Читать книгу Nur ein Märchen? - Lucie Tourmalin - Страница 5
Sonntag
ОглавлениеGeschafft. Ich sitze im Bus neben George, der mich immer wieder vergnügt ansieht. Er freut sich wirklich wie ein kleines Kind auf diese Exkursion. Ich habe heute Nacht schlecht geschlafen, habe im Halbschlaf wirre Gedanken gehabt und fühle mich ziemlich gerädert.
Nicht nur Emilys Affäre hielt mich wach, auch das gestrige Telefonat mit meiner Mutter kam mir immer wieder in den Sinn. Wie traurig sie geklungen hat, als sie sagte, Oma Gerda habe keinen guten Tag. In letzter Zeit hat sie fast nur noch schlechte Tage.
Angefangen hat alles mit Kleinigkeiten, die Oma sich nicht mehr merken konnte. Wir haben uns oft darüber lustig gemacht, ich erinnere mich noch gut, wie Papa mal leicht genervt zu ihr sagte: „Mutter, wenn du deinen Kopf suchst, der sitzt auf deinen Schultern. Genau in der Mitte.“ Sie konnte mal wieder ihre Schlüssel nicht finden.
Auch Namen verwechselte sie immer öfter. Als sie dann eines Tages mit dem Bus mehrere Stunden lang durch die Stadt fuhr, von einer Endstation zur anderen und wieder zurück, und der Busfahrer die in Tränen aufgelöste, orientierungslose Frau schließlich fragte, ob alles in Ordnung sei und die Polizei benachrichtigte, merkten wir, dass es doch etwas Schlimmeres sein musste als nur Schusseligkeit.
Die Diagnose: Demenz. Von da an konnte Oma nicht mehr alleine wohnen und sie zog bei meinen Eltern ein, in mein altes Zimmer - wenn ich nun nach Hause fahre, muss ich auf der Couch übernachten. Sie vergisst, ob sie schon gegessen hat. Sie vergisst, was sie einkaufen wollte. Sie vergisst, wer zur Familie gehört, wer ihre Freunde sind. Sie vergisst, nach Opas Grab zu sehen. Sie vergisst, wer sie ist.
All das beschäftigte mich die halbe Nacht, so dass ich kaum ein Auge zu bekam. Heute Morgen habe ich noch schnell eine Mail an Tina geschickt und mich für die kommende Woche im „Modern Fashion Store“ abgemeldet, nicht ganz die feine Art, ich weiß.
Auf der Arbeit im Pizzaladen war es ziemlich stressig und ich freue mich auf den Worms-Aufenthalt im Moment ebenso sehr wie auf eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Immerhin hat die Brandsalbe wahre Wunder vollbracht und mein verbrühter Fuß tut nicht mehr weh.
Mein Abschied von Emily war tränenreich. Sie will sich heute mit Walter treffen und ihm sagen, dass ihre Affäre vorbei ist, und sie wird heute Abend mit Nils reden und ihm alles gestehen. Dagegen kommt mir meine Exkursion wie ein Spaziergang vor. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht da bin, wenn sie nach Hause kommt und Trost braucht. Aber ich konnte George auch nicht im letzten Augenblick wieder absagen, er freut sich so. Letztendlich wird Emily schon ohne mich klarkommen, sie ist zäh.
George sieht mich von der Seite an. „Geht’s dir gut, Honey?“, fragt er mich und sieht dabei besorgt aus.
„Sicher“, antworte ich schnell. Ich will nicht, dass er sich Sorgen macht. Er hat so viel Arbeit in die Planung des Ausflugs gesteckt, da soll er ihn auch genießen. „Ich bin nur müde. Hab‘ nicht gut geschlafen und im Pizzaladen war es stressig.“ Er nimmt meine Hand.
„Hilda, du musst raus aus diesem Laden. It’s not good for you.“
„Ja, ja, ich weiß schon“, entgegne ich gereizt. Diese Diskussion haben wir schon oft geführt, zu oft. „Aber irgendwie muss ich ja auch mein Geld verdienen.“
Ich bin jetzt nicht in der Stimmung, schon wieder eine sinnlose Diskussion zu führen. George sieht mich prüfend an. „Dich bedrückt doch noch was anderes.“ Keine Frage. Eine Feststellung. Ich seufze, er kennt mich zu gut.
„Ja“, gebe ich zu. „Es geht um meine Oma, um die ich mir Sorgen mache wegen ihrer Krankheit, und um Emily, und was sie für ein Problem hat, kann ich dir jetzt noch nicht erzählen.“ Sobald Nils es weiß, werde ich es auch George sagen, aber vorher käme es mir nicht richtig vor.
„Okay.“ Er ist so lieb. Und plötzlich fühle ich mich furchtbar, weil ich keine Lust habe, mit ihm nach Worms zu fahren, weil ich seine gut gemeinten Ratschläge nicht annehmen will, weil ich nicht zu schätzen weiß, dass er eben ist, wie er ist.
„Ich hab‘ dich lieb, George“, sage ich leise und schmiege mich an ihn.
„Love you“, sagt er und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Und jetzt versuch mal, ein bisschen zu schlafen.“ Ich nicke und mache es mir bequem.
„Hey, Schlafmütze, wir sind da.“ George stupst mich sanft an und ich blinzle verschlafen.
„Ach, schon? Das ging aber schnell!“ Ich gähne. Das Nickerchen hat mir gut getan, ich fühle mich schon viel besser. Ich sehe interessiert aus dem Fenster und stelle fest, dass Worms eigentlich ein ganz nettes Städtchen ist. Ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Wir überqueren den Rhein und ich verspüre ein seltsames Kribbeln im Bauch. Das Wasser hat eine hypnotisierende Wirkung auf mich, ich kann kaum meinen Blick abwenden. Als der Bus vor dem Hotel hält, sehe ich George fragend an. „Das hier ist das tolle Hotel, von dem du mir vorgeschwärmt hast?“
Ich hatte jetzt nicht gerade das Hilton erwartet, aber auch nicht das, was ich hier sehe. Das Haus ist ein Fachwerkhaus, sieht zwar sehr schön und malerisch aus, aber eben nicht wie ein Fünf-Sterne-Hotel. George klatscht in die Hände und freut sich, wir scheinen also doch richtig zu sein.
„So, boys and girls, Endstation. Da wir uns diese Woche auf den Spuren der Nibelungen bewegen werden, habe ich uns die urigste Unterkunft gebucht, die die Stadt zu bieten hat.“
Mir stockt der Atem. Hat er gerade ‚urig‘ gesagt? Er hat doch nicht wirklich ‚urig‘ gesagt! Habe ich mich verhört? George, der weltmännische, elegante, sensible, in London aufgewachsene George! Sohn einer deutschen Mutter und eines englischen Vaters, der in einem exquisit eingerichteten Apartment lebt. Der einzige Mann, den ich kenne, der Wellness-Tage einlegt. Der zur Maniküre geht. Der sich unerwünschte Körperbehaarung mit Wachs entfernen lässt.
Gut, keine Panik, wahrscheinlich bezieht sich das ‚urig‘ nur auf das Äußere des Hotels. Innen wartet es dann auf mit luxuriösen Zimmern, einem Gourmet-Restaurant und einem traumhaften Spa.
Ich entspanne mich, raffe meine Sachen zusammen und steige aus dem Bus. George und ein paar besonders eifrige Studenten sind schon ins Hotel gegangen. Ein Student mit wuscheligen blonden Locken, die ihm tief ins Gesicht hängen, spricht mich an.
„Hey, du bist Hilda, nicht?“ Ich kenne ihn vom Sehen, habe aber keine Ahnung, wie er heißt.
„Ja“, antworte ich, während er mir die Hand hinstreckt.
„Ich bin Florian. Ich wusste ja gar nicht, dass du auch im Nibelungen-Seminar bist!“ Ich schüttele seine Hand.
„Ähm, nett dich kennenzulernen. Äh, ich bin nicht im Seminar. Also nicht so direkt.“
Warum stelle ich mich denn so an? Habe ich etwa was zu verbergen? Es ist doch nicht schlimm, dass ich mit und wegen George hier bin! Aber irgendwie komme ich mir komisch vor. Immerhin ist George Dozent in dem Fachbereich, in dem ich meine Abschlussarbeit schreibe.
Ich verbiete ihm stets, mir zu helfen, obwohl es ihm ein Vergnügen wäre, meine Magisterarbeit etwas aufzupeppen. Aber ich habe in der ganzen Zeit, die wir nun schon befreundet sind, niemals versucht, einen Vorteil daraus zu ziehen, dass George Dozent an meiner Uni ist. Es ist nur die Frage, ob die Studenten aus diesem Seminar das auch so sehen…
Florian sieht mich immer noch an und scheint auf eine Erklärung zu warten.
„Ich, äh, ich bin mit George, also mit Mister Darnett hier“, erkläre ich. Florian zuckt die Schultern.
„Ach so.“ Ihn scheint es nicht weiter zu kümmern und ich atme erleichtert auf.
Wir sind mittlerweile die letzten, die noch vor der Tür stehen. „Die anderen warten sicher schon“, sage ich entschuldigend und gehe auf das Hotel zu. Florian folgt mir schweigend und wir betreten das Haus. Mir verschlägt es die Sprache.
„Ist das krass“, höre ich ihn hinter mir sagen. ‚Krass‘ ist noch ganz schön untertrieben. Wir stehen direkt in einem langen Flur, der irgendwo in gefühlten hundert Metern Entfernung eine Biegung macht und aus unserem Blickfeld verschwindet. Die Türen, die rechts und links davon abgehen, sind aus massivem Holz und sehen aus, als würde man sie nur mit der Hilfe von drei starken Männern öffnen können.
Alle Wände sind mit grau-braunem Lehmputz versehen, der immer wieder kunstvolle Aussparungen hat, in denen man das altertümliche Mauerwerk bewundern kann. Der Fußboden ist mit dicken Holzdielen ausgelegt, die knarren, wenn man darüber geht.
Ich kann es nicht fassen. Keine Lounge, keine Wohlfühl-Sesselchen, keine Bar, an der man mit einem Cocktail begrüßt wird – nur ein kleiner Empfangstresen steht verloren in einer Ecke. Schockiert stelle ich fest, dass noch etwas Wesentliches fehlt: Elektrizität.
An den Wänden hängen Fackeln, die den endlos langen, fensterlosen Flur in ein unheimliches, flackerndes Licht tauchen. Ich bin in der Hölle.
George beginnt mit der Hilfe einer Dame in mittelalterlichem Outfit, die Zimmerschlüssel zu verteilen. Ich nehme an, sie ist dann wohl die Chefin dieses Etablissements.
Mein bester Freund strahlt, als er die fassungslosen Gesichter seiner Reisegruppe sieht. Gut, die anderen sind genauso entsetzt wie ich. Wenn wir gemeinsam meutern, können wir George vielleicht dazu überreden, kurzfristig in ein richtiges Hotel umzuziehen. Oder eine kleine Pension. Hauptsache raus hier. Er wird dann zwar sicher beleidigt sein und schmollen, aber das werde ich schon in den Griff bekommen. Jetzt heißt es nur, schnell handeln. So lange die Zimmerschlüssel noch nicht komplett verteilt und die Zimmer bezogen sind, habe ich eine realistische Chance.
„Äh, George!“, rufe ich aufgeregt.
„Ja, Darling“, antwortet er geschäftig, „hier ist unser Zimmerschlüssel, ich dachte, wir teilen uns ein Zimmer. Geh doch schon mal vor, während ich den Rest hier erledige.“
George drückt mir einen riesigen Schlüssel in die Hand. Was soll ich denn damit aufschließen? Den Wormser Dom vielleicht? Der ist ja schwerer als mein Koffer!
„Hm, nein, ich denke, es gibt hier ein Problem“, beginne ich vorsichtig. George sieht mich aufmerksam an, es tut mir schon fast leid, dass ich ihm gleich das Herz brechen werde. Ich sehe mich ein letztes Mal um, um mich der Zustimmung der anderen zu meiner Meuterei zu versichern.
Zu meinem Entsetzen bemerke ich, dass sich die anfängliche Überraschung der anderen in restlose Begeisterung verwandelt hat!
„Ist ja cool hier“, „Total abgefahren“, „Ich fühl’ mich schon wie ein richtiger Ritter!“, „Jippie, ich bin ein Burgfräulein!“, „Hahaha, Burgfräulein, du bist eher eine Küchenmagd!“ – bitte was? Ich sehe in dreißig Gesichter, die genauso strahlen wie das von George. Glänzende Augen, bewundernde Blicke, ein dämliches Grinsen. Die finden es echt super hier!
Na toll, so im Stich gelassen kann ich den Hotelwechsel vergessen. George sieht mich immer noch erwartungsvoll an.
„Honey, wo ist das Problem?“, fragt er, ein wenig ungeduldig.
„Hat sich erledigt“, murmle ich schnell und ziehe mit dem riesigen Schlüssel los, um unser Zimmer zu suchen. Nummer sieben. Gefunden.
Die mächtige Tür lässt sich dann doch erstaunlich leicht öffnen. Ich stoße sie auf und betrete – auf das Schlimmste, aber auch wirklich das Allerschlimmste gefasst – das Zimmer.
Okay, Wände und Fußboden sind wie im Flur, aber es gibt ein Fenster, damit hätte ich schon fast nicht mehr gerechnet. Neben der Tür ist ein Lichtschalter – eine Attrappe? Nein! Ich betätige ihn und das Licht geht an, also gibt es doch Elektrizität! Ich seufze erleichtert.
Die Einrichtung ist spärlich, zwei einfache Einzelbetten aus Holz, eine große Kommode und ein Schreibtisch mit zwei Stühlen, sonst nichts.
Hinter der kleinen Tür zwischen den beiden Betten befindet sich das Badezimmer. Eine Dusche, ein Waschbecken, eine Toilette, ein kleines Fensterchen.
Es gibt also Strom, fließendes Wasser und Tageslicht. Beide Räume sind sauber, mit schneeweißen Handtüchern und flauschiger Bettwäsche ausgestattet. Ich lasse mich auf eines der Betten fallen. So schlimm ist es gar nicht – wenn man mal von dem etwas gruseligen Flur absieht. Ich denke, sechs Nächte kann ich es hier schon aushalten.
Kaum sind wir angekommen, müssen wir auch wieder los. George hat für den heutigen Abend den Besuch einer Aufführung im Rahmen der Nibelungen-Festspiele gebucht. Eigentlich habe ich keine große Lust darauf. Ich finde Theater immer so – theatralisch. Schrecklich übertrieben und gestelzt, dem kann ich nichts abgewinnen. Das war schon immer so.
Selbst im Kindergarten fand ich das Kasperle-Theater reichlich blöd. Während alle anderen Kinder kreischten und „Pass auf, Kasper“ riefen, wenn der böse Zauberer sich von hinten anschlich, saß ich teilnahmslos da.
Bücher und Filme können mich mitreißen, mich zum Lachen oder Weinen bringen, aber Theater berührt mich nicht. Ich finde es nur langweilig und übertrieben.
Trotzdem gehe ich mit, denn ich kenne mich in Worms noch nicht aus und möchte nicht den ganzen Abend lang allein durch die Stadt laufen. Und in dem äußerst spartanisch eingerichteten Hotel will ich auch nicht den Abend verbringen.
Ich schließe mich also der aufgeregt schnatternden Studententruppe und ihrem extrem gut aufgelegten Dozenten an, tappe ihnen aber eher missmutig hinterher, als dass ich mich tatsächlich an irgendwelchen Gesprächen beteilige.
Florian läuft fast den ganzen Weg neben mir her und erzählt mit flammender Begeisterung, warum er sich so auf den Ausflug freut. Hauptsächlich geht es dabei wohl um sein Faible für alles Mittelalterliche, besonders Waffen haben es ihm angetan.
Ich höre ihm nur mit halbem Ohr zu, nicke hin und wieder, mache mal „ah“ und „hm, hm“ oder „ach so“, und bin letztendlich heilfroh, als wir das Freilufttheater erreichen und ich meine unsagbar schlechte Heuchelei einstellen kann.
Sobald wir unsere Plätze eingenommen haben, ist George in sein Programmheft vertieft. Ich lasse den Blick über die Freiluft-Bühne schweifen. Gut, dass wir draußen sitzen. Das Wetter ist schön und vielleicht passiert ja etwas Spannendes.
Nicht auf der Bühne, meine ich. Die Hoffnung habe ich gar nicht. Aber vielleicht landet ein UFO vor dem Dom? Oder ein Flugzeug stürzt ab? Oder vielleicht wenigstens ein kleiner Wetterballon?
„George“, frage ich, „wie lange dauert denn dieses Spektakel hier?“
Erfreut über mein vermeintlich doch noch entfachtes Interesse antwortet er, in seiner Broschüre blätternd – obwohl ich mir sicher bin, dass er sowieso schon alles weiß, was darin abgedruckt ist.
„Also, die Festspiele finden einmal im Jahr statt, immer für drei Wochen. Es gibt Vorstellungen an…“
„Nein“, unterbreche ich ihn, „ich meine heute. Wie lange dauert diese Vorstellung heute?“ George seufzt, als er den wahren Beweggrund für meine Frage erkennt.
„Ach ja, so großes Interesse hast du daran? Ich werde dich wohl nie für die deutschen Sagen oder das Theater begeistern können“, grinst er.
„Wohl eher nicht“, gebe ich zu, froh, dass er es nun hoffentlich ein für alle Mal einsieht. „Aber wie lange geht das denn jetzt hier?“
Er schaut ins Programmheft – mit Sicherheit nur, um mich zappeln zu lassen. „Also die Vorstellung dauert neunzig Minuten. Zufrieden? Danach gibt es noch ein Meet-and-Greet mit den Schauspielern.“
„Aber George“, quengele ich, „ich will nicht danach noch hier bleiben, um irgendwelchen Leuten die Hand zu schütteln. Lass uns doch nach der Vorstellung was essen gehen.“ Ein Gong ertönt, die Stimmen im Publikum werden leiser.
„Wir werden sehen“, flüstert George mir noch schnell zu, bevor er seine geballte Aufmerksamkeit auf die Bühne richtet.
Ein Clown mit einer Laute kommt hinter dem Vorhang heraus. Ich nehme an, es soll nicht wirklich ein Clown sein, eher ein Herold oder Minnesänger oder so, aber für mich sieht er einfach nur aus wie ein mittelalterlicher Clown. Er drückt sich sehr gewählt aus und erklärt dem „hochverehrten Publikum“, dass man sich am „königlichen Hofe zu Worms“ befinde, wo die „holde Maid Kriemhild und ihre edlen Brüder“ wohnen.
Oh mein Gott, das ist noch viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt habe! Ich schiele unauffällig auf meine Armbanduhr. Zwei Minuten sind vorbei, das heißt es bleiben noch achtundachtzig Minuten. Der Clown faselt irgendetwas davon, dass man nun Zeuge der herzzerreißenden Liebesgeschichte zwischen Kriemhild und Siegfried werden würde.
Himmel, das wird ja immer besser hier. Kriemhild und Siegfried, was sind denn das für Namen? Als George uns davon erzählt hat, dachte ich, er veräppelt uns! Shakespeare hat die Helden seiner großen Liebesgeschichte Romeo und Julia genannt, damit kann man was anfangen. Wer seufzt nicht und denkt: „Hach, ich wünsche mir auch einen Romeo.“ Romeo, der Inbegriff des Rosenkavaliers, des tragisch-romantischen Helden. „Hach, ich wünsche mir auch einen Siegfried.“ Brrrrr, wie das schon klingt. Siegfried. Noch fünfundachtzig Minuten.
Auftritt Kriemhild. Eine energische junge Frau mit dichtem, dunkelblondem Haar, das zu einem langen Zopf geflochten ist. Sie trägt ein schlichtes langes Kleid aus Samt und eine einfache Kette als einziges Schmuckstück. Nicht gerade der Inbegriff eines Burgfräuleins oder dessen, was man sich unter einer Königstochter vorstellt.
Kriemhild erklärt ihrer Mutter Ute gerade, dass sie auf keinen Fall bereit sei, ihr Leben einem Mann zu schenken. Ihre Mutter versucht, sie von der Ehe mit einem Königssohn aus Xanten zu überzeugen, doch Kriemhild gibt die Feministin und will sich keinem Menschen unterwerfen, will frei sein, will nicht auf eine Rolle als Ehefrau und Mutter reduziert werden.
In einem doch recht ergreifenden Plädoyer für die Frauenrechte – erstaunlich modern für das 5. Jahrhundert! – erklärt sie, dass sie denselben Herrschaftsanspruch habe wie ihre drei Brüder.
Auftritt Gunther. Kriemhilds ältester Bruder, ein gutaussehender Mann in etwas albernen Hosen. Er ist seit dem Tod des Vaters Herrscher über das Königreich Burgund und will dessen Stellung weiter festigen. Sein Begleiter ist ein seltsamer Typ mit dem Namen Hagen von Tronje.
Er umschmeichelt den König und ist dabei trotzdem äußerst charmant zu Kriemhild und Ute. Wäre er nicht wahnsinnig gutaussehend, würde man ihn für einen schmierigen, ekligen Schleimer halten – das scheint zumindest seine Rolle zu sein. Er wirkt zwar aalglatt, aber trotzdem in gewisser Weise anziehend und angenehm. Wieder ein Beweis dafür, dass gutaussehende Menschen viel eher sympathisch wirken als hässliche, selbst wenn sie es darauf anlegen, der gemeine Bösewicht zu sein.
Gunther überbringt die Nachricht, dass Siegfried, besagter Königssohn aus Xanten, soeben mit seinem Gefolge eingetroffen sei, um bei ihm um Kriemhilds Hand anzuhalten. Kriemhild ist erbost darüber, dass ihr Bruder dieser Heirat ohne zu zögern zustimmen will. Ute sieht vor allem die Vorteile für Kriemhild, da man Siegfried für einen standesgemäßen Bräutigam hält und Kriemhild selbst einmal Königin von Xanten werden kann.
König Gunther möchte in erster Linie die politischen Vorteile ausnutzen, da Siegfried als hervorragender Kämpfer gilt und über eine große Streitmacht verfügt. Diese – so Gunthers Hoffnung – würde ihm zu Hilfe kommen, wenn sein eigenes Königreich in Konflikte mit einem anderen geraten würde.
Hagen gibt zu bedenken, dass man Siegfried nachsagt, er verfüge über den enormen Schatz des verstorbenen Königs Nibelung, den er sich durch eine List angeeignet habe. Außerdem soll er gegen Drachen gekämpft und dutzende dieser Kreaturen getötet haben.
Kriemhild lässt sich von all diesen guten Argumenten nicht beeindrucken, sie bleibt bei ihrer Meinung: keine Hochzeit. Sie will ihn nicht einmal kennen lernen, den berühmten Königssohn aus Xanten. So viel also zu der großen Liebesgeschichte. Eigentlich ist es nicht mehr als eine Reihe strategischer Überlegungen. Keine Spur von Romantik oder echten Gefühlen. Noch einundsiebzig Minuten.
Szenenwechsel, Auftritt Siegfried. Ein großer, blonder Ritter mit muskulösen Armen und stahlblauen Augen, er muss der Mister Universum des Mittelalters gewesen sein.
Siegfried und Gunther treffen aufeinander, Gunther erklärt dem Werber, dass seine Schwester ihn nicht sehen wolle, er selbst aber höchst erfreut über eine Verbindung der beiden wäre. Siegfried beteuert, Kriemhild sei für ihn bestimmt und er werde den Wormser Hof nicht verlassen, bis er sie für sich gewonnen habe.
Hagen und Gunther beraten sich kurz und schlagen schließlich vor, man könne ein Turnier veranstalten. So werde die Wartezeit überbrückt und man würde sich durch die Wettkämpfe sowohl besser kennen lernen als auch im Kampfgeschick verbessern.
Während die Männer spielerisch gegeneinander kämpfen, beobachtet Kriemhild das Geschehen vom Fenster ihres Zimmers. Sie weigert sich nach wie vor, die Besucher persönlich zu empfangen, aber sie kann auch nicht – wie sie es ursprünglich geplant hatte – dem Geschehen komplett fernbleiben.
Siegfried kämpft auf eine Art und Weise, die sie fasziniert. Er ist der mit Abstand stärkste Kämpfer und er scheint keine Schmerzen zu empfinden. Darüber hinaus ist er sehr geschickt und überaus flink, er scheint nie zu ermüden. Was ihn aber am meisten auszeichnet, ist die absolute Fairness im Kampf. Kriemhild beobachtet Siegfried mehrere Wochen lang. Schließlich kann sie ihm nicht mehr widerstehen und verliebt sich unsterblich in ihn.
Als sie ihren Bruder Gunther davon in Kenntnis setzt, dass sie nun bereit sei, den Werber zu empfangen, ist dieser zunächst schockiert. Auch Hagen von Tronje ist plötzlich nicht mehr von der Verbindung überzeugt. Unter vier Augen besprechen die beiden, dass man angesichts Siegfrieds Stärke und seines Kampfgeschicks befürchten müsse, er werde – sobald er Kriemhild geehelicht habe – durch Mord und Verrat versuchen, das Königreich Burgund an sich zu reißen.
Zum Feind haben wollen sie ihn allerdings auch nicht, daher beschließen sie, Siegfrieds Loyalität auf die Probe zu stellen.
Gunther berichtet Siegfried von anstehenden Kriegen gegen zwei der angrenzenden Königreiche und bittet ihn um seine Hilfe. Ohne zu zögern willigt Siegfried ein und seine Armee unterstützt die Burgunder im Kampf. Siegfried selbst reitet mit und besiegt die beiden feindlichen Könige.
Während der anschließenden Siegesfeier am Königshof in Worms gestehen Siegfried und Kriemhild sich ihre unendliche Liebe. Siegfried schenkt seiner Angebeteten einen Armreif, der Teil des Schatzes der Nibelungen ist.
Kriemhild nimmt den Reif als Zeichen seiner Zuneigung entgegen und verspricht, ihn niemals wieder abzulegen. Doch Gunther will – auf Hagens Anraten – der Hochzeit immer noch nicht zustimmen. Er beschließt – wiederum auf Hagens Rat hin – seine Zustimmung an eine Bedingung zu knüpfen, die Siegfried unmöglich erfüllen kann.
Gunther ruft Siegfried zu sich und erklärt ihm, er werde einwilligen, wenn Siegfried ihm helfen würde, die isländische Prinzessin Brunhild für sich zu gewinnen. Siegfried sichert erneut seine Unterstützung zu und sie vereinbaren, am nächsten Tag aufzubrechen.
Kriemhild ist am Boden zerstört, als Siegfried ihr diese Neuigkeiten erzählt, denn sie durchschaut den Plan ihres Bruders und seines Handlangers.
Sie erklärt ihrem Geliebten, dass Brunhild, so lange sie Jungfrau sei, über unmenschliche Kräfte verfüge und niemand es bisher geschafft habe, sie zu besiegen. Sie würde aber nur einen Mann heiraten, der dies schaffe. Da Gunther von eher schmächtiger Statur und kein besonders guter Kämpfer ist, ist es unmöglich, dass gerade er die Kriegerprinzessin besiegen kann. Siegfried gibt sich zuversichtlich und gelassen und verspricht Kriemhild, bald mit ihrem Bruder und dessen Braut zurückzukehren.
In Island angekommen, gibt Siegfried sich als Diener des Burgunderkönigs aus, um seine eigene königliche Herkunft zu verschleiern und Gunthers Vormachtstellung zu bekräftigen.
Siegfried verfügt über eine Tarnkappe, die ihn unsichtbar macht, was bisher noch keiner wusste und nun auch nur Hagen und Gunther erfahren. Diese Tarnkappe hat Siegfried schon dabei geholfen, sich den Schatz der Nibelungen anzueignen; nun hilft sie ihm dabei, Brunhild zu besiegen, so dass es so aussieht, als hätte Gunther allein den Sieg errungen. Brunhild willigt ein, Gunther zu heiraten und mit ihm nach Worms zu kommen, und Gunther muss sein Versprechen halten: Er gibt die Zustimmung zur Hochzeit von Siegfried und Kriemhild.
Als alle wieder am Wormser Hof versammelt sind, ist Brunhild verwirrt, da Siegfried plötzlich mit Gunther gleichrangig behandelt wird; sie war aber in den Glauben versetzt worden, er sei ein Untergebener. Ihr erscheint es deshalb nicht richtig, dass die Schwester des Königs einen Diener heiraten soll.
Der Schwindel darf jedoch nicht auffliegen, da sonst beide Hochzeiten platzen würden, also sagt niemand Brunhild die Wahrheit und es findet – trotz ihrer Bedenken – eine Doppelhochzeit statt. Sofort am nächsten Tag brechen Siegfried und Kriemhild nach Xanten auf, um dort am Hof in Frieden zu leben.
Zehn Jahre später. Siegfried und Kriemhild leben glücklich in Xanten und haben einen kleinen Sohn, den sie nach seinem Onkel Gunther genannt haben. König Gunther dagegen führt keine sehr glückliche Ehe, da seine Frau Brunhild auch nach all den Jahren mit der Hochzeit von Kriemhild und Siegfried nicht einverstanden ist.
Sie ist sich sicher, dass man sie betrogen hat, aber sie weiß nicht, wie. Schließlich fordert sie, dass Kriemhild und Siegfried zurück an den Wormser Hof kommen müssen, um dort ihre Dienste zu verrichten.
Da Kriemhild ihrer Meinung nach einen Diener geheiratet hat, hat sie sich auf dessen gesellschaftliche Stufe gestellt und muss nun ebenfalls als Bedienstete angesehen werden. Und weil die beiden schon zehn Jahre lang nicht freiwillig für den König gearbeitet haben, müssen sie nun gezwungen werden, ihrer Verpflichtung nachzukommen.
Gunther weiß sehr genau, dass Siegfried ihm zu rein gar nichts verpflichtet ist, kann sich dem Drängen seiner Gattin aber nicht widersetzen. Er und Hagen beraten sich und beschließen, Siegfried und Kriemhild auf einen Besuch nach Worms einzuladen, um den Schein zu wahren.
Kriemhild, die immer wieder unter starkem Heimweh leidet, freut sich über die Einladung und die Xantener reisen nach Worms. Dort verschärfen sich jedoch die Spannungen zwischen den Frauen.
Königin Brunhild erwartet Demut und Bescheidenheit von ihrer Schwägerin. Kriemhild dagegen sieht sich als eine der rechtmäßigen Erbinnen des Königreiches Burgund und Herrscherin über Xanten und erwartet eine angemessene Behandlung. Der Streit spitzt sich zu, weil jede meint, ranghöher als die andere zu sein. Schließlich werden auch die Ehemänner in den Streit involviert.
Die Königin verlangt öffentlich von Gunther, er solle seine Schwester und ihren Mann an ihren rechten Platz verweisen; Kriemhild dagegen fordert einen Teil des Burgunderreiches für sich und Siegfried von ihrem Bruder, da er genau wisse, was er ihnen zu verdanken habe.
Das volle Ausmaß der Anspielung versteht Brunhild nicht, erkennt aber sehr wohl, dass sie Opfer eines Betruges geworden ist, von dem jeder zu wissen und dessen maßgeblicher Urheber Siegfried zu sein scheint.
Brunhild – erbost über die öffentliche Demütigung – und Hagen von Tronje – noch immer versessen auf den Schatz der Nibelungen – überzeugen Gunther davon, dass Siegfried eine Gefahr darstellt und getötet werden muss.
Sie schmieden einen teuflischen Plan. Gunther erbittet Siegfrieds Unterstützung in einem angeblich anstehenden Kampf, Siegfried stimmt selbstverständlich zu. Hagen beruhigt Kriemhild, die untröstlich darüber ist, sich von ihrem Mann für die Dauer des Kampfzuges trennen zu müssen.
Er gibt vor, besonders auf Siegfrieds Wohlergehen achten zu wollen, damit er auch ganz sicher unbeschadet zurückkehren könne. Kriemhild verrät ihm daher Siegfrieds Geheimnis: Er hat, nachdem er einen Drachen getötet hatte, in dessen Blut gebadet. Daher ist er unverwundbar geworden, seine Haut ist undurchdringlich. Während des Badens hat sich aber ein Lindenblatt auf seine Schulter gelegt, daher ist dieser eine Fleck ungeschützt und somit die einzige Stelle am ganzen Körper, an der Siegfried verwundet werden kann.
Kriemhild sagt, sie werde die Stelle heimlich auf Siegfrieds Kleidung markieren und bittet Hagen, besonders auf dieses Kreuzchen zu achten. Hagen versichert, das werde er ganz bestimmt tun.
Kurz bevor die Männer aufbrechen wollen, verkündet Gunther, die Herausforderer hätten den Krieg angesichts Siegfrieds Teilnahme und ihrer drohenden Unterwerfung abgesagt und man könne nun – um dies zu feiern – einen Jagdausflug unternehmen.
Siegfried willigt ein und bricht allein mit Hagen und Gunther zur Jagd auf. Hagen hat absichtlich kein Wasser mitgenommen und als Siegfried durstig wird, führt er ihn zu einer Quelle, damit er daraus trinken kann.
Als Siegfried sich über das Wasser beugt und trinkt, sticht Hagen mit seinem Schwert zu – genau dort, wo Kriemhild das kleine Kreuzchen aufgestickt hat.
Hagen hält triumphierend sein blutiges Schwert in die Höhe und verkündet stolz, er habe das Reich der Burgunder gerettet und ihm zusätzlich den Schatz der Nibelungen gesichert. Gunther blickt auf seinen sterbenden Schwager und verbirgt vor Scham das Gesicht. Siegfried stirbt.
Tosender Applaus schwillt an, überschlägt sich, bäumt sich auf, spült über mich hinweg, verebbt, schwillt wieder an. Jemand legt seinen Arm um meine Schultern, ich zucke zusammen. Oh, es ist nur George.
„Hilda, was ist denn mit dir? Geht es dir nicht gut? Was hast du denn nur, sag doch was!“ Was? Was ist los? Was will er denn von mir? Ich schüttele leicht den Kopf und versuche, etwas zu sagen, aber ich kann nicht. Es kommt nichts. George wird jetzt richtig blass.
„Wir brauchen hier einen Arzt“, ruft er. Aber es hört ihn niemand, weil der Applaus immer noch so laut ist.
„Ich brauche keinen Arzt“, sage ich. Eigentlich krächze ich eher.
„Honey, wie siehst du denn aus? Was ist passiert?“ Wovon redet George bloß? Wie sehe ich aus? Was soll schon passiert sein?
Ich bin ein bisschen verwirrt. Das Stück hat mich – entgegen aller Erwartungen – fasziniert. Benommen blicke ich mich um und versuche, ein bisschen zu mir zu kommen. Ich fühle mich, als hätte ich zu lange geschlafen. Irgendwie matschig und umnebelt und am ganzen Körper ganz steif, ich kann mich kaum bewegen.
Vorsichtig strecke ich meine Beine aus und winkle sie wieder an. Als ich versuchen will, meine Arme zu bewegen, merke ich, dass meine Hände ganz verkrampft und ineinander verkrallt in meinem Schoß liegen. Meine Finger sind klamm und ich habe Schwierigkeiten, meine Hände voneinander zu lösen. Als es mir gelingt, bleiben schmerzende Halbmonde, wo sich meine Fingernägel in die Haut gegraben hatten. Komisch.
George hat es mittlerweile aufgegeben, mir Fragen zu stellen, die ich ihm nicht beantworte, und wühlt hektisch in meiner Handtasche. Schließlich zieht er ein Päckchen Taschentücher und meinen kleinen Kosmetikspiegel hervor.
Er hält mir den Spiegel vor die Nase und jetzt verstehe ich sein Entsetzen. Mein Gesicht ist blass und tränenüberströmt – ich habe gar nicht gemerkt, dass ich geweint habe – und meine Lippen sind blutig. Anscheinend habe ich wie eine Besessene darauf herumgekaut.
Ich nehme vorsichtig ein Taschentuch aus der Packung und beginne, mein Gesicht abzutupfen. George hält mir den Spiegel und sieht mich dabei besorgt an.
„Hm, anscheinend kann mich ein Theaterstück doch umhauen, das wolltest du doch immer“, versuche ich schwach zu witzeln. Er sieht mich prüfend an.
„Und sonst fehlt dir nichts? Alles in Ordnung? Es war nur das Stück, das dich überwältigt hat?“, hakt er nach. Ich nicke heftig.
Langsam kehren die Lebensgeister wieder zurück. „Ja, mir geht es gut. Es war nur so - - spannend und - - fesselnd und - - packend und - - dabei gar nicht albern, sondern - - richtig gut, irgendwie“, bringe ich stockend hervor.
Ich atme tief durch und kann selbst noch gar nicht fassen, was mir gerade passiert ist. Ich war total weggetreten, habe einfach nichts mehr von meiner Umwelt wahrgenommen und bin komplett in die Geschichte der Nibelungen eingetaucht.
George scheint noch nicht vollständig davon überzeugt zu sein, dass es mir gut geht.
„Hilda, my dear, ich liebe das Theater, seit ich denken kann, und habe unzählige Aufführungen besucht. Aber ich habe noch nie, und ich meine wirklich never ever, gesehen, dass jemand danach so – derangiert war wie du.“
Ich grinse. „Ach, wenn ich schon was mache, dann aber auch richtig“, entgegne ich und fühle mich schon fast wieder richtig gut.
„Mister Darnett“, ruft eine von Georges Studentinnen, „können wir jetzt hinter die Bühne gehen, um die Schauspieler zu treffen?“ Um uns herum haben sich die Zuschauerränge geleert, wovon ich bisher gar nichts mitbekommen habe. Nur die Studenten stehen noch ein wenig unbeholfen da und warten auf George, während er sich um mich kümmert.
Der blickt mich nun fragend an. „Was meinst du, magst du noch mitkommen? Oder soll ich dir ein Taxi rufen, dann kannst du ins Hotel fahren und dich ausruhen?“
Ich überlege kurz. „Nein“, antworte ich dann entschieden, „ich komme mit. Aber nur kurz. Ich habe einen Bärenhunger und muss unbedingt etwas essen.“
George trommelt seine Gruppe zusammen und führt uns zum Eingang des Backstage-Bereichs. Er wedelt ganz wichtig mit irgendwelchen Papieren herum und verschafft uns Einlass. Seine Studenten sehen ihm bewundernd zu und treten ehrfürchtig durch die schmale Tür hinter der Bühne.
Dort tummeln sich die Schauspieler, Helfer, Visagisten, Bühnentechniker und Gäste, die sich wie George vorher angemeldet haben. Am anderen Ende des Raumes erkenne ich Kriemhilds Mutter Ute, die schon in Jeans und Turnschuhen ist, aber immer noch ihre mittelalterliche Kopfbedeckung trägt. Auch König Gunther kann ich zwischen den vielen Menschen sehen. Er wird gerade von einem Reporter interviewt und scheint wenig Gefallen daran zu finden, denn er zieht ein ziemlich mürrisches Gesicht.
Georges Studenten fühlen sich hier pudelwohl und sind schon in alle Richtungen verstreut. Florian steht gerade bei einem Bühnenhelfer und lässt sich von ihm die verschiedenen Schwerter zeigen, die während der Vorstellung zum Einsatz gekommen sind. Er strahlt über das ganze Gesicht, als der Mann ihm ein Schwert überreicht und er damit wild in der Luft herumfuchteln darf.
Unwillkürlich muss ich lachen. So ein Kindskopf. Auch George hat jemanden gefunden, mit dem er sich unterhalten kann, es ist ein eleganter Mann mit grauen Haaren, der einen schicken Anzug trägt und wichtig aussieht. Die beiden unterhalten sich angeregt und George gestikuliert wild, was er meistens tut, wenn er aufgeregt ist.
„Hey, du scheinst mir ja ein echter Fan zu sein“, sagt jemand neben mir. Aus Reflex drehe ich mich zur Seite und da steht Kriemhild, noch komplett in ihrem Bühnenoutfit. Ich bin ganz perplex und drehe mich zur anderen Seite, sie hat sicher nicht mit mir gesprochen. Doch da steht niemand.
Ich sehe sie wieder an, sie lächelt mir freundlich zu. Sie scheint wirklich mich zu meinen.
„Ich, ääähhh, was meinst du?“ Ok, ich muss unbedingt daran arbeiten, mich auch dann, wenn ich unerwartet angesprochen werde, souverän zu verhalten und in ganzen Sätzen ausdrücken zu können.
Kriemhild lächelt noch immer. Sie deutet auf meinen Armreif. „Na, der Armreif. Gibt es den mittlerweile im Souvenirladen?“ Ich verstehe die Worte, aber ich habe keine Ahnung, wovon sie spricht.
„Hä? Was denn für ein Souvenirladen? Und welcher Armreif?“, frage ich leicht verdattert.
„Deiner. Und meiner“, sie hebt ihren Arm und ich sehe einen Armreif, der meinem tatsächlich sehr ähnlich sieht. Mehr als das. Er sieht auf den ersten Blick genau gleich aus. Jetzt bin ich ganz verwirrt.
„Äh, Kriemhild, ich verstehe nicht, ähm, also, was ist das mit dem Armreif?“
Sie lacht laut auf, es ist ein helles, unbeschwertes Lachen. „Also eigentlich heiße ich Lisa.“ Sie streckt mir die Hand hin, ich schüttele sie, immer noch ganz neben der Spur.
„Äh, ja, und ich bin Hilda.“
„Okay Hilda, ich glaube, ich habe dich hier gerade ziemlich überfallen. Ich muss mich schnell umziehen gehen, was hältst du davon, wenn du mich begleitest und ich dir erkläre, was ich gemeint habe?“ Lisa ist mir auf Anhieb sympathisch und ich möchte unbedingt diesen leicht zurückgebliebenen Eindruck wettmachen, daher willige ich spontan ein.
Wir bahnen uns einen Weg zum anderen Ende des Raumes, wo sich hinter einer unscheinbaren Tür der Flur mit den Garderoben der Darsteller befindet.
In der Umkleidekabine angekommen, verschwindet Lisa hinter einem Paravent und ich setze mich auf einen Stuhl neben einem Frisiertisch.
„Also“, beginnt sie, während sie sich umzieht, „ich sah dich vorhin dort stehen und da ist mir sofort dein Armreif aufgefallen. Ich habe mich darüber gewundert, weil es vor ein paar Monaten – wir waren noch mitten in den Proben – eine große Diskussion darum gab, ob dieser Armreif für den Verkauf im Souvenirladen angefertigt werden soll.“
„Welcher Souvenirladen?“, frage ich interessiert nach.
„Es gibt in der Fußgängerzone einen kleinen Laden, die verkaufen allen möglichen Nibelungen-Kram“, erklärt Lisa, noch immer hinter dem Paravent.
„Die haben Tassen, T-Shirts, Poster, Kalender, Kugelschreiber, Schlüsselanhänger und was weiß ich noch alles. So typischen Touristenkram halt. Und alles mit Motiven der Stadt Worms, dem Dom und eben mit Nibelungenmotiven. Und der Inhaber des Ladens kam auf die Idee, sein Sortiment zu erweitern und in dieser Saison erstmals auch Schmuck anzubieten. Aber Wolfram Wiesenthal, der Chef der Festspiele, war dagegen. Es gab ein ewiges Hin und Her. Und ich dachte eigentlich, Wiesenthal hätte sich durchgesetzt und den Verkauf des Schmucks verboten. Wiesenthal setzt sich immer durch, so kam immerhin auch sein Sohn Markus, dieser Nichtsnutz, an die Rolle des Hagen von Tronje.“ Sie lacht und kommt hinter dem Paravent hervor. Jetzt trägt Lisa eine Jeans, ein gelbes T-Shirt und Ballerinas im gleichen Farbton. Den Armreif hält sie in der Hand.
„Schön und gut, aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit meinem Armreif zu tun hat“, versuche ich erneut, ihr meine Verwirrung zu erklären.
„Na, das ist der Armreif, von dem ich dachte, dass er überhaupt nicht erst produziert werden durfte. Und jetzt hast du ihn, also wurde er doch hergestellt, obwohl der Chef es nicht wollte.“
„Warum wollte er das denn nicht?“ hake ich nach, die ganze Sache ist mir noch immer ein Rätsel.
„Keine Ahnung“, antwortet Lisa schulterzuckend, „das hab‘ ich nie richtig verstanden. Es hat mich auch ehrlich gesagt nicht so brennend interessiert. Ich habe ja den hier“, sie hält ihren Armreif hoch, „und wenn ich den mal verlieren sollte, dann habe ich noch zwei auf Reserve in der Schublade.“ Sie öffnet ein Fach an ihrem Frisiertisch und darin liegen verschiedene Schmuckstücke, die alle sehr alt und sehr wertvoll aussehen.
„Wahnsinn“, rufe ich erstaunt, „und solche teuren Sachen liegen hier einfach so rum?“
„Ach was“, meint Lisa gelassen und schüttelt den Kopf, „das ist doch nur wertloser Modeschmuck.“ Modeschmuck? Mir fällt meine Chefin Agnes von „Pizza-Pasta-Pronto“ ein, die meinen Armreif auch immer als Modeschmuck bezeichnet.
„Du meinst, das hier ist alles nicht echt?“, will ich wissen.
„Ganz sicher nicht. Hier, nimm!“ Lisa hält mir ihren Armreif und eine weitere Kette hin. Beides fühlt sich nach Plastik und ganz leicht an. Erstaunt wiege ich den Schmuck in der Hand.
„Tatsächlich, das ist ja wirklich nur Spielzeug!“
„Ja, deiner denn etwa nicht?“ Sie sieht meinen Armreif neugierig an. Ich nehme ihn ab und reiche ihn ihr, er ist sehr viel schwerer als ihrer.
„Das ist ja der Hammer! Haben die für den Souvenirladen tatsächlich richtigen Schmuck hergestellt!“ Sie hält die beiden Armreifen in ihren Händen und wägt sie prüfend ab.
„Äh, nein, der ist nicht aus dem…“ …Souvenirladen, wollte ich gerade sagen, aber die Tür fliegt auf und Hagen von Tronje stürmt herein.
Aus der Nähe betrachtet, sieht er sogar noch viel besser aus als vorhin auf der Bühne – was bei Männern nicht immer der Fall ist. Manchmal sieht man jemanden von weitem und denkt sich, er wäre total super, und von nahem verliert er deutlich an Attraktivität.
Nicht so dieser Hagen-Typ. Wuschelige braune Haare, sehr dicht und mit sehr viel Mühe so gestylt, dass es ungestylt aussieht, markante Gesichtszüge, tiefbraune Augen, ein sehr männlicher Typ, Marke Hugh Jackman, nur zehn bis fünfzehn Jahre jünger.
„Lisa, draußen ist die Presse und will Fotos und Interviews, aber die Hauptdarstellerin sitzt in ihrer Umkleide und hält Kaffeeklatsch!“, fährt er sie an. Lisa gibt mir meinen Armreif zurück und lächelt Hagen giftig an.
„Ach, hat der Papa wieder seinen Wachhund losgeschickt. Oder eher einen Hütehund, der die Schäfchen herbeitreiben soll. Was für ein braver Hund du doch bist, Markus!“ Das ist eine Stimmung zwischen den beiden, die scheinen überhaupt nicht miteinander zu können. Ich stehe auf und lächle verlegen.
„Ähm, ich geh‘ dann mal.“ Schade eigentlich, ich hätte nämlich noch gerne gewusst, was es mit dem Armreif auf sich hat.
Lisa legt ihre Hand auf meinen Arm. „Nein, das brauchst du nicht, wir waren noch nicht fertig. Und die Presse kann auch noch ein paar Minuten auf mich warten. Und übrigens“, fügt sie an Hagen gewandt hinzu, „dein ach so allmächtiger Vater hat sich wenigstens einmal nicht durchsetzen können. Der Touri-Laden verkauft die Armreifen.“
Sie wedelt mit meinem Handgelenk vor seinem Gesicht herum.
„Nein, der ist nicht…“ versuche ich erneut, das Missverständnis aufzuklären, aber Hagen läuft schon rot an, schnaubt und rennt aus dem Zimmer, was nicht ganz so männlich wirkt.
Lisa lacht. „Den wären wir los. Aber er hat schon Recht, ich muss wirklich gleich los. War nett, dich kennen zu lernen, Hilda.“ Meine letzte Chance.
„Lisa, einen Moment noch, bitte. Was ist denn so besonders an diesem Armreif?“, frage ich schnell, um die letzte Gelegenheit nicht zu verpassen.
„Das sind Nachbildungen von dem Armreif, den Siegfried Kriemhild geschenkt haben soll, als Zeichen seiner Liebe“, erklärt sie und zieht einen Stapel Papier von ihrem Frisiertisch.
„Hier kannst du eine Zeichnung sehen, wie Kriemhild ausgesehen haben soll. Nach ihrem Vorbild wurden Kleidung, Schmuck und Frisur für meine Rolle ausgewählt.“ Sie hatte in ihrem Kriemhild-Outfit tatsächlich Ähnlichkeit mit der Frau auf der Zeichnung. Sie blättert weiter.
„Hier siehst du eine Zeichnung von dem Armreif.“ Jetzt bin ich sprachlos, denn die Skizze sieht wirklich aus, als hätte man sie nach dem Vorbild meines Armreifs angefertigt. Oder meinen Armreif nach dem Vorbild der Zeichnung.
„Woher hast du das?“, frage ich sie.
„Vom Chef. Der ist immer ganz darauf bedacht, alles so originalgetreu wie möglich zu machen. Ein totaler Quatsch, wenn du mich fragst, diese Kriemhild hat es schließlich nie gegeben. Es ist nur ein Märchen, aber der Chef hat alle möglichen Aufzeichnungen über die Geschichte der Nibelungen durchgeackert, angefangen bei den frühesten Aufzeichnungen aus dem Mittelalter. Er hat eine riesige Bibliothek zu Hause, in der Unmengen von alten Büchern stehen. Und allein eine ganze Schrankwand ist voller Bücher nur über die Nibelungen-Sage. So, jetzt muss ich aber wirklich los, sonst spiele ich ab morgen eine Küchenmagd und nicht mehr die Hauptrolle.“
In dem großen Raum hinter der Bühne hat sich die Menschenmenge etwas aufgelöst. Jetzt sind hauptsächlich Leute von der Presse da und die verschiedenen Schauspieler geben mehr oder weniger geduldig Interviews.
George kommt sofort auf mich zugeeilt, als er mich entdeckt. „Darling, da bist du ja! Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Wo hast du denn nur gesteckt? Du hättest mir doch wenigstens Bescheid sagen können, dass du gehst!“
„Ich bin aber gar nicht gegangen“, entgegne ich, „ich war mit Kriemhild, also mit Lisa, in ihrer Umkleide.“
Lisa ist bereits von Reportern umzingelt und winkt mir hilflos zu. Ich winke zurück und hake mich bei George unter. „Gehen wir jetzt was essen? Ich verhungere gleich!“
Wir finden auf Anhieb eine nette kleine Pizzeria und nachdem wir bestellt haben, erzähle ich George von meiner seltsamen Unterhaltung mit Lisa.
George ist erstaunt: „Ich dachte, der Armreif wäre ein Erbstück von deiner Oma Gerda?“
„Ja, das ist auch so. Sie hat mir den Armreif geschenkt, als ich sechzehn Jahre alt wurde. Und sie hat mir ganz feierlich erzählt, dass ich jetzt eine Frau sei und dieses bedeutende Schmuckstück tragen dürfe. Sie sagte, es sei schon seit Generationen in unserer Familie und immer nur von Frau zu Frau weitervererbt worden. Wenn eine Frau keine Tochter hat, wie meine Oma, dann wird es der ältesten Enkelin vererbt. Naja, ich dachte mir schon, dass sie da ein bisschen übertrieben hat“, erzähle ich und knabbere dabei an einem Stück Pizzabrot.
George nickt nachdenklich. „Aber trotzdem, mal angenommen, sie hat übertrieben. Du hast den Armreif schon seit mehr als zehn Jahren. Und Kriemhild hat dir erzählt, dass der Armreif erst diesen Sommer im Laden verkauft werden sollte.“
„Sie heißt Lisa“, antworte ich kauend, „und das stimmt. Sie sagt, der Ladenbesitzer und dieser Wiesenthal hätten sich lange darüber gestritten, und letztendlich habe ihrer Meinung nach der Ladenbesitzer einen Rückzieher gemacht. Deshalb war sie so überrascht, den Armreif an mir zu sehen.“
„Also kann dein Armreif nicht hier aus diesem Laden sein“, stellt George fest und nimmt einen Schluck Wein. „Aber er scheint tatsächlich eine Nachbildung von Kriemhilds Schmuckstück zu sein. Es würde mich schon interessieren, wo deine Großmutter ihn her hat.“
Er streicht nachdenklich mit dem Finger über den großen grünen Stein in der Mitte des Armreifs.
„Dass dein Armreif wirklich gut gearbeitet ist, sieht selbst ein Blinder mit Krückstock. Hochwertiges Material und eine spitzenmäßige Verarbeitung“, murmelt er.
„Sag das mal Agnes. Die sagt immer, der sieht aus wie hässlicher Modeschmuck!“ Noch während ich die Worte ausspreche, bemerke ich erstaunt, dass es mir doch ernsthaft nahezugehen scheint, was diese Ziege gemeckert hat.
George schüttelt den Kopf. „Die hat doch keine Ahnung, was Qualität ist. Wenn ihr Vater ihr nicht immer die besten Sachen aussuchen würde, dann hätte sie auch nichts Hochwertiges. Die kann doch eine echte Gucci-Tasche nicht von einem Fake unterscheiden“, meint er verächtlich und hat damit wohl gar nicht mal so Unrecht.
„Wie auch immer. Ich werde jedenfalls versuchen, Oma nach dem Armreif zu fragen, wenn ich wieder zu Hause bin. Vielleicht hat sie einen klaren Tag und kann sich an etwas Brauchbares erinnern.“
Der Kellner kommt mit meiner Pizza und Georges Salat an Essig und Öl und unterbricht damit unser Gespräch. George sieht mir zu, wie ich die Pizza so hungrig in mich hinein stopfe, als hätte ich seit Tagen nichts Gescheites mehr gegessen.
„Wo du das immer hinsteckst! Ich sehe dir nur beim Essen zu und habe morgen sicher drei Pfund mehr auf der Waage, und du isst, was du willst, und es macht dir nichts aus.“ Er pickt bekümmert zwei Salatblätter auf, schielt dabei neidisch auf meine Pizza.
„Ach Georgilein“, versuche ich ihn aufzumuntern, „du siehst super aus! Wo sind denn eigentlich deine kleinen Streberlein abgeblieben?“ Ich meine natürlich seine übereifrigen Studenten.
„Die habe ich vorhin, als ich dich gesucht habe, für heute entlassen und ihnen einen freien Abend gestattet. Oder das, was noch vom Abend übrig ist. Ich glaube, sie wollten eine Bar suchen und ordentlich einen trinken gehen.“
Nach dem Essen werde ich mit einem Schlag hundemüde. Es war ein langer Tag und ich habe eine emotionale Achterbahnfahrt hinter mir, also gehen George und ich ohne Umwege ins Hotel. George sagt, er brauche seinen Schönheitsschlaf und könne sich keine durchzechten Nächte mehr leisten. Mir ist es nur Recht so. Nach einer schnellen Dusche falle ich ins Bett und bin schon eingeschlafen, noch bevor George das Licht ausgemacht hat.