Читать книгу Der Computer bestimmt die Sexualität - Luca Farnese - Страница 6
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ОглавлениеSamuele Collalto war ein gutgebauter, breitschultriger Mann von der Sorte, die ziemlich jeder Frau die Knie weich werden ließ. Seine aschblonden Haare waren modern frisiert und fielen ihm locker in das hübsche Gesicht, an dem an sich nichts ungewöhnlich war, außer einer kleinen Narbe am rechten Mundwinkel. Diese Narbe gab Samuele einen herben, männlichen Ausdruck, und vielleicht spielte auch sie eine kleine Rolle dabei, dass die hartgesottensten Mädchen unwillkürlich die Schenkel zusammenpressten, wenn sie ihn sahen, dass die kühlsten und treuesten Frauen wieder einmal auf die Idee kamen, dass ihr Bett breit genug für einen neuen Liebhaber war.
Eine einzige nur konnte vielleicht seinen Reizen widerstehen. Das war Giulia Mocenigo. Doch sie hatte noch nicht das Vergnügen, Samuele kennenzulernen.
An einem späten Maimorgen im Jahr 2029 fuhr Giulia Mocenigo durch die überfüllten Straßen von Turin zu ihrer Firma. Sie hatte verschlafen, und sie knirschte vor Ärger über sich selbst mit den Zähnen, denn es war das erste Mal in ihrem 28-jährigen Leben, dass ihr diese Sünde passierte.
In Gedanken war sie bereits bei ihrer Arbeit, einem kleineren Auftrag der Busenwunder-Ladenkette, die ein neues Modell ihres Liebesroboters auf den Markt werfen wollte.
Als Giulia einen gehetzten Blick aus dem Seitenfenster ihres Wagens warf, traute sie ihren Augen nicht. Neben ihr fuhr eine schnittige Luxus-Limousine, die noch Panoramafenster bis zum Boden besaß. Am Steuer saß eine gutgebaute, dunkelhäutige Frau, die ein tief ausgeschnittenes Kleid trug.
Der Mann neben dem farbigen Mädchen saß von Giulia abgewandt, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Doch Giulia konnte dafür genau seine Hand sehen. Sie befand sich zwischen den Schenkeln der Fahrerin, und sie bewegte sich träge und verspielt.
Giulia konnte den Blick nicht vom Gesicht der Frau im anderen Auto wenden. Es war verzückt verzogen, der Mund halb geöffnet, die Zungenspitze auf die obere Zahnreihe gelegt. Giulia sah, wie eine zarte Ader am Hals der Frau pochte, wie sich eine Hand hob und sich in die Schulter des Mannes krallte, während sie die andere zur Faust geballt an den Mund führte und sich in ihre Fingerknöchel biss.
Dann warf die Frau ihren Kopf nach hinten. Ihr Körper dehnte und streckte sich zuckend. Sie kam offensichtlich zum Orgasmus.
Giulia hörte die Signale der Autofahrer hinter sich nicht. Sie starrte und starrte. Die Farbige im Wagen neben ihr öffnete die Augen, sie bemerkte, dass sie den Verkehr behinderte und schaute nach rechts. Sie sah Giulias entsetztes Gesicht, setzte sich auf und blinzelte ihr lüstern zu.
„Das gibt es nicht“, sagte Giulia laut, während sie losfuhr. „Was haben die Leute nur im Kopf…“
„Samuele, cucciolotto“, seufzte das dunkelhäutige Mädchen in der Limousine. „Gerade haben wir eine unschuldige Frau zu Tode erschreckt.“
„Das gibt es nicht!“, murmelte Samuele. „Vor zwanzig Jahren wären wir vielleicht eingesperrt worden, aber heutzutage sind die Menschen zu abgebrüht, als dass sie auch nur einen Blick auf ein Pärchen werfen, das sich harmlos vergnügt.“
Samuele richtete sich auf. Er schaute aus dem Fenster und betrachtete die riesigen Reklamewände, auf denen die verschiedenartigsten Brüste und Hinterteile an ihm vorbeizogen.
„Wer heutzutage Lust hat, jemand beim Bumsen zu beobachten, blickt auf seinen Fernseher, dort bekommt er es perfekter gezeigt als im wirklichen Leben.“
„Ja, das wird es sein“, sagte Aurelia. Sie warf Samuele einen ernsten Blick zu.
„Was wird es sein?“, fragte Samuele gähnend.
„Zuviel Sex heutzutage und zu perfekt. Mir hängt es manchmal zum Hals heraus. Ich komme nach Hause, und was sehe ich als erstes? Einen Riesenpimmel, der in einer Möse steckt.“
„Du willst doch damit nicht sagen, dass...“
„Früher, als ich noch sehr klein war, hat es Filme gegeben, da gab es keine einzige Fickszene. Da gab es Fernsehsendungen, in denen alle vom ersten Augenblick bis zur letzten Minute völlig angezogen waren.“
Samuele schüttelte den Kopf und sagte: „Schreckliche Zeiten, das musst du doch zugeben, oder? Du brauchst mir nichts zu erzählen. Um geile Filme anschauen zu können, mussten die Menschen früher heimlich im Internet surfen und etwas suchen, für das sie nichts zahlen mussten. Kannst du solchen Zuständen etwas abgewinnen?“
„Damals hat es im Sexualkundeunterricht noch keine praktischen Prüfungen gegeben. Man konnte sich scheiden lassen, wenn der Partner mit anderen ins Bett ging. Ich weiß, es waren düstere Zeiten, aber heutzutage fehlt mir etwas. Ich kann es nicht erklären, aber manchmal möchte ich eben gerne etwas tun, was nichts mit Sex zu tun hat.
„Du bist eine Romantikerin“, sagte Samuele, „aber zum Glück bist du auch ein scharfes Biest, und du würdest unglücklich sein, wenn du auch nur einen Tag auf all den Fortschritt verzichten müsstest, der uns das Leben versüßt.“
Aurelia schnitt eine Grimasse. „Oddio!“, sagte sie gedehnt. „Du redest daher, als wolltest du den Goldenen Grottenorden vom Ministerium für Untere Angelegenheiten bekommen.“
„Du wirst es nicht glauben, ciccina“, antwortete Samuele wegwerfend, „den habe ich schon.“
Aurelia brachte den Wagen zum Stehen. „Den kannst du dir sonst wohin stecken: Hauptsache du kümmerst dich darum, dass ich den Bombenjob in eurer neuen Produktion bekomme.“
„Ich bin nicht vergesslich“, murmelte Samuele säuerlich. „Wenn du das zehnmal wiederholst, beginne ich langsam zu begreifen, auf was du aus bist.“
Aurelia lächelte Samuele zu und bedachte ihn mit einem tiefen Augenaufschlag.
„Oh ha!“, sagte sie. „Samueles empfindsames kleines Herz kommt zum Vorschein.“
Sie legte ihm die Arme um den Hals, zog seinen Kopf zu sich herunter und gab ihm einen langen Zungenkuss.
Als er geistesabwesend aus dem Wagen stieg, rief sie ihm nach: „Vergiss deine raue Schale nicht...“
Samuele warf ihr einen müden Blick zu, dann lenkte er wortlos seine Schritte dem Arbeitsplatz zu, der schon mehrere Stunden lang ungeduldig auf ihn wartete.
Giulia Mocenigo betrat ihr Büro mit festen, ausholenden Schritten. Die erotische Szene auf der Herfahrt, die sie eine Weile beschäftigt hatte, war sie schon längst vergessen. Sie fühlte sich energiegeladen, hatte das herrliche Gefühl, Berge versetzen zu können.
Und wie immer blieb sie einen Moment lang bei der teuer gerahmten Urkunde stehen, auf die sie so stolz war. Sie hatte sie voriges Jahr vom Bundesministerium für sexuelle Kommunikation - vom Volksmund Ministerium für Untere Angelegenheiten genannt - in Empfang genommen. Wegen besonderer Verdienste im Bereich aufklärender Tätigkeit hinsichtlich körperlicher Lust, stand da geschrieben.
Es waren nicht viele, die diese Urkunde ihr eigen nennen konnten, nur der Goldene Grottenorden war noch begehrenswerter für einen pflichtbewussten Bürger.
Giulia ließ sich hinter ihrem Schreibtisch nieder. Auf der Wand ihr gegenüber hingen die Standfotos einer Anzahl von Werbefilmen für Produkte, die von der Firma betreut wurden.
Sie schloss für einige Sekunden die Augen. All das war ihr Werk, und wenn sie sich auch manchmal von der etwas einseitigen Thematik verwirrt fühlte; es war ihre Arbeit, und sie tat sie so gut wie kaum einer.
Giulias Sekretärin stolzierte in das große Arbeitszimmer ihrer Chefin. Sie trug einen modischen Spitzenbüstenhalter, der ihre Brustwarzen ins Freie blinzeln ließ. Sie lächelte Giulia munter zu, legte ihr die Post auf den Schreibtisch und tänzelte mit wiegenden Hüften zur Tür zurück.
Giulia sah ihr mit gerunzelter Stirn nach. Die Offenherzigkeit dieses Mädchens während der Arbeitszeit passte ihr seit langem nicht. Geschäft und Privatsachen waren streng zu trennen. Das war ihre Einstellung, und deswegen trug sie selbst auch ein streng geschnittenes Kostüm, das ihre Brüste völlig verbergen sollte, auch wenn ihre Mitarbeiter sie als altmodisch belächelten.
Giulia war eine Arbeitsbiene. Das war der Grund, warum ihr Privatleben seit Jahren zu kurz kam. Leider hatte sie sich daran gewöhnt. Viele Männer bedauerten das, und auch Paola, Giulias Sekretärin, unterdrückte oft nur mühsam ihren Ärger über den rastlosen Fleiß ihrer Chefin, denn sie kam selbst regelmäßig übernächtigt zur Arbeit. In ihrer Freizeit war sie Vorsitzende eines Sex-Clubs, ein Hobby, das sie voll ausfüllte.
Als Paola in das angespannte Gesicht ihrer Chefin sah, durchrieselte sie ein kalter Schauer. Sie machte sich auf einen harten Tag gefasst. Paola setzte sich und schlug ihre langen, bestrumpften Beine übereinander. Die kühle Stimme ihrer Chefin ging in ihr eines Ohr hinein und aus dem anderen wieder heraus.
Wenn dieser Eisberg mir noch einmal eine spitze Bemerkung über meine Titten an den Kopf wirft, kratze ich ihr die Augen aus, dachte sie grimmig.
„Sie sind übrigens nicht mehr auf einer Orgie, Paola“, erklang Giulias Stimme bissig. „Wachen Sie auf - und außerdem könnten Sie mir endlich den Gefallen tun, Ihre sicherlich aufregenden körperlichen Reize nicht gar so offen zur Schau zu stellen.“
Die beiden Frauen sahen sich an. Ihre Blicke sprühten.
„Ich gehe nach der Mode, Signora Mocenigo“, zischte Paola, „und ich habe keine Angst, dass Sie mich vernaschen werden.“
„Auf diese verrückte Idee kommen aber auch nur Sie!“, sagte Giulia eisig.
Paola hob den rechten Mundwinkel zu einem halben Lächeln. „Da sind Sie auf dem falschen Dampfer, Chefin“, erklärte sie.
„Ich will nicht, dass Sie mein Team durch Ihr gewagtes Auftreten von der Arbeit ablenken!“, bellte Giulia zornig.
Paolas Lächeln wurde honigsüß. „Im Gegenteil! Ich inspiriere es doch nur!“
Paola räkelte sich auffordernd lüstern, während sie versuchte, dem wütenden Blick Giulias standzuhalten.
„Die Firma JoyDivison mit der Penisex-Salbe will die Agentur wechseln“, sagte sie schließlich geschäftsmäßig. „Dr. Marcel Lohmann, der alleinige Inhaber der Firma, kommt heute nach Turin. Wenn wir schnell genug zuschlagen, können wir uns den Auftrag unter die Nägel reißen.“
Giulias Miene nahm einen aufmerksamen, beinahe listigen Zug an. „Reden Sie sofort mit dem Computer“, befahl sie. „Rufen Sie alle Informationen über die bisherige Verkaufsstrategie der Penisex-Salbe ab. Wir entwickeln noch heute ein neues Konzept. Wir werden alle anderen aus dem Feld schlagen, so wahr ich Giulia Mocenigo heiße...“