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Der Garten der Welt
„Im Laufe meines langen Lebens habe ich mir einen Sport daraus gemacht, sämtliche Länder dieser Erde zu bereisen“, schrieb Peter Scholl Latour kurz vor seinem Tod. „Das ist mir auch gelungen, mit Ausnahme von ein paar Atollen im Pazifik und ein paar winzigen Eilanden in der Karibik. Ich war stets auf der Suche nach der Authentizität fremder Kulturen und den Spuren ihrer oft brutalen Exotik. Immer wieder wurde mir die Frage gestellt, wo ich mich denn am wohlsten gefühlt, welche Region mich am tiefsten beeindruckt und in ihren Bann gezogen hat. Die Antwort war stets die gleiche, und sie kam immer spontan: `Indochina, mon amour´“.
Tony Wheeler, der Gründer des Lonely Planet Verlages und einer der Väter der internationalen Backpackerkultur, wurde einmal gefragt, wo in der Welt es für ihn am schönsten sei. Von allen Gegenden der Welt, die ich gesehen habe, möchte ich keine missen, antwortete der Meister sinngemäß. Wenn ich aber einen Weltteil als den schönsten auswählen sollte, dann wäre es Indochina.
Nirgendwo in der Welt existieren auf so engem Raum derartig exotische und zugleich atemberaubende Zeugnisse großer Geschichte. Angkor Wat und Pagan, Sukothai, Luang Prabang und Ayutthaya vereinen die Monumentalität des Erhabenen mit der Melancholie der Vergänglichkeit. Die Landschaftsszenerien von Hoa Lu, Ha Long und Phang Nga gehören zu jenen Plätzen auf der Welt, an denen man unwillkürlich den Eindruck gewinnt, hier hätte sich ein göttlicher Schöpfer an seinem eigenen Werk berauscht. Und die Palmenstrände von Ko Samui, Krabi, Nhatrang und Phi Phi Island scheinen dem Archetypus des idealen Strandes, den ein jeder in sich tragen mag, in eindringlicher Evidenz zur Erscheinung zu verhelfen. Wer aber nur von Tempeln und Landschaften, Stränden und Städten spricht, wird der Vielfalt Indochinas nicht gerecht. Indochinas Menschen und ihre Feste, Riten und ihre Gastfreundschaft finden in der Welt nicht ihresgleichen. Wo andere Völker in stolzer Distanz sich ihren Besuchern verschließen und wieder andere ihre Vielfalt nicht teilen wollen, breiten Thais und Khmer, Vietnamesen, Laoten und Burmesen ihre Alltagskultur wie einen großen Gabentisch vor den Besuchern aus und heißen sie willkommen. Damit sollen Probleme, die auch in diesen Ländern existieren, nicht schön geredet werden. Abgesehen von einigen Halunken, die es überall gibt, aber habe ich es genau so erlebt. Der „Garten der Welt“ besitzt die Menschen, die zu ihm passen.
Umso bedauerlicher, dass diese Menschen im „Garten der Welt“ in den letzten beiden Generationen so viel haben leiden müssen. Denn in den Siebziger Jahren, als mit Tony und Maureen Wheelers Erstling „South East Asia on a Shoestring“ der internationale Backpackertourismus begann, gingen rund um Thailand die Lichter aus. Der Vietnamkrieg endete mit dem Sieg des kommunistischen Nordens, und für die verratenen Menschen im Süden begann die lange Nacht der Unterdrückung. In Kambodscha ermordeten die Roten Khmer anderthalb Millionen Menschen. In Burma, das ab 1989 Myanmar genannt werden wollte, herrschte eine inkompetente Militärjunta, die jeden Ansatz einer demokratischen Opposition verfolgte.
Aber der Wind des Wandels, der in den späten Achtziger und frühen Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Weltgeschichte durcheinander wirbelte, blieb auch in Indochina nicht ohne Folgen. Vietnam rief „Doi MoI“, die Erneuerung, aus und hat inzwischen, zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht, den Kommunismus praktisch abgeschafft. Zwar herrscht noch immer nur eine einzige Partei im Land, doch die Menschen zwischen Hanoi und Saigon sind dabei, ihr individuelles Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Eine der wenigen Friedensmissionen der Vereinten Nationen, die von Erfolg gekrönt war, schuf in den frühen Neunziger Jahren die Voraussetzungen für eine fragile, aber zählebige kambodschanische Demokratie. Sogar Laos, das Land hinter dem Mekong, beendete seine Abschottung und folgte, wenngleich zaghafter, dem vietnamesischen Weg. Nur Burma erwies sich trotz der bewundernswerten Widerstandsleistung der Friedensnobelpreisträgerin Aug San Kyi lange Zeit als Hort der Despotie. Erst in den letzten beiden Jahren scheinen sich nun auch in Rangun die Verhältnisse zu verändern, auch wenn die Entwicklungen noch unklar und unübersichtlich sind.
Das sind gute Nachrichten für Reisende in einer Welt, deren Bereisbarkeit zwar im Hinblick auf die Transportmittel zunimmt, aber wegen politischer Unwägbarkeiten schrumpft. Es sind aber schlechte Nachrichten für Reisende, die es lieben, ein Land in seiner Ursprünglichkeit zu entdecken. Denn nach Thailand sind nun auch Burma, Vietnam, Kambodscha und selbst das abgelegene Laos vom internationalen Fernreisetourismus entdeckt worden. Wo es für mich in den Neunziger Jahren unmöglich war, von Pegu in Burma aus zum fliegenden Felsen von Kyiathko zu fahren, weil in der Monsunzeit die Lehmpisten schlicht unpassierbar waren, fahren heute klimatisierte Busse bis in die hintersten Winkel der Berge. Dafür hat sich der Umkreis der Pagode in einen einzigen Rummelplatz verwandelt, auf dem sich jeden Tag tausende Besucher auf den Füße treten und jede Magie zum Teufel geht. Ein Beispiel von vielen. Mit Mandalay, Hoa Lu oder Luang Prabang verhält es sich ähnlich.
Aber das ist bei weitem nicht der einzige Wandel, der sich im Garten der Welt ergeben hat. In nur einer Generation hat sich die Gesamtbevölkerung der fünf Länder, die in diesem Buch unter dem Begriff „Indochina“ zusammengefasst werden, von gut 125 Millionen Menschen auf fast eine Viertel Milliarde Menschen erhöht. Kann man unter diesen Umständen überhaupt noch von einem „Garten“ sprechen? Ich habe diesen Wandel in den fünfundzwanzig Jahren, in denen ich Indochina bereise, in einer ganz eigentümlichen Weise erlebt. In den Neunziger Jahren begann ich meine Reise als noch relativ junger Mann auf der Suche nach alten Kulturen. Inzwischen durchreise ich als reifer Mensch die Territorien junger Völker, deren Bevölkerungsmehrheit unter 20 Jahre zählt.
Ich habe die Länder, die in diesem Buch beschrieben werden, jeweils mehrfach und ausgiebig bereist – und zwar immer selbstorganisiert. Weit davon entfernt, organisierte Reisen kulturell interessierter Menschen gering zu achten, glaube ich doch, dass man ein Land, das man kennenlernen möchte, möglichst nahe an sich heranlassen muss. Man sollte es fühlen, auch wenn es gelegentlich schmerzt, man sollte es riechen, auch wenn es stinkt, seine Gewürze auf den Märkten, den Muff seiner Zimmer, die Abwässer in den Unterstädten und den besonderen Duft der Garküchen. Die Vorstellungswelt, die auf diese Weise entsteht mag richtig oder falsch sein, auf jeden Fall ist sie voller Leben und Abenteuer, und das ist es doch, was wir vom Reisen erwarten.
Das vorliegende Reisebuch erhebt deswegen keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist, wie alle Reisebücher durch und durch subjektiv, redlicherweise aber auch der Idee verpflichtet, dass Subjektivität nicht einfach nur Beliebigkeit bedeutet, sondern auch die Offenlegung einer bestimmten Perspektive, die im besten Falle ihre eigenen Scheuklappen mit reflektiert. Ob mir das immer gelungen ist, kann ich nicht beurteilen. Ich habe es aber immerhin versucht. In diesem Sinn wünsche ich eine gute Reise durch den „Garten der Welt.“
Uferlandschaft am südchinesischen Meer