Читать книгу Die Schneekugel - Luise Göbl - Страница 6

Оглавление

Kapitel 2

Gleich in der Früh, am nächsten Tag, aß und trank ich so viel ich konnte, denn ich wollte mich gleich auf die Reise begeben. Ich stand schon auf, bevor alle anderen meiner Familie wach waren, denn sonst hätte ich nie so viel zu essen bekommen. Damit ich aber so früh am Morgen aufstehen konnte, musste ich mir einen Wecker stellen. Ich hatte also am Vortag Mamas Wecker geklaut und war zeitig schlafen gegangen. Das Geläute hätte so und so niemanden aufgeweckt, da ich ein gut verschlossenes Zimmer für mich alleinhabe, damit ich ja niemanden stören kann. Dass ich ein eigenes Zimmer habe, ist ganz schön cool, denn meine Familie findet es ohnehin nur verschwendete Zeit, in mein Zimmer zu kommen und mich zu stören.

Als der Wecker mich geweckt hatte, machte ich mich abmarschbereit. Als ich endgültig fertig war, stellte ich ihn so ein, dass ich genügend Zeit hatte, um von hier ein paar Häuser weiter weg zu kommen. Dann gab ich ihn in Mamas Zimmer und verließ das Haus, natürlich mit einer gut gepackten Tasche.

Darin befanden sich: viel zu essen, frische Anziehsachen, ein Schlafsack und ein Erste-Hilfe-Paket mit allem Nötigen, in das ich auch andere „Überlebenshilfen“ hineingegeben hatte. Und damit ich auf Nummer sicher gehen konnte, dass die Reise nicht zur schlimmsten in meinem Leben würde, zog ich meine Lieblingsjeans und mein Lieblingsleibchen an. Was sich außerdem in meiner Tasche befand, was natürlich auch sehr wichtig war, da ich nicht schon beim ersten Gletscher mein Augenlicht verlieren wollte, das ich selbstverständlich mein ganzes Leben behalten wollte, war Mamas alte Gletscherbrille, die ich im Gerümpelhaufen ihres Zimmers – oder besser: im Gerümpelhaufen, der ihr Zimmer ist, gefunden hatte. Ich hatte darin schon am Vortag gekramt, denn sonst wäre sie aufgewacht und hätte mich gefragt, wohin des Weges ich denn ginge, was ich in ihrem Zimmer zu suchen hatte, warum ihr Wecker nicht da war, und hätte das Gespräch mit dem Satz: „Scher dich raus hier“ beendet.

Mama würde es wahrscheinlich nicht stören, dass ich ihre Brille genommen hatte, da man in ihrem Zimmer, aufgrund der tollen Ordnung, nicht erkennen konnte, ob etwas fehlte. Sie hatte die Gletscherbrille eh nie benutzt. Und es würde sie am allerwahrscheinlichsten auch nicht stören, dass ich jetzt fortging, denn sie war alles andere als eine Mutter, die so fürsorglich und lieb ist, dass man auch nie nur einen Kratzer abbekam. Nein! Ich hatte das Gefühl, dass sie mich sowieso am liebsten losgeworden wäre. Und heute war der Tag, an dem ich ihr den Gefallen erwies. Heute war der Tag, ab dem sie für ein Kind weniger zahlen musste, was für sie pro Woche hin oder her nur 1-2 € ausmachte, also war ich schon immer ziemlich auf mich allein gestellt gewesen. Es gab allerdings eine Person, ohne die ich schon lange nicht mehr am Leben wäre. Sie hieß Lucy.

Ich ging nun durch die Stadt und hielt Ausschau nach Häusern, die schon von innen beleuchtet waren. Ich mochte es nämlich nicht besonders, alleine zu reisen, und mein erstes Ziel war, jemanden zu finden, der auf meine Reise mitkommen wollte. Dann noch motiviert zu bleiben, war nicht einfach, denn eine weitere halbe Stunde später hatten alle, die ich genauestens darüber informiert hatte, was mein Plan war, abgelehnt. Man muss ja aber auch leider dazusagen, dass ich nicht den allerbesten Ruf in der Stadt besaß.

Ich hatte wie schon erwartet ein wenig das Gefühl, dass alle lieber hierbleiben als versuchen wollten, den Wetterwechsel zu stoppen. In unserer Stadt meinten anscheinend immer noch alle, dass sie sich faul in den Lehnstuhl vor den Kamin setzen konnten und dass, während sie noch einen heißen Kakao genossen, irgendjemand den Grund herausfinden würde und sie sich nicht darum zu kümmern brauchten, das Unheil wieder in Ordnung zu bringen. Doch diesen Gedanken riefen sie sich in ihrer Angst nur herbei, damit sie ruhig bleiben konnten. So dachte ich zumindest damals. Ich machte mir viele Gedanken. Über alles. Damit ich mehr wusste als die anderen Leute und endlich einmal auf gleiche Ebene mit den anderen gestellt würde. Doch es war so gut wie klar, dass ich davon nur träumen konnte.

Kurze Zeit später hatte ich schon die ganze Stadt gefragt, bis auf meine Familie, aber außer ihr wirklich alle, ja, denn ich wagte am Ende auch, an allen Häusern, in denen noch kein Licht zu sehen war, zu klingeln. Es erforderte nicht sonderlich viel Zeit mehr, da die Stadt, in der ich wohnte, sehr klein war. Man könnte sie eigentlich sogar ein Dorf nennen. Ich stellte mich kurz unter, denn es schüttete wie verrückt. Mir war klar, dass es nicht sehr toll werden würde, wenn ich pitschepatschenass auf meine Reise startete.

Und mir war ebenfalls bewusst, dass ich in den letzten zwei Stunden meinen Ruf in der Stadt wahrscheinlich um vieles schlechter gemacht hatte, da ich die Stadtbewohner aus ihrem Schlaf gejagt hatte. Ich verspürte aber kein bisschen Mitleid mit ihnen. Schließlich wollte ich ihnen ja nur etwas Gutes tun, und zwar die Stadt aus dieser Lage befreien. Es sollte sich sinnvoller Weise auch nicht nur eine Person für die Menschenrechte einsetzen, sondern viele. Aber ich glaube, die Leute in meiner Stadt wurden schon einmal deshalb abgeschreckt mitzukommen, weil ich es war, die sie gefragt hatte. Für sie wäre es eine Schande und die größte Erniedrigung auf Erden gewesen, mitzukommen. Es wunderte mich aber nicht so ganz, dass ich Lucy nicht gefunden hatte, denn ihre Eltern hatten schon vor drei Jahren geplant, dieses Jahr nach Italien zu fahren. Eigentlich war das für die Sommerferien geplant gewesen, aber da wir aufgrund dieser Katastrophe nun Ferien hatten, bis das wieder vorüber war, waren sie, kurzfristig, wie ich nur annehmen konnte, schon früher nach Italien gefahren. Ich konnte es aber nur deshalb annehmen, weil Lucy die letzten Schultage, vor diesen eingeschobenen Ferien, nicht in der Schule erschienen war. Ich hoffte so sehr, dass es ihr gut ging!

Die Schneekugel

Подняться наверх