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3.

Prinzessin

Als die Tür zuglitt, hatte Mirona Thetin das Gefühl, dass aller Sauerstoff aus dem Raum gesaugt wurde. Sie rang nach Atem und stützte sich auf dem Tischchen ab, auf dem kurz zuvor eine zierliche Vase gestanden hatte. Sie presste eine Hand gegen ihren Bauch, weil sie das Gefühl hatte, dass sich gleich ihr Magen umdrehen würde. Dabei wusste sie sehr wohl, dass sie keine körperlichen Beschwerden hatte. Es waren allein die Enttäuschung, der Frust und die Wut, die ihr die Luft nahmen.

Atlan da Gonozal war gegangen. Sie hatte mehr als dreißig Jahre an seiner Seite verbracht, und immer war er verständnisvoll, klug und humorvoll, geduldig und weitsichtig gewesen. Tatsächlich hatte seine Liebe für sie den Beweis dargestellt, dass sie nicht das Monster war, für das viele sie hielten. Zumindest hatte sie das geglaubt. Falsch gedacht, Prinzessin.

Eine dumpfe Bitterkeit erfüllte sie, die ihre Zunge pelzig werden ließ. Dein Kristallprinz hat dich sitzen lassen, um zurück zu Papi zu rennen. Und nun läuft er Gefahr, selbst eine Karriere als Monster einzuschlagen.

Mirona sah sich selbst nicht als jenes Ungeheuer. Sie hatte sich aufrichtig bemüht, die Taten, die sie unter dem Einfluss von ANDROS begangen hatte, wiedergutzumachen. Nicht weil sie deswegen in Weltschmerz verfallen wäre. Sie ärgerte sich höchstens darüber, dass ANDROS sie so weit gebracht hatte, Entscheidungen zu treffen, die unzählige Wesen das Leben oder die selbstbestimmte Zukunft gekostet hatten.

»Aber ich habe es nicht aus niederen Beweggründen getan – nicht, um Macht zu erlangen oder Ruhm«, flüsterte Mirona vor sich hin wie ein Mantra.

Ich wollte größeres Unheil verhindern. Dafür war ich bereit, notwendige Opfer zu bringen – auch auf dem Altar der Moral, der Atlan und seinen Menschen-Freunden stets so heilig war.

Sie hatte versucht, die furchtbaren Verbrechen, die sie in Andromeda begangen hatte, zumindest teilweise auszugleichen. Und sie hatte gehofft, dass Atlan sie bei diesem Bemühen weiterhin begleiten würde.

Stattdessen muss ich nun befürchten, dass gerade er mir alles nimmt, was ich in den vergangenen Jahren erreicht habe. Atlan, der große Moralapostel – er will Andromeda skrupellos für den Krieg seines Vaters benutzen, nur weil er diesem Duplikat blind folgt.

Mirona fuhr herum, riss sich das hübsche Kleid, geschneidert nach der neuesten arkonidischen Mode, vom Leib. Atlan hatte es ihr am Vorabend geschenkt. Sie betrachtete die seidigen, pastellblauen Stoffe des Gewands so angeekelt wie Ungeziefer und warf es aufs Bett.

Ich lasse mich von ihm nicht zu einem stummen Püppchen degradieren, das an seiner Seite hinter dem Kristallthron steht! Das werde ich zu verhindern wissen.

Sie ging in den kleinen Raum, in dem sich ihre Garderobe befand – die Kleider stammten größtenteils von Arkon. Mironas Bordmontur, die sie bei ihrer Ankunft getragen hatte, lag ganz hinten auf einem Stuhl. Sie nahm die Kombination an sich, schlüpfte hinein und kontrollierte die Funktionen. Allzu viel Technik war nicht integriert, sie verfügte lediglich über einen leichten Schutzschirm und Temperaturkontrolle. Ihr standen weder ein Deflektorfeld noch Spiegelfelder, Antigravaggregat oder eine Medopositronik zur Verfügung – dies war kein Einsatzanzug.

Zumindest hatte sie einen Handstrahler dabeigehabt. Es war ein recht schlichtes Modell – ohne Betäubungseinstellung. Sie fand ihn einem Schränkchen neben dem Bett und steckte ihn in ein kleines Holster an ihrer Seite.

Sie hatte nicht vor, Atlan über ihren bevorstehenden Aufbruch zu informieren. Er ist weggelaufen, nicht ich!, dachte sie mit einem Anflug von Trotz, der ihr selbst nicht behagte. Wenn sie zu lange wartete, würden die Dinge außer Kontrolle geraten. Eins ist klar: Jemand wie Mascudar da Gonozal wird ein »Nein« nicht akzeptieren. Ich bin hier in M 13 zu weit von meiner Machtbasis entfernt, um mich zu wehren. Mit ausreichend Gewalt, Psychologie und Chemie wird Mascudar auch mich brechen – und dann kann ich Andromeda nicht vor einem arkonidischen Zugriff schützen. Ihre Flucht war somit mehr als Selbstschutz oder der Versuch, sich Mascudars Kontrolle zu entziehen. Es war der einzige Weg, ihr Reich zu beschützen. Ich darf keine Zeit mehr verlieren. Der Zugriff auf mich muss früher oder später kommen – ich will nicht mehr hier sein, wenn es so weit ist. Und vielleicht bringt mein Rückzug Atlan zur Besinnung.

Sie glaubte selbst nicht recht an diese vage Hoffnung. Atlan hatte seine Wahl getroffen. Und ich treffe meine.

Sie sah sich um, entdeckte aber nichts, was es wert gewesen wäre, sich als Ballast aufzuhalsen und es auf die GARTAVOUR mitzunehmen. Entschlossen ging sie zur Tür. Es hilft nichts, es aufzuschieben.

Doch an der Tür holte sie das Entsetzen wieder ein: Sie war verschlossen. Mirona ging zur zweiten Tür der Zimmerflucht. Diese war ebenfalls verriegelt.

Glühender Zorn spülte über sie hinweg wie Lava nach einem Vulkanausbruch. Das kann nicht wahr sein! Man hat mich eingesperrt! Es hat bereits begonnen!

Allein der Versuch war lächerlich. Sie überlegte kurz, Atlan mit dem Komgerät des Zimmers zu rufen und zur Rede zu stellen. Es kann schließlich sein, dass nicht er, sondern sein Vater dafür verantwortlich ist, dass die Türen verschlossen sind. Ich traue Mascudar ohne Weiteres zu, seinen Sohn in dieser Hinsicht zu übergehen. Sie entschied sich trotzdem dagegen. Ich habe genug mit ihm diskutiert; er wird seine Ansichten nicht ändern. Sie schluckte trocken und ging einmal zurück zum Bett, um einen Schluck Wasser aus dem bereitstehenden Glas neben ihrer Schlafstatt zu trinken. Ich muss es mir eingestehen: Die Aussicht, gemeinsam mit seinem für immer verloren geglaubten Vater ein neues Sternenreich aufzubauen und sein vom Schicksal gebeuteltes Volk in eine glorreiche Zukunft zu führen, ist für Atlan einfach zu verlockend.

Mirona wäre gern weiter wütend auf ihn gewesen, aber irgendwie gelang es ihr nicht. Sie wusste, dass Mascudar da Gonozals Einfluss auf seinen Sohn Atlan sich nicht auf die Ebene von Vernunft oder Verstand gründete. Sie war selbst emotional zu stark eingebunden, denn die Trauer über den Verlust ihres Geliebten beherrschte ihr Denken – ebenso wie die Sorge um die Zweite Insel. »Ich darf mich nicht ablenken lassen – ich muss mich konzentrieren«, mahnte sie sich halblaut.

Während Mirona Thetin routiniert das Kontrollfeld der Türautomatik manipulierte, versuchte sie, die gebührende innere Distanz aufzubauen. Es gelang ihr nicht, und als die Tür schließlich beiseiteglitt, fühlte sie sich längst nicht bereit dafür, ihren Weg anzutreten.

Natürlich tat sie es trotzdem.

Perry Rhodan Neo 226: Erbe des Kristallthrons

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