte. Ihre schlampig aufgesteckten Haare hatten offensichtlich schon seit längeren keine Haarwäsche mehr erhalten, denn sie glänzten schmierig. Das starkgeschminkte Gesicht war von vielen Furchen durchzogen und die Hängebacken gaben ihr den Ausdruck eines bissigen Bullterriers. Ihr großgeblümtes Kleid hatte Flecken auf dem Oberteil und der pralle Busen kämpfte gegen die kleinen Plastikknöpfe an, wobei ich mir sicher war, dass er über kurz oder lang gewinnen würde. Da sie mich gekonnt ignorierte, klopfte ich an die Scheibe, aber die Frau tat als hätte sie mich nicht gehört und machte sich scheinbar plötzlich sehr geschäftig an die Arbeit. Dabei schob sie die Blätter, die vor ihr lagen hektisch hin und her, ohne sichtlichen Grund oder Ergebnis.

Ich seufzte und versuchte es noch einmal, diesmal energischer. Sie hielt inne in ihrem sinnlosen Bemühen und hob den Kopf. Man sah ihr an, dass sie sich gestört fühlte. Endlich ließ sie sich dazu herab die kleine Scheibe einen Spalt zu öffnen. Sie bellte ein kurzes, fragendes „Si?“ heraus und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen unfreundlich an.

Da ich kein italienisch sprach, versuchte ich es zuerst auf Englisch. Ich war überzeugt davon, dass sie zumindest so viel verstand, das ich eine Auskunft erhalten würde. Doch sie sah mich nur verständnislos an und stellte auf Italienisch eine Gegenfrage. Scheinbar verstand sie mich nicht, also versuchte ich es abermals. Diesmal auf Deutsch. „Wann geht der nächste Zug nach Padua?“ erkundigte ich mich, wobei ich betont langsam sprach, um es ihr leichter zu machen. Endlich schien sie zu begreifen. Sie ließ sich zu einer Antwort in gebrochenen Deutsch herab: „ Zug nach Padova? Zweiundzwanzig Uhr fünfundzwanzig. Bahnsteig vier, rechts.“ Während sie sprach, deutete sie in die entsprechende Richtung. Danach schloss sie schnell das kleine Fenster, als fürchte sie, ich könnte noch eine Frage stellen, und ließ mich stehen.

Offensichtlich war die Frau am falschen Platz. In einer Informationszentrale erwartete man eine freundliche, mehrere Sprachen sprechende Person. Diese Frau gehörte jedenfalls nicht in diese Kategorie. Nun fing ich an mich zu ärgern. Zornig klopfte ich abermals an die Scheibe, aber die Frau ignorierte mich vollkommen. Aus ihrer Sicht hatte sie scheinbar alles gesagt und war somit nicht mehr bereit mit mir zu sprechen. Sie machte eine fahrige Bewegung, mit der sie mir andeutete, dass ich gehen und sie in Ruhe lassen sollte.

Wütend wandte ich mich ab und stieß einen zornigen Laut aus. - Was bildete sie sich ein? Konnte man an einer Informationsstelle nicht erwarten, dass man eine ordentliche Auskunft erhielt? Offensichtlich in Italien nicht.

Ich hatte meinen stillen Begleiter vollkommen vergessen. Aber jetzt fiel mein Blick auf ihn. Er lehnte an einem Geländer und sein Gesichtsausdruck war sichtlich amüsiert. Er grinste breit und sagte dann, mühsam bemüht ein schallendes Lachen zu unterdrücken: „Ist sie nicht charmant?“

Offenbar war sie ihm bekannt, denn er fuhr erklärend fort: „Als ich das erste Mal hier war, hatte ich auch kein Glück bei ihr. Sie ist bekannt für ihr ‚herzliches zuvorkommendes Wesen‘.“ „Im Übrigen kann ich Ihnen diese Auskunft auch geben.“, fuhr er dann fort „Wir, ich meine, meine Freunde und ich, wir fahren auch nach Padua.“

Während er sprach, legte er seinen Kopf etwas schief und strich sich mit seiner gebräunten Hand die Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht hingen, aus der Stirn. „Ich heiße übrigens Pat.“, stellte er sich nun vor. Erklärend fort er dann fort: „Wir waren am Meer in der Nähe von Mira. Dort haben Stefanos Eltern ein Ferienhaus, direkt am Meer. Morgen müssen wir wieder in Padua sein. Professore Venici verabscheut unzuverlässige Studenten. Er nimmt es sehr ernst mit der Anwesenheit bei seinen Vorträgen. Daher müssen wir zurück, obwohl wir lieber in Mira geblieben wären. Es ist um diese Jahreszeit wunderschön dort. Das Meer ist noch klar und es sind kaum Touristen anwesend.“ Er brach seinen Redeschwall ab. Plötzlich wirkte er verunsichert. Schließlich fügte er noch hinzu: „Der Zug fährt von Bahnsteig 4C ab. Also von dort, wo wir waren.“ Dabei deutete er in die Richtung, aus welcher wir gerade gekommen waren. „Aber der Zug ist doch gerade abgefahren.“, warf ich nun ein. Pat schüttelte den Kopf. „Das war der Eilzug nach Rom.“, sagte er erklärend.

Langsam kehrten wir zu den anderen auf den Bahnsteig zurück, wobei er mich nach meinem Wohin und Woher fragte. Es war angenehm seine freundliche Stimme zu hören. Das Gefühl allein zu sein war mit seiner Anwesenheit verschwunden. Ich war normalerweise misstrauisch, aber in seiner Gegenwart hatte ich sofort das Gefühl sicher zu sein. Als würde man mit einem alten Bekannten unterwegs sein. ‚Seltsam‘, dachte ich irritiert. In Peters Gesellschaft hatte ich immer das Gefühl gehabt, auf der Hut sein zu müssen. Ich hatte unbewusst immer darauf geachtet, wie ich etwas formulierte. Nun sprach ich mit einem Fremden und es fiel mir leichter ihm etwas über mich zu erzählen, als bei irgendjemanden anderes. Ich hätte ihm wahrscheinlich meinen gesamten Lebenslauf erzählt, wären wir nicht bei den anderen Studenten angekommen.

Als wir sie erreichten, wollte ich mich nicht aufdrängen und sagte verabschiedend: „Danke für deine Hilfe.“, und wandte mich seitwärts, um am anderen Bahnsteigende zu warten. Aber als er sah, dass ich mich abwandte, griff er rasch nach meiner Hand und fragte: „Willst du dich nicht zu uns setzen?“ Ohne meine Antwort abzuwarten, fing er an mir seine Freunde vorzustellen.

„Das ist Stefano! Du erinnerst dich?“ „Dein Freund mit den Eltern mit dem Haus am Meer“, vervollständigte ich seine Beschreibung und an Stefano gewandt, sagte ich: „Hey! Ich bin Susan!“ Dabei hob ich jovial meine Hand zum Gruß.

Stefano sah kurz fragend in Richtung Pat und grüßte dann ebenfalls mit einem kurzen „Ciao“.

Pat sagte etwas auf Italienisch und nun erschien ein breites Lächeln auf Stefanos Gesicht. Sein Blick wanderte neugierig in meine Richtung.

Dann redete er auf Italienisch auf Pat ein. Dabei sah er immer wieder zwischen Pat und mir hin und her.

Ich verstand nichts, nur gelegentlich fielen unsere Namen, wodurch ich annahm, dass er über uns redete.

Mein Blick wanderte fragend zu Pat. Dieser grinste nun ebenfalls breit, zuckte mit den Schultern und sagte auf Deutsch: „Er redet gerne und viel, aber ansonsten ist er ein prima Kerl.“

Die Anderen stellten sich nun auch als Pedro, Silvio, Maggi und Laura vor. Sie grüßen alle mit „Ciao“ und einer freundlichen Geste in meine Richtung. Offensichtlich konnten sie alle nicht Deutsch. Nach der Begrüßung wandten sie sich ihrem jeweiligen Gesprächspartner wieder zu und beachteten uns nicht weiter.

Sie sprachen ausschließlich italienisch und da ich nichts verstand, fühlte ich mich zusehends unwohl. Ich fühlte mich als Eindringling in dieser Gruppe.

Maggi und Laura tuschelten und warfen immer wieder Blicke in meine Richtung, dann kicherten sie hinter vorgehaltenen Händen. Ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, wie sie mein Äußeres zerpflückten.

Gerade erst war ich den Freundinnen von sogenannten besten Freunden entgangen und ich hatte keine Lust mich schon wieder als Anhängsel zu betrachten. Ich wollte mich nicht aufdrängen, oder gar als Mitbringsel behandelt werden. Daher wandte ich mich an Pat und sagte: „Danke nochmals. Man sieht sich.“

Mit diesen unverbindlichen Worten ging ich den Bahnsteig entlang und stellte meinen Rucksack etwas abseits nieder. Dann setzte ich mich daneben. Müde legte ich meinen Kopf auf die verschränkten Arme.

Ich hätte nichts gegen etwas Gesellschaft gehabt, andererseits war es wahrscheinlich sogar besser, dass ich alleine blieb. Denn im Grunde wollte ich nach meiner spontanen Trennung von Peter nur meine Ruhe. Trotzdem wanderten meine Blicke immer wieder, verborgen unter meinen halblangen Haaren, in die Richtung, in der die Gruppe lagerte.

Die freundliche, unkomplizierte Art von Pat hatte mir richtig gut getan. Trotz seiner Direktheit, mit der er mich angesprochen hatte, hatte ich seine Art nicht als aufdringlich empfunden. Vielmehr war er charmant, aber nicht wie ein Filou, sondern eher wie ein Galan.

Er saß nun neben dem Burschen, den er als Pedro vorgestellt hatte. Petro war dunkelhaarig und mindestens einen Kopf größer als Pat. Er hatte einen gutmütigen Gesichtsausdruck, der so gar nicht zu seinen Äußerem passte. Seine dunklen Haare standen, wie Igelstacheln von seinen Kopf ab und Lippe und Nasenloch waren gepierst. Unter seinem engen T-Shirt mit grellem Aufdruck zeichnete sich ein sportlich, muskulöser Brustkorb ab. Man sah ihm an, dass er sich viel bewegte und intensiv Sport betrieb. Er hatte, trotz seiner langsamen, bedächtigen Bewegungen, einen wachen, aufmerksamen Blick, der mir sofort aufgefallen war, und ihn mir sympathisch machte. Ich mag Menschen, die die Welt mit wachen, kritischen Augen betrachten.

Silvio, der neben ihm stand, war genau das Gegenteil von Pedro. Schmal und schlank, und wieselflink, schien er keine Sekunde ruhig sitzen zu können. Seinen brünetten langen Haarschopf hatte er mit einem bunten Tuch, das dieselbe Einfärbung, wie sein T-Shirt hatte, zusammengebunden. Es war offensichtlich, dass er Wert auf seine Kleidung legte, denn er trug Jeans von Joop und auf seinem Hemd, welches er lässig über dem T-Shirt trug, prangte das Logo von Hilfinger.

Pat unterhielt sich angeregt mit ihnen, dabei sah ich, wie seine Augen immer wieder in meine Richtung wanderten, als überlegte er, ob er mich noch einmal ansprechen sollte. Aber wahrscheinlicher war, dass er seinen Freunden davon erzählte, wie unbeholfen ich mich am Schalter aufgeführt hatte. Sie amüsierten sich sicher darüber.



Die Farbpalette der Sehnsucht

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