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Geiselnahme
»Kommandantin, wir bekommen nach wie vor keine Funkverbindung nach Epsal!« Sarah Maas, die Funkchefin der CREST II, wirkte verstimmt.
Sie betrachtet dieses Scheitern offensichtlich als persönlichen Makel, dachte Perry Rhodan. Maas war eine ebenso engagierte wie ehrgeizige Frau.
Die CREST II hatte soeben das Altairsystem erreicht. Das Zentralholo zeigte Epsal, den zweiten Planeten. Er drehte ebenso unauffällig seine Runde um die ellipsoide Sonne Vono, die eigentlich Altair hieß, wie alle anderen fünf Trabanten dieses Systems. Es gab keinen Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmte. Nichts außer dem Hilferuf und der merkwürdigen Funkstille.
Rhodan stand einen halben Schritt seitlich hinter Thora Rhodan da Zoltral, sodass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Er kannte seine Frau jedoch gut genug, um ihre Körpersprache zu lesen: Sie war angespannt und konzentriert. Der Zeigefinger ihrer rechten Hand, die scheinbar gelassen auf ihrem Oberschenkel lag, tippte in einem schwachen Rhythmus – ein kleiner Morsecode der Vertrautheit, den sie ihm unbewusst sandte. Er trat an ihre Seite. Es lag ihm fern, sich in ihre Schiffsführung einzumischen, aber er wusste, wann sie den Austausch mit ihm suchte.
»Was hast du vor?«, fragte er leise.
Thora zog die Augenbrauen in einer sehr menschlichen Geste zusammen. Hat sie das immer schon getan, oder hat sie es sich angewöhnt? Rhodan konnte es nach all den gemeinsamen Jahren nicht mehr sagen – für ihn war es eine vertraute Mimik, die er wie jede einzelne Pore ihrer Haut liebte.
»Hier ist etwas faul«, gab sie ebenso leise zurück. »Um nicht zu sagen: Es stinkt wie die Abfallgruben auf Arkon Drei. Wir müssen behutsam vorgehen.«
»Das sehe ich auch so.« Die Worte kamen von Reginald Bull, der sich vor ein paar Minuten holografisch zugeschaltet hatte. »Auf keinen Fall sollten wir mit der CREST II näher an Epsal heranfliegen, ehe wir Klarheit über die Situation haben. Wir wollen nicht provozieren.«
»Diese Worte aus deinem Mund.« Rhodan musste trotz der ernsten Lage lächeln. »Der Posten des Protektors hat dich weich gemacht, was?«
Ehe es zu einem verbalen Schlagabtausch der beiden Freunde kommen konnte, wandte sich Thora dem Kommandanten der Beibootflottille zu, der auf seinem Posten in der Zentrale war. »Mister Levy, Ihr Einsatz! Senden Sie eine Space-Disk zur Hauptstadt Rimdan und sehen Sie nach, was dort los ist!«
Itai Levy sprang auf, als habe er nur auf diesen Befehl gewartet. »Ma'am, ich würde diesen Flug gern selbst übernehmen.«
»Einverstanden. Nehmen Sie sich ein paar von Mister Khalsas besten Leuten mit; wir wissen nicht, was uns dort unten erwartet.« Thora hob die Hand. »Aber auch wenn Sie Raumlandesoldaten dabeihaben – Sie fliegen erst mal nur nach Rimdan, um das Ganze aus der Distanz zu beobachten, verstanden? Gelandet wird erst auf meinen ausdrücklichen Befehl hin!«
Levy bestätigte und verließ im Laufschritt die Zentrale.
»Miss Maas, funken Sie Epsal weiter an. Versuchen Sie am besten, direkt Obfrau Noelani Moana zu erreichen, und kündigen Sie unsere Space-Disk an. Wir wollen schließlich nicht den Eindruck erwecken, dass wir uns aufdrängen ...«
Sehr vernünftig. Auch eine kleine Space-Disk könnte von misstrauisch gestimmten Kolonisten als unerwünschter Eindringling erachtet werden. Rhodan beobachtete besorgt das große Holo mit dem Planeten, über den gerade wie ein düsteres Omen das Schattenband wanderte, das durch die ellipsoidbedingte Verdunkelung am Äquator der Sonne Vono hervorgerufen wurde.
Währenddessen kam Maas dem Befehl nach. »CREST II ruft Epsal, die Kolonie in Rimdan. Informieren Sie Obfrau Noelani Moana über unsere Kontaktaufnahme. Wir sind aufgrund Ihres Notrufs hier und schleusen gleich eine Space-Disk aus, die Ihre Hauptstadt anfliegen wird. Unsere Absichten sind friedlich, und wir bieten Hilfe an. Ich wiederhole: CREST II ruft Epsal ...«
Die Funkoffizierin hatte ihre Audionachricht zum dritten Mal gesendet, und die Space-Disk hatte das Mutterschiff gerade verlassen, als eine Antwort von Epsal eintraf. »Eine Bild- und Tonverbindung«, meldete Maas und drehte sich mit fragendem Blick Thora zu.
»Worauf warten Sie?« Thora machte eine auffordernde Geste, während Rhodan einen Schritt zur Seite machte. Er wollte nicht in der Übertragung auftauchen, jedenfalls nicht sofort. »Legen Sie das Bild in ein separates Kommunikationsholo, nicht auf den Holodom.«
Maas gehorchte, und Sekunden später stand das überlebensgroße Porträt von Iratio Hondro mitten in der Zentrale.
Der ehemalige Obmann von Plophos grinste breit, als die Erste Offizierin Gabrielle Montoya zischend die Luft einsog – in seiner Bilderfassung konnte er zwar nur Thora sehen, jedoch deren Umfeld deutlich hören. Bull, der über seine Holopräsenz mitbekam, wer da unerwartet anrief, entfuhr ein Fluch. Auch Rhodan überlief beim Anblick des Manns, dessen vernarbte linke Wange belustigt zuckte, ein erschrockener Schauder. Er hatte Hondro zwar auf Epsal vermutet. Dass der Plophoser sie allerdings so offen mit seiner Anwesenheit konfrontierte, war wie ein Schlag in den Magen.
Rhodan rechnete Thora hoch an, dass sie – typisch Arkonidin – ihre Gefühle unter Kontrolle hatte und sich nicht anmerken ließ, ob Hondros Auftauchen sie in irgendeiner Form irritierte. »Mister Hondro, was für ein unerwartetes Vergnügen.«
Hondro ignorierte sie. »CREST II, dies ist eine Warnung. Die Bewohner der Kolonie Epsal sind meine Geiseln. Ich werde alle Siedler sofort töten, wenn nur ein einziger Flottenangehöriger seinen Fuß auf den Planeten setzt. Also pfeifen Sie Ihre Space-Disk zurück, aber schnell.« Sein Blick zuckte hin und her, als suche er etwas. »Diese Warnung gilt auch für Sie, Perry Rhodan. Halten Sie sich von Epsal fern, oder Sie sind verantwortlich für unzählige Tote.« Das Holo erlosch.
Thora fuhr zu Rhodan herum. »Woher weiß er, dass du im Altairsystem bist?«
Rhodan zuckte mit den Schultern. Im Vergleich zu Hondros Drohung, die Kolonisten von Epsal zu ermorden, schien ihm dieses Detail fast lächerlich unwichtig. »Wenn wir eins von Iratio Hondro wissen, dann, dass er nicht dumm ist. Dies ist die CREST II, du bist die Kommandantin – er wird sich einfach gedacht haben, dass ich hier bin.« Es war eine Erklärung, ja. Befriedigend war sie indes nicht.
»Wie dem auch sei, ich will wissen, was dort unten los ist!« Thora rümpfte grimmig die Nase. »Miss Maas, rufen Sie die Space-Disk unverzüglich zurück. Setzen Sie stattdessen Aufklärungssonden ab. Ich möchte so schnell wie möglich Bilder aus Rimdan sehen.«
»Verstanden, Ma'am.«
Während die Finger der Kommunikations- und Ortungsspezialistin über die holografischen Kontrollen ihres Arbeitspults flogen und sich ein Schwarm von dreißig Sonden ins All ergoss, räusperte sich Bull. »Eins dürfte nach diesem Auftritt von Hondro klar sein: Seine Ziele sind nicht politischer Natur.«
»Zumindest nicht vorrangig«, bestätigte Rhodan. »Sonst hätte er nicht ausgerechnet mich angesprochen, der kein politisches Amt bekleidet.«
»Er hat mich als Vertreterin der Terranischen Flotte ebenso links liegen lassen wie Gabrielle – falls seine Ablehnung auf meiner arkonidischen Herkunft beruhen sollte.« Thora tippte sich an die Nase. »Er hätte auch nach Reg fragen können, selbst wenn er nicht wusste, dass unser geschätzter Protektor holografisch zugeschaltet ist.«
»Mit mir wollte er nicht sprechen.« Reginald Bulls Gesicht hatte sich einen Ton ins Rötliche verfärbt, aber noch war er von einem Wutanfall klar entfernt. »Das zeigt uns, dass es etwas Persönliches ist, Perry, und es hat mit dir zu tun. Hondro konnte sich vermutlich denken, dass du den Notruf von Epsal mit ihm in Verbindung bringst und persönlich hierherkommst.«
Rhodan fiel etwas ein. »Was ist mit dem lokalen Mesh?« Das allgemein zugängliche Kommunikations- und Datennetzwerk der Solaren Union war bei seinem letzten Besuch auf Epsal von den Siedlern rege genutzt worden; im positiven wie im negativen Sinne. Neuigkeiten hatten sich darüber ebenso schnell verbreitet wie Verschwörungstheorien. »Vielleicht erfahren wir auf diesem Weg, was vorgefallen ist.«
»Ich versuche, einen Kontakt herzustellen, Sir.« Maas aktivierte ein kleines Komhologramm über ihrem Pult, tippte auf ihrer haptischen Holotastatur und runzelte die Stirn. »Das Mesh ist wie tot, Sir. Seit gestern keine Aktivität mehr. Unheimlich. Die letzten Blogeinträge und offiziellen Nachrichten sind wenig aussagekräftig. Was auch immer auf Epsal geschehen ist – es ging schnell.«
Einige nervöse Minuten vergingen, ehe die ersten Bilder der Aufklärungssonden aus Rimdan eintrafen. Zuerst zeigten sie nur menschenleere Straßen – verstörend und erschreckend für jeden, der einmal auf Epsal gewesen war und das überbordende Treiben dort erlebt hatte. Die Epsaler waren nicht gerade dafür bekannt, früh zu Bett zu gehen und den Tag zu verschlafen.
»Was ist das?« Gabrielle Montoya wies auf ein paar bunte Flecken, die sich zwischen den flachen Bauten bewegten.
Rhodan kniff die Augen zusammen. »Das scheinen Wolken von Pilzsporen zu sein.«
»Auf Epsal sicher kein seltenes Bild«, meinte Bull.
»Mag sein.« Rhodan verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Epsaler schützen empfindliche Bereiche der Kolonie für gewöhnlich mit Prallfeldern oder Ähnlichem. Die technische Ausrüstung hierfür ist allerdings rar, soweit ich weiß ...«
»Mit ein Grund, weshalb die Epsaler nicht besonders gut auf die Terranische Union zu sprechen sind«, sagte Thora. »Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass es Hondro schon einmal gelungen ist, die Sporen auf Epsal zu beeinflussen.«
Und das ist für uns fast schiefgegangen, erinnerte sich Rhodan. Einer von Hondros Sporenwolken war es sogar gelungen, die CREST II zu infiltrieren.
Maas deutete auf ein weiteres Sondenbild und vergrößerte es. »Dort sind Menschen.«
Der Anblick der Siedler war nicht minder schockierend als jener der leeren Stadt. Es waren einzelne Personen, die sich an verschiedenen Stellen von Rimdan aufhielten. Sie bewegten sich langsam und unbeholfen; eine Vergrößerung ihrer Gesichter offenbarte einen starren, apathischen Blick. Und sie waren von Pilzsporen umschwärmt.
»Sie stehen offensichtlich unter Hondros Kontrolle.« Rhodan ballte die Hände zu Fäusten. Der Plophoser hatte nicht gelogen. Das Leben der Siedler liegt in seiner Hand.
»Ma'am, wir empfangen erneut einen Funkruf.« Sarah Maas' Miene verdüsterte sich. »Die gleiche Frequenz wie vorhin; es ist wieder dieser Mistkerl.«
»Miss Maas, ich gebe Ihnen zwar recht, aber mäßigen Sie sich«, mahnte Thora streng. »Wir sind immer noch an Bord eines Schiffs der Terranischen Flotte und nicht in einer Hinterhofkaschemme von New York.«
»Entschuldigen Sie, Kommandantin.«
»Schon gut. Los, legen Sie den Mistkerl ins Hauptholo.«
Kaum war Hondro zu sehen, verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. »Ich spreche nur mit Perry Rhodan.«
Rhodan nickte Thora Rhodan da Zoltral zu, die missbilligend die Lippen zusammenkniff und ihrem Mann Platz machte. Mit einem mulmigen Gefühl trat Perry Rhodan an den Platz der Kommandantin – es passte ihm nicht, die Position seiner Frau einzunehmen; nicht unter diesen Umständen.
»Was wollen Sie, Hondro?«
Der Plophoser grinste. »So unhöflich, Rhodan? Keine freundliche Begrüßung? Kein Wort der Anerkennung für alles, was ich geleistet habe?«
»Wir haben die Space-Disk zurückgeholt. Lassen Sie die Kolonisten frei!«
Hondro lachte laut auf. »Das geht natürlich nicht – was für ein absurder Vorschlag! Hören Sie sich selbst eigentlich zu?«
Perry Rhodan atmete tief durch. Ich werde mich nicht provozieren lassen. »Ich frage noch einmal: Was wollen Sie, Hondro?«
»Sie können mir nichts bieten, Rhodan. Ich nehme mir, was ich will. Sehr bedauerlich, dass Sie darauf verzichtet haben, mir auf meinem Weg zu folgen. Gemeinsam hätten wir der Menschheit zu ungeahnter Macht und Größe verhelfen können.« Iratio Hondros Gesicht wandelte sich innerhalb eines Lidschlags zu einer zornerfüllten Fratze. »Doch Sie haben sich stattdessen gegen mich gewandt. Sie halten an unerfüllbaren Träumen und lächerlichen Idealen fest. Also muss ich allein handeln. Falls Sie sich mir in den Weg stellen, werde ich Sie vernichten!«
Die Komverbindung brach ab, und in der Zentrale herrschte ein Schweigen, das zwischen Irritation, Überraschung und Entsetzen vibrierte.
Mitten in diese Stille hinein schrillte der Alarm.