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Bei Kletzenbrot und Panettone

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„Aber wisst ihr, warum es wirklich gut ist, Kinder zu haben?“, fuhr mein Bruder fort.

„Kann ich mir gar nicht vorstellen“, erwiderte ich, denn Vitus, der kleine Sauhund, hatte mir wieder in den Zeh gebissen. Mein Fehler war das ironisch überempfindliche „Au!“ beim ersten, versehentlichen Biss gewesen. Nun musste ich bluten.

Mein Bruder lachte gemütlich. Dick war er geworden – oder macht das der Vollbart?

„Jahrelang hatten wir lauter hübsche Ideen, die wir nie in die Tat umgesetzt haben. Raus aus der Stadt wollten wir, Whale-Watchen wollten wir, jedes Sommerwochenende am See zelten. Aber wie oft sind diese Vorhaben am inneren Schweinehund gescheitert, wie oft?“

„Achtmal?“

„Aber mit den Kindern ist man gezwungen, es sich schönzumachen, verstehst du? Man kann nicht alles hinauszögern, sonst sind die Kinder plötzlich groß und halten einem eine fade Kindheit vor. Schau raus!“

„Ich hab doch … aua, zefix!! … eben schon rausgeschaut. Es ist ohnehin schon dunkel.“

„Und es schneit schon wieder. Und das an Heiligabend.“

Ich rieb mir den Zeh. Dass Vitus noch nicht alle Zähne hatte, machte die Angelegenheit nicht weniger schmerzhaft. Lorenz löste sich von der Geschichte, die Luisa, meine Freundin, vorlas, um dreckig zu lachen.

Eltern sollten ihre Kinder heute nicht mehr prügeln, heißt es. Vielleicht darf es aber der Onkel noch …

„Statistisch gesehen, ist es in Mitteleuropa unterdessen wahrscheinlicher, an Ostern Schnee zu haben als an Weihnachten“, fuhr mein Bruder selbstgefällig fort.

Ich bin mir sicher, dass er diese Statistik erfunden hat.

„Jaja, toll habt ihr das gemacht, nach Südtirol zu ziehen!“, erwiderte ich. „Aber dafür haben wir in München erstklassigen Regen. Der ist ungleich schneller und effizienter als euer lahmer, spießiger Schnee.“

„Sneller!“, rief Vitus und vergaß in seiner Euphorie, dass er mich beißen wollte.

„Ja, schneller“, wiederholte ich. „Viel schneller.“

„Birische Opa-Landebahn!“

„Bitte?“

„Ja“, nickte mein Bruder mechanisch, „die Bayerische Oberlandbahn ist noch viel schneller.“

„Das halte ich für ein Gerücht.“

„Oder einfach mal wieder Froschlaich holen und Kaulquappen aufziehen“, fuhr er fort, nachdem er dem Kleinen erklärt hatte, dass es auch andere Beschäftigungen gäbe, als mir in die Zehen zu beißen – und ihn damit prompt an dieses lustige Spiel erinnerte.

„Aber jetzt gibt es keine Kaulquappeln mehr“, meinte Lorenz mit dramatischem Unterton. „Die sind alle ausgestorben.“

„Ausgestorben?“, fragte ich.

„Ja, leider.“

„Die sind nicht ausgestorben“, erwiderte mein Bruder, den Zeigefinger an der Nase. Muss man sich als Vater wirklich so klischeehaft benehmen? „Die Frösche haben sich im Schlamm eingegraben und halten Winterruhe. Und die Kaulquappen …“

„Frösche!“ – Vitus schaute mich entsetzt an. „Macht gaak, gaak!“

„Nein, quak, quak“, verbesserte Lorenz ihn.

„Ah so!“, rief Vitus.

„Quak, quak!“, rief Lorenz.

„Aber das könnte man ja auch …“, begann ich.

„Ah so!“, rief Vitus.

„Quak, quak!“, rief Lorenz.

„Das könnte man ja auch ohne Kinder …“

„Ah so! Ah so!“

„Ich meine, den inneren Schweinehund, da muss man ja nicht zwingend …“

„Ah so!“

„JA! AH SO!“, donnerte ich.

„Quak, quak! Quak, quak!“, quakten Lorenz und Vitus zufrieden.

Ich exte meinen Espresso. Dann kehrte Ruhe ein. Lorenz ließ sich weiter vorlesen und Vitus biss mir vergnügt in die Zehen.

Dann drang ein helles Läuten aus dem Christkindlzimmer.

*

Zwischen den Jahren

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