Читать книгу Angst bekämpfen - Luise Bahr - Страница 6
Angst ist ein Geschäft
ОглавлениеDie Schlagzeile macht Kasse. Gerade die fast nur am Kiosk verkauften Boulevard-
Blätter wie die mit den vier großen, roten Buchstaben müssen sich tagtäglich neu
erfinden – über die bluttriefende oder pornografische Schlagzeile sowie über die
entsprechenden Bilder. Wer nicht den Nerv der sensationslüsternen Leser trifft,
verliert – an Auflage und an Anzeigen, also an finanziellem Erfolg. Das Produkt muss
sich täglich millionenfach verkaufen, um damit den aufwendigen Apparat bezahlen zu
können.
Da wird die Wahrheit schnell mal so hingebogen, dass man gerade noch so an der
Lüge vorbeischrammt. Alles ist nur auf Sensation und auf Angstmache aus, weil sich
eben das Normale nur schwer verkaufen lässt.
Leider ist unser Leseverhalten auch so gestrickt, dass wir einfache Gutmenschen nur
umblättern, aber am Blut haften bleiben. Manche Medien weigern sich inzwischen,
allzu Angst machende und brutale Bilder sowie Nachrichten zu veröffentlichen. Zu
verstörend sind die Fotos getöteter Personen. Nicht umsonst decken Polizei und
Rettungskräfte solche Tatorte schnell mit Sichtwänden und Planen ab, um den
herbeieilenden Kettenhunden der Sensations-Presse den ungeschützten Blick zu
verwehren.
Und dennoch sorgen unsere modernen und immer besser werdenden
Kommunikationsmittel dafür, dass mittlerweile fast jeder Passant zum
Erfüllungsgehilfen der Presse wird. Leser-Reporter nennt man das inzwischen, und
die Yellow-Press ermuntert ja geradezu dazu, dass alle Zaungäste draufhalten und
das Material, das übrigens gut bezahlt wird, an die Redaktionen über die sozialen
Netzwerke per Smartphone schnell absetzen.
Fast täglich sehen wir in den Medien solche Handyfilme und -fotos. Nichts ist mehr
sicher vor den Augen der unzähligen Mobiltelefone, die irgendwo immer am
„Kriegsschauplatz“ sind. Die einen sehen es als zeitgeschichtliche Dokumentation,
die anderen als Sensationslust, die obendrein auch noch Angst macht. Muss man
unbedingt die Leichen eines Bürgerkrieges sehen?
Reicht nicht die nüchterne Nachricht? Nahezu jeden Tag passieren irgendwo auf der
Welt allein nur Terrorakte mit Toten und Verletzten. Wir sind doch mittlerweile so
abgestumpft, dass wir gerade mal noch die Headline zur Kenntnis nehmen, ach
wieder mal dort oder erneut da.
Es wird zur Normalität in der Nachrichtenlage.
Gerüchte sind ein bewährtes Mittel, um den Menschen Angst einzujagen. Allein die
fiktive Bedrohung durch eine mögliche Gefahr erzeugt schon Schrecken. Schnell
setzen unverantwortliche Zeitgenossen ungesicherte Fakten einfach so in die Welt,
ohne darüber nachzudenken, was sie damit anrichten. Menschen sind von Natur aus
sensationslüstern und wichtigtuerisch. Schnell verbreiten sich Gerüchte über soziale
Netzwerke und Medien, die nicht mal ernsthaft recherchieren werden, sondern
schnell zu Geld gemacht sind. Die Medien zahlen horrende Summen für Exklusiv-
Stories.
Das Schlimme an Gerüchten ist, dass sie sich hochschaukeln. Jeder gibt seinen
Extra-Senf dazu und so wird schnell aus einem anfänglichen Lagerfeuer am Ende
gar ein Fabrik- oder Waldbrand. Passiert irgendwo ein schlimmes Ereignis, dann
hören Menschen förmlich andernorts die Flöhe husten und geraten in Panik, weil sie
nun plötzlich doch den Weltuntergang gekommen sehen.
Nehmen Sie nur einmal die unterschiedlichen Personenbeschreibungen von zehn
Zeugen, die einen Bankräuber gesehen haben. Bei den einen ist er dick, bei den
anderen dünn; die Größe schwankt zwischen hünenhaft und Pygmäe, die Kleidung
zwischen normal und bunt. Es ist die subjektive individuelle Wahrnehmung, die mit
der Realität nichts mehr zu tun hat. So entsteht schnell Angst vor dem Bösen, vor
dem Schrecklichen, eine imaginäre Gefahr. Im Angesicht einer realen Bedrohung
erleben Menschen und Meinungsmacher plötzlich mehr, jede Mücke wird zum
Elefanten.
Eine ungesicherte Faktenlage sorgt für Spekulationen, man will ja mitten drin mit
dabei sein und nicht außen vor, also erfindet man, deutet Dinge falsch und
verunsichert, schürt damit aber unbewusst weiter Angst.
Die Medien bestimmen mit ihrer Angst einflößenden Berichterstattung mittlerweile
sogar unsere Mobilität, unser Reise- und Urlaubsverhalten. Auf der einen Seite sind
Warnungen ja gut, aber übertriebene Angstmache schränkt unseren
Bewegungsradius auch ein. Wir wissen ja selbst kaum noch, wohin wir reisen und
fahren oder fliegen können, gerade dann, wenn wieder einmal irgendwo auf der Welt
ein Flugzeug entführt wurde oder abgestürzt ist.
Das eine Ereignis des Flugzeugabsturzes zum Beispiel ist überbewertet. Gleichzeitig
aber wird die Statistik verschwiegen, die nämlich belegt, dass ein Flieger das
sicherste Fortbewegungsmittel ist. Man verunglückt tausendmal eher als Fußgänger
oder Fahrradfahrer als dass einem etwas in einem Flugzeug passiert. Oder man bricht
sich eher beim Nasebohren den Finger, als dass man bei einem Flugzeugabsturz
stirbt. Das wird bei der Sensationsmeldung geflissentlich ignoriert. Mit dem
spektakulären Unglück macht man ja auch Kasse.