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7. Ist ein Kind klüger als eine Ameise?

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Die Schlange war entsetzlich groß, und noch erkannte man nicht einmal ihre wahre Länge. Warum? Sie steckte, weiß Gott wie tief, mit dem Leibesende in der Erde, wo sich ihr Körper mit aller Kraft einstemmte. Mit verwegener Kühnheit wurde von den Ameisen der Versuch gemacht, das Untier aus seiner Erdhöhle herauszuzerren.


Max wendete sich erregt zu Fuska.

»Die sind wohl verrückt«, deutete er auf die Arbeiter. »Die Schlange ist tausendmal größer als wir, wenn sie den Rachen aufreißt, verschlingt sie uns alle zusammen.«

Stolz erwiderte ihm Fuska:

»Wir Ameisen sind mutige Leute und fürchten uns nicht leicht. Ferner erinnere dich, was ich dir vom trügerischen Schein sagte. Diese Schlange ist nichts weiter als ein fetter Wurm und heißt Lumbricus agricola.«

Vorsichtig näherte sich der kleine Max dem großen Ungeheuer, betrachtete es forschend und rief enttäuscht:

»O, welch ein Aufwand von Fremdwörtern! Ein gewöhnlicher Regenwurm ist es, nichts weiter. Regenwurm sagt man, das versteht jeder sofort.«

»Es ist aber höchst wichtig, daß wir Ameisen die Tiere, die um uns leben, nach der Art ihres Baues und ihrer Gewohnheiten kennen«, erwiderte Fuska.

Max hatte mit seinem Kinderverstand freilich erfaßt, daß es sich hier um einen unschuldigen Regenwurm handelte; mit seinen Ameisenaugen erkannte er trotzdem den Ernst des Kampfes.

Seinen Angreifern gegenüber blieb der Wurm immerhin eine Riesenschlange.

Alle alten und jungen Ameisen hatten sich jetzt rings um das Ungeheuer aufgestellt, und Max war ehrgeizig genug, nicht zurückbleiben zu wollen. Er begann wie diese fleißig mit seinen Beinchen zu arbeiten. Der Körper des Wurmes überzog sich nach und nach mit einer säuerlichen Flüssigkeit. Max schnupperte daran.

»Was ist das?« fragte er, den Mund verziehend.

»Das ist unser Gift, das wir gegen Feinde benützen«, sagte seine Nachbarin.

Es war Ameisensäure. Sie wird von den Ameisen erzeugt und am Hinterleib ausgespritzt.

Das Ungetüm lag jetzt da, ohne sich vor- oder rückwärts zu bewegen.

Da kam Max ein prächtiger Gedanke, den er ohne Zaudern zum besten gab.

»Wißt ihr was? Wir zerschneiden den langen Kerl mit unsern Kieferzangen in zwei Teile«, rief er.

Aber wie mit einer Stimme hielten alle ihm entgegen: »Das wäre eine unverzeihliche Dummheit. Sie käme dem Herrn schön zustatten; da könnte er die Hälfte, die im Boden steckt, bequem in Sicherheit bringen.«

Max wußte eben nicht, daß es einem Regenwurm gar nicht einfällt zu sterben, wenn man ihn entzweischneidet. Max hatte bisher in der festen Überzeugung gelebt, daß ein Kinderverstand jedenfalls einem Ameisenhirnchen überlegen sei. Über das eben Erlebte wurde er sehr bescheiden. O weh, von einer Ameise mußte er sich so bekannte Dinge sagen lassen!

Heldenhaft zogen die Ameisen, dehnten und streckten den Wurm, aber ohne jeden Erfolg. Er steckte wie eingemauert in seiner Höhle. Max entdeckte am Bauche des Tieres eine Art Borsten, mittels welcher es sich fest am Boden anklammerte, und bei solcher Gegenwehr ließ sich denken, daß alle Ameisenkraft nichts nützte. Ein Augenblick allgemeiner Ratlosigkeit folgte der äußersten Anstrengung. Die Klügste stieg nun auf den Rücken der Schlange und befahl den andern, sie festzuhalten, damit sie nicht vollends im Erdboden verschwände.

»Hört mich an«, sprach sie eifrig, »dieser Starrkopf will sich nicht loslösen lassen. Wir werden ihm den Boden unter dem Leibe wegziehen!«

Max verstand nicht, wie man dies machen könne, während alle andern flugs begriffen. Zum zweiten Male fühlte er sich gedemütigt.

Unverweilt begaben sich alle Arbeiter bis auf etwa zehn, die die Schlange festhalten mußten, zum Rande der Höhle, in der sie mit einem Teile ihres Leibes versenkt war. Entschlossen arbeitete Max hier mit, und Fuskas Befehl: »Zangen gebrauchen!« war für ihn fast überflüssig. Alles schaufelte und grub, und die Kieferzangen, die er zur Aufnahme der süßen, flüssigen Sirupnahrung nicht hatte gebrauchen können, waren prachtvoll passende Werkzeuge. Mit ihnen ließ sich spielend packen, graben, heben und schaufeln. Im Nu war der Rand des Loches, in dem der Wurm steckte, abgebaut; tiefer und weiter gruben die fleißigen Arbeiter, und bald lag der ganze Leib der Schlange freigelegt in einer fast wagrechten Furche, in der das Tier sich mit seinen Borstenfüßen nicht mehr festhalten und die Spannkraft seiner Leibesringe nicht wie bisher ausnutzen konnte. Solange nämlich ein Teil des Wurmes wagrecht auf dem Boden lag und der andere senkrecht in der Höhle steckte, bildete der ganze Körper einen rechtwinkligen Haken und leistete einen fast nicht zu überwältigenden Widerstand. Jetzt hingegen lag der Wurm seiner ganzen Länge nach ausgestreckt in einem schiefen Graben und konnte mit einiger Mühe fortgeschafft werden. Max berechnete nachdenklich, daß das Tier mindestens fünfzehn Zentimeter lang war; im Verhältnis zur Größe einer Ameise war das ungeheuer viel. In Anbetracht seines eigenen Mutes, seiner herrlichen Waffen, die er an seinen Kieferzangen besaß, und der unglaublichen Geschicklichkeit seiner Gefährten kam aber keine Spur von Angst in Max auf. »Das werden wir schon schaffen«, so ging es wiederholt mitten in schwersten Anstrengungen von Mund zu Munde, und es lag nichts Großsprecherisches darin. Nun mußte der lange, schwere Körper nach Hause gezogen werden. Das war eine ganz besonders mühsame Aufgabe. Trotz geschickter Verteilung der Arbeitskräfte am Kopf, in der Mitte und am Ende der Schlange ging es nur langsam vorwärts. Der Wurm sträubte sich nach allen Seiten.

Max half wacker mit.

»Wenn mir früher jemand gesagt hätte, wie stark und mutig Ameisen sind«, dachte er, »ich hätte es nicht geglaubt! Wie oft mag ich achtlos über sie weggeschritten sein, ahnungslos, wie klug und geschäftig sie zu meinen Füßen arbeiteten!«

Leider stieß das Unternehmen doch auf ein unüberwindliches Hindernis. Der Boden war mit Rasen bedeckt, und es ging nicht an, die Beute durch den dichten Wald der Halme und Blätter zu schleppen. Unsicher rutschte man, und haltlos verlor der Körper einen Teil seiner Kraft zum Schieben, Tragen und Stoßen. So kam der Zug zum Stehen. Endlich eine passende Gelegenheit für Max, seine Weisheit aufs neue leuchten zu lassen!

»Nun muß die Schlange eben doch zerschnitten werden«, sagte er so bestimmten Tones, daß es wie ein Befehl klang.

Die eifrige Jugend glaubte schon folgen zu müssen, als Fuska schnell »Halt« gebot.

»Wir können unsere Beute ungeteilt nach Hause bringen«, entschied sie mit Ruhe und Nachdruck.

»Aber wie denn?« rief Max ärgerlich. Galt denn sein Kinderverstand so wenig bei den Ameisen? Es war unausstehlich, wie man ihn mißachtete.

Fuska ordnete in aller Ruhe an, daß eine gewisse Anzahl als Wächter bleiben sollten. »Die andern«, befahl sie, »gehen mit mir. Laßt euch indessen die Zeit nicht lange werden«, wendete sie sich noch freundlich zur befohlenen Wache, »die Arbeit wird lange währen, aber den Wurm bekommen wir ganz nach Hause.«

So ging sie, gefolgt von den übrigen zum Ameisenhaus zurück und nahm dabei einen auffallend taktmäßigen Schritt an, als ob sie Bedenken trüge, ordentlich aufzutreten.

»Weshalb geht sie denn so tolpatschig?« fragte Max seine Nachbarin.

Ja er spottete sogar über seine gute Pflegerin und sprach:

»Ei! ei! Frau Fuska hat, scheint's, Hühneraugen an den Füßen oder gar Frostbeulen im hohen Sommer, so zaghaft trippelt sie dahin.«

Max Butziwackel, der Ameisenkaiser (Luigi Bertelli) (Literarische Gedanken Edition)

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