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KAPITEL 2 Vorsorge statt Sorge – wie man Infekte vermeidet
ОглавлениеUm gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Die beste Vorbeugung gegen wirklich fiese Krankheiten ist – auch wenn einige das anders sehen – die Impfung dagegen. Die fast vollständige Ausrottung der Pocken ist dafür ein gutes Argument. Wer das anders sieht, darf sich aber auch gern einmal mit den in vielen Ländern – unter anderem Indien – nach wie vor sehr real existierenden Auswirkungen des Lyssavirus auseinandersetzen. Spätestens wenn es um die Tollwut geht, die vom Lyssavirus ausgelöst wird, sind sich praktisch alle über die Sinnhaftigkeit einer vorbeugenden Impfung einig.
Ärzte empfehlen Älteren, Kranken und Schwangeren, sich gegen die echte Grippe impfen zu lassen. Und zwar jeden Herbst von Neuem. Was – die gute Nachricht – die echte Grippe meistens erfolgreich verhindert. Warum aber muss man sich immer wieder impfen lassen? Reicht nicht ein Piks? Für zehn Jahre? Wie bei anderen anständigen Impfungen auch?
Und nun die schlechte Nachricht: Nein. Reicht nicht.
Dazu eine kurze und sehr lückenhafte Abhandlung über Abwehrzellen, denn die menschliche Immunabwehr ist unglaublich kompliziert und von der Wissenschaft keineswegs vollständig verstanden. Also: Abwehrzellen sind weiße Blutkörperchen, die ursprünglich alle von derselben Sorte Stammzellen abstammen. Dann aber bekommen sie alle ein unterschiedliches Training, und zwar in ihren Ausbildungsstätten, zum Beispiel den Mandeln und der Milz. Nach Ende der Ausbildung bilden sie eine sehr effektive und fein abgestimmte Köperarmee, die in den Blutgefäßen, in Organen und Gewebe patrouilliert und nach Angreifern sucht. Dabei gibt es die unspezifischen Abwehrzellen – so eine Art Müllabfuhr –, die alles fressen, was ihnen einigermaßen verdächtig vorkommt, darunter auch Bakterientrümmer und was sonst so in der Gegend herumliegt; auch sie sind wieder unterspezialisiert, so wie eine Putztruppe ja auch nicht alles reinigt – die einen machen die Fenster und die anderen die Böden. Grob gesagt. Und dann gibt es die spezifischen Zellen, das sind die B- und T-Lymphozyten, die haben schon etwas mehr auf dem Kasten. Die B-Lymphozyten stellen die Antikörper her, die feindliche Eindringlinge so markieren und zusammenklumpen können, dass die Fresszellen sie als Müll erkennen und beseitigen. Unter den spezifischen Abwehrzellen gibt es nun welche mit einem Gedächtnis. Und zwar merken sie sich die Viren, Bakterien oder Pilze, mit denen der Körper schon einmal sehr unangenehme Erfahrungen gemacht hat, und wenn sie das nächste Mal auf ihre Feinde treffen – paff! –, sind die Krankheitserreger weg vom Fenster, ehe sie wissen, wie ihnen geschieht.
Sie sind sozusagen die Navy SEALs unter den Immunzellen. Sie erinnern sich noch Jahre lang an bestimmte Erreger, manche ein ganzes Körperleben lang. Hat man zum Beispiel einmal die Windpocken oder auch die Masern durchlitten, ist das ein für alle Mal erledigt. Bei manchen Krankheiten hält diese Erinnerung nicht ein Leben lang vor, dazu gehört zum Beispiel der gemeine Keuchhusten. Das ist der Grund, warum Erwachsene manchmal einen bellenden und äußerst hartnäckigen Husten entwickeln, ohne darauf zu kommen, dass sie schlichtweg unter Keuchhusten leiden.
Leider können sie ungeimpfte Babys in diesem Zustand anstecken.
Ebenso wie als Reaktion auf eine Infektion erzeugt der Körper Erinnerungszellen auch als Reaktion auf eine Impfung, übrigens auch hier teils vermutlich lebenslang (Masern), teils nur für etwa zehn Jahre (Tetanus, Keuchhusten). Der einzige Unterschied zwischen Impfung und echter Infektion: Die Viren oder Bruchteile von Viren oder anderen Erregern, die dabei in die Muskeln gespritzt werden, machen nicht mehr krank. Deshalb ist eine Impfung gewissermaßen Krankheit light. Kein Fieber, keine Gliederschmerzen, kein Tod.
Impfungen verhindern viele Erkrankungen, und glücklicherweise auch viele, die früher die Menschen, besonders Kinder, dahingerafft haben. Hier folgt ein kleiner Umweg: Kinderkrankheiten heißen nämlich nicht so, weil es sozusagen die kleine Version von großen Krankheiten wäre oder diese Form von Krankheit harmlos, sondern weil sie so dermaßen ansteckend sind, dass man sie unweigerlich schon als Kind bekommt. Und als Erwachsener nicht mehr, weil man entweder immun ist (funktionierende Eliteabwehrzellen) oder eben tot.
Was nun aber für Masernviren gilt – ziemlich dämliche Virenvariante, sehen immer gleich aus –, gilt nicht für Grippeviren. Das sind Schlitzohren. Sie haben nämlich die unangenehme Eigenschaft, ihre Gestalt häufig zu ändern. Jedes Jahr, bei jeder neuen Grippewelle, sieht der Körper sich also ihm völlig unbekannten Viren gegenüber und hinkt mit seiner Abwehr immer hinterher. Man kann sich das in etwa so vorstellen, dass die Truppe der Erinnerungszellen, die Navy SEALs, schwer bewaffnet an sämtlichen Körperöffnungen steht und nach dem Feind Ausschau hält, während das Fußvolk seine üblichen Runden durch den Körper dreht.
Der Feind (in diesem Fall das Grippevirus) sah nun letztes Jahr noch etwa so aus wie ein Ork. Groß, hässlich und intensiv unsympathisch. Ergo hält man – so als Immunzelle – Ausschau nach etwas Orkartigem.
Weit und breit nichts, die Immunsoldaten scharren mit den Hufen. Keine Orks. Nichts Hässliches. Niemand sabbert ihnen das Gewehr voll.
Nur ein grinsendes Häschen hoppelt an den bis an die Zähne bewaffneten Soldaten vorbei. Sie beachten es gar nicht, denn der Feind hat bekanntlich keine weißen Plüschöhrchen und schon gar nicht solche netten vorstehenden Zähnchen.
Wenig später hat das Häschen, immer noch grinsend, seinen Plastiksprengstoff an der Zellwand deponiert und gezündet.
Bis die getäuschte und leider nicht sehr intelligente Armee der Abwehrzellen begriffen hat, dass das Häschen nicht so harmlos ist, wie es tut, sind schon viel mehr Hoppelhäschen mit Sprengstoff unterwegs. Sie vermehren sich nämlich, ganz wie die Häschen im echten Leben, rasend schnell. Das ist dann der Teil, in dem es dem gemeinen virenbefallenen Grippekranken wirklich schlecht geht.
Und der männliche Befallene an die Letzte Ölung denkt.
Irgendwann aber hat wenigstens das Fußvolk begriffen, was abgeht, und im Körper findet eine grausame Schlacht statt – das Fieber steigt, der Husten wird unerträglich, die Nase läuft und so weiter –, in deren Verlauf die Häschen besiegt werden und die Spezialeinheit sich mit neuen Waffen eindeckt (häschenspezifische statt orkspezifische; übertragen ins Immunsystem: Antikörper). Und dann folgt das Übliche: Abfieberung, schließlich Heilung, und schon ist der Mann wieder in der Lage, den Müll hinunterzubringen. Jedenfalls theoretisch.
Nächstes Jahr geht das Spiel dann von vorne los. Diesmal halten die Abwehrsoldaten – häschenspezifische Handgranaten in den Flossen – Ausschau nach niedlichen Plüschöhrchen.
Nirgendwo Häschen.
Nächstes Jahr sind es Mammuts.
Uns erinnern die Abwehrzellen immer etwas an Rekruten aus dem ersten Film von Men in Black.
Für die, die MiB nicht kennen: Das ist eine amerikanische Spezialeinheit, deren Mitglieder aus unverständlichen Gründen aussehen wie die Blues Brothers, nur ohne Hüte. Sie tragen schwarze Anzüge, bei Bedarf Sonnenbrillen und außerdem Blitzdingse, Metallstäbe, die Blitzlichter von sich geben, die wiederum die geniale Eigenschaft haben, die neueste Erinnerung eines normalen Menschen auszulöschen. Und das ist nötig, denn die Men in Black bekämpfen verbrecherische Außerirdische (und betreuen nebenberuflich die weniger schädlichen wie Wurmlinge und einen Typen, der so extrem schielt, dass man sich unwillkürlich fragt, ob sie auf anderen Planeten keine fähigen Augenärzte haben. Als Kompensation kann er seinen Kopf nachwachsen lassen wie ein irdischer Hai seine Zähne. Leider ändert das nichts am Schielwinkel, wir hätten wenigstens darauf gedrungen, dass wir uns unterschiedliche Kopfmodelle aussuchen können – sicherlich hätten wir keinen mit derartig vorstehenden Zähnen genommen).
Da aber dem Normalmenschen offensichtlich ein Kontakt mit all diesen teilweise schwanztragenden und teilweise mit wirklich unappetitlichen Eigenschaften ausgestatteten Außerirdischen nicht zuträglich wäre, laufen die Außerirdischen auf den Straßen gut getarnt herum. Ähnlich wie die harmlosen Erreger im Körper, um mal den Bogen zu dem eigentlichen Thema zurück zu schlagen.
Wenn die Außerirdischen nun aber unangenehm auffallen – sei es, weil sie gerade einen Menschen versehentlich um die Ecke gebracht haben oder weil sie mitten auf der Straße ein Baby gebären, das vage aussieht wie ein Tintenfisch –, dann lassen die Men in Black die Menschen anschließend in das Blitzdings schauen. Was ihre Erinnerung an die Außerirdischen zuverlässig löscht. Weswegen sie anschließend ohne posttraumatische Belastungsstörung weiterleben können (nein, Blitzdingse gibt es im Körper nicht, hierfür gibt es also keine Entsprechung bei den Abwehrzellen).
Und nun zu Will Smith.
Es ist nämlich so, dass Experten für Außerirdische, die Men in Black, gelegentlich neue Leute rekrutieren müssen, und zwar aus der normalen Menschenbevölkerung.
Dazu wählen die entsprechenden Ausbilder nur die »Besten der Besten« aus, wie einer der Rekruten begeistert brüllt – aber welche Eigenschaften einen dazu machen, das lässt der Film ziemlich offen. Wenn die Jungs, die dort rekrutiert wurden, dazugehören, dann gute Nacht, Amerika.
Jedenfalls werden die »Best of the Best« in das Gebäude der Außerirdischenbekämpfer eingeladen (im Körper vielleicht die Mandeln?). Für einen Test. Assessment-Center. Ganz wie im echten Leben. Und unter diesen Rekruten befindet sich Will Smith.
Im Verlauf dieses Tests müssen die Männer (es ist keine einzige Frau dabei, möchten wir hier einmal erschüttert bemerken) binnen Sekunden entscheiden, welches von einer Herde von sich langsam auf sie zubewegenden Pappmonstern am gefährlichsten ist. Zu diesem Zweck haben sie jeder eine Pistole in der Hand.
Hemmungslos ballern die Jungs auf sämtliche Monster ein (schlagen wir hier mal wieder den Bogen zum eigentliche Thema. Also: Orks. Viren. Ekelhafte Erreger). Nur ein einziger Mann (Abwehrzelle), Will Smith natürlich, zielt auf ein kleines, unauffälliges Pappmädchen, die kleine Tiffany (Häschen). Will Smith erklärt seine Attacke auf Tiffany anschließend damit, dass ein Grundschulkind, das mitten in der Nacht zwischen einer Herde von ungeheuer brutal aussehenden Monstern mit einem Stapel Bücher über Quantenphysik unter dem Arm auf der Straße unterwegs ist, unmöglich harmlos sein kann. Er ist der Einzige, der anschließend einen Job als Man in Black angeboten bekommt, die anderen »Best of the Best« werden geblitzdingst. Will Smith wäre sozusagen die Steigerung von den Erinnerungszellen, die ultimative mitdenkende Erinnerungszelle.
Leider, leider, leider hat unser Körper keine Will Smiths.
Und deswegen brauchen wir bei jeder Grippewelle eine neue Impfung, nach der die Abwehrzellen dann wenigstens dieses Jahr das Terrorhäschen als gefährlich einstufen.
Nun könnte man natürlich fragen, warum es eigentlich keine Impfung gegen Erkältungen, Entschuldigung, die Männergrippe gibt. Eine Frau würde diese Frage vermutlich beantworten mit »WTF«. Oder – etwas vornehmer – mit: »Wozu?« Denn schließlich ist Schnupfen ja nicht tödlich. Auch wenn Männer das anders sehen.
Einen Mann könnte die Antwort aber interessieren. Sie lautet: weil es zwar nur zwei bis drei unterschiedliche Grippeviren (unterschiedliche Orks, Häschen mit unterschiedlich gefärbten Ohren, Tiffanys) pro Saison gibt, aber zweihundert bis dreihundert unterschiedliche Schnupfenviren.
Dennoch gibt es tatsächlich Bemühungen, gegen zumindest die gefährlichsten von ihnen Impfungen zu entwickeln.
Sie werden von Männern vorangetrieben.