Читать книгу Perry Rhodan Neo 226: Erbe des Kristallthrons - Lucy Guth - Страница 5

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1.

Kristallscherben

Mit angehaltenem Atem presste sich Mirona Thetin an die steinerne Wand des Gangs. Ihr Puls raste, die Anstrengung ließ ihren Hals eng werden. Der Stein in ihrem Rücken strahlte eine eisige Kälte aus – dieselbe Kälte, die Mirona überall auf Arkon entgegenschlug. Sie hielt sie nicht mehr aus, diese Kälte. Sie hatte sie nicht verdient. Sie war Faktor I, verdammt noch mal! Man hätte ihr als Herrscherin über das Sternenreich von Andrumidia Hochachtung und Respekt zollen müssen. Stattdessen rannte sie wie ein Dieb durch die Gänge des Kristallpalasts. Es ist unwürdig.

Natürlich hatte sie keine andere Wahl. Nicht, wenn sie sich nicht zu einer Figur in diesem elenden Spiel der Kelche, dem Ringen der Hochadelsfamilien um Macht und Einfluss am imperialen Hof, machen lassen wollte. Sie konnte sich auf niemanden mehr verlassen. Nicht mal auf Atlan.

Der Gedanke an ihren Geliebten versetzte Mirona einen Stich, schnell verdrängte sie diese Irritation. Stattdessen spähte sie mit gezogenem Strahler um die Ecke. Bislang war es ihr gelungen, den Wachen aus dem Weg zu gehen. Falls nötig, würde sie aber auch nicht zögern, Gewalt anzuwenden, um zu entkommen – sie hatte noch Asse im Ärmel. Der Gang vor ihr war leer. Die von ihr aus linke Wand war noch nicht fertiggestellt und mit halbdurchsichtigen, hellgrauen Planen verhängt, die Mirona etwas primitiv erschienen. Wie etliche Bereiche des Kristallpalasts war auch dieser Teil eine Baustelle, weit davon entfernt, wieder den ursprünglichen Glanz zu erreichen, von dem Atlan ihr vorgeschwärmt hatte.

Mirona verzog spöttisch die Lippen. Die Arkoniden hängen zu sehr an altem Ruhm und Ehren der Vergangenheit. Ich an ihrer Stelle hätte den Kristallpalast kurzerhand abgerissen und etwas vollkommen Neues aufgebaut.

Der neue Haushofmeister hatte Schnappatmung bekommen, als sie Atlan gegenüber eine entsprechende Bemerkung hatte fallen lassen. Trottel. Was soll es bringen, ein fast völlig zerstörtes Gebäude wieder hochzuziehen? Es ist ein Projekt für Romantiker und Traditionalisten. Genau das ist das Problem.

Mirona schob sich um die Ecke und huschte den Korridor entlang, der auch im weiteren Verlauf immer wieder mit Staubsperrplanen verhängt war. Es war ihr Glück, dass ihre Zimmerflucht relativ günstig im Trichtergebäude lag. Mascudar da Gonozal war nicht so dreist gewesen, bereits vor seiner Inthronisierung in die Gemächer des Imperators im obersten Stockwerk einzuziehen. Noch residierte er stattdessen in den althergebrachten, weitläufigen Gemächern der da Gonozals, die sich nach wie vor auf mittlerer Höhe des Kristallpalasts befanden. Atlan da Gonozal hatte Mirona Thetin in einem Gästezimmer dieses Areals untergebracht. Natürlich lebten sie eigentlich beide zusammen dort, aber Atlan hatte der Form halber offiziell ebenfalls einen Raum in den Familienräumen bezogen. Über einen nahe gelegenen Antigravschacht war es für Mirona leicht gewesen, von ihrem Quartier aus die unteren Sektionen zu erreichen. Nur dieser Gang vor ihr trennte sie noch von der Tür, die nach draußen führte – dorthin, wo ihr Raumschiff direkt neben dem Palast stand.

Eigentlich galt rund um den Kristallpalast auf dem Hügel der Weisen eine Flugverbotszone, aber Mirona hatte sich darüber hinweggesetzt. Sie hätte die GARTAVOUR auf keinen Fall längerfristig weiter entfernt abgestellt. Das wäre ja noch schöner, wenn die Arkoniden mein Schaltschiff in die Finger bekämen. Eigentlich war es Atlans Schiff, wusste sie. Aber das war vorbei, beschloss sie. Ab sofort gehörte die GARTAVOUR wieder ihr.

Abrupt hielt Mirona an, denn ein Warnholo leuchtete unmittelbar vor ihr auf. »Vorsicht, Energieschirm!« Ein Panikimpuls schoss ihr vom Scheitel bis in die Fußspitzen, als sie das hellgrüne Leuchten wenige Schritte vor sich hinter einer weiteren Plane erkannte. Sie haben meine Flucht entdeckt! Sie riegeln das Gebäude ab!

In der nächsten Sekunde erkannte sie ihren Denkfehler. Das Warnholo machte deutlich, dass diese Energiewand wohl schon länger, möglicherweise dauerhaft aktiviert worden war. Vorsichtig ging Mirona näher heran. Der Gang war in seiner vollen Breite aufgerissen. Ein drei Schritt durchmessender Riss klaffte im Boden wie ein Maul auf. Liegen gelassene Werkzeuge und ein feiner Staubdunst in der Luft ließen darauf schließen, dass an dem Spalt vor Kurzem noch gearbeitet worden war.

Noch eine Baustelle! Mirona stöhnte lautlos auf. Sie war dem Ziel doch bereits so nah. Aber nun musste sie entweder das Stockwerk wechseln oder einmal komplett um den unteren Bereich des Palasts herumlaufen – und der »Stiel« des Kelchbaus durchmaß gut und gern fünfhundert Meter.

Ein Scheppern auf der anderen Seite der Plane ließ Mirona zusammenfahren. Sie erstarrte in der Bewegung. Eine weibliche Stimme stieß einen Schwall Schimpfworte aus.

Arkoniden können fluchen? Ich hätte nicht gedacht, dass die Bewohner des Kristallpalasts ihre Lippen damit besudeln ...

Behutsam näherte sich Mirona der Plane und äugte dort, wo zwei Bahnen aufeinandertrafen, durch den schmalen Spalt. Die Plane bestand aus einem seltsamen Material – irgendeine Mischung aus Naturfasertextil und Kunststoff – und fühlte sich kühl an. Als Mirona den Vorhang berührte, verspürte sie ein leichtes Vibrieren.

Ein intelligenter Werkstoff – mit Sicherheit sind das mehr als einfache Planen. Hätte ich mir gleich denken können. Wahrscheinlich absorbiert er den entstehenden Schmutz und hält den Baulärm gleich mit fern, oder die Arkoniden haben sich irgendwas anderes Schlaues einfallen lassen.

Mirona erkannte, dass sich auf der gegenüberliegenden Seite der Innenhof befand: der Dol'Khapor, der Hort der Begegnung, wie ihn Atlan nannte. Ein Stück entfernt liefen dort zahlreiche Arkoniden hin und her, schleppten Tücher und Stühle herum, arrangierten Blumengestecke und scheuchten Untergebene durch die Gegend.

Das Scheppern war auf eine junge Arkonidin zurückzuführen, die einen Stapel flacher Metallschalen fallen gelassen hatte. Ein Mann in einer hellblauen Robe wies sie mit barschen Worten zurecht. »Pass doch besser auf, Dirah. Nun müssen die Schalen erneut gesäubert und geweiht werden. Los, lauf zur Grotte der Sternengötter und übernimm das selbst.«

Die Arkonidin nickte mit gesenktem Blick und raffte die Schalen zusammen, während der Mann sich nach links aus Mironas Blickfeld bewegte.

Sie bereiten die Inthronisation vor – dieses Ritual, das seit Tagen alle beschäftigt, begriff Mirona.

Schräg gegenüber von ihrer Position unterbrach ein riesiges Tor die Wand, dessen Flügel weit offen standen. Sie erkannte es wieder; hinter dem Tor lag der offizielle Eingang des Kristallpalasts, durch den sie das Gebäude das erste Mal betreten hatte. Ihr Raumschiff stand auf einem kleinen Landefeld nicht weit davon entfernt. Sie sah vor dem Tor einen Melshakbaum mit einem markanten, u-förmig gebogenen Ast. Bei ihrer Ankunft war Atlan mit Mirona direkt in den Garten gegangen und hatte ihr eine der grün-gelben Früchte gepflückt.

Sie biss sich auf die Unterlippe. Wenn sie durch den Garten ging, wäre sie in weniger als zwei Minuten bei ihrem Schiff. Kann ich das wagen? Im Dol'Khapor sind ständig viele Menschen unterwegs, aber wahrscheinlich falle ich gar nicht auf. Zumindest weniger, als wenn ich hier durch die Gänge schleiche. Sie zögerte unschlüssig. Dann hörte sie auf dem Gang in einiger Entfernung ein leises Summen, dort glitt eine Tür auf, schnell schlüpfte sie zwischen den Planen hindurch.

Direkt in der Nähe befand sich derzeit niemand, der unangenehme Fragen stellen konnte. Mirona bemühte sich um eine möglichst gelassene Haltung und ging los, als ob sie ganz selbstverständlich hierhergehörte. Etwa zweihundert Schritte lagen zwischen ihr und dem Haupttor. Das konnte sie schaffen, wenn sie sich arrogant genug gab, um zwischen den arbeitseifrigen Arkoniden nicht aufzufallen. Und wenn sie Glück hatte.

»He! Fremden ist der Zugang zum Dol'Khapor während der Vorbereitungen nicht gestattet!«

Mirona erstarrte. Das Glück war ihr offensichtlich nicht gewogen. Eigentlich nicht verwunderlich, schließlich hatte sie optisch wenig mit einer Arkonidin gemein. Langsam drehte sie sich um. Vor ihr stand der Mann in der eisblauen Robe.

Ich kann ihn vielleicht überzeugen, dass ich das Recht habe, hier zu sein, redete sie sich ein.

In diesem Moment wandelte sich der Gesichtsausdruck des Manns von Missbilligung in Entsetzen – als er den Strahler in Mirona Thetins Hand sah. Die Zeit schien sich zu verlangsamen, während der Arkonide den Mund öffnete, um nach den Wachen zu rufen. Sie würde den Strahler nicht schnell genug hochbekommen.

Aus. Vorbei. Oh Atlan, in was für eine Lage hast du mich nur gebracht?

Einige Stunden zuvor ...

Eine Vase zerbarst mit lautem Klirren an der Wand, gefolgt von einer irdenen Schale. Die unterarmgroße Bronzeskulptur eines Kriegers fing Atlan da Gonozal im letzten Moment auf, ehe sie ihm an den Kopf knallen konnte.

»Das ist eine Darstellung von Vhrato, dem Sonnenboten, aus der Zeit der Reichsgründung«, sagte er betont ruhig. »Unbezahlbar – ebenso wie die Vase aus der Archaischen Periode.«

»Ach ja?« Mirona Thetin griff kampflustig nach einem edlen arkonidischen Silberkristallkrug, der auf einem zierlichen Tischchen ihrer Unterkunft stand. Sie war bereit, jedes einzelne Teil im Raum zu zertrümmern, so wütend war sie. »Vielleicht trifft ja endlich was deine arrogante Kristallprinzennase, und du hörst mir endlich zu.«

»Aber ich höre dir zu!« Atlan legte die Bronzefigur behutsam auf das ausladende Bett und kam mit erhobenen Händen auf Mirona zu. »Lass den Unsinn, wir sind doch keine Kinder mehr.«

»Dann benimm dich nicht wie eins.« Sie ließ die bereits zum Wurf erhobene Hand sinken und schnaubte.

»Ich? Wer wirft denn hier mit teuren Antiquitäten um sich?«

Erneut überkam Mirona die Wut. Zornig zerschmetterte sie den Kristallkrug vor ihren Füßen. Splitter spritzten in alle Richtungen davon. Ein Reinigungsroboter wuselte aus einem kleinen Schrank und begann umgehend, die Scherben aufzusaugen. Sie hätte dem verachtenswerten Stück arkonidischer Technik am liebsten einen Tritt verpasst, stattdessen ballte sie die Hände zu Fäusten. »Verschwinde, du blödes Ding!«

Der Roboter gehorchte dem akustischen Befehl umgehend und ließ die glitzernden Kristallscherben zurück. Mironas Fingernägel bohrten sich in ihre Handballen, und der Schmerz brachte Sie zur Besinnung. Es half rein gar nichts, wenn sie ihre wachsende Beunruhigung auf diese Weise kompensierte.

»Die Entwicklung auf Arkon macht mir Angst«, gab sie zu. Es war ein Eingeständnis, das sie niemand anderem als Atlan gemacht hätte.

Ihr Gefährte runzelte die Stirn. »Ich kann verstehen, dass der Umgang meines Vaters mit seinen politischen Gegnern ...«

»Das ist es nicht«, unterbrach sie ihn ungehalten. Nach der Verhaftung von Gemlin da Hozarius hatte es eine groß angelegte Säuberungsaktion unter den ohnehin nicht besonders zahlreichen Gegnern von Mascudar da Gonozal gegeben. »Ich finde sein Vorgehen nachvollziehbar und nicht weiter verwunderlich. Wahrscheinlich hätte ich es selbst nicht anders gemacht.«

Atlan nahm ihre Hand. »Die Machtposition meines Vaters ist nun gefestigter denn je. Die Dheraam dama Zhdopanthi steht kurz bevor.«

»Was du nicht sagst.« Mirona entzog ihm die Hand und hob ironisch die Augenbrauen. »Ich hätte die hektischen Vorbereitungen für die Inthronisationszeremonie fast nicht mitbekommen. Dieser traditionelle Ritualkram ist etwas, mit dem ich nichts anfangen kann.«

Er lachte leise. »Du bist vor mehr als fünfzigtausend Jahren geboren worden und kein bisschen altmodisch – dafür liebe ich dich.«

»Tatsächlich? Liebst du mich denn wirklich immer noch?«

Atlan erstarrte. Seine Augen weiteten sich verletzt. »Wie kannst du so etwas sagen?«

»Weil du dich verändert hast. Und das ist es, was mir Angst macht.«

»Ich habe mich nicht verändert.«

Sie schnaubte. »Natürlich hast du das. Schuld daran ist dein Vater.«

Atlan klappte der Mund auf, was in Mironas Augen irgendwie rührend und zugleich ziemlich lächerlich wirkte. »Was soll denn das wieder heißen?«

Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch. »So wie ich das sehe, hat die Begegnung mit deinem Vater offenbar tief in deinem Innern verborgene Wünsche und Sehnsüchte freigelegt.«

»Also ich bitte dich ...«

»Atlan, sei ehrlich: Wolltest du jemals Imperator werden? Nein, du wolltest dich nicht mal, als du die Gelegenheit dazu hattest, zum Herrscher aufschwingen. Und jetzt? Kristallprinz und Thronfolger? Das passt nicht zu dir. Du lässt dich von deinem Vater in seine Pläne einspannen, ohne seine Absichten zu hinterfragen.«

»Das ist nicht wahr. Mein Vater ...«

Mirona ließ ihn nicht ausreden. »Mascudar hat dich stets als unfähig und missraten bezeichnet. Mit dem Kommando auf Liduur – Verzeihung, im Larsafsystem – hat er dich sogar abgeschoben. Ich kann verstehen, dass dich das getroffen hat und dass du glücklich darüber bist, dass dein Vater dich nun anders behandelt.«

Atlan versteifte sich. »Seitdem ist viel Zeit vergangen.«

»Für dich, ja. Aber für deinen Vater nicht. Er ist schließlich nicht wirklich dein Vater, sondern ein Duplikat, das noch nicht lange existiert. Seine Erinnerungen stammen aus einem Tarkanchar. Was für dich Tausende Jahre her ist, liegt für das Duplikat erst wenige Jahre oder Jahrzehnte zurück. Also, warum sieht er dich plötzlich mit anderen Augen?« Sie kniff die Lippen zusammen. »Die Antwort ist einfach: Er tut es nicht. Er instrumentalisiert dich, und du merkst es nicht mal.«

»Das ist nicht wahr.« Atlan kam einige Schritte auf Mirona zu, und fast glaubte sie, dass er sie packen würde. Aber er blieb schwer atmend vor ihr stehen. »Du kennst mich, Mirona. Du weißt, dass ich kein Idiot bin. Natürlich war ich schwer davon getroffen, wie mein Vater mich früher behandelt hat. Aber das ist vorbei. Ich bin froh, dass wir uns nun besser verstehen.«

Sie schüttelte traurig den Kopf. »Solche Erfahrungen prägen ein Leben lang – sogar wenn du sie mittlerweile begreifst und einordnen kannst. Und ich verstehe dich, ernsthaft. Aber du darfst dich von deinem Vater nicht zu seiner Figur im Spiel der Kelche machen lassen.«

Atlan zuckte zurück, lachte im nächsten Moment jedoch spöttisch auf. »Was weißt du vom Spiel der Kelche? Ich bin damit aufgewachsen, ich kann mich zur Wehr setzen.«

»Ich weiß von dir genug darüber. Genau deswegen bin ich besorgt. Und ich werde mich sicher nicht selbst zu einer Marionette im Ränkespiel der Khasurne um imperiale Macht und Einfluss machen lassen.«

»Warum sollte denn so etwas geschehen?«

»Es geschieht bereits, Atlan!« Wütend stieß sie ihm mit der Hand vor die Brust. »Stell dich nicht dumm. Ich habe gestern eure Unterhaltung belauscht, im Saal der Weisen.« Sie verzog abschätzig den Mund. »Oder eher in der Baustelle der Weisen.«

Am Vortag war sie auf der Suche nach Atlan durch die Gänge des Palasts geirrt. Das riesige Gebäude war in weiten Bereichen nach wie vor kaum mehr als der Versuch, den einstigen Glanz wiederauferstehen zu lassen, fast überall wurde gebaut. Lediglich einige bewohnte Zimmerfluchten, wie die der da Gonozals und anderer wichtiger Adelsfamilien sowie die Räumlichkeiten, die für den laufenden Regierungsbetrieb und die bevorstehende Inthronisierung wichtig waren, präsentierten sich im Endzustand oder zumindest halbwegs vollständig.

Nach einer Weile war Mirona Thetin zum Saal der Weisen gelangt, in dem Wartungsroboter unter der Ägide von arkonidischen Experten ihr Bestes taten, um die Bauarbeiten abzuschließen. Weit waren sie nicht gekommen; die imposanten Holzflügeltüren zum Beispiel hingen noch schief in den Angeln und bedurften einer Restaurierung. Hinter einer davon war sie stehen geblieben, nachdem sie zuerst Atlans und dann Mascudars Stimme gehört hatte. Die beiden schienen in einen Disput verwickelt gewesen zu sein.

»... und ich erwarte, dass du deiner Rolle als Kristallprinz gerecht wirst«, hatte Mascudar gerade gefordert. »Du bist legitimer Herrscher über Andromeda.«

»Das bin ich nicht – Mirona ist diejenige ...«

»Deine Prinzessin wird sich dir unterordnen, wie es ihr gebührt. Ohne dich hätte sie ein solches Sternenreich gar nicht führen können.«

»Sie hat es Zehntausende Jahre lang ohne mich getan.«

Mascudar hatte den Einwand ignoriert, den Atlan nach Mironas Meinung ohnehin eher nur halbherzig vorgebracht hatte, und weitergesprochen. »Mit der geballten Militärmacht der Zweiten Insel eröffnen sich mir ungeahnte Möglichkeiten. Es ist bedauerlich genug, dass Archetz nicht mehr zur Verfügung steht, um meine Flotten mit Transformkanonen auszurüsten.«

»Bedauerlich, allerdings.« Atlan hatte bitter geklungen. »Wie ich hörte, wurde die Zentralwelt der Mehandor komplett vernichtet.«

»Was nicht meine Schuld war. Wenn ich aber bald die Erde und vor allem den terranischen Mond und diese Hyperinpotronik NATHAN unter meiner Kontrolle habe, kann ich ausreichend Transformkanonen bauen. Danach kann mich nichts und niemand mehr aufhalten!«

An dieser Stelle hatte Mirona Thetin ihren Lauschposten entsetzt und wütend verlassen.

»Ich bin also die folgsame Prinzessin an der Seite des Kristallprinzen und habe meinem ›Schwiegervater‹ brav die Zweite Insel, mein Andromeda, zu überlassen, ja?«, warf sie Atlan nun an den Kopf.

Der Arkonide wurde blass und ließ ertappt den Blick sinken. Etwas in Mirona zerbrach. Sie hatte gehofft, dass er das Ganze mit einem Lachen abtun würde, dass er eine Erklärung hatte – vielleicht, dass er das Kalkül seines Vaters lediglich mitspielte, um dessen Pläne zu durchkreuzen. Aber dieses wortlose Schuldeingeständnis traf sie bis ins Mark.

»Du hättest nicht lauschen sollen.« Atlan hob den Blick wieder; er war wütend.

Typisch – er fühlt sich schuldig, will das auf keinen Fall eingestehen.

»Ich bin nicht begeistert über die Eroberungspläne meines Vaters ...«

»Ach ja? Dafür hast du ihm aber erstaunlich wenig widersprochen.«

»Du verstehst das nicht. Ich billige sein Vorgehen im Hinblick auf das große Ganze.« Fassungslos hob Mirona die Augenbrauen, während Atlan fortfuhr: »Frieden und Wohlstand für alle Völker der Milchstraße und Andromedas können unter der Aufsicht und Herrschaft der Arkoniden erreicht werden. Das ist uns bereits einmal gelungen. Dafür müssen eben Opfer gebracht werden.«

»Atlan – hörst du dir überhaupt selbst zu?« Sie konnte ein konsterniertes Lachen nicht unterdrücken. »Du tust damit genau das, was du einst mir vorgeworfen hast: In der Absicht, etwas Gutes zu bewirken, nimmst du negative Auswirkungen in Kauf. Das bist nicht du, Atlan.«

Er schüttelte abwehrend den Kopf. »Das kannst du nicht miteinander vergleichen. Deine Handlungen wurden von ANDROS beeinflusst, wie wir heute wissen. Er hat dich genarrt und in die Irre geführt. Ich hingegen begründe mein Vorhaben auf Fakten und rationale Erwägungen.«

»Dein Vorhaben? Du meinst, das deines Vaters.«

»Als Kristallprinz ist es auch mein Vorhaben – ich bin sein Erbe.«

Mirona verharrte einige Augenblicke, während die Enttäuschung ihre Fingerspitzen taub werden ließ. Dann ließ sie die Schultern sinken und atmete ein weiteres Mal tief durch. Das, was sie Atlan zu sagen hatte, wollte sie in ruhigem und gefasstem Ton tun, damit er begriff, wie ernst es ihr war. »Ich werde nicht zulassen, dass ihr Andromeda in diesen Konflikt hineinzieht. Dein Vater sollte es gar nicht erst versuchen. Du weißt besser als jeder andere, dass ich das verhindern werde. Und gegen die Macht der Zweiten Insel ist Arkon ein Nichts.« Sie strich sich betont langsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht, faltete die Hände vor ihrem Bauch. Er sollte nicht sehen, dass sie bebten. »Es tut mir leid, Atlan. Ich habe dich vorhin gefragt, ob du mich liebst. Bestimmt glaubst du, dass es so ist. Ich liebe dich ebenfalls – aber ich bin an einem Punkt angelangt, an dem meine Liebe nicht mehr ausreicht, um deine Auffassungen zu tolerieren oder zu teilen. Ich kann nicht länger an deiner Seite bleiben.«

Einen Moment lang stand Atlan da Gonozal einfach nur vor ihr. In diesen Sekunden wünschte sich Mirona Thetin nichts sehnlicher, als dass ihre Worte ausreichen würden, um ihn zur Vernunft zu bringen. Sie wusste, wie unsinnig dieser Wunsch war. Dafür kannte sie ihren Geliebten zu gut.

Atlan kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und drehte sich wortlos um, ging zur Tür. Die Splitter der Vase knirschten unter seinen Schuhen. An der Tür blieb er kurz stehen. »Vielleicht überlegst du es dir ja noch anders.« Dann war er weg.

Perry Rhodan Neo 226: Erbe des Kristallthrons

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