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In Schnee gebettet

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Dialog im prallen Mondenschein.

Vitus: „Und des?“

Lorenz: „Ein Busch!“

Beide: „Aaaah!“

Sich nähernd.

Vitus: „Und des?“

Lorenz: „Ein Baum!“

Beide: „Aaaah!“

Ich spüre einen Finger in meinem Auge.

„Und des?“

„Ein Bub!“

„Aaaah!“

Die Stimmen entfernen sich wieder.

„Und des?“

„Ein Bartkauz!“

„Aaaah!“

Ich reiße die Augen auf. Gewiss hab ich nur geträumt, denn ich liege ja in meinem Bett, ein Kissen federt meinen Kopf, eine Decke wärmt meinen … eigenartig gedrungenen Leib.

Doch seltsam: Sowie ich mich rege, zerbröckelt die warme Bettdecke über mir. Und ich liege da und bin ganz bloß. Also wirklich ganz bloß – wenn ich so hinabspähe – und völlig haarlos.

„Und des?“

„Ein blauer Rumbi!“

„Aaaah!“

Ein was? Ich blicke meinen Neffen hinterher. Dort tigern sie durch den Schnee, ebenso nackt wie ich. Der blaue Rumbi scheint aber entwischt zu sein.

„Halt, wartet!“, rufe ich. Aber was ist das? Meine Stimme ist so schrill.

Ich stehe auf. Alles ist groß und weitläufig um mich her. Gewaltige Zackenberge umringen mich, der Wald besteht aus tausend und abertausend Mammutbäumen. Der Wind ist kühl, doch die Schneedecke wärmt von unten wie eine Fußbodenheizung.

„Ui, wer bist du denn?“

Lorenz ist stehen geblieben. Er ist … größer als ich.

„Ich?“

Jedes Wort meiner Stimme gruselt mich wie Gründling-Wasser auf nackter Haut.

„Erkennt ihr mich denn nicht? Ich bin doch der Onkel Lukas!“

Ungläubige Stille.

„Doch, wirklich.“

„Aber weißt du, der Onkel Lukas ist ja eigentlich noch ein Mann und du bist schon ein Bub.“

„Ja, ich weiß. Ich muss irgendwie geschrumpft sein.“

Vitus kommt mit großen Augen auf mich zu. Die kleinen Ärmchen umschlingen den eigenen Bauch. „Vitzi hat Angst!“

„Angst?“, erwidere ich. Er ist nur mehr einen Kopf kleiner als ich und schaut aus wie dieses Riesenbaby in diesem Film …

„Vitzi hat sich schreckt!“

„Aber du brauchst dich doch nicht erschrecken. Ich bin wirklich euer Onkel Lukas … nur kleiner halt.“

Lorenz kaut nachdenklich an einem astförmigen Schneeball. „Du, ich weiß was.“

„Was weißt du?“

„Der Vitzi hat sich fei gar nicht vor dir erschreckt.“

„Vor wem dann?“

„Weißt du, wir sind nämlich von daheim weggerannt! Ganz schnell!“

„Weggerannt?“

„Ja, sogar richtig schnell! Achttausend!“

„Warum denn?“

„Ja, weißt du, da war ja plötzlich eine Frau in unserm Zimmer. Und, weißt du, das war ja sogar eine böse Hex.“

Mir stockt der Atem.

„Hexe!“, plärrt Vitus und wir Großen blicken uns um. Aber es ist nur Winterwald und Winterdickicht zu sehen. „Mag net die Hexe!“

Auch Lorenz blickt mir furchtsam entgegen.

„Und was hat die … die Hexe gemacht?“, frage ich.

„Ach, die wollte den Vitzi auffressen und hat so ganz tote Augen gehabt und hat sich so und so über ihn drübergebeugt. Und da hab ich den Vitzi aber weggezogen und die Hexe sogar weggeschupft.“

„Oho!“

„Ja, weißt du, ich bin nämlich der Allerstärkste!“

„Mag net die Hexe!“, gibt Vitus zu bedenken. Lorenz lässt indessen seine Muskeln spielen. Wie ein menschliches Hufeisen sieht er aus. „Schau nur, wie ich stark bin.“

„Hast du denn keine Angst gehabt?“, entgegne ich, nicht sicher, wie viel Wahrheit in der Geschichte steckt.

„Ach nein, ich hab auch gar nicht geweint“, protzt Lorenz. „Nur ein bissel gewimmelt.“

Ein fernes Hüsteln beendet unser Gespräch. Alle drei wenden wir die Köpfe.

Dort, wo der Wald am dichtesten ist, wo denn auch das Haus meines Bruders zu finden sein müsste, wo der Weg vom Christkindlzimmer direkt ins Unterholz führt – dort, dort, rührt sich etwas. Eine Gestalt schlurft durch den Schnee, die hässlichen Hände von sich gestreckt, die Nase schnüffelnd in den Wind gelegt, in Tücher und schäbige Pelzstoffe gehüllt. Die furchigen Lippen bewegen sich ohne Unterlass.

„Das ist sie!“, quiekt Lorenz und Vitus jammert: „Mag net die Hexe!“

„Pscht, seid leise“, zische ich. „Ich glaube, die ist blind. Da, seht ihr’s nicht? Ihre Augen starren ja ins Leere.“

Näher und näher kommt die Alte, bisweilen die Fährte verlierend, dann wieder direkt auf uns zu steuernd. Sowie sie die Mondlichtung erreicht, dringen ihre schnarrenden Worte an unsere Ohren:

Wie keuchet der Wind!

Nimm Sünde um Sünd’,

der Vater im Himmel gebot es.

„Weg von hier“, flüstre ich. „Aber schön leise, dass sie uns nicht hört.“

Lorenz rempelt Vitus an, flüstert: „Weg von hier – aber dalli.“

„ABER KUMBADALLI!!“, plärrt Vitus.

*

Zwischen den Jahren

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