Читать книгу Ein weiteres Intermezzo mit dem Bösen - Lucian Vicovan - Страница 6

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„Luczizcki, Ihre Züge sind chaotisch und reaktionär, haben Sie überhaupt einen Plan?”

„Mein Plan ist es, dir endlich eine Niederlage zu verpassen, und das ist mir Plan genug.”

Tano wieherte los. Er hatte ein außergewöhnlich lautes Lachen. Im nächsten Zug schlug er mein Pferd, welches ich schutzlos und vernachlässigt in der Mitte des Bretts stehen gelassen hatte. Alternativ hätte ich vielleicht einen Läufer opfern können, aber davon blieb mir auch nur noch einer.

Jede Schachpartie mit Tano war eine neue Klatsche. Dabei lebte ich bis zu dem Tag, an dem ich zum ersten Mal gegen ihn gespielt hatte, mit der Auffassung, ein dezent guter Spieler zu sein. Diese Annahme zerschmetterte der Koch, Tano, innerhalb von Sekunden. In der ersten Partie zerlegte er mich in vier Zügen. Bauer vor, Dame raus, diese neben den hilf- und schutzlos ausgelieferten König gestellt - Ende der Geschichte. Seitdem erwischte er mich nie wieder mehr so kalt, hatte aber auch nie irgendwelche Mühe mit mir. Dies gab mir Anlass, einiges zu überdenken, doch dann bemerkte ich etwas an Tano, und beruhigte mich ein stückweit.

Tano war ein Genie, ein Zahlengenie, um spezifischer zu sein. Er konnte sich alle Bestellungen in richtiger Reihenfolge merken, er konnte einen Farbenwürfel innerhalb von Sekunden lösen, komplizierte Berechnungen im Kopf bewältigen und auch sonst alle anderen Tricks, die man einem Menschen mit dieser Begabung zutrauen müsste.

Tano kam aus Neuseeland. Er arbeitete in der Küche des Sam´s, zusammen mit seinem Schwiegervater. Seine Freundin war Teilzeitkellnerin. Obwohl sie beide erst Mitte zwanzig waren, hatten sie schon vier oder fünf Kinder.

Er konnte sogar gegen Schach-Apps am Handy in wenigen Zügen gewinnen - also gegen einen Computer spielen und diesen eindrucksvoll besiegen. Gleichzeitig war Tano auch Schulabbrecher, vorbestraft, aggressiv und sprach, wie ein noch nie in einer Stadt gewesener Bauer.

Mal war es traurig, mal war es lustig mitanzusehen.

Dieses Mal war die Schachpartie erneut bedrückend und frustrierend. Ich merkte, wie schwer es mir fiel mich zu konzentrieren. Daher verlegte ich meine Aufmerksamkeit eher auf das Trinken und bewegte nur ganz nebenbei die Figuren auf der Tafel umher, bis diese mir weggeschnappt wurden.


„Na, ihr Pisser?!!!?”

Damit kündigte Shelly das Ende ihrer Schicht an. Die Küchenbelegschaft machte immer als erster Feierabend, erst später auch die Kellner.

Der Stuhl neben mir war frei, also stieß ich ihn schnell mit dem Fuß weg.

„Du glaubst echt, dass ich mich neben dich gesetzt hätte?”

„Ich glaube, dass du dich am allerliebsten auf meinen Schoß gesetzt hättest.” Es wurde freudig gelacht.

„Hört, hört. Die Freundin ist nicht dabei und schon hat er wieder Eier in der Hose, der Herr Luczizcki. Nicht einmal für einen vollen Jahreslohn würde ich mich auf deinen Schoß setzen.”

Stattdessen nahm sie mir gegenüber Platz.

„Na, wo ist sie denn, deine Schönheit?”

„Schönheitsschlaf.”

„Und du gehst da einfach aus dem Haus?”

„Ich war nicht müde.”

„Wovon auch, du machst ja den ganzen, lieben Tag lang nichts, oder? Was ist es, was du tust, Luczizcki?”

„Spionierst du mein Leben aus? Hast du nichts Besseres zu tun?”

Sie machte ein Würgegesicht, begleitet von männischen Würgegeräuschen. Sie war gerade erst neunzehn, ich musste mir diese Eckdaten immer wieder in Erinnerung rufen.

Amid kam heraus, er lud alle auf ein Bier ein und trug auch eines für mich mit. Dafür kaufte ich ihm auch gleich eine Flasche Whisky und eine Flasche Cola ab. Schon seit einigen Tagen trank ich verhältnismäßig nur noch wenig, es war an der Zeit, sich dem guten, treuen Alkohol wieder etwas stärker hinzugeben. Nach Hause hatte ich es nicht weit, keine fünf Minuten Fußmarsch. Dort würde mich ohnehin nur eine schlafende Schönheit erwarten, neben der ich mich sicherlich noch für mindestens zwei bis drei Stunden hellwach von einer Seite auf die andere wälzen würde.

„Du bist hässlich!”, wurde Shelly von Tano erinnert.

„Aber glücklich!”, konterte diese. Diesen Schlagabtausch führten die zwei immer wieder.

Tanos Frau hatte Schlüsseldienst. Sie sperrte ab, diskutierte noch kurz mit Amid, der sich dann von uns allen verabschiedete und verschwand. Das war der Punkt, an dem endlich `der Herr´ verschwand und ich nur noch Luczizcki genannt wurde, von allen anderen auch - so, wie Shelly es immer tat. Die Arbeit war offiziell vorbei und wir wurden sogleich zu Freunden, die miteinander abhingen, weil ihnen die Gesellschaft des jeweils anderen gefiel.

Ich war gerade dabei die Flasche zu öffnen, als Tano sie mir aus der Hand riss und sich eine beachtliche Portion Whiskey direkt in den Hals schüttete. Seine Frau kam, fuchsteufelswild geworden, und nahm sie ihm ab.

„Sag mal, hast du sie noch alle?!”, fauchte sie und gab mir die Flasche zurück. Wir lachten alle los, und auch Tano stimmte nach einigen Würgelauten mit ein. Liz, so hieß Tanos Frau, nahm mir den Whisky doch wieder ab und setzte sich zu Shelly. Sie füllten sich etwas davon in ihre Cola´s.

„Ja, so sind sie, die Frauen.” Tano schnaufte.

„Pass auf, was du über meine Tochter sagst!”, warf Bran, sein Schwiegervater, ein. Dieser war ein beeindruckend großer Berg Menschenmasse.

„Du hast es ja noch schlimmer, du musst ihre Mutter aushalten.”, erwiderte Tano und sie beide lachten ein herzhaftes Lachen. Auch ich stimmte mit ein, während ich meinen Blick nicht von der Flasche lösen konnte, Liz brauchte einfach zu lange.

Die letzten, die zu uns stießen, waren die zwei Manager, die Italienerin Paola und der Honduraner Gael. Sie standen schon seit einiger Zeit etwas weiter weg und diskutierten hitzig, nun kamen sie frohlockend zu uns und setzten sich hin. Der Barmann, ein Australier namens Denis, winkte nur aus der Ferne und verzog sich.

Die Lichter im Sam´s waren aus, das Wasser plätscherte träge gegen den Pier. Eine angenehme nächtliche Kühle kam vom Meer, aus dem Süden, vom nahe gelegenen Südpol wahrscheinlich.

All das, zusammen mit dem Rausch, der sich warm und weich, fast wie eine orientalische Tänzerin, in meinen Kopf und meinen Körper breit machte, ließ kalte Schauer über meinen Rücken laufen.

Die Flasche war wieder bei mir und ich hatte nicht mehr vor, diese jemals wieder aus der Hand zu legen.

„Dein ganzes Leben verändert sich sobald du Kinder hast, Luczizcki, alles, einfach alles. Wir, die Liz und ich, waren genauso wie du und deine Freundin. Wir waren jung, wir liebten das Leben, die Partys, wir waren sogar etwas hübscher als ihr zwei. Bars, Alkohol, viel Alkohol, vergessene Wochenenden, Reisen, alles das haben wir auch einmal erlebt. Aber dann kamen die Kinder und alles wurde anders. Kannst du dir das vorstellen, Luczizcki? Sie ist jetzt diejenige, die bei uns daheim das Sagen hat. Stell dir das vor, sie hat Tano den Tiger aus Samoa gebändigt!”

„Und das war nicht einmal so schwer!”, fügte Liz spottend hinzu.

„Nicht schwer sagst du?” Tano ließ erneut sein lautes Lachen vom Stapel.

„So etwas ist überhaupt nicht schwer! Ihr Männer seid doch alles Luschen und wollt nur das Eine, das macht es unheimlich leicht für uns Frauen!”, dozierte Shelly.

„Genauso! Frauenpower!”, schrie Paola und sie klatschten sich ab.

„Vaginapower!”, brüllte Shelly wie eine Wilde und deutete mit beiden Händen zu ihrem Schritt.

„Für mich wird´s Zeit...”, brabbelte Bran und die Fleischmasse setzte sich in Bewegung. Erst jetzt konnte man erkennen, dass sich unter ihm ein Stuhl befunden hatte. Sobald er stand, winkte er einmal mit der Hand, prüfte ob er alles in den Taschen hatte, machte eine hundertachtzig Grad Wendung und ging torkelnd davon. Ein Bild, woran ich mich schon gewöhnt hatte, ein Bild, das jedes Mal wiederkehrte, wenn ich so spät im Sam´s blieb. Wir riefen ihm alle einen Gutenachtwunsch hinterher.

Sobald er um die Ecke war, nahm Shelly ihren Quatsch wieder auf. „Vaginapower, Vaginapower!”

Ich trank in großen Zügen, Gael lachte zusammen mit Paola über etwas, Tano schüttelte nur den Kopf und hob seine beiden Mittelfinger, sie in Richtung der Damen zeigend.

Ich hatte komplett den Anschluss zur Schachpartie verloren. Ich wusste nicht mehr, wer an der Reihe war und ebenso wenig, welche meine letzten Züge gewesen waren.

„Ich bin mir so sicher, dass Shelly nur große Töne spuckt, in Wahrheit aber eine Jungfrau ist.” Gael stellte diese These auf und handelte sich einige Schläge von Paola ein.

Wenn ich in Worten ausdrücken könnte, wie sehr ich solche Frauen, mit einer solch vermaledeiten Angewohnheit hasse, ich müsste in der untersten Schublade nach passenden Worten suchen. Es war einfach niederträchtig und gottverdammt hässlich. Aber gut, zurück zur Geschichte.

Tano bückte sich vor und flüstert mir zu: „Würdest du sie ficken?”

Ich lehnte mich zurück und verschränkte meine Arme vor der Brust.

„Jetzt sag schon!”, schrie er und lachte. Gael bückte sich zu uns: „Was, was? Worum geht es?”

„Ich hab ihn gefragt, ob er‘s machen würde.”, sagte Tano nur, was mich darauf schließen ließ, dass dieses Thema schon im Vorhinein behandelt wurde. Ich gönnte mir noch einen Schluck aus der Flasche.

„Und? Was hat er gesagt?” Gaels Gesicht leuchtete plötzlich wie eine Diskokugel auf.

„Ja, noch gar nichts.”

Dieses Gespräch kam mir eigenartig vor, ich saß dabei und es wurde in dritter Person von mir gesprochen. Erinnerungen an meine Schulzeit und die Elternabende kamen hoch, ein weiterer Schluck war vonnöten.

„Ausgerechnet heute beim Abendessen hat mir meine Freundin erzählt, dass sie demnächst ihre Familie besuchen möchte.”

„Und du bleibst hier?”, fragte Tano in aufgeregtem Flüsterton.

„Ja.”

„Uiiiiiii, Ushhhh, Uiuiuiuiuii!”, schrien beide auf, als wäre der Teufel mit Karacho in sie gefahren.

„Es wird passieren!”, kreischte Gael und biss sich in die Faust.

„Aber so was von!”, legte Tano noch einen drauf.

„Kinder, Kinder!”, war alles was ich herausbrachte. Ich schüttelte erneut den Kopf und nahm noch einen Schluck.

„Jetzt reich die Flasche mal weiter, sei nicht so ein Egoist!”, rief Shelly von ihrem Platz aus.

„Reich mir deinen Becher und ich werde dir etwas einfüllen. Die Flasche gebe ich heute Nacht nicht mehr aus der Hand.”

„Hast du schon mal deine Frau beschissen?”, fragte ich Tano im Flüsterton, nachdem ich allen Frauen etwas Whiskey serviert hatte.

Er blickte blöde drein und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken, dies gelang ihm nur ungefähr. Im Endeffekt setzte er ein ziemlich dämliches Gesicht auf.

„Fast neun Jahre sind eine lange Zeit, Luczizcki! Eine sehr lange Zeit.”

„Das ist so normal hier in Adelaide, Luczizcki. Paola hat eigentlich auch einen Verlobten, macht aber immer wieder mit mir rum und so, die sind hier alle läufig. Die wollen alle ficken.”

„Aha.”, brummte ich. Was hätte ich schon sagen sollen? Ich sah wie sich sein Mund mit Wasser füllte während er davon sprach und fand seinen Auftritt eher vulgär und abstoßend.

„Kinder Luczizcki, das hält dich besser zusammen als sonst etwas auf dieser Welt. Setze ein Kind in das schöne Bäuchlein deiner Freundin und du lernst eine neue Welt kennen.”


Ein weiteres Intermezzo mit dem Bösen

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