Читать книгу Israel als Urgeheimnis Gottes? - Lukasz Strzyz-Steinert - Страница 9

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1. Erich Przywara – der Denker und seine Welt1

Die Welt, in der Erich Przywara lebte, wirkte und dachte, war eine Welt der Brüche und Gegensätze. Der Grundimpetus von Przywaras Denken ist die Suche nach dem Einen, in dem das Vielfältige und Widersprüchliche begründet ist. Dieser Einheitsgrund ist das rechte Verhältnis, in dem alles zueinander steht. Da Erich Przywaras philosophisch-theologisches Werk und seine Existenz „wie kaum bei einem zweiten Theologen“1 seiner Epoche zusammengehören, ist auch seine Beschäftigung mit dem Jüdischen und dem christlich-jüdischen Verhältnis ohne die enge Verschlingung mit seiner Zeit und Umwelt, wie auch ohne Przywaras eigenwilliger Persönlichkeit, nicht zu verstehen. Die symbolischen Orte, die für Erich Przywaras Welt und seine eigene existenzielle Verortung stehen, sowie die Koordinaten seines Denkens seien nun skizziert.

1.1 Welt der Brüche und Gegensätze

1.1.1 Gegensätzliche Geburtserde

Dem oberschlesischen Industriebezirk, in dem „alle Gegensätze sich schnitten“2, verdankte Erich Przywara seine erste und damit für die weitere Entwicklung grundlegende Formung. Am 12. Oktober 1889 in Kattowitz geboren, wurde Przywara von Kindesbeinen an mit einer Stadt konfrontiert, die symptomatisch für die Gegensätze und Widersprüche seiner Epoche stehen kann. Im Zuge der rasanten Industrialisierung Oberschlesiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg Kattowitz binnen weniger Jahrzehnte vom Dorf zum Zentrum des oberschlesischen Industriebezirks auf. Es war keine organisch gewachsene Einheit, sondern eine im Geist des Positivismus künstlich angelegte Stadt. „Es war darum eigentlich nicht ‚Erde‘, sondern Kohlen-Halden-Boden“, auf dem ein kalt nüchterner „Realismus von Grube, Fabrik, Handelskontor“ 3 herrschten. Den Geist dieser Entwicklung bekam Erich Przywara aus nächster Nähe zu spüren, da der Alltag in seinem Elternhaus dem Geschäft des Vaters, eines begabten und leidenschaftlichen Kaufmanns, gänzlich untergeordnet4 und somit durch „das rechnerisch Nüchterne der Atmosphäre von Kattowitz“5 zutiefst geprägt wurde.

Umgeben wurde diese Stätte eines entzauberten Realismus und harter Arbeitsbedingungen von tiefen, vom großen schlesischen Romantiker Joseph von Eichendorff besungenen, Wäldern, in derer unendlichen Weite Przywara aufatmen und eine ganz andere Welt erleben konnte: „Unendlichkeit, Wildnis, Zauber, Nacht“6. Das ist also der erste Gegensatz, dem Przywara ins Gesicht schaut: „So stark das Abgründig-Nächtige echter Romantik im Oberschlesien der Wälder lebt, ebenso stark wirkt ein schroffer rationalistisch nüchterner Technizismus im Oberschlesien der Hütten und Gruben“7. In Przywaras Welt stehen sich die Gegensätze in ihrer reinen Form gegenüber und es fehlt zwischen ihnen an einer vermittelnden und abmildernden Instanz.

Es ist eine unruhige Welt. Der rasante Fortschritt machte das bis hinein ins 19. Jahrhundert industriell zurück gebliebene Deutschland binnen einiger Jahrzehnte zu einer der führenden kapitalistischen Weltwirtschaften. Wie G. Aly beschreibt, verlief dieser Prozess jedoch „in immer rasanteren, den meisten Deutschen zu harten, zu schnellen Rhythmen“8, was sich in sozialen, tief in das Bevölkerungsgewebe und kollektive Bewusstsein reichenden Verunsicherungen und Spannungen auswirkte. Die Modernisierungsschübe überschlugen sich mit ökonomischen und politischen Krisen, denen sich viele Menschen wehrlos ausgeliefert fühlten.

Przywara ist Kind seiner Zeit, deren Grundgefühl im Existenzialismus ihren Ausdruck fand. Alles ist im Fluss, der Mensch bebt von Unruhe. Hoffnung und Angst, Fortschrittsenthusiasmus und Resignation geben sich die Klinke. Das Sein überhaupt wird durch seine Nichtidentität, nicht durch Seinsgewissheit, definiert. Die beruhigten, statischen Strukturen des anthropozentrischen Idealismus entlarvten sich spätestens im Zuge des I. Weltkriegs als nicht tragfähig. Die Unruhe ist das Welterlebnis, von der her Przywara das Ganze betrachtet. Er nimmt sie ernst und diskreditiert sie nicht, als ob sie nur eine Art Störung wäre. Die Unruhe ist bedrohlich, aber sie offenbart etwas Wesentliches.

Johann Wolfgang Goethe, der Schlesien 1790 bereiste, nannte es ein „zehnfach interessante[s] Land“ und „Brückenlandschaft“ zwischen West- und Osteuropa9. Przywaras Familienhaus illustriert diese Begegnung und das Miteinander, da sein Vater aus einer polnischen Bauernfamilie, seine Mutter hingegen aus einer deutschen Beamtenfamilie aus Neiße stammte. Der Oberschlesier, schreibt Przywara, „spürt immer gleichzeitig die Gegenseite im eigenen Blut“10, was ihn vor Einseitigkeit hütet, und zur „Brücke“ werden lässt, vorausgesetzt „er erkennt und anerkennt seine Aufgabe“11. Die Suche nach der Geisteseinheit zwischen Ost und West begleitet ihn lebenslang als die Herausforderung der Gegenwart schlechthin und wird ihm zur Chiffre der Einheit vor allem im Kontext seiner Begegnung mit dem Judentum.

Auch hier handelt es sich aber nicht um ein harmonisches Miteinander der Ethnien und Kulturen, sondern um einen angespannten Gegensatz. Als Przywara in Kattowitz aufwächst, liegt die Stadt in der Nähe des ‚Dreikaiserecks‘, zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Rußland. Die drei aneinandergrenzenden Kaiserreiche schließen sich auf dem Wiener Kongress in der ‚Heiligen Allianz‘ als Garanten „eines einzigen Abendlandes“ zusammen, um „hierdurch sowohl die Gefahr aus Asien wie die Gefahr aus dem Westen bannen zu können“12. Diese politische Ordnung auf der Basis monarchischer Legalität hat Mitteleuropa für ca. 100 Jahre relativen Frieden beschert, was jedoch auf Kosten national-staatlicher und demokratischer Bestrebungen erfolgte. Nun brechen die nationalen und ideologischen Gegensätze umso heftiger auf.

Wenige Jahre danach, als Przywara seine Heimatstadt verlassen hat, zerbricht diese Allianz endgültig. Nach dem I. Weltkrieg wurde Oberschlesien geteilt und Kattowitz dem wiedergegründeten polnischen Staat zugeschlagen. So traten auch viele nationale Anfeindungen zu Tage. In dieser Periode besuchte Przywara seine Heimatstadt, um 1920 seine Primizmesse zu feiern und einen Vortrag für den dortigen Männerverein zu halten. In einem handschriftlich gefertigten Verzeichnis aller seiner Vorträge bis 1938 steht der am 29. November 1920 geplante Vortrag über „Die katholische Geistesbewegung in Deutschland seit Beginn des Weltkrieges“ zu Beginn der langen Liste. Daneben wird angemerkt: „nicht gehalten, da der Saal abbrannte (Brandstiftung polnischer Insurgenten)“13. Dieser Einstieg in die Vortragstätigkeit in Przywaras Heimatstadt mag symbolisch gesehen werden: in der Zerrissenheit zwischen den benachbarten Völkern, im brodelnden Chaos nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung, im Trauma des verlorenen Krieges.

Auch Ereignisse um Kattowitz in den drauffolgenden Jahren sind bezeichnend für die Welt, in der Przywara lebte. Unweit von seiner Heimatstadt wurde mit dem fingierten Überfall auf den Sender Gleiwitz der Paukenschlag für den Ausbruch des II. Weltkrieges gegeben. Nach dem Krieg blieb Kattowitz hinter dem Eisernen Vorhang, um 1953–56 sogar Stalinogród zu heißen. Ca. 30 km von Kattowitz entfernt liegt noch eine andere Stadt, die wie keine andere für das Dunkle des 20. Jahrhunderts steht: Auschwitz.

Diese Erde, die Przywara in seinen Kindes- und Jugendjahren geformt hatte, versank im Chaos des Weltgeschehens. Mit ihr versank aber auch ein weltanschauliches, philosophisches und politisch-gesellschaftliches Projekt. Der I. Weltkrieg zeigte, dass der „Kohlen-Halden-Boden“ am Dreikaisereck des ausgehenden 19. Jahrhunderts nur eine dünne Erdkruste der Technik und der Politik war, unter der die „versöhnten Gegensätze ein wahrhaft chthonisches Chaos blieben, das als sein Symbol Rauch und Feuer und Aschenstaub der Gruben- und Hüttenlandschaft emportrieb“14. Mit der Weimarer Zeit beginnt das Ringen um Strukturen in politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen, um letztendlich in die nächste Katastrophe zu münden. Für Przywara ist Oberschlesien ein symbolischer Zugang zur Welt, wie sie wirklich ist. Über das Erlebnis des I. Weltkrieges schreibt er:

„Das aber ist das eigentliche fruchtbare Erlebnis der Kriegsjahre, daß diese vergötterte Welt auseinanderflog in Fetzen, daß diese ganze Menschheit, in die man Gott verengt und vermenschlicht hatte, sich zeigte als ein Raubgesindel, daß diese ganze Schöpfung sich zeigt als ein Vulkan. Das ganze Kriegserlebnis war letztlich: daß wir erwachten, und jenes Erlebnis von der Welt hatten, wie sie Augustinus uns zeichnet: diese Welt ‚ist‘ eigentlich gar nicht.“15.

Diese Welt gibt es nur als eine Spannungseinheit. Da wo Entzweiung herrscht, müssen die Bezogenheiten und Verhältnisse neu durchdacht werden. Przywara scheint jede feste Form der Einheit von Gegensätzen suspekt utopisch, trügerisch und somit letztendlich gefährlich. Er warnt unablässig vor oberflächlichen und starren Konstrukten einer Einheit der real existierenden Gegensätze. Vielmehr will Przywara alle Konstrukte zerlegen und in das Chthonische der Gegensätze hinabsteigen, um den Ernst der Frage nach einer Einheit in der Welt, wie sie wirklich ist, vor Augen zu führen.

Dies ist seine irdische Heimat, die eigentlich Heimatlosigkeit bedeutet16, da im Oberschlesier Przywara der Geist des Ostens und der Geist des Westens nicht als geformte Einheit, sondern als gegensätzliche Dynamik da sind, was eine gewachsene Formung und eine kulturelle Identifikation erschwert. Selbststilisierend bezeichnet sich Przywara sogar als „Zigeuner“17, der das musikantische Umherziehen auf den Straßen zwischen Völkern und Kulturen im Blut haben will. Die Welt der vielen Verhältnisse ereignet sich, in dem sie gespielt wird.

Przywaras Erde ist, geographisch aber auch ideell, ein Land am Rande des Deutschen Reiches, das sich zunehmend durch den Begriff der Nation zu definieren sucht18. Die nationale Identität in Schlesien war oft unscharf und schwer definierbar, nicht selten eine Sache der persönlichen Entscheidung. Erich Przywara verschreibt sich eindeutig der deutschen kulturellen Identität, die ihm ein Wert an sich ist. Er muss sich beweisen und eine Hingabe vollziehen. „Der ‚Oberschlesier‘ in mir […] ging […] endgültig unter und ein in den ‚Deutschen‘ des klassischen ‚Reich‘[sic!]“19, wird er einmal rückblickend an Reinhold Schneider schreiben. Przywaras Welt ist ein Verhältnis zwischen Gegensätzen, die zwar unzertrennlich, aber nicht partnerschaftlich aneinander gebunden sind. Sie sind so nah und doch so fremd und anders20. Er mahnt, dass „der abendländische Mensch beständig an der Grenze steht, an der Grenze, die eine flammende ist“21. Die Frage nach dem christlich-jüdischen Verhältnis stellt Przywara also in einer Welt, die nur im dynamischen, konfliktbeladenen Verhältnis ihrer Gegensätze gegeben ist.

1.1.2 Gesellschaft Jesu zwischen Kirche und Welt

Im Jahre 1908, unmittelbar nach dem Abitur, verließ Erich Przywara seine Heimatstadt, um in Berlin um Aufnahme in die Gesellschaft Jesu zu bitten. Über diesen Schritt und seine Konsequenzen schreibt K.H. Neufeld: „Przywara blieb ein Mann sui generis, wenngleich das nicht allein an seiner eigenwilligen Person hängt, sondern auch Folge der Zuordnung war, für die er sich selbst entschied, als er sich der vom Kulturkampf verfolgten deutschen Gesellschaft Jesu anschloß“22.

Die intensive Beschäftigung mit der ignatianischen Spiritualität in den ersten Jahren des Ordenslebens verlieh Przywara eine für die weitere Entwicklung entscheidende religiöse und intellektuelle Formung und wurde zu jener „Quelle, aus der alle spätere Fruchtbarkeit strömte“23. Für den späteren Werdegang Przywaras scheint vor allem der Dynamismus und Aktivismus des ignatianischen Dienstes ad maiorem Dei gloriam ausschlaggebend zu sein. Diese Grundausrichtung des Jesuiten, dem jede „religiöse Heimatlichkeit“ und „religiöse Familie“ verweigert ist, da sein Beruf darin besteht, „verschiedene Orte zu durchwandern und [sein] Leben in jedem Lande der Welt zuzubringen“24, um Gottes Ehre zu vermehren, drückt sich nicht nur in Przywaras zahlreichen Aktivitäten der ersten Periode seines Wirkens aus, sondern noch mehr in seiner geistigen Bewegtheit in der Auseinandersetzung mit der ihn umgebenden Welt. Das Ignatianische bietet keine verklärte Rückzugszone aus der Welt25, sondern bedeutet Sendung in die Welt, um „Gott zu suchen in allen Dingen“. Der jesuitische Impetus ist die „Auskehr“ aus sakralen Räumen und Mitvollzug der Preisgabe Gottes an die nüchtern realistisch gesehene Welt26. So wie die oberschlesische Heimat hauptsächlich Sendung und Aufgabe ist, „auf sich zu Gunsten des Überparteilichen (und Übervölkischen)“ zu verzichten, „um nur ‚Brücke‘ zu sein“27, so ist der Jesuit im Einklang mit dem Geheimnis der Menschwerdung in die Erde der Gegensätze hineingesandt, um Brücke zwischen Himmel und Erde zu sein: „Christus als das ‚In-Eins von Himmel und Erde‘: nicht die immer größere Abtrennung des Himmels der Verklärung gegen die unverklärte Brutalität der Erde, sondern gerade die immer größere Aufnahme unvermischt echter Erde zum Himmel, unvermischt echten Menschentums zu Gott“28.

Przywaras Werdegang im Jesuitenorden ist aufs Engste mit der Situation des deutschen Katholizismus verbunden, für den die deutsche Niederlage im I. Weltkrieg eine schöpferische Katastrophe zu sein schien. Die „Spannung zwischen einem vom Krieg erschütterten Dasein und notwendiger Sinndeutung“29 führte zu vielen Aufbrüchen im deutschen Geistesleben, zu denen auch ein katholischer Aufbruch zählte. Bismarcks Kulturkampf verzögerte die gesellschaftliche Integration der Katholiken im Kaiserreich und erzeugte bei den katholischen Milieus eine generelle Abwehrhaltung gegen die Einflüsse der Außenwelt. Der Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung bewirkte aber, dass, wie Przywara schreibt, „die Schöpferkraft und die Lebenskraft unseres deutschen Katholizismus in einem Maße entbunden ist, wie es die Vorkriegsjahre nicht ahnen ließen“30. Der Katholizismus schien „auf einmal aus seinem Aschenbrödel-Dasein“ rauszukommen und zur „letzte[n] Mode‘“31 zu werden. „Katholizismus war auf einmal das Schöpferische in dieser erschütterten Welt. Vier Jahrhunderte schienen versunken wie ein böser Traum. Die ‚katholische Lebensform‘ leuchtet auf einmal wie als die allein mögliche“32.

Przywara beruft sich auf den Eindruck einer „katholischen Wende“ im deutschen Geistesleben. Diese Jahre um den I. Weltkrieg sind Zeugen von ‚prominenten‘ Konversionen einiger Vertreter der Kultur und Wissenschaft, wie Hugo Ball, Edith Stein und – was den größten Einfluss auf das neue katholische Bewusstsein ausübte – Max Scheler. In dieselbe Periode fallen auch Entstehungen von innerkatholischen Erneuerungsbewegungen wie die Liturgische Bewegung und die Jugendbewegung. In Anlehnung an das famose, die Atmosphäre der Jahre wiedergebende Wort Guardinis, schreibt Przywara: „Guardini sprach vom ‚Erwachen der Kirche in den Seelen‘. Man könnte noch schärfer sagen ‚Erwachen der Seelen zur Kirche‘“33.

Przywara sieht seine Aufgabe darin, diesen Aufbruch kritisch zu begleiten. Der so lange marginalisierte deutsche Katholizismus muss sich erst als schöpferische Kraft bewähren, über seinen Minderwertigkeitskomplex, sein „Pariabewußtsein“34, hinwegkommen und den notwendigen Selbstfindungsprozess durchmachen. Statt aus dem Geist der wahren Katholizität zu schöpfen, meinten die Katholiken allzu oft, sich dem Zeitgeist angleichen zu müssen, um sich Geltung zu verschaffen. Oder die Haltung schlug um in einen reinen Protest gegen die zeitgenössische Kultur, um aber auch auf diesem Weg von ihr gänzlich abzuhängen.

Mit der Zeit werden Przywaras Töne immer nüchterner, da die nicht ausgestandenen Probleme und Spannungen, die die Kirche vor dem Krieg erschütterten, sich unter der Decke der Euphorie auf bedenkliche Weise auszuwirken beginnen, um zur Krise zu führen. Die Kirche, statt die vielbeschworene schöpferische Kraft im Aufbau einer neuen Kultur und Gesellschaft zu sein, verzettelt sich im Kampf um Selbsterhaltung. Die Debatten münden nicht in einer wachsenden Einheit in Vielfalt, sondern in Zerreißung. Die größte Hoffnung des Nachkriegskatholizismus, Max Scheler, distanziert sich von den eindeutig katholischen Positionen und wird zum Abgefallenen. Der vielgelesene Theologe Joseph Wittig wurde wegen seiner modernistischen Ideen exkommuniziert.

Auch Przywara persönlich leidet unter der Zerrissenheit, die bis in seinen Orden hineinreicht, der, im Kulturkampf bekämpft, lange Zeit als die Speerspitze des Ultramontanismus galt. Als die antikirchlichen Gesetze nach dem I. Weltkrieg gänzlich aufgehoben wurden und die Jesuiten in Deutschland ganz Fuß fassen konnten, begann die alles andere als reibungslos verlaufende Neuausrichtung, die einerseits mit der neuen gesellschaftlichen Stellung in Deutschland, andererseits mit der gesamtkirchlichen Situation zurecht kommen musste. Galt für Przywara „das geistige Spanien“ des hl. Ignatius als „Aug in Aug“ zur Reformation, dem verhängnisvollen Riss im Abendland35, so mündete zu Beginn des 20. Jahrhunderts die lange Epoche des Pontifikats Pius X. „in den vielleicht gefährlichsten Riß innerhalb der Kirche: den Riß zwischen Modernismus und Integralismus“36. Die Situation der Zeitschrift „Die Stimmen der Zeit“, bei der Przywara bis 1941 einer der Redakteure war, mag für die Problematik der Situation der Kirche in der modernen Welt symptomatisch stehen37.

Die 1871 als „Stimmen aus Maria Laach“ gegründete Zeitschrift verfolgte im Wilhelminischen Reich eine klare ultramontane und antimodernistische Linie. Vielen Jesuiten der Weimarer Zeit wurde jedoch klar, dass die neue, viel differenziertere gesellschaftliche und geistige Lage, in der sich die Kirche nun befand, sowie die tatsächlichen Fragen, die einerseits die Moderne, andererseits aber auch der Modernismus aufgeworfen hatten, eine Neuorientierung erforderten. Die kirchliche Fixierung auf den antimodernistischen Kampf hatte eine Ghettoisierung und Abwehrhaltung zur Folge, die die Kirche unfähig machten, auf die tatsächlichen Herausforderungen geistigintellektueller Natur zu reagieren. So wollten die für die „Stimmen der Zeit“ Verantwortlichen, gemäß dem ignatianischen Ideal einer klugen Unterscheidung der Geister, „weder Modernisten sein, noch sich auf das Programm des Thomismus der 24 Thesen aus den letzten Jahren Papst Pius‘ X. festlegen lassen“38. Sie versuchten die Verhärtung zwischen den Extremen zu überwinden und einen Mittelweg zu gehen, um so eine fruchtbare Kontroverse mit der modernen Welt zu suchen und sich in der Gesellschaft positiv einzubringen.

In einigen klerikalen Kreisen erhoben sich allerdings Stimmen der Unzufriedenheit, dass die Zeitschrift mehr problematisiert, „als katholische Sicherheit und Klarheit vermittelt, wie man es von ihnen erwarte und von früher gewohnt sei“39. Ins Visier des Generals des Jesuitenordens Włodzimierz Ledóchowski gerieten unter anderem Przywaras Ansichten über Max Scheler. Nach Konsultationen mit Theologen ließ er seine Meinung wissen, „Przywara versuche Scheler gewaltsam zu retten und verteidige auf diese Weise gefährliche und objektiv falsche Positionen. Er wundere sich, wie diese Zeitschrift durch die Zensur gegangen sei“40. Der Provinzial Augustin Bea antwortete dem General, dass der Nuntius Eugenio Pacelli „ihm gegenüber in den höchsten Tönen von Przywara gesprochen habe: Er habe alle seine Werke gelesen und sei sehr einverstanden mit der Weise, wie Przywara mit den Gegnern umgehe“. Bea will Przywara aber auch mündlich ermahnt haben, „seinen ‚pruritus scribendi‘ (‚Schreib-Juckreiz‘) zu zügeln“41. Nichtsdestotrotz forderte der Ordensgeneral einige Jahre später einen speziellen Zensor für Przywara, der dieser Aufgabe „eher zu streng als zu milde“42 nachzugehen hatte.

Przywara kam mit dieser Art des Umgangs überhaupt nicht zurecht. Er sah sich „einmal zwischen zwei Stühlen: In Deutschland gelte er als ‚römisch‘, da er als einer der ersten gegen Wittig Stellung bezogen habe, in Rom sei er aber jetzt plötzlich nicht mehr orthodox“43. Da seiner Meinung nach dem Zensor jedes Verständnis für seinen Auftrag, sich auf die modernen Fragen und Strömungen zu beziehen und nicht nur einer schulmäßigen Theologie zu folgen, fehle, drohte Przywara unter diesen Bedingungen nicht mehr schreiben zu wollen. Schließlich musste aber der Ordensgeneral von seiner Absicht Abstand nehmen und den Zensor widerrufen.

Die andere Seite der Medaille der innerkirchlichen Spannung zeigte sich in Przywaras Kontroversen um die Kierkegaard- und Newmandeutung, die zwischen den Vertretern eines traditionellen (im damaligen Sprachgebrauch eines scholastischen und jesuitischen) und eines kritischen Katholizismus ausgetragen wurde. „Ein führender Geist der ‚kritischen Katholiken‘ sagte mir“ – schreibt Przywara – „auf einer gemeinsamen Fahrt einmal offenherzig: Wir haben das gegen Sie, daß Sie die Geister, die wir gegen einen jesuitischen Katholizismus stellen möchten, Kierkegaard und Newman, ‚umjesuitieren“44.

Schon der Novizenmeister soll Przywara vorausgesagt haben, „er werde sich noch einmal zwischen alle Stühle setzen“45. Irgendetwas von diesem Unverständnis für seinen besonderen Auftrag wird Przywara aber auch im Kontext seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, in deren Zusammenhang er auch das Jüdische behandelte, beklagen. „Auf diese Darlegungen hin verlangte der ‚Alemanne‘ von Freiburg, daß der Verf.[asser] in ein Konzentrationslager käme, – während zur selben Zeit katholische Kreise desselben Freiburg die Mär ausstreuten, der Verf.[asser] sei Nationalsozialist geworden“46.

Tatsache ist, dass Przywaras Ausführungen nicht selten zweideutig und übertrieben gewagt sind, womit sie extreme Reaktionen hervorrufen können. Der Wille, den Mittelweg zu gehen und zwischen den Fronten zu stehen, hat auch seine Schattenseiten. Das Jesuiten-Ethos erreicht bei Przywara die Züge einer fragwürdigen Stilisierung. Er sei zum „ritterlich heiligen Narr“47 bestimmt. Nach seiner Begegnung mit Przywara notierte Karl Barth einen Ausspruch seines Gesprächspartners: „Jesuit kann man nur auf der Todeslinie sein!“48. Przywara scheut nicht, sich auf das katholisches Denken Herausfordernde als erster einzulassen, denkerisch zu riskieren und neue Wege vorzutasten. Aber gleichzeitig macht er immer Front, braucht einen Gegner, muss kämpfen und wird darin unersättlich. In seinem Denken baut sich eine Dynamik auf, die eine berechtigte Form der Begegnung des Verhältnisses nur noch parabolisch im Kampf sieht.

Dieser Eigenart ist wahrscheinlich Przywaras Wirkung zu verdanken. Für die beiden theologischen Koryphäen des 20. Jahrhunderts – Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar –, ist Przywara derjenige gewesen, der aus der starr scholastischen Atmosphäre des philosophisch-theologischen Studiums ausbrach, Brücken zwischen der theologischen Tradition und dem ‚heutigen‘ Denken baute und die Bezogenheit der Kirche auf die Welt theologischprogrammatisch vollzog49. Für Rahner gehörte Przywara, und das „in erster Reihe“, zu der „Generation des Aufbruchs der Kirche in die Periode, die durch das Zweite Vatikanum amtlich“50 wurde. Im Hinblick auf die allgemeine Lage der deutschen Jesuiten in der Weimarer Republik würdigt der Ordenshistoriker K. Schatz die vielen neuen Denkansätze. Über Przywara schreibt er: „Eigentlich theologisch innovativ und inspirierend hat jedoch ein Jesuit gewirkt, der nie einen theologischen Lehrstuhl innehatte, von seinem Charakter her auch nicht hätte versehen können, dessen Fernwirkungen jedoch schwer abzuschätzen sind“51. In diesem Licht muss alles gelesen werden, was Przywara über das christlich-jüdische Verhältnis geschrieben hat.

1.1.3 Abgrund

„Der beruhigte harmonische Mensch des neunzehnten Jahrhunderts starb in den Nächten der Weltkriegszeit. Er ist nur noch der Mensch Aug in Aug zu den Abgründen“52. Diese Worte Przywaras charakterisieren den dritten Ort, der symbolisch für seine Welt steht. Es handelt sich hierbei um eine existenzielle Verortung, die für sein ganzes, das einfache Glück entbehrende, Leben prägend war53, um im Laufe der Jahre jedoch immer beherrschender zu werden. Es ist dabei bezeichnend, in welch enger Verschlingung mit den Ereignissen seiner Epoche sich Przywaras Werdegang vollzieht. Hat sein vielfältiges Wirken in den 20er Jahren auf den hoffnungsvollen Wellen der katholischen Wende etwas vom „meteorischen Aufleuchten“, so markiert das politische Zäsur-Jahr 1933 den Beginn von Przywaras unaufhaltsamen „Absinken in die Einsamkeit des Krank- und Verlassenseins“54. Nach seinem am 29. September 1972 erfolgten Tod schrieb H. Fries: „Die jüngere Generation – auch die theologische – kennt vermutlich nicht einmal mehr den Namen, viele Ältere haben bei der Nachricht von seinem Tod vermutlich gedacht: Wir meinten, er sei schon längst gestorben. So ist das heute“55.

Im besagten berüchtigten Jahr 1933 geht die Zahl der Vortragseinladungen rapide auf ein Viertel des vorausgehenden Jahres zurück, um 1939 ganz aufzuhören. Was Przywara aber viel härter traf, war der Einspruch des Verlegers der „Stimmen der Zeit“, dass aufgrund ihrer Schwierigkeit seine Artikel „dem erstrebten Leserkreis nicht angepasst“ seien, – „so daß Przywaras Beiträge von 29 im Jahr 1932 auf 6 im Jahre 1933 zurückgingen und er zunehmend auf Rezensionstätigkeit in der eigenen Zeitschrift verwiesen blieb“56.

In derselben Periode machte sich bei Przywara, der von den Mitbrüdern schon ohnehin für einen „Mann ohne Nerven“57 gehalten wurde, sein psychisches Leiden immer bemerkbarer, um inmitten des Krieges mit voller Wucht auszubrechen. Auch hier verwob sich der äußere mit dem inneren Einschnitt. 1941 wird das Haus der „Stimmen der Zeit“ von der Gestapo aufgelöst, und dieser Ort seines Wirkens ging für Przywara für immer verloren – er hat seitdem nie wieder auf Dauer in einer Jesuitengemeinschaft gewohnt. Fast gleichzeitig erlitt Przywara einen schweren Nervenzusammenbruch und wurde in eine der Münchner Kliniken eingeliefert58. Nach der Überwindung dieser akuten Krise fand er verschiedene Unterkünfte bei Privatpersonen und wirkte bis zum Ende des Krieges als Akademikerseelsorger in München und Wien, indem er in zerbombten Kirchen und brennenden Städten Predigten und Vorträge hielt. Den Zusammenbruch seiner Gesundheit und die Katastrophe des II. Weltkriegs hat Przywara innerlich wohl nie überwunden. Ein neues, abgeschiedenes Zuhause fand er in der tiefen bayerischen Peripherie, im Dorf Hagen bei Murnau, wo er außerhalb der Ordensgemeinschaft und ohne die früher so selbstverständliche rege Teilnahme am Geistes- und Kulturleben lebte und als theologischer Schriftsteller wirkte59.

Wie B. Gertz, der Przywara in Hagen in den 60er Jahren besuchte, schreibt, musste „seit dem Krieg – mit glücklichen Unterbrechungen – jede Arbeit überhaupt schwerster Krankheit abgerungen werden“60. Das Bild von Przywaras Erkrankung bleibt unscharf. Wie M. Lochbrunner anhand von Przywaras Beziehungsgeschichte zu H.U. von Balthasar zeigte, fühlte er sich von den Mitbrüdern und anderen Menschen aus seiner Umgebung nicht verstanden oder sogar verfolgt, ja von „dunklen Mächten“ bedroht61. „Jedenfalls scheinen Ängste und Verfolgungsvorstellungen zu den massiven Symptomen seiner Krankheit gehört zu haben“62.

Der Umstand der Krankheit ist insofern von Bedeutung, als er manches in Przywaras Werk, vor allem im Hinblick auf seine Vision des Verhältnisses zum Anderen, im Zwielicht erscheinen lässt und eine eindeutige Interpretation erschwert. Es ist vor allem von Balthasar, der meinte, „dass die ‚normale‘ Phase bei Przywara etwa mit ‚Analogia Entis I‘ (1932) zu Ende sei, danach sei eine krankhafte Übersteigerung zum Durchbruch gekommen“63. Gleichzeitig gibt von Balthasar noch 1980 zu, den „Punkt der Aberration […], an dem er [Przywara] die Analogia Entis liegen lässt“ 64 und zu einer Widerspruchsdialektik übergeht, nicht festlegen zu können. Dass die psychischen Beschwerden an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, ist jedoch nicht dazu gedacht, Przywaras Werk zu diskreditieren. Es war ausgerechnet von Balthasar, der sich, trotz aller Vorbehalte, dafür einsetzte, dass Przywaras Ideen Beachtung finden65. Genauso wenig soll hier das Krankhafte mystisch verklärt oder überhöht werden. Auf jeden Fall ist Przywara ohne den dunklen seelischen Druck, der ihn ständig in die Region des Unerklärlichen, Abgründigen und auch Bizarren führte, nicht zu verstehen.

Zu Przywaras Selbstverständnis, das vom kleinen Kreis seiner Weggefährten geteilt wurde, gehört zweifelsohne ein gesteigertes Sendungsbewusstsein des einsamen und verkannten Sehers, der vor den abgründigen Gefahren warnen und deswegen eine unbequeme, skandalerregende Wahrheit aussprechen muss66. Ein Großteil der Bücher, die er nach dem II. Weltkrieg veröffentlichte, geht auf seine Kriegserlebnisse und auf die in dieser Zeit gewonnenen Einsichten zurück. Seine Warnungen vor der Illusion einer scheinbaren Harmonie und Verklärung der Gegensätze fanden jedoch im politischen, gesellschaftlichen Klima der um Versöhnung und Aufbau bemühten Nachkriegszeit, aber auch im kirchlichen Klima des vorkonziliaren Aufbruchs, kaum Beachtung67, was ihm schwer zusetzte68. Aufgrund der inneren und äußeren Schwierigkeiten konnte er seine großangelegten theologischen Projekte nicht zu Ende führen69.

In der Abgeschiedenheit des Voralpenlandes, durch seelische Not bedrängt, haderte Przywara mit den Abgründen, in die die Menschheit in den Kriegsjahren geschaut hatte, und die Przywara als eine bleibend gültige Enthüllung der Situation zwischen Mensch und Gott wahrnahm. Im Hinblick auf die Debatte über eine „Theologie nach Auschwitz“, die den Abgrund des Bösen in diesen Jahren zu deuten und denkerisch zu bewältigen suchte, sagte K. Rahner: „Es gibt heute eine ‚Gott-ist-tot‘-Theologie, die sich als dernier cri der christlichen Theologie vorkommt. Wer die Unheimlichkeit des späten Przywara kennt, für den klingt diese Theologie wie ein laues Gerede“70. Gleichzeitig äußert sich Przywara direkt zum Thema „Auschwitz“ nicht.

1.2 Denkweg und Denkfiguren

1.2.1 Erich Przywaras eine Frage: Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Welt

Ereignet sich Przywaras Denken in enger Verschlingung mit seiner Existenz und seiner Welt, so ist es zugleich ein betont formales Denken. Przywara verstehen zu wollen, erfordert deshalb, neben der existenziellen Dimension auch die Denkfiguren zu beleuchten, die für seine Aussagen grundlegend sind. In der Umbruchsituation nach dem I. Weltkrieg, in der Przywara sein Wirken begann, sah er sich vor die fundamentale Frage nach dem Verhältnis zwischen Gott und Welt gestellt71.

Da die Wirklichkeit aus den Fugen geraten ist, können nach seiner Überzeugung ihre Gegensätze in eine produktive Spannungseinheit nur dann zusammengefügt werden, wenn das ganze Gegensatzgefüge, die endliche Welt also, in das rechte Verhältnis zum absoluten Gott eingeführt wird. Um einen Wiederaufbau zu beginnen, müssen zuerst die Fundamente aller geistigen Strukturen freigelegt werden.

Die Frage nach Gott und Welt stellt Przywara als Frage nach dem Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf. Dass die Welt Gottes Schöpfung ist, bedeutet für ihn zuerst, dass sie vom Schöpfer abhängig und auf ihn hingeordnet ist. Diese Abhängigkeit denkt Przywara dynamisch, als eine sich zwischen den Bewegungen des Ausgangs aus Gott und des Wiedereingangs in Gott ereignende Realität. Schöpfung bedeutet für Przywara aber auch, dass die Welt eigenständig ist. Sie wandelt vor Gott. Die Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Welt fokussiert sich also auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Abhängigkeit der Welt von Gott und ihrer Eigenwirklichkeit vor Gott.

Przywara ist überzeugt, dass alle philosophischen und existenziellen Fragestellungen der ausgehenden Neuzeit nur vor diesem theologischen Hintergrund zu beantworten sind. Umgekehrt muss sich aber auch die Theologie bewusst werden, dass allen ihren inhaltlichen Aussagen immer formale Diskursstrukturen vorausgehen. Um den Wissenschaftsstatus einer Disziplin zu rechtfertigen, müssen ihre formalen Prinzipien geklärt werden. Auch Religionsphilosophie und Theologie haben eine spezifische, ihrem Gegenstand entsprechende Methode, die unbedingt beachtet werden muss72. Diesen formalen Strukturen der Gottesrede gilt Przywaras Leidenschaft. Er ist überzeugt, man müsse zuerst die Frage der Religionsphilosophie und Theologie überhaupt beantworten, bevor man sich in eine inhaltliche Auseinandersetzung begibt. Nur so kann eine befreiende Lösung für die verfehlten und „peinlichen“73 Fragestellungen, die so manchen erbitterten wie kontraproduktiven theologischen Debatten zugrunde liegen, herbeigeführt werden.

Die Gegenwart zeichnete sich in Przywaras Ansicht durch zwei scheinbar gegensätzliche Richtungen aus, die das Verhältnis zwischen Gott und Welt zu bestimmen suchen. Przywara bezeichnete sie als Pantheismus und Theopanismus74. Was ihn interessiert, ist die Architektur und der Grundimpetus dieser Denkrichtungen. Die Parolen, in denen sich die Hauptanliegen dieser Strömungen verdichten, hießen, seiner Analyse entsprechend, „Welt allein“ oder „Gott allein“. Das Verhältnis zwischen Gott und Welt wird entweder als einseitige Immanenz oder als einseitige Transzendenz, als Identität oder als Widerspruch aufgefasst. Echte Begegnungschancen zwischen ihnen werden hier aber schon im Keim erstickt, da die beiden Richtungen die Unterschiede und somit die Spannung zwischen Schöpfer und Geschöpf aufheben. Das Herzstück des christlichen Glaubens, das Paradoxon der Menschwerdung Gottes, wird entstellt. Bald wird Gott vermenschlicht, bald wieder der Mensch vergöttlicht.

Auf den ersten Blick scheint sich die Neuzeit durch Gottesleugnung und -verdrängung zu charakterisieren. Genauer betrachtet empfindet der neuzeitliche Mensch die Welt als absolut, zieht das Göttliche an sich heran und macht es zu einem immanenten Weltelement, zum Horizont aller Fragen und zur Chiffre des Daseins75. In der Philosophie, wie bei Kant oder Hegel, wird über Gott gesprochen, aber er wird in gewaltige Systeme eingeschlossen. Diese Verweltlichung und Vermenschlichung Gottes vollzieht sich aber auch in der Theologie, vor allem bei Schleiermacher und dem liberalen Protestantismus, wo Gott in die Innerlichkeit des Menschen eingeschlossen wird. Was am Ende bleibt, ist „Gott als Mittler zu meiner Seligkeit und Ruhe“76. Es geht nur noch darum, „Gottes habhaft zu werden in eine irdische Beruhigtheit“77. Gott ist somit eine Dimension der Welt, er ist ganz in der Welt und so ist auch die Welt und der Mensch alles.

Die Neuzeit bedeutet aber zugleich ein von Fortschrittsoptimismus berstendes Weltgestaltungsprojekt. Dieser Glaube an die absoluten, in der Welt und im Menschen schlummernden Möglichkeiten wurde durch die Katastrophe des I. Weltkrieges zutiefst erschüttert. Die als sicherer Hort geglaubte Welt flog ja „in Fetzen“ auseinander. Auf einmal steht die Welt als elend da, was viele dazu bewegt, woanders nach Sinn und Erfüllung zu suchen. „Als im Weltkrieg die Weltseligkeit der ganzen Neuzeit zusammenbricht in ein neues Chaos, bricht vulkanisch die Frage um Gott auf“. Ein „leidenschaftlicher Theozentrismus“78 wird erneut zum geistigen Grundmotiv der Zeit und Przywara verschreibt sich diesem von Barth initiierten Protest gegen alle Versuche, sich Gottes zu bemächtigen.

Diesem Theozentrismus, wie er sich in der Stunde der Nachkriegszeit manifestiert, attestiert Przywara jedoch eine verhängnisvolle, weltverachtende Einseitigkeit. „Gott wird leidenschaftlich bejaht, aber als Glorie über der Welt, nicht als Macht und Vollmacht in der Welt“79. Dadurch enthüllt sich die Gottesidee dieses Theozentrismus als eine Verklärung der Wirklichkeit, die die Frage ausblendet, wie die sinneshafte, reale Welt der Raum der Gotteserfahrung sein kann. Die Kultur und das Tun der Menschen werden radikal entwertet und verlieren den Bezug zu Gott. Durch diese Einseitigkeit kann der Theozentrismus nicht die heilende Überwindung der Vergöttlichung der Welt sein, da die Welt de facto als Gott-los betrachtet wird. Der völlig ‚Andere‘, wie Gott hier gesehen wird, ist eine „reine ‚Negation‘“, „das Nein zur Kreatur alles alleinwirklichen und alleinwirksamen Ja“80. Gott ist ganz über der Welt. Gott ist alles, die Welt verschwindet in ihm.

Das, was nach zwei gegensätzlichen Lösungen aussieht, sieht Przywara jedoch als zwei Momente des einen dialektischen Umschlags, für den Luthers Protest gegen die verweltlichte Kirche steht und der die Geburtsstunde der Neuzeit kennzeichnet81. Hier meint Przywara den Geburtsfehler der Neuzeit gefunden zu haben. Indem die Reformation dem selbstherrlichen Humanismus der Renaissance die universale Sündenverfallenheit des Menschen entgegenstellt und Gnade als das alleinwirksame Prinzip erfasst, spricht sie dem Menschen jegliche Eigenwirksamkeit ab. Es ist ausschließlich der gerechtmachende Gott, der im restlos korrupten Menschen wirkt und alles Menschliche wird lediglich zur „Erscheinungsform“ Gottes82. Auf diese Weise meint Przywara in der Einseitigkeit des Theozentrismus die Fundierung der Identität zwischen Gott und Mensch, das Prinzip des „In-Eins-Fallen von Gott und Geschöpf“83 feststellen zu können, das sich im „beständigen Umschlag von völliger Negation des Geschöpflichen zu seiner völligen Vergöttlichung“84 zeigt. „Die innere Dialektik reformatorischer Religiosität enthüllt sich geradezu als Urgrund der Dialektik der Neuzeit“85. Die zwei extremen Lösungen, Pantheismus und Theopanismus, münden also in eine unmögliche Konfusion, wie es die Geschichte der gegenseitigen Beeinflussung von Theologie und Philosophie bezeugt86.

Überwunden werden kann diese fatale neuzeitliche Dialektik zwischen Pantheismus und Theopanismus nur aus dem Ur-Katholischen Prinzip der „Einheit Gottes mit der Welt und Unterschiedenheit von ihr“87 heraus, dass sowohl die transzendente Welterhabenheit Gottes als auch die immanente Gegenwart Gottes in der endlichen Welt atmet. Nur so kann die faktische Welt eines ständigen Wandels mit Geduld und Nüchternheit bejaht und angenommen werden.

Die Fraglichkeit der vereinfachenden Beurteilung des lutherischen Grundprinzips und seiner tatsächlichen Auswirkungen auf die Neuzeit wird Przywara im Laufe seines Denkweges selbst aufgehen. Dieser Aspekt wird nicht nur korrigiert, sondern einen erheblichen Einfluss auf sein Denken gewinnen. Entscheidend ist hier jedoch der Grundimpuls von Przywaras Denken, das mithilfe seiner Positionierung zwischen den zwei Extremen formuliert wird. Die Unbedingtheit, nach den letzten Strukturen des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch zu fragen und alle noch so verdeckten Formen der Identität zwischen Gott und Mensch zu demaskieren, bestimmt jedoch Przywaras Denken auf all seinen Etappen und in jeder inhaltlichen Bezogenheit. Die auf die erste Formulierung der Diagnose des grundlegenden Problems der Gegenwart folgenden Jahrzehnte, durch Krisen und Radikalismus gekennzeichnet, wie auch die persönlichen Brüche werden Przywaras Fragen nach dem unfassbaren Begegnungspunkt zwischen Gott und Welt immer zuspitzen. Die ausgehende Neuzeit ist eine Umbruchsituation, in der alle, auch die religiösen Verdeckungen schonungslos beseitigt werden müssen. „Die Aufklärung hat alles aufgeklärt, bis auch der Abgrund wieder klar ist“88.

1.2.2 Polarität

Der erste methodologische Ansatz, den Przywara herausarbeitet, um das Verhältnis zwischen Gott und Welt, und weiter zwischen allen innerweltlichen Gegensätzen zu bestimmen, heißt Polarität. Die Überwindung der Atomisierung des neuzeitlichen Weltbildes und die Versöhnung der antagonistischen Wirklichkeit kann nicht durch ein neues Entweder-Oder herbeigeführt werden. Das Losungswort des Katholizismus heißt nicht Gott oder Welt, sondern Gott und Welt, was ja auch eine grundsätzliche Bejahung der Wirklichkeit mit sich bringt. Die Welt ist nicht Gott, aber die Welt ist der Raum, in dem sich Gott offenbart.

Alles, was konkret und lebendig ist, ist auch gegensätzlich und befindet sich im ständigen Wandel. Das gilt vor allem für den Menschen als Inbegriff der geschaffenen Welt. Er existiert zwischen den Gegensätzen Leib und Geist, Mann und Frau, Individuum und Gemeinschaft89 eingespannt und ist nie nur das eine oder nur das andere. Folgerichtig kann der Mensch nur in der jeweiligen Gegensatzspannung gesehen werden: „erst das Zueinander beider ist ‚der Mensch‘“90. Vor allem gilt aber, dass der Gott der Menschwerdung ein Gott „so ungeheurer Spannung der Gegensätze“91, der „Schwebe“ zwischen den Gegensätzen ist92. Es ist also alles daran gelegen, dass der in Christus erlöste Mensch einsieht, dass „eine echte Lebenslösung und gerade eine Lösung von Gott her nicht gegensätzlich über dem Menschen stehen darf, wie sie vielmehr (gerade als Lösung der ‚Menschwerdung‘!) im Leben sein muß, im Leben als neuer Rhythmus seines Gegensatzspiels selbst“93.

Da diese Gegensätzlichkeit unbequem, ja sogar schmerzlich ist94, versucht der Mensch dieser Last zu entfliehen und klammert sich an nur eine Seite der Wirklichkeit, die ihm jeweils als die Lösung vorkommt. Damit erstarrt aber das Lebendige zum unwirklich Statischen, um dann zum bedrohlich Chaotischen zu werden. Die Not verschlimmert sich dadurch, da der als die Lösung geglaubte Gegenpol in einen immer größeren Widerspruch zu anderen Polen der Wirklichkeit gerät. Eine lebensvernichtende Zerrissenheit nimmt zu, „so wird Fremdvernichtung zu Selbstvernichtung, Riß ins Nichts im Quell des Seins“95. Der gordische Knoten des Realen kann aber auch nicht mit einer Gottesidee durchhaut werden96. Gott muss auch als Macht innerhalb der Wirklichkeit erfahren werden. Wie zwei Titel von Przywaras Polaritäts-Schriften, Wandlung und Gottgeheimnis der Welt97, programmatisch zur Sprache bringen, versucht er vor allem, die Welt in ihrem dynamischen Aspekt ins Verhältnis zu Gottes Transzendenz zu setzen und zu zeigen, wie das wandelbar Gegensätzliche der Welt Raum der Begegnung mit Gott ist. Jeden versuchten denkerischen Ausstieg aus dem Gegensätzlichen, und somit Nicht-Absoluten und Endlichen, bewertet Przywara als Versuch, im Bereich des Geschöpflichen einen festen, ja absoluten Standpunkt zu gewinnen und sich somit vom Schöpfer loszulösen. Dem kreatürlichen Sein muss auch die Gegensätzlichkeit des Bewusstseins entsprechen98.

Deswegen formuliert er auf dem Höhepunkt der „Katholischen Wende“, während der Herbsttagung des katholischen Akademikerverbandes im August 1923, seine These:

„Nicht die ruhelose Antithetik eines ‚Entweder-Oder‘ zwischen Objekt-Subjekt, Werden-Sein, Person-Idee – das ist das Ergebnis unseres bisherigen Miteinanderdenkens und -ringens – nicht diese Antithetik kann uns den Weg der Lösung weisen. Was wir brauchen und was wir heute darum als unser Programm aufstellen, ist eine Philosophie des Ausgleichs, eines Ausgleichs nicht ‚heute für immer‘, eines Ausgleichs vielmehr ‚ins Unendliche weiter‘: Die Philosophie der Polarität, gleichweit entfernt von einer Philosophie ruhelosen Umschlags, wie statischer Mitte, die Philosophie dynamischer Polarität“99.

Die Antwort auf die Not der Zeit muss in der Fähigkeit bestehen, die verschiedenen Ansätze, die jeweils etwas über einen Aspekt des Ganzen aussagen, zu einer Einheit zu bündeln. Diese Einheit ist aber keine Homogenität oder Verabsolutierung bloß eines Standpunktes100. Sie ist nur im Geiste der katholischen Weite möglich, die die polare Verschiedenheit zu schätzen weiß101.

Die polare Denkfigur entdeckt Przywara als die formale Gemeinsamkeit bei den großen Lehrern des christlichen Lebens. Bei Augustinus ist es die Formel „Deus interior et exterior“102 und die Religiosität „eine[r] fürchtende[n] Liebe und eine[r] liebende[n] Furcht“103. Augustinus’ Religiosität zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr „Gesetz und Freiheit, Furcht und Liebe“ einerseits „in äußerster Feindlichkeit“ erscheinen, andererseits aber das Ergebnis doch „Freie Knechtschaft“ und „liebende Furcht und fürchtende Liebe“ heißt104.

Dieselbe Polarität findet sich bei Thomas von Aquin wieder, der das Wesentliche des Problems des Verhältnisses zwischen Gott und Geschöpf, die Frage nach der Spannung zwischen Allwirksamkeit Gottes und Eigenwirksamkeit des Geschöpfes behandelt. Die sich auf Platon berufenden Schulen, die das göttlich Absolute als das eigentliche Sein betrachten, betonen demzufolge einseitig, dass alles, was geschieht, vom Göttlichen her geschehe. Der Aristotelismus, für den das Göttliche im Bewegungskreis des Geschöpflichen untergeht, sieht somit fast nur die Eigenwirksamkeit des Geschöpfes. In Przywaras Sicht wurden die zwei Einseitigkeiten durch Thomas’ von Aquin Lehre von der causa secundae abgelöst und die beiden Prinzipien zu einer Gegensatzspannung zusammengebunden. Das Geschöpf, obwohl vom Schöpfer gänzlich abhängig, wurde mit Eigen-Dasein begabt. Deswegen schließt die Allwirksamkeit Gottes die Eigenwirksamkeit des Geschöpfes nicht aus, sondern ermöglicht es. Gott wirkt alles, aber auch das Wirken des Geschöpfes hat seinen Eigenwert105.

Richtungsweisendes für die theoretische Bewältigung der Erfahrung der Gegensätzlichkeit findet Przywara schon in seinem frühen Thomasstudium, wo ihm die distinctio realis, die Unterscheidung zwischen dem Sosein (Essenz) und dem Dasein (Existenz) im endlichen, geschaffenen Sein aufgeht, die im göttlichen Sein nur eine distinctio rationis ist106. Alles, was existiert, befindet sich im Zustand eines stetigen Wandels. In dieser Erfahrung lassen sich zwei Gegenpole individuieren. Es ist einerseits die Essenz, das wesenhafte ‚Ist‘, das „in der Erfahrung der Fülle des Werdestromes immer stärker in der Fülle seiner seinshaften Unendlichkeit erfahren wird“107. Andererseits ist es aber die Existenz, die Erfahrung des ‚Ist‘ als eines reinen Übergangs zwischen ‚War‘ und ‚Wird‘, als eines „ist-losen Fließens“108. Endliches Sein ist zwischen diesen beiden Polen ausgespannt, da in ihm Essenz und Existenz nicht identisch sind109. Darin offenbart sich Gott als der Einheitsgrund des Geschaffenen. In seiner Wandelbarkeit ist das Geschaffene ein über sich hinausweisendes Gleichnis Gottes.

Die beiden Linien, von Augustinus und von Thomas her, leben in der Neuzeit bei Newman auf. In seinem Begriff des development bekommt die „Essentia-existentia-Spannung Thomas’ und in seiner Religiosität des reverence-love-together die (dem ontologischen Tatbestand korrelate) Religiosität des timere dilligendo et dilligere timendo ihre neuzeitliche lebendige Form“110. Die einzige dem Gottesgeheimnis gerechte Lösung kann also nicht auf dem Weg eines geradlinigen Denkens gefunden werden: Gott der Nähe oder der Distanz, Gott der Liebe oder der Furcht, Immanenz oder Transzendenz, Gott in oder über der Welt. Die Lösung der Polarität heißt: „Gott in uns und über uns“111.

Wie B. Gertz schreibt, ist die Formulierung „Gott in uns und über uns“, die Przywara 1923 in einem Artikel über das augustinische Gottesbild ausarbeitet, „bei Weitem wichtiger, als die dazu gehörenden Ausführungen“112. Das Entscheidende ist hier nämlich die in Gang gesetzte Dynamik, die Przywaras Denken zunehmend prägen wird. Nach von Balthasar kann der Ausgangspunkt Przywaras Denkbewegung als ein „fundamental-ontologischer113 Dynamismus bezeichnen werden. Diese Dynamik im Fundament des Seins drängt auf die Überwindung einer einfachen Polarität von Gleichheit und Ungleichheit zwischen Gott und Geschöpf wie auch eines einfachen Gleichnisverhältnisses zwischen Gott und Welt.

Überwiegt in den früheren Schriften Przywaras der Gedanke eines „christlichen Ausgleichs“114 und Harmonisierung der Gegensätze, so wächst mit der Zeit die Einsicht, dass dieser Polaritätsgedanke das Risiko mit sich bringt, die Kreatur in sich zu verschließen, statt sie auf den unbegreiflichen Gott hin zu öffnen. „Es genügt darum nicht“, schreibt Przywara, „unsere frühere Betonung der ‚Polarität‘ […] zu benutzen für eine Theorie eines ‚schwebenden Ausgleichs’ […]. Die ‚Polarität‘ ist, wie wir von Anfang an scharf betonen mußten, nicht eine immanente, sondern weist als das letzte Aspekt des Kreatürlichen über sich in das Geheimnis des souveränen Gottes“115. Die Spannungen innerhalb des Geschaffenen sind also immer offen, sie bleiben unabschließbar. Erst diese reale und unüberwindbare Spannung im Fundament des Seins, die beunruhigende Widerborstigkeit der Wirklichkeit öffnet den Blick zu Gott. „Das Geheimnis Gottes offenbart sich im Geheimnis der auseinanderfallenden Geschöpflichkeit“116.

1.2.3 Analogie

Przywaras Ringen um den formalen Ansatz des Denkens über Gott und Mensch findet seine Mitte im Terminus, für dessen Aufleben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sein Name wohl für immer stehen wird: analogia entis117. Przywara will mit diesem Begriff den allgemeingültigen formalen Denkansatz des Katholischen wiedergefunden und ihn in die philosophischtheologische Problematik der Stunde hineingesprochen haben. Die analogia entis ist für ihn schlichtweg „das Grundprinzip des Katholischen überhaupt, weil sie […] das Grundprinzip zwischen Gott und Geschöpf überhaupt“118 ist. Den entscheidenden Ausdruck für die Überwindung der letzten möglichen Verschlossenheit der Kreatur, die wie Gott sein will, fand Przywara in der Formel des IV. Laterankonzil (1215): „Inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda(DH 806). Przywara übersetzt sie folgendermaßen: „Zwischen Schöpfer und Geschöpf kann nicht eine so große Ähnlichkeit angemerkt werden, daß nicht zwischen ihnen je größere Unähnlichkeit anzumerken sei“119. Versuchen wir uns an den Kern dieser Thematik vorsichtig heranzutasten.

Als Verhältnis von Sosein und Dasein, Essenz und Existenz, das das Wesen des Seins ausmacht, ist das geschöpfliche Sein Analogie des göttlichen Seins, da es ihm durch die Einheit von Sosein und Dasein ähnlich ist. Aber in dieser Ähnlichkeit zeigt sich die wesenhafte Unähnlichkeit zwischen Gott und Geschöpf, weil „Gottes Einheitsform von Sosein und Dasein ‚Wesensidentität‘ ist, des Geschöpfes Einheitsform aber ‚Spannungseinheit‘“120. Nur über Gott kann man sagen, dass er ist. Das geschaffene Sein schwebt zwischen Vergehen und Werden. Diese Schwebe des geschaffenen Seins hängt nicht in Leere, sondern in Gott, sodass man sagen kann, dass Gott dem Geschöpf als sein Seinsursprung inne ist, aber als der, der über dem geschaffenen Sein ist. Wie wir im vorausgehenden Punkt bereits gesehen haben, drückt Przywara das Verhältnis zwischen Gott und Welt mit der Formel „Gott in uns und über uns“ aus. Dieses „Gründungsverhältnis“121 zwischen Gott und Geschöpf wird aber später mit Hilfe der Formel „Gott in-über Geschöpf“122 ausgesagt, um zu unterstreichen, dass die Immanenz und die Transzendenz Gottes, die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zwischen Gott und Welt als seinem Abbild nicht gleichgewichtig nebeneinander gestellt werden darf, sondern dynamisch-komparatistisch aufeinander bezogen werden muss.

Przywaras Umdeutung des Grundanliegens des analogischen Denkens ist hier ausschlaggebend. Dieses wurde üblicherweise angewendet, um über die Ähnlichkeit, die trotz aller Unähnlichkeit zwischen zwei Analogaten herrscht, zu sprechen. Dass in diesem Denkgehabe die Gefahr lauert, die beiden Analogate anzugleichen und auf einen gemeinsamen Nenner, auf ein Drittes, zu bringen, ist nicht von der Hand zu weisen. Vor allem im Hinblick auf Gott und Welt muss es als unzulässig gelten. Przywara sagt aber zweierlei: Zum einen unterstreicht er, dass im analogischen Verhältnis die Unähnlichkeit größer ist als die Ähnlichkeit und dass die Analogie als Werkzeug verstanden werden muss, in jedem Verhältnis die Distanz und die Andersheit zwischen den Analogaten zu garantieren. Da zwischen Gott und Welt kein Widerspruch besteht, ist Gott in allem geschaffenen Sein als letzter Grund immanent erfahrbar, aber als der, der transzendent, anders ist. Zum anderen ist die Unähnlichkeit nicht nur größer, sondern je größer. Die Transzendenz Gottes geht dem Menschen nicht neben oder trotz Gottes Immanenz in der Welt, sondern in ihr als eine „dynamische Transzendenz“123 auf. In jeder entdeckten Ähnlichkeit flammt die je größere Unähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf auf, so dass am Ende die Unbegreiflichkeit Gottes steht, die aber wiederum die Ähnlichkeit nicht auslöscht.

Die Unähnlichkeit zwischen Gott und Geschöpf besagt keine Entwertung des letzten. Diese Unähnlichkeit ist „nicht eine solche, die ‚nicht sein sollte‘ (‚Unähnlichkeit‘ der außerkatholischen Transzendentalität), sondern eine solche, die, als wesenhaft für das Geschöpf als Geschöpf, ‚sein soll‘“124. Die Distanz zu Gott garantiert die Eigenständigkeit des Geschaffenen. Przywara geht es darum, den Rhythmus des Verhältnisses der Dienstbereitschaft zwischen Welt und Deus semper maior begrifflich zu umschreiben. Gott ist je immer größer und so ist auch die Haltung der Kreatur die „ständige Bereitschaft des ‚Tones‘ in der Hand des ‚Bildners‘“125.

Der größere Akzent auf den Moment der dynamischen Unähnlichkeit, Distanz und der Andersheit zwischen den Analogaten, gilt sowohl für das Verhältnis zwischen den Gegensätzen der Schöpfung wie für das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf. Przywara macht darauf aufmerksam, dass schon die aristotelische Analogie den Rhythmus zwischen den Gegensätzen des Kosmos als die schwingende Bezogenheit zwischen Je-Anders und Je-Anders meint126. Der Kosmos ist aus Gegensätzen gebaut, die in „Proportion gegenseitigen Anders-Sein“127 zueinander stehen. In dieser horizontalen Analogie schlummert aber immer noch die Gefahr, die Przywara schon in der Philosophie der Polarität festgestellt hat. Die Welt kann als ein ewiger Kreisumschwung, ein „‚All-Rhythmus‘ als ‚Letztes‘“128 gesehen werden, in der alle Gegensätze zu einer ruhenden „Selbigkeit“129 sich verschließen und auch das Göttliche als letzte Dimension des weltlichen Werdeprozesses einschließen.

Analogie als katholische Grundform bedeutet für Przywara deswegen eine Analogie zwischen der waagrechten und der senkrechten Analogie. Die „lateranensische Analogie der ‚je immer größeren Unähnlichkeit‘ ist das (selber analogiehafte) ‚in-über‘ zur aristotelischen Analogie des ‚je andern zu andern‘“130. Analogia entis besagt also das Zueinander der beiden Rhythmen, wie es schon laut Przywara in der Wortzusammensetzung ana-logia angegeben ist. Die Vorsilbe „ana“ bedeutet „über, nach, gemäß“ des Rhythmus der Einheit der weltlichen Gegensätze. Faktisch trägt sie aber auch die Bedeutung von „anō“ – oben, hinauf, aber auch wieder und je neu – was so verstanden werden kann, dass durch den waagrechten Rhythmus die senkrechte, auf- und absteigende Rhythmik der Analogie zwischen Über und In, Transzendenz und Immanenz, durchbricht (hervorbricht?)131. „Das ‚ana‘ des weltlichen ‚logos‘ ist eine polare Umschwungsbewegung nach einem von oben (‚anō‘) zugemessenen Rhythmus“132. Die senkrechte Analogie ist aber an die waagrechte gebunden, sie hat in ihr ihre Mitte. Der Rhythmus zwischen Gott und Welt pulsiert im innerweltlichen Rhythmus. Ohne diese waagrechte Analogie neigt die senkrechte zu einem „radikal Revolutionären“133, zu einer Dialektik zwischen Gott und Welt.

Das Letzte der Analogie ist also das Hinausschwingen des weltlichen Rhythmus in die Unendlichkeit Gottes. „Der aristotel.[ische] ‚Kreisumschwung des All‘ wird gleichsam über sich hinausgerissen“134 in das Geheimnis der unausforschlichen und unausspürbaren Wege Gottes, das aber auf das Gleichnis dieser Welt zurückweist. Über allem und in allem innerweltlichen Rhythmus waltet der Rhythmus des souveränen Gottes, „von dem erst alles ‚All-Rhythmus‘ ausgeht, in dem er schwingt u.[nd] in den er wieder eingeht“135. Anhand von soeben zitierten konzisen Lexikonartikeln Przywaras versuchen wir in den dort angegebenen fünf Schritten die wichtigsten Konsequenzen von Przywaras Auffassung der analogia entis hervorzuheben.

Das erste und absolut Entscheidende von Przywaras Analogie-Lehre ist also der dynamische Vorrang des Anders (in der aristotelischen Analogie) und der je immer größeren Unähnlichkeit (in der lateranensischen Analogie) vor jeder Gemeinsamkeit und Ähnlichkeit. Somit mündet die analogia entis in kein System oder eine fassbare Lösung. Schon in der kleinsten Gemeinsamkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf tut sich der Abgrund der Verschiedenheit auf. „Es bleibt nur eine ‚reductio in mysterium‘: Rückführung aller ‚noch so großen Ähnlichkeiten‘ in das ‚βάϑος‘, die unbegreifl.[iche] Über-Höhe u.[nd] Un-Tiefe der ‚je immer größeren Unähnlichkeit‘“136.

Zweitens besagt die analogia entis, dass im Bereich der Metaphysik die reductio in mysterium eine Rückführung jeder Ähnlichkeit zwischen den „Seins-Weisen des All“ in den dunklen und unbegreiflichen „In-Eins-Fall der Gegensätze“137 bedeutet. Da der Rhythmus der waagrechten Analogie zwischen den Gegensätzen immer schon durch den Rhythmus der senkrechten Analogie des „je über hinaus“ bedingt ist, verschließen sich die Gegensätze nie zu einer abgerundeten Gestalt und kommen nie zum Erliegen. Die kreatürlichen Gegensätze genügen und erklären sich nicht selbst. Jede geschaffene Gestalt wird kraft der Analogie aufgebrochen auf das über sie hinaufschwingende Geheimnisvolle, das sie aber zugleich im Dasein erhält. „Analogie als All-Rhythmus bedeutet das Zerbrechen alles endlichen Eigenseins und Eigenstandes, aller ‚Gestalt‘, zum frei faktischen Einschwingen in das kosmische Geheimnis des Gottes, der ‚tötet und lebendig macht‘“138.

Drittens hebt Przywara hervor, dass das IV. Laterankonzil, wenn er über die analogia entis spricht, sich nicht mit irgendeiner Form der natürlichen Beziehung zwischen Gott und Geschöpf befasst, die dann in eine übernatürliche Beziehung der volleren Einheit, in der das Gesetz der Ähnlichkeit Oberhand gewinnen würde, überhöht werden könnte. Analogia entis gilt keiner natürlichen Theologie, die im Gegensatz zur Offenbarungstheologie stehen könnte. Das Konzil formuliert seine Lehre gerade „Aug in Aug zur höchsten, übernatürlichen Einheit und für jegliche Einheit überhaupt. Denn es erklärt dieses Gesetz Aug in Aug zum Supranaturalismus des Joachim von Fiore, für den das Eins im pneumatischen C.[orpus] Chr.[isti] m.[ysticum] mit dem Eins der drei göttlichen Personen zueinander sich ununterschieden bindet“139. Das Konzil spricht über die Einheit der drei göttlichen Personen in sich und über die Einheit der Gläubigen mit und in der trinitarischen Einheit, und gerade dort betont er die Unähnlichkeit zwischen Gott und Geschöpf. Von da aus gilt diese je immer größere Unähnlichkeit für jedes mögliche, auch und gerade für das teologale, Verhältnis von Gott und Geschöpf und wird somit „zum ersten, letzten und allumfassenden Grundgesetz jeder möglichen Theologie. Theologie bedeutet im höchsten Sinn ‚reductio in mysterium‘: Rückführung alles theologisch Angebbaren ins unangebbare Mysterium“140. Jede ‚gefundene‘ theologische Aussage ist soweit eine gültige Aussage über Gott, insofern sie eine reductio in mysterium vollzieht. Przywara denkt die Analogie von der augustinischen Gotteserfahrung her: „Si comprehendis, non est Deus. Wenn Du ihn begreifst, in diesem Augenblick, ist es nicht Gott. Ihn begreifen wollen heißt Ihn leugnen. Das ist das schneidende Wort des vermeintlichen Theologen der Unmittelbarkeit, das wahre Wort Augustinus“141. Przywara will, dass sein Denken der Analogie verstanden wird als Ausdruck für „die ‚einfältige Weisheit‘ davon, daß ‚Gott jeweils größer ist‘, wirklich ‚simpel‘ ist, und eben darum, nach dem Evangelium, ‚geoffenbart zu den Kleinen und Unmündigen, und verhüllt vor den Klugen und Weisen‘“142. Przywara weiß aber auch: „Schon der große Möhler sagte einmal, daß es niemand so schwerfalle, wie den Theologen zuzugeben, daß alles zuletzt unbegreiflich ist“143.

Viertens betrifft die analogia entis nicht nur das Sein, sondern auch die „Erfassung des Seins“. Das menschliche Denken steht nicht über dem Sein, sondern gehört zu ihm und ist durch seine Endlichkeit geprägt. Deswegen entspricht der Analogie im Sein die Analogie im Denken. „Weder in Metaphysik noch in Theologie gibt es die Möglichkeit eines ‚direkten einlinigen‘ Erfassens, sondern einzig den Weg eines ‚analogen‘ Erfassens: durch alle ‚noch so großen Ähnlichkeiten‘ (der Bilder oder Gleichnisse oder Begriffe) hindurch in die ‚je immer größere Unähnlichkeit‘ (eines jeweiligen ‚Ganz Anders‘)“144. Jedes Sein, das real existente Dasein und das ideale Sosein, kann nur analog, als Geheimnis erkannt werden. Przywara stemmt sich gegen jede Abschwächung des Differenzmoments im Erkennen. Schon innerweltlich gilt, dass jedem Begreifen ein Zuwachs an nichtbegrifflichem Mysterium entspricht. Dieses geheimnisvolle „Anders“, dem der Mensch überall erkenntnishaft begegnet, ist jedoch kein direkter Hinweis oder gar Beweis Gottes, sondern hütet das geschöpfliche Denken vor Selbstgenügsamkeit und bewegt es zur Suche145. Das sehnsüchtig suchende cor inquietum erkennt Gott als den, der über allem Erfassen steht: „im selben Akt, in dem der Mensch im Gleichnis der Kreatur Gottes ‚inne‘ wird, wird er Seiner inne als desjenigen, der über allem Gleichnis steht. So ist die letzte Einheit des Kreatürlichen wesenhaft nicht ‚in‘ ihm, sondern ‚über‘ ihm“146.

Aus dem oben Gesagten folgt fünftens, dass die „Analogie letzter objektiver Rhythmus im Sein und letzter subjektiver Rhythmus im Denken“147 ist. Man kann aus diesem Rhythmus nichts ableiten, aber es kann auch jenseits dieses Rhythmus nichts gedacht werden. Analogia entis ist „durchgehende Struktur eines rein frei Faktischen“148. Das Letzte, dessen der Mensch innewerden kann, ist dieser Rhythmus. Der terminus ad quem der analogia entis ist kein fassbares Ergebnis oder ein edles Menschenbild, sondern das Geheimnis des Deus semper maior und der Nüchternheit der menschlichen Existenz149.

„Es gibt nur den je neuen Rhythmus, in dem die ‚noch so große Ähnlichkeit‘ […] radikal aufgebrochen wird in das radikal Übersteigende einer ‚je immer größeren Unähnlichkeit‘ des ‚Gott, der über allem ist, was gedacht werden kann‘, – aber so, daß auch und gerade diese ‚je immer größere Unähnlichkeit‘ nicht in ein alogisch logisches Prinzip eines absolut ‚ganz Anderen‘ hinein umgreifbar ist, sondern den erfahrenden und denkenden Menschen jeweils neu aus ‚schwindelnden Höhen‘ hinunter-weist in eine je neue Erfahrung ‚noch so großer Ähnlichkeiten‘ im (auch religiös und theologisch) ‚fruchtbaren Bathos der Erfahrung‘“150.

Es mag hiermit zur Genüge ausgeführt worden sein, dass Przywaras analogia entis nicht, wie klischeehaft oft angenommen, ein Prinzip natürlicher Theologie sein will, sondern sich mit allen Mitteln um die Hervorhebung des Differenzmomentes, der Distanz zwischen Gott und Geschöpf bemüht und darum auch alle Spannungseinheiten innerweltlicher Gegensätze weit aufreißt, damit der nach Gott rufende Abgrund menschlicher Erfahrung freigelegt wird. Wie Rahner schreibt, ist Przywara „der Lehrer der Unabschließbarkeit metaphysischen Denkens geworden, das er an die Grenze führt, wo es sich entscheiden muß, zu zerbrechen oder sich umzusetzen in das ‚Adoro te devote, latens deitas‘“151.

Wenn es eine ernste Anfrage an dieses Denken gibt, dann wird sie in die entgegengesetzte Richtung gehen: Ob sie die sich faktisch und souverän zeigende Nähe Gottes und das Positive der Einheit und Beziehung zwischen Gott und Mensch, sowie zwischen Mensch und Mensch nicht übergeht152? Laut B. Gertz hat der betagte Przywara im persönlichen Gespräch zugegeben, dass „in dem Denken der lateranensischen Analogie auch eine geradezu dämonische Versuchung“ lauert.

„Sie könnte vielleicht dadurch gekennzeichnet werden, daß der Mensch in Gefahr ist, auch gegenüber einer jeweils ausbrechenden Überraschung einer unbegreiflichen Nähe Gottes der im voraus Wissende sein zu wollen, nämlich einer, der schon zuvor und für immer um eine je größere Unähnlichkeit und Ferne Gottes zu wissen meint. Liegt nicht vielleicht auch ein dämonischer Trotz in dem doch aus Demut gesprochenen Wort Augustinus: ‚Du, magst Du auch sagen: Freund, ich doch bekenne: Knecht!‘?“153

1.2.4 Theologia crucis et tenebris

Das 1932 erschienene Werk Analogia entis I gilt als Przywaras Hauptwerk, in dem sein formales metaphysisches Denken seinen Höhepunkt erreicht. Diese Veröffentlichung markiert aber auch den schon erwähnten signifikanten Wendepunkt in Przywaras Gesamtwerk. Die Sorge um die Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Welt bleibt weiterhin bestimmend. Przywaras titanisches Ringen um die Ausarbeitung der Formel der analogia entis kann aber als eine Beweisführung der Unmöglichkeit verstanden werden, das christliche Verhältnis zwischen Gott und Welt in metaphysischer Sprache auszudrücken. Die religiös-mystische Dimension wird immer stärker. Vollzog sich Przywaras Thomasinterpretation und sein metaphysisches Denken von Anfang an unter dem Einfluss der Tradition der theologia negativa154, so wird diese nun dominierend und die offenbarungs- und geschichtstheologischen Themen lösen die religionsphilosophischen weitgehend ab. Przywaras an metaphysischen Termini gereifter Denkansatz verdichtet sich in zwei Symbolen: Kreuz und Nacht.

Schon um 1930 ist der Entschluss gefasst: Die Frage um das Verhältnis zwischen Gott und Welt muss als „Ruf ins Kreuz“155 vernommen werden. Nur auf diesem Weg kann die Mitte zwischen Gott in der Welt und Gott über der Welt gefunden werden. Wenn Przywara in seinem letzten großen Werk Mensch (1958) das Hauptanliegen der Analogie-Methode noch einmal zu verdeutlichen sucht, dann wird es graphisch dargestellt. Die beiden Analogien, die aristotelische waagrechte und die lateranensische senkrechte, durchscheiden sich und so „steht mithin das letzte Formale von ‚Analogie‘ gleichsam im ‚Koordinaten-Kreuz‘ dieser Rhythmus-Richtungen“156. Przywaras religionsphilosophisches Ringen um die Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Welt entwickelt somit dieselbe Dynamik, die für den Mutterboden seiner Religiosität, die ignatianischen Exerzitien, charakteristisch ist157. Polarität und analogia entis scheinen Instrumente zur Verortung des christlichen Mysteriums zu sein, ähnlich dem, was über Przywaras großen Exerzitienkommentar Deus semper maior gesagt wurde: „In ‚Fundament‘ und ‚Erste Woche‘ sind die Grundlagen des Welt- und Menschenbildes gezeichnet; sie sind aber nicht mehr als der Boden, in den das Kreuz Christi eingesenkt wird“158.

Die je größere Glorie Gottes, auf die Przywaras Denken der analogia entis zielt, kann immer vom Menschen als eine Steigerung irdischer Pracht und Stärke verstanden und auf Gott projiziert werden. So stellt Przywara unmissverständlich klar, dass die Größe Gottes die Größe einer Liebe ist, die dem Menschen gerade als Torheit und Schwachheit vorkommt. Die einzige Sichtbarkeit dieser Liebe ist der menschgewordene Gott, dessen irdische Existenz wesenhaft unter dem Schatten des Kreuzes sich vollzieht und dem Hochmut der sündigen Existenz entgegentritt159. Nur durch die Hingabe an die verborgene Gottheit wird der Mensch der unermesslichen Glorie der verborgenen Gottheit teilhaft160.

Das Mittel schlechthin ist dazu „das Mysterium des Kreuzes gegen alle ‚ismen‘“. In dieser Hinsicht schließt sich der Jesuit dem Anliegen Martin Luthers an. „Zurück zum Kreuz Luthers“ gilt für alle, da es von allen verlangt, die menschlich-erbsündigen Konstruktionen aufzugeben und sich in das Mysterium der erlösenden Liebe hinein zu geben, „von Protestanten aus ihren Idealismen heraus, von Katholiken aus ihren Gloriolismen heraus“161.

Wie M. Zechmeister schreibt:

„Nicht mehr das über sich hinausverweisende Gleichnis wird im Alterswerk Przywaras das letzte sein, sondern der klaffende Widerspruch. Indem Przywara das Scheitern eines wie immer errungenen denkerischen Ausgleichs durchleidet, reduziert sich sein theologischer Ansatz immer mehr in eine theologia crucis. Allein das Kreuz, als Zeichen des Widerspruchs, als das ‚mysterium absconditum sub contario‘ ist Zeichen der Einheit zwischen Gott und Welt“162.

Die Paradoxie des Kreuzes besteht in diesem Ineinsfall von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit Gottes163. Die ignatianische Umkehr der Perspektive, die in der ersten Woche der Exerzitien empfohlen wird, bedeutet für Przywara „das Setzen der Nacht“ (er spricht von „Nykto-Thetik“)164. Das Betrachten aller Dinge im Licht Jesu Christi besagt nicht eine einfache Zunahme an lichter Erkenntnis, sondern eine Begegnung mit dem dunklen Skandal der Mensch- und Kreuzeswerdung Gottes und bedingungsloser Dienst, liebende Hingabe in die Nacht der Welt und in die Nacht Gottes hinein165, im Geiste des hl. Ignatius und noch mehr der Nachtmystiker des Karmel166.

Der Mensch wird durch die Gegensätzlichkeit der Wirklichkeit in die letzte Nacht des Nichtverstehens und der Haltlosigkeit hineingestellt. Und erst in diesem „Stand in Nacht“167 erfährt er Gott als den unbegreiflichen Wirklichkeitsgrund. Die Nacht der Welt ist ein Medium der Offenbarung des Lichtes Gottes, das den Menschen blendet und ihm als Finsternis, als dunkle Nacht vorkommt. Das Gottgeheimnis der Welt muss „aufdunkel[n]“168. Gott und Mensch sind sich am nächsten in der letzten Nacht, da der Mensch sich in ihr dem unbegreiflichen Gott gänzlich hingeben kann. So ist diese Nacht „ein wahres, aber dann unerhörtes, geheimnisvoll unverstehbares Teilhaben an der ‚hell-lichten Finsternis‘, wie Dionysius den arkanen Namen Gottes nennt“169.

In seiner kleinen Schrift Summula, die auf Przywaras theologische Vorträge während der letzten Kriegsjahre zurückgeht, zeichnet er seine Methode als einen Prozess. Der Weg der Gotteserkenntnis führt von einer theologia directa positiva, die eine theologia lucis der geradlinigen Erfassung Gottes in Bild und Gleichnis ist, zu – da sich die Bilder und Gleichnisse doch widersprechen – einer theologia indirecta dialectica, die eine theologia tenebrarum ist. Als eine theologia negativa sagt sie, was Gott nicht ist. Aber ausgerechnet als solche ist sie zugleich eine theologia excessus, eine Theologie des göttlichen Überschwangs über allem, was über Gott gedacht oder erfahren werden kann. Jede geradlinige Erfahrung oder Erahnung Gottes muss durch das Widersprüchliche in die Nacht hinein, um in der Nacht Gott als den je immer größeren Gott zu erfahren.

„Gott ist dieses Supra, dieses je neu, je größere, je unfaßlichere Über schlechthin. Als dieses Über überkommt und überfällt und überschattet Er jeweils neu und neuer, groß und größer, unendlich und unendlicher, unfaßlich und unfaßlicher, unsäglich und unsäglicher, – überkommt und überfällt und überschattet Er Seinen Menschen im Wirbel der Widersprüche, in der Finsternis und Leere des Nichts, – überkommt, überfällt und überschattet Er ihn mitten hinein in den Überschwang Seines Über: ihn zu überschwenden in den Überschwang Seiner hochzeitlichen Liebe“170.

„Denn Tod und Auferstehung sind eins“171, schreibt Przywara. Theologia tenebrarum ist mit der theologia excessus unauflöslich verbunden, aber so, dass sie den letzten, für den Menschen unüberbrückbaren Abgrund aufdeckt, der sich zwischen ihm und dem Gott des Lichtes und des Lebens erstreckt.

Es ist eine bisweilen exzessiv negativierende Denkfigur. In seinem Kampf gegen jede Form der Identität, gegen die evacuatio crucis und für das Paradoxe des Kreuzes als Unterscheidungskriterium jeder Aussage über Gott und Welt, zerstört Przywaras Denken alles Geformte172, als ob er sich todesmutig in alle Grausamkeiten der Welt hineinwagen oder Gott herausfordernd von der Tempelzinne hinabstürzen wollte. „Je ungeschminkter die Grenzen menschlicher Sterblichkeit beschrieben, je ernster die Ausweglosigkeit der Situation betrachtet wird, desto tiefer vermag sich die Gegenwart Gottes zu offenbaren“173.

1.2.5 Denken zwischen Dialog und „ungerechter Klassifikatorik“

Schon beim ersten Blick auf Przywaras Schrifttum sticht heraus, dass sein Denken sich grundsätzlich in Begegnung und Auseinandersetzung mit anderen, historischen oder zeitgenössischen Gesprächspartnern ereignet. Die Palette von historischen oder zeitgenössischen Theologen, Philosophen, Vertretern des kulturellen und politischen Lebens, mit denen Przywara dialogisiert, streitet und sie in Zusammenhang mit unzähligen anderen in Verbindung bringt, oft quer durch alle Epochen und Denkschulen hindurch, ist außerordentlich breit, wenn auch zuletzt eklektisch. So urteilt Rahner, dass „das Eigenartige, fast Einmalige des Werkes Przywara“ gerade darin besteht, „daß er – ‚katholisch‘ ist im wirklichen, lebenslangen Dialog mit der Vergangenheit und Gegenwart, mit der ganzen abendländischen Geistesgeschichte von Heraklit bis Nietzsche: er öffnet sich allen und kann so allen geben“174.

Wie Przywara selbst sagte, ging seine Arbeit durch „Beziehungen zu Lebenden“175. Zu seinem Phänomen gehört, dass er vor allem in der Zwischenkriegszeit als katholischer Theologe „der unheimlich hellsichtige Gesprächspartner fast aller bedeutsamen Theologen und Philosophen seiner Zeit“176 war, sei es durch seine Rezensionen und Besprechungen, sei es durch seine unermüdliche Vortragstätigkeit, die ihren Höhepunkt in den Jahren 1928 und 1929 erreichte, als Przywara an den Davoser Hochschulkursen mitwirkte, die solche Protagonisten der damaligen Zeit wie Albert Einstein, Franz Oppenheimer, Ernst Cassirer, Léon Brunschvicg, Nicolai Hartmann, Lucien Lévy-Bruhl, Wilhelm Pinder, Martin Heidegger, Paul Tillich und andere zusammenführten177. Als bahnbrechend muss die interkonfessionelle Debatte zwischen Przywara und Barth bezeichnet werden. Auch wenn sich diese Diskussion unglücklicherweise in den Missverständnissen um den Terminus analogia entis verrann, so bezeichnete Josef Pieper Przywara als einen „der Wiederentdecker des kontroverstheologischen Gesprächs in Deutschland“178.

Dieser Anstrengung, im Geist der Polarität und Analogie alle möglichen Elemente der sich vor ihm erstreckenden Geisteslandschaft zu begreifen, zu analysieren und zu verorten, um ins Gespräch mit der Welt zu treten, wird man etwas Titanisches beimessen müssen179. Przywara zieht in diesen lebhaften Diskurs, um inmitten der vielen Stimmen die Frage nach dem Verhältnis zwischen Gott und Welt, nach dem Einen und Ganzen zu stellen. Dazu begibt er sich an die „Komplikationsstellen der Wirklichkeit“180 und dialogisiert mit der Gegenwart, „wo sie nicht nur an sich interessant ist, sondern die Forschenden plagt und wo die Schmerzen der kreißenden Zeit eine möglich glückhafte Geburt erhoffen lassen“181.

Zwei Titel seiner Aufsatzsammlungen bringen zum Ausdruck, wie Przywara seine Sendung verstand. Die Aufsätze aus den Jahren 1922–1927 werden unter dem Titel Ringen der Gegenwart herausgegeben, da er in das Ringen innerhalb des Katholizismus und des Geisteslebens im Allgemeinen „in weitem Umfang hineingezogen“182 wurde. Noch deutlicher kommt es zum Tragen in der Überschrift der Sammlung seiner nach dem II. Weltkrieg verfassten Artikel In und gegen. Das „besondere Zwielicht des Heute einer Katastrophe, die noch nicht ausgetragen ist, und einer neuen, die dräut, zwang den Verfasser zu einer besonderen Betonung von Scheidung und Unterscheidung“. So will er ganz „liebevoll“ in den jeweils anderen Standpunkt „einsteigen“ und in ihm „untergehen“, um dann die letzte Scheidung und Unterscheidung zu vollziehen. „Aber das Tantum-quantum, das Soweit-Als der Scheidung und Unterscheidung ist für ihn das ‚In‘ des ‚Einsteigens“183. Przywara ist kein kühler Observator. Die absolute Voraussetzung seines Urteilens und Scheidens ist sein Mit-, ja Untergehen in dem, was die Zeit bewegt184.

An dieser Stelle ist es aber unabdingbar, nach der Methode zu fragen, die Przywara überhaupt ermöglichte, das Übermaß an Literatur und in den Gesprächen und Debatten steckenden Ansätzen zu bewältigen und sich schöpferisch anzueignen. Der wichtigste methodologische Ansatz, sich mit dem Werk eines Autors auseinanderzusetzen, bestand in der von Przywara in den ersten Jahren seiner Tätigkeit herausgearbeiteten Methode einer „immanenten Synthese“. Przywara pflegte die entscheidenden Stellen aus allen Werken, „die sogenannten ‚Kernstellen‘, je auf einem Zettel herauszuschreiben“, um dann unter diesen „letzten Aspekten“ den „immanenten Bezug zueinander“ aufzuzeigen185. Es geht ihm also um keine Anthologie, sondern darum, das dem ganzen Werk innewohnende System herauszustellen, ein „nicht rational statisches System, sondern System einer immanent schwingenden Rhythmik“186. Przywaras Lektüre gleicht einem Abhorchen, ob und wie sich bei den vielen Autoren unter den zeitgebundenen Begriffen und Themen die eine Frage nach Gott und Welt kund tut. „Es kommt darauf an, in der geschichtlich bedingten Sicht und Sprache des einen Denkers das Denken des anderen wiederzufinden, wie es z.B. aus dem F-Dur-Schlüssel seiner geschichtlichen Bedingtheit in den as-Moll-Schlüssel der geschichtlichen Bedingtheit des anderen über-tragen ist“187. Hinter diesem methodologischen Vorgehen steht der Ratschlag von Przywaras erstem Philosophie-Lehrer Josef Fröbes SJ, „in reiner Sachlichkeit (ohne pastorale oder apologetische Neben-Absichten) jeden Autor (sei er noch so anti-christlich oder antireligiös) ‚besser verstehen zu wollen, als er selbst sich versteht‘, […] um dann erst die Auseinandersetzung mit ihm zu beginnen“188.

Je größer die Bewunderung für das Kreative der hier beschriebenen Methode Przywaras wird, desto stärker treten auch die mit ihr verbundenen Risiken und Mängel in Erscheinung. Wie Przywara selbst beteuert, muss in der Situation der Auflösung des Bisherigen sich die Tradition als schöpferische Macht bewähren. Ausgerechnet an den Katholizismus ergeht kein „Gerufensein, seine Schätze wie in einem Museum auszustellen. Es ist das eigentliche Gerufensein: im Tode Leben zu wirken“189. Er sucht in den Texten intuitiv nach den entscheidenden Einsichten, in denen das Gültige durchbricht190. Das Katholische muss „Aug in Aug“ mit den Bedrohungen gedacht werden, wie sich Przywara oft auszudrücken pflegt191. So handelt es sich bei seiner Beschäftigung mit den Texten nicht um eine Exegese, sondern vielmehr eine „schöpferische Aneignung“192 des jeweiligen Denkansatzes, der selbstständig oder sogar eigenwillig weitergedacht wird. Den Vorwurf, der historisch-kritischen Redlichkeit nicht gerecht zu sein, kann man allerdings nicht von der Hand weisen. Umso mehr, da Przywara seine Interpretationen nicht selten als die einzig objektiven darstellt.

Der formale, konstruktive Denkimpetus Przywaras verbindet sich oft mit leidenschaftlicher Suche nach den Polaritäten und Gegensätzen zwischen den Autoren, was dazu führt, dass seine Werke an gewaltige Konstruktionen erinnern, in denen die einzigen Autoren als Repräsentanten bestimmter Ideen in dialektische Paare getrieben werden, um die Spannung oder die Dialektik zwischen ihnen aufzuzeigen. „Er denkt weniger mit ‚Begriffen‘ als mit ‚Systemen‘ und geistigen Ganzheiten, die bei ihm den Platz des Einzelbegriffs einnehmen“193. Darin liegt auch die Versuchung einer gewaltsamen Schematisierung, bei der sich die einzelnen Inhalte, aber auch die konkreten Autoren, in rein formale Gegenpole auflösen. Im Zuge der Beschäftigung mit der Überfülle von Autoren wird Przywara seinem Gegenüber nicht immer gerecht. Durch seinen erbitterten Kampf gegen jede Form von Identität und geradlinigem Denken stilisiert Przywara, nicht selten durch maßlos übertriebene Formulierungen, jede Position auf eine Form von Identität194. Da, wo diese Denkform übergewichtig wird, findet kein echtes Gespräch, keine Begegnung mit einem geschichtlich realen und nicht nur formal oder mystisch stilisierten Anderen statt.

Vielleicht werden Przywaras Anspruch und seine Grenzen nirgendwo so deutlich, wie in Przywaras spätem Werk Humanitas. Auf gut über 800 Seiten wird in diesem verblüffenden Werk eine Überfülle von Autoren, Gedanken, Symbolen und Geschichten in ihren Gegensätzen gesichtet und zueinander geführt, um so das Bild der Zeit zu zeichnen. In seiner Rezension schreibt der jüdische Philosophieprofessor Fritz Kaufmann, dass Przywara neben genialen auch dilettantische, unverantwortliche und schlichtweg falsche Interpretationen liefert: „Große, aber auch gespenstische und verzerrte Visionen tauchen aus dieser Nacht und diesem Lodern der Seele auf“, die man „halb schmerzlich, halb belustigt begreift“195. Darüber hinaus ist dieses Werk kein wahres Ganzes und keine echte Spannungseinheit, da die vielen Standpunkte nur durch gewaltige Titel zu einer künstlichen Einheit zusammengeklammert werden. „Es ist vielleicht aber auch so, daß diese verwirrende Vielheit ein tiefsinniger Reportagetrick ist, den Grundcharakter der Zeit – ihren Mangel an Einheit – bloßzustellen“196. Es sei ein chaotisches und zerrissenes Bild der Zeit in einem qualvollen und doch missglückten Werk, dessen Bedeutung sich als Ausdruck von Przywaras Theologie des Kreuzes und als Aufschrei der zerrissenen Welt enthülle.

Schließen wir uns dem Urteil Rahners an, um die Stärken, aber auch die Grenzen und Gefahren von Przywaras Denken im Gespräch konzise darzustellen.

„Przywara mag manchmal selbst der erschreckenden und unheimlichen Kunst seiner ‚universalen Klassifikatorik‘ (Balthasar) erliegen und ungerecht gegen die werden, deren wirkliche oder bloß vermeintliche Systematik er zu Paaren treibt in den Abgrund des Geheimnisses Gottes hinein, er mag in Versuchung sein, die Destruktion aller Systeme selbst wiederum zum System zu erheben. Aber weil seine Radikalität eben doch die der Liebe sein will, die die Torheit des Kreuzes und die Schande der wehrlosen Liebe annimmt, darum – kann er in seiner Radikalität doch auch der Lehrer einer kommenden Zeit sein, mag sie äußerlich bürgerlich bleiben und so erst recht gewarnt werden müssen, mag sie in Abgründe stürzen, die ihr als Abgründe Gottes verkündigt werden müssen, in denen die Unbegreiflichkeit des Erbarmens wohnt“197.

1.2.6 Exkurs: Perplexität

Im oben Geschriebenen ist schon mehrmals angeklungen, das Przywara ein schwer einzuordnendes Phänomen war, ein Mann sui generis, eine eigenwillige Person und ein extremen Schwankungen seiner psychischen Kondition ausgesetztes Genie. So lohnt es sich, einen Blick auf die persönlichen und plastisch beschriebenen Eindrücke seiner wichtigsten theologischen Gesprächspartner der 20er Jahre, Karl Barth und Eduard Thurneysen, zu werfen, die etwas von der Atmosphäre einer Begegnung mit Przywara wiedergeben.

Am 30. September 1923 schreibt Thurneysen an Barth, um ihn auf Przywaras Schrifttum aufmerksam zu machen:

„Verschaff dir doch Heft 11 der ‚Stimmen der Zeit‘, August 1923, Herder Freiburg. Dort ist ein merkwürdig scharfsinniger und ausführlicher Aufsatz über uns von Seiten des katholischen Partners. Er ist interessant, weil er den katholischen Standpunkt sehr deutlich sichtbar macht. Es fallen dabei wesentliche und eingehende Bemerkungen zu Augustin. Es ist ein Kenner, der da redet. Wir kommen gut weg, wenn auch unser eigentliches Anliegen nicht gesehen ist“198.

Etwa fünf Jahre später, im Februar 1929 in Münster, kam es zu einer persönlichen Begegnung und Debatte zwischen Barth und Przywara199. Wenige Tage nach dem „zweistündigen Vortrag […] über die Kirche, der kunsthandwerklich betrachtet, einfach ein Leckerbissen, ein Meisterstück war“, an den sich ein Seminar anschloss, in dem Przywara „nochmals zwei Stunden brilliert [hat] in Beantwortung unserer [der Studenten] sorgfältig vorbereiteten Fragen“, sowie zwei Abende persönlicher Auseinandersetzung, schreibt Barth an Thurneysen, Przywara habe ihn

„‚überströmt‘, wie nach seiner Lehre der Liebe Gott, wenigstens innerhalb der katholischen Kirche, die Menschen nur so überströmt mit Gnade, sodaß die Formel ‚Gott in-über Mensch von Gott her‘ das Stenogramm seiner Existenz und zugleich die Auflösung aller protestantischen und modernistischen, transzendentischen und immanentistischen Dummheiten und Verkrampfungen im Frieden der analogia entis bedeutet“200.

Die darauffolgende Schilderung seiner persönlichen Eindrücke nach der Begegnung ist – abgesehen von seiner feinen Ironie – ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument über den Ton und die Art von Przywaras Disputen, aus denen seine Schriften hervorgegangen sind. Diese Zeilen seien hier, bis auf wenige Nebenbemerkungen, unverkürzt wiedergegeben:

„Du mußt dir ein kleines Männlein mit einem großen Kopf vorstellen […] – ein Männlein, das auf alles, aber auch alles, was man ihm sagt, alsbald eine immer irgendwie gescheite und die Sache in irgendeine Weise treffende Antwort wohldisponiert vorzutragen weiß, dem man zusieht wie einem Eichhorn, das sich von Wipfel zu Wipfel schwingt, immer das Tridentinum, das Vaticanum hinter sich, Augustinus auswendig und inwendig, Thomas, Duns Scotus, Molina usw., immer die Kirche, die Kirche, die Kirche, aber eben wirklich die um den festen Pol des immer manifester werdenden Dogmas herum höchst lebendig und mannigfaltig sich bewegende Kirche, deren sichtbare Einheit er selbst zu bilden scheint […] dazu nun historisch, philosophisch, psychologisch einfach ‚durch‘, aber auch in der Bibel notorisch zu Hause, ausgerechnet Paulus sein bevorzugter Apostel, endlich aber auch seiner eigenen Fragwürdigkeit wohl bewußt (‚Jesuit kann man nur auf der Todeslinie sein‘!!!), sein letztes Diskussionsvotum im Seminar schließend mit dem schönen Credo: Wir Menschen sind alle Schlingel! (als Antwort auf unsere Frage, wie es etwa in Bezug auf ‚Gott in-über Mensch von Gott her‘ mit der Sünde stehen möchte) faktisch auch zu Konzessionen bereit, nicht in bezug auf Dogma natürlich, aber in bezug auf seine Formulierungen, deren ihm immer neue und immer noch schönere zu entströmen scheinen. […] Zwischen allem aber auch wieder Augenblicke einfacher, tiefer Meditation über die wunderbaren Wege Gottes, die sich in dem allen offenbarten, Augenblicke, wo man einfach einen lieben frommen Mann oder etwa einen Boller meint reden zu hören. Sein Lieblingswort ausgerechnet das von [Hermann] Kutter so geschätzte von der spielenden Weisheit Sprüche 8. Und dann wieder zu jeglichem guten Tun, auch zu einem Trunk Bier sehr wohl zu haben und unsere Kinder, die auf den leibhaftigen Jesuiten von der Schule her sehr gespannt waren, durch seine Freundlichkeit entzückend. Ja, Eduard, was war das wohl? Und was ist es eigentlich mit dem Katholizismus, der allen unseren Reformationsfeiern zum Trotz so alert auf dem Plane ist? Wars ein Engel des Antichrist oder ein auserwähltes Rüstzeug des Herrn? Der Großinquisitor oder wirklich ein Jünger des ‚Völkerapostels‘? Oder beides zugleich oder keines von beiden, sondern schließlich auch nur wieder ein Exemplar von der unerschöpflichen unausrottbaren Spezies Mensch, das nun eben auf diese Weise aus dem letzten Loch pfeift? Nicht wahr: ‚da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich‘, und ich empfinde es irgendwie als sehr gesund, über ein Staunen voll Abscheu und Bewunderung vorläufig gar nicht weit hinaus gekommen zu sein. Es gibt sichtlich auch diese Möglichkeit: Leute, die unsereins auch unter Berufung auf Gott (mit allem kutterischen Nachdruck!), auch im Namen der Kirche, auch mit der Bibel unter dem Arm, auch (und sehr viel besser) wissend um Tod und Teufel, Zeit und Ewigkeit, auch im Blick auf den wirklichen Menschen von heute … nicht mehr wie vor 400 Jahren verbrennen, aber einfach aus einer letzten Höhe herunter auslachen. Ists raffinierteste Welt, die da lacht, oder ist doch auch etwas darin von dem Lachen dessen, der im Himmel wohnet [vgl. Ps 2,4]?“201

Dieser Perplexität muss eine Przywara-Arbeit Rechnung tragen.

1.3 Das christlich-jüdische Verhältnis in Przywaras Welt und Denken

Przywaras Welt der Brüche und Gegensätze und sein denkerisches Ringen ist der Raum seiner Begegnung mit Juden und mit dem Judentum. Diese ausgiebige Darstellung seiner existenziellen Verortung und seiner Denkfiguren ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass das „Phänomen“ Przywara in all seinen Schattierungen wenig bekannt ist. Viel wichtiger ist, dass das christlich-jüdische Verhältnis bei Przywara weit mehr als einen abgesonderten Topos darstellt, den man anhand punktueller Begegnungen und Äußerungen analysieren kann. Es muss als eine Dimension seines ganzen Werkes betrachtet werden, sowie es eine Dimension seiner Welt war und als solche in sein Denken eingegangen ist.

Die jüdischen Mitbürger gehörten von Anfang an zu Przywaras Umfeld, auch wenn die verschiedenen religiösen oder ethnischen Milieus eher neben- als miteinander lebten. Über seine Heimatstadt schreibt Przywara, dass sie überwiegend katholisch war, „aber so, daß seine evangelischen Einwohner als die Kulturschicht galten und die jüdischen Einwohner als die Handelsschicht“202. In dieser Bemerkung spiegelt sich der imposante soziale Aufstieg der deutschen Juden im „langen“ 19. Jahrhundert wider. Wohnte die jüdische Bevölkerung der deutschen Staaten im 18. Jahrhundert noch in überwiegend verarmten Verhältnissen in kleinen Ortschaften, so war sie schon um 1850 zum großen Teil urbanisiert und befand sich im sehr effektiven ökonomischen Aufschwung. Die Gleichstellung und Erlangung aller bürgerlichen Rechte, die in Österreich-Ungarn 1867 und in Preußen und in den meisten deutschen Staaten 1869 erfolgte, schuf eine für die damaligen europäischen Verhältnisse sehr gute und verlässliche Rechtslage, was eine sehr schnell fortschreitende Assimilierung der jüdischen Bevölkerung zur Folge hatte. Als Profiteure der Aufklärungsideale wurden die deutschen Juden zur treibenden Kraft der Moderne, Industrialisierung und kapitalistischen Wirtschaft und trugen zur liberalen Atmosphäre der Großstädte bei203. Wie weitgeschritten die deutsch-jüdische Symbiose war, zeigte sich angesichts des I. Weltkrieges, als die überwältigende Mehrheit der deutschen Juden einen für sie selbstverständlichen deutschen Patriotismus und eine Opferbereitschaft an den Tag legte, sowie in den zahlreichen ethnischen Konflikten in Mitteleuropa die deutsche Partei ergriff204.

Dieses weitgehend harmonische deutsch-jüdische Miteinander trübte sich jedoch nach der für die meisten Deutschen völlig unerwarteten Niederlage im I. Weltkrieg zunehmend. Die antisemitischen Töne, die nie verstummt sind, wurden immer rauer und lauter, um 1933 zur Staatsräson zu werden. Dabei handelte sich um eine neue Art des Antijudaismus, der nicht mehr theologisch, sondern nationalistisch und rassistisch begründet war. Das Judentum wurde als Bedrohung für das Germanentum beschimpft. Glaubten sich die meisten Juden als integraler und mitkonstitutiver Teil der deutschen Gesellschaft und des Geisteslebens, ja als Deutsche, so mussten sie erleben, dass ihnen im veränderten Klima zuerst das Deutschsein, dann aber auch das Menschsein abgesprochen wurde. Binnen nicht einmal zweier Jahrzehnte beschritten die deutschen Juden den kollektiven Weg von einer Ernüchterung angesichts der gescheiterten Assimilation über den Verlust der bürgerlichen Rechte bis zur physischen Vernichtung. „Ich staune, daß Sie in dieser Luft atmen können“205, schreibt 1949 Gershom Scholem an Hans-Joachim Schoeps, einen der wenigen jüdischen Intellektuellen, die sich entschlossen haben, unmittelbar nach dem Ende des II. Weltkrieges nach Deutschland zurückzukehren. Dieser Raum der spezifischen Begegnung zwischen Juden und Christen sowie Juden und Deutschen ist sprichwörtlich untergegangen.

Die Debatte über die Gründe, Hintergründe und Abgründe dieser Entwicklung ist ufer- und bodenlos. Die wenigen Sätze, in denen ich die wichtigsten Etappen skizziert habe, sind nicht als Vereinfachung, sondern als Hinweis auf die dramatischen und vielfach verwobenen Bedingungen gedacht, unter denen Przywara dem Judentum begegnete. Nirgendwo wird deutlicher, dass es eine Welt der Brüche und Gegensätze gewesen ist.

In diese Periode fällt aber auch eine intensive Identitätssuche innerhalb des Judentums selber. Przywara begegnete nicht einem einheitlichen Judentum, sondern den Vertretern seiner Strömungen. In einem späten Aufsatz zeichnet Przywara die vielen Facetten des zeitgenössischen Judentums, mit dem er zeit seines Lebens in Berührung kam206. Es sind zuerst die famosen jüdischen Religionsphilosophen Herman Cohen, Martin Buber, Franz Rosenzweig und Leo Baeck, deren Werke er las und mit deren Thesen er diskutierte. Vor allem Leo Baeck war Przywara auch freundschaftlich verbunden, wovon ihre respektvollen und warmherzigen Briefe zeugen207. Kontrapunktisch zu der Strömung eines tendenziell liberalen und humanistischen Judentums erwähnt er aber seine Begegnung mit Hans-Joachim Schoeps, der den Plan ersann, „gegenüber dem liberalen westlichen Judentum, wie Moses Mendelssohn es begründet hatte, ein objektiv heroisches Judentum zu stellen“208. Er hegte sogar den „noch kühneren Gedanken“, „das ‚Heroische‘, wie der Nazismus es als seine ‚innere Religion‘ propagierte, in einem neuen Judentum als echt Heroisches zu erwecken“209. Unmittelbar nach dem II. Weltkrieg machte er sich zum schillernden Anwalt des Monarchismus, der Preußischen Tradition und der jüdisch-preußischen Symbiose.

Dem gegenüber erwähnt er aber seine jahrelange Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit Edith Stein, die einer bereits weitgehend säkularisierten Familie entstammte210 und dann ganz bewusst ihren Weg in die Katholische Kirche fand. Edith Stein steht in diesem Zusammenhang zuerst für die vielen säkularen Juden sowie auch für diejenigen, die, sei es aus tiefer Überzeugung, sei es um der vollkommenen Assimilierung willen, christlich wurden. Aber auch sie wird in das Gegensatzgefüge mit Simone Weil eingespannt. Ihre Schriften, mit denen er wenige Jahre nach dem Ende des II. Weltkrieges in Berührung kam, wertet Przywara als eine genuin jüdische, prophetische Stimme in der Nachkriegszeit. Allerdings entstammte Simone Weil einerseits einer säkularisierten jüdischen Familie, andererseits distanzierte sie sich, nicht zuletzt durch scharfe antisemitische Äußerungen, von allem Jüdischen211.

An dieser Stelle geht es nicht um eine historische Rekonstruktion von Przywaras Kontakten mit den besagten Personen und Werken, die, soweit relevant, im Laufe der Arbeit themenbezogen berücksichtigt werden. Vielmehr möchte ich hier für den Aspekt von Przywaras Wahrnehmung des Judentums sensibilisieren. So muss z.B. am Anfang dieser Arbeit eine der entscheidenden Fragen lauten: Inwieweit kann der intensive Kontakt zu Edith Stein als Begegnung mit dem Judentum gelten?212 Diese Problematik verdeutlicht sich an Przywaras Aufsatzsammlung Ringen der Gegenwart aus den 20er Jahren, in der Przywaras Auseinandersetzung mit jüdischer Religiosität und Denken Judentum und Christentum zu finden ist. Die Positionen der schon erwähnten Denker werden dort als für das ganze Judentum repräsentativ besprochen. Ganz unabhängig davon bedankt sich Przywara im Vorwort besonders bei zwei Personen, die ihm „durch mancherlei Anregungen und Aussetzungen zur Gestalt dieser Sammlung mitgeholfen haben“213, Edmund Husserl und Edith Stein. Beide sind jüdischer Abstammung. Man hat aber nicht den Eindruck, Przywara sah sie damals im Kontext seiner Beschäftigung mit dem Judentum. Um noch ein Beispiel heranzuziehen: Przywaras Denken in Zeiten der „katholischen Wende“ und darüber hinaus vollzieht sich unter dem Einfluss der Phänomenologie, deren Vertreter und deren Positionen zitiert, positiv oder ablehnend besprochen werden. Erst in den 50er Jahren spricht Przywara im Hinblick auf drei Philosophen jüdischer Abstammung und christlichen Bekenntnisses – Georg Simmel, Edmund Husserl und Max Scheler – über die „drei großen vergessenen Juden“214 und interpretiert ihr phänomenologisches Denken vor diesem Hintergrund. Im Hinblick auf all diese Personen fällt auf, dass ihr Jüdischsein von Przywara erst spät thematisiert und als einer der symbolischen Momente der Begegnung mit dem „Mysterium Israel“ gedeutet wird, in denen das „wesentlich Sachliche, das durch sie hindurch-tönt“, der „jüdische […] Geist“215, zugänglich wird.

Das Wichtigste dazu kann man folgendermaßen formulieren: In Przywaras Welt sind Juden und Mitbürger jüdischer Abstammung bedeutsam, insofern es verschiedene Strömungen innerhalb des Judentums, säkulare Juden und solche, die einer christlichen Konfession beigetreten sind, gibt. Aber es gibt auch das Jüdische schlechthin, dem Przywara in zahlreichen Vorstellungen, Theorien oder Vorurteilen, die alle den Juden an sich oder das Jüdische auf den letzten Punkt bringen und im Ganzen der Wirklichkeit verorten wollen, begegnet. Das Spektrum reicht hier von biblischen, patristischen und weiteren theologischen und kirchlichen Äußerungen der Ära vor Nostra Aetate, über die Meinung der Aufklärung, die die gesellschaftliche Gleichstellung der Juden förderte und gleichzeitig für die jüdische Religiosität nichts übrig hatte, bis zu politischen Kampfparolen und vulgären, rassistischen Beschimpfungen216. Nichts scheint an Przywara spurlos vorbeigegangen zu sein. In seinem Bemühen, das Mysterium Israel zu deuten, ist er ein Kind seiner Zeit und bleibt in ihr einerseits bedenklich verhaftet, um andererseits ganz neue Denkhorizonte zu erahnen und aufzuzeigen.

Stellt man sich aber die Frage nach dem spezifischen Blickwinkel, aus dem Przywara seine Welt und darin die Juden und das Jüdische betrachtete, so müssen wir noch einmal auf seine Äußerung über die Kindheit und Jugend in Kattowitz zurückkommen. Przywara wuchs in einem „urkatholische[m] Elternhaus“ auf, aber „in der freidenkerisch-liberalen Umwelt des damaligen Kattowitz von Handel und Industrie“. „Interkonfessioneller Kindergarten, Simultan-Mittelschule und das freimaurerisch-jüdische Gymnasium waren die Stätten“, an denen sein Katholizismus „sich früh seiner selbst bewußt ward“217. Zweifelsohne kam Przywara mit bestimmten Aspekten des spezifisch katholischen Antijudaismus und der katholischen Wahrnehmungsweise des jüdischen Einflusses auf die Gesellschaft in Berührung, die mit der generellen katholischen Haltung zu Fragen des politischen und kulturellen Lebens zusammenhingen. Hier und da sahen sich die Katholiken im Kulturkampf einem gemeinsamen Angriff des liberalen Protestantismus und Judentums ausgeliefert, was sich z.B. in einigen anti-jüdischen Stimmen in den katholischen Zeitschriften niederschlug218. Gelegentlich wurde auch die Benachteiligung der Katholiken im Kulturkampf mit der früheren Verfolgung der Juden verglichen219. Unmittelbare Begegnungen zwischen Juden und Katholiken waren rar. Im Rückblick auf die braunen Jahre schrieb der mit Przywara befreundete Reinhold Schneider: „Am Tage des Synagogensturmes hätte die Kirche schwesterlich neben der Synagoge erscheinen müssen. Es ist entscheidend, daß das nicht geschah“220.

Um die Welt zu verstehen, in der der katholische Theologe und Religionsphilosoph Erich Przywara auf das Judentum und darüber hinaus auf das Mysterium Israels blickt, möchte ich die bewusst kontrovers formulierte These des jüdischen Religionsphilosophen Jacob Taubes zitieren. Es scheint mir umso angebrachter, als Taubes einer der wenigen, dazu noch jüdischen, Intellektuellen war, die für Przywaras Alterswerk Interesse zeigten, wofür seine Briefe zeugen, auf die ich in Przywaras Nachlass stieß. Diese Korrespondenz erfährt eine rätselhafte Wende. Der erste Brief Taubes‘ ist vom Interesse an Przywaras Werk, aber auch von spürbarem Schmerz geprägt. Przywara rede, so Taubes, über alle möglichen Erscheinungsformen des Dämonischen in der Welt, verschweige aber das Schicksal der Juden und die Verantwortung der Deutschen in diesen Jahren221. Przywaras Antwort auf diesen Brief ist ausweichend: „Natürlich werden Sie von Ihrem Standpunkt vieles nicht unterschreiben. Denn mir kam es darauf an, Faschismen und Bolschewismen ernst zu nehmen, trotz aller Bekämpfung“222. An dieser Stelle bricht die Korrespondenz ab. Ob einige Briefe verlorengegangen sind, oder ob eine persönliche Aussprache stattgefunden hat, konnte ich nicht ausfindig machen. Auf jeden Fall mutet der Brief, den Taubes einige Jahre später an den betagten Przywara schrieb, fast lobeshymnisch an. Es sei immens wichtig, dass Przywara sein Werk fortsetze223.

Soweit ich es sehen kann, findet der Name Przywara keinen Platz in Taubes‘ Schriften. Nun aber zu seiner These, die indirekt auf Przywara angewandt werden kann. In seinen letzten Vorträgen warnt Taubes vor den simplifizierenden Interpretationen des deutschen Geisteslebens im Kontext der Verwicklung in den Nationalsozialismus. Explizit fragt er, warum einige geniale Denker katholischer Provenienz, er bezieht sich vor allem auf Heidegger und Schmitt, der Faszination des Nazismus erlagen. Im Zuge der Antwort sagt er:

„Die deutsche Kultur der Weimarer Republik und der Wilhelminischen Zeit war protestantisch und ein wenig jüdisch gefärbt. Das ist ein factum brutum. Die Universitäten waren protestantisch. Ich mein‘, es gab katholische Reservate, da irgendwo in München so eine Gegenuniversität, und dann – was weiß ich: Bonn und so weiter, aber das zählte doch nicht, schon gar nicht in Exegese. Catholica non sunt legenda224.

Über die Intellektuellen katholischer Provenienz äußert sich Taubes:

„Sie sind auf dem Parkett der deutschen Universität nicht sicher und erobern sich einen Platz in einem Gestus der Zerstörung und Vernichtung des Vorangehenden, nämlich des protestantisch-jüdischen liberalen Konsensus […]. Das sind Menschen, die von einem Ressentiment geleitet sind, das ist das erste, die aber auch mit dem Genie des Ressentiments die Quellen neu lesen. […] Und da kam etwas ganz Phantastisches raus, ob richtig oder falsch, jedenfalls […] anders“225.

Ich möchte hier keineswegs diese These, über die sich wohl streiten lässt, direkt auf Przywara anwenden. Sie scheint mir aber irgendetwas von der Ambivalenz seines Denkens widerzugeben, die sich ja auch daran zeigt, dass Przywara, der in seinen späten Jahren über den Monarchisten Schoeps in höchsten Tönen sprach, das Interesse von „dessen Antipode in nahezu jeder Hinsicht“ 226, des Anarchisten Taubes, erweckte.

In Przywaras Werk lassen sich zwei Pole der denkerischen Auseinandersetzung mit dem christlich-jüdischen Verhältnis bestimmen. Zum einen ist es die religionsphilosophische Auseinandersetzung der jüdischen zeitgenössischen Autoren und Ansätze einer interreligiösen Debatte, deren wesentliche Momente auf die Mitte der 20er Jahre fallen, wenn auch mit dieser Periode nicht aufhören. Bestimmend hierfür sind die Denkfiguren der Polarität und der analogia entis. Zum anderen ist es die offenbarungs- und geschichtstheologische Sicht auf Israel, die ab den 30er Jahren immer bestimmender wird und zuerst seine Theologie ad intra prägt, um erst indirekt ad extra auf Israel zu zielen. Es ist aber bei jeder Etappe ein Denken, das dem Geheimnis der unerforschlichen Wege Gottes in Welt und Geschichte dienen will, das Paulus angesichts des Verhältnisses zwischen Juden und Heiden ausgesprochen hat.

„Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt. Und wie ihr einst Gott ungehorsam wart, jetzt aber infolge ihres Ungehorsams Erbarmen gefunden habt, so sind sie infolge des Erbarmens, das ihr gefunden habt, ungehorsam geworden, damit jetzt auch sie Erbarmen finden. Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen. O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Wer hat ihm etwas gegeben, sodass Gott ihm etwas zurückgeben müsste? Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen (Röm 11, 29–36)“.

1 G. WILHELMY, Vita, 5. Vgl. dazu G. HAEFFNER, Erich Przywara, 137f. Zur Erstorientierung in Przywaras Leben, Werk und Denken siehe darüber hinaus vor allem H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara, in: H.J. SCHULTZ (Hrsg.), Tendenzen; DERS., Erich Przywara, in: L. ZIMNY (Hrsg.), Erich Przywara; P. MOLTENI, Al di là degli estremi; TH.F. O’MEARA, Erich Przywara. Viele vertiefende Einsichten in Przywaras Werk habe ich dankenswerterweise folgenden Arbeiten entnommen: B. GERTZ, Glaubenswelt; DERS., Kreuz-Struktur; M. SCHNEIDER, „Unterscheidung der Geister“; bes. 26–78; A. SCHÜTZ, Die mehrdimensionale Theo-Logik; K.-H. WIESEMANN, Zerspringender Akkord, bes. 274–400; F. WULF, Christliches Denken; M. ZECHMEISTER, Gottes-Nacht.

2 Oberschlesien, in: IuG, 12. Die Werke von E. Przywara werden in dieser Arbeit ohne Autorenangabe zitiert. Die mit Abkürzungen angegebenen Werke werden nicht mit ebd. ersetzt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass in allen Zitaten von Przywaras Werk die dort verwendete, manchmal eigenwillige und den allgemeinen Regeln zuwiderlaufende, Rechtschreibung genau wiedergegeben ist. Als anlässlich der geplanten Herausgabe seiner Gesammelten Werke Przywara gewisse Korrekturen, vor allem bei Groß- und Kleinschreibung, nahegelegt wurden, wies er sie entschieden ab, indem er H.U. von Balthasar sein „Sprach-Credo“ wissen ließ. Darin heißt es: „Auch und grad diese Schreibweise ist Bestandteil meiner Aussage und zwar einer fundamentalen und umfassenden. […] Hierin ist es mir absolut unmöglich [den Änderungsvorschlägen entgegen zu kommen], ich würde diesen Änderungen niemals mein Imprimatur als Autor geben können“ (Brief an H.U. von Balthasar vom 20. Juni 1962, zit. in: M. LOCHBRUNNER, Hans Urs von Balthasar, 91–93).

3 Oberschlesien, 11.

4 „Im Elternhaus herrschte jener spartanische Lebensstil, den ein Vorwärtskommen in damaliger Zeit forderte: Mutter und Sohn mußten im sich vergrößerenden Geschäft in der Hauptstraße der Stadt die Kassen führen; die Schularbeiten konnten nur in der Tabakabteilung des Kolonial- und Delikateßgeschäftes zwischen Verkauf und Abrechnungen bewältigt werden, wobei beste Schulnoten gleichwohl als selbstverständlich erwartet wurden. Gemeinsame Mahlzeiten gab es nur sonn- und feiertags, dann löste man einander ab in einer Zeit, die keinen Mittagsladenschluß, dagegen spätabendliche Öffnungszeiten kannte“ (G. WILHELMY, Vita, 8).

5 Was ich Kattowitz danke, 218.

6 Ebd., 217.

7 Oberschlesien, 14.

8 G. ALY, Warum die Deutschen?, 99. Siehe auch ebd., 211, wo es als für die „allgemeine deutsche Entwicklung typisch“ gesehen wird, dass diese „zwischen gewaltigen Kraftakten und krisenhaften Stillstand schwankte“.

9 Vgl. D. HABERLAND, Schlesien, 409.

10 Oberschlesien, 14.

11 Ebd., 15.

12 Ebd., 11.

13 Handschriftliche Notiz Verzeichnis der Vorträge 1920–1938.

14 Oberschleisen, 12.

15 Die religiöse Krisis, 47. Siehe auch Gottgeheimnis der Welt, 133.

16 Im apokalyptischen Chaos nach dem Ende des II. Weltkrieges sah Przywara in schlesischen Vertriebenen ein Sinnbild: „Das ‚Reich‘ ist von Westen und Osten her Flucht und Vertriebenheit geworden. Diese Realität unerbittlich darzustellen gegenüber allen Illusionen eines westlichen Rheinbund-Deutschland, – das ist der Sinn des Reichslandes Schlesien in ‚Flucht und Vertriebenheit‘“ (Oberschlesien, 16).

17 G. WILHELMY, Vita, 7.

18 Dazu siehe G. ALY, Warum die Deutschen?, 79–82. Z.B: „Vor 1945 lebten die Deutschen zwischen Kurischem Haff und Vogesen, zwischen Belt und Schelde, Böhmerwald und Salurner Klause und weit die Donau hinunter. Sie bildeten das größte Volk Europas. Genau in der Mitte gelegen, gingen über deutsches Territorium besonders viele Völkerverschiebungen, Kriege und Religionszerwürfnisse hinweg. Folglich wurden die Deutschen das am gründlichsten gemischte, in seinen Stämmen sehr verschiedenartige, an seinen Rändern am wenigsten klar definierte größere Volk Europas“ (ebd., 80f).

19 Zum 50. Geburtstag von Reinhold Schneider. „Als echter Oberschlesier des Industriebezirks habe ich lange Zeit geglaubt, meine Heimat nur als Hemmnis ansehen zu müssen, mit dem man ringt und so reift“ (Was ich Kattowitz danke, 217). Laut Przywara war die Kultur Oberschlesiens „zugleich unentwickelte polnische Kultur“ und „erstorbene deutsche Kultur“ (Oberschlesien, 12).

20 Wie weit verbreitet der Eindruck war, an der östlichen Grenze des Deutschen Reichs begegneten sich wirklich fremde Welten, kommt in einer lapidaren Notiz eines Breslauer Juden zum Ausdruck, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinem Tagebuch folgendes über seine Reise von Kattowitz in das naheliegende, seinerzeit aber in Russland-Polen liegende Sosnowiec beschreibt: „Das ist an und für sich eine ganz kurze Reise, aber in Wirklichkeit eine Fahrt von Europa nach Asien“ (W. COHN, Verwehte Spuren, 80.

21 ANB, 37.

22 K.H. NEUFELD, Kategorien des Katholischen, 295.

23 G. WILHELMY, Vita, 34. G. Wilhelmy beruft sich auf ein „spätes Wort“ von Przywara, dass der „eigentliche Ursprung seiner geistigen Entfaltung“ ein religiöser, „ja, mystische[r] Ursprung“ war (ebd.). Dahingehend kann auch Przywaras Würdigung seines Novizenmeisters Johann Baptista Müller SJ verstanden werden. Przywara verdankte ihm „das Erkennen der geheimen Liebe zur Liturgie […], sowie die Strenge ihrer sorgfältigen Durchführung als Hofdienst seiner göttlichen Majestät“. Die zweite damals empfangene Lehre bestand in der Haltung der Werkzeuglichkeit und Bereitschaft zur Anonymität im Geist des ‚Non sum‘ des hl. Johannes des Täufers. Als Drittes prägte sich bei Przywara das Verständnis des priesterlichen Dienstes im Sinne des hl. Ignatius ein: Als Freund des göttlichen Bräutigams im Dienst „zur Hochzeit zwischen Gott und Welt hin“ sich restlos verausgaben, „unbekümmert um Erfolg oder Mißerfolg“ (ebd., 9f). Auch M. Schmid meint, es war „unschwer zu erkennen, daß das Noviziat Przywara vermutlich für sein Leben geprägt hat; die Weisung, der er folgte, war die Dienstgesinnung“ (M. SCHMID, Erich Przywara, 8).

24 CM, 202–214.

25 „Darum ist ignatianische Frömmigkeit auch Konvertiten fast unmöglich oder auch solchen Katholiken, die aus der Eiswüste eines modern atomisierten Individualismus in die warme Stube kirchlicher Gemeinschaft zurückfinden“ (Majestas Divina, 514).

26 Vgl. ebd., 512. Siehe dazu auch: M. ZECHMEISTER, Gottes-Nacht, 70f.

27 Oberschlesien, 15.

28 Die Idee des Jesuiten, 253.

29 H.-B. GERL-FALKOVITZ, Die Newman Rezeption, 441. Siehe auch DIES., Il ‘ver sacrum catholicum‘.

30 Katholizität, 40.

31 Die fünf Wenden, 118.

32 Der Ruf von heute, 96.

33 Die fünf Wenden, 117. Guardini wird 1933 über den Geist seiner aus der Mitte der damaligen Empfindung gesprochenen Worte folgendermaßen urteilen: „Der Ansatz ist zu einfach genommen; die ausgesprochene Hoffnung nicht tief genug in der Wirklichkeit begründet; das negative Moment nicht in der ganzen Bedeutung gesehen, die es hat“ (R. GUARDINI, Vom Sinn der Kirche, 16).

34 Die religiöse Krisis, 46.

35 Vgl. Ignatianisch, 15.

36 Pius X., 88.

37 Vgl. K. SCHATZ, „Stimmen der Zeit“. Siehe auch: DERS., Geschichte, 87–94.

38 K.H. NEUFELD, Kategorien des Katholischen, 299.

39 K. SCHATZ, „Stimmen der Zeit“, 147f.

40 Ebd., 150.

41 Ebd., 151.

42 Ebd., 155. Beim Zensor handelt sich um Johannes B. Rabeneck SJ. Von dieser Maßnahme waren neben Przywara auch sein Mitbruder und Redaktionskollege Peter Lippert SJ betroffen.

43 Ebd., 156.

44 Wege zu Newman, 31f.

45 B. GERTZ, Glaubenswelt, 129.

46 H, 875, Anm. 12. Auch wenn er sich in Nachhinein als gefährlicher Gegner des Nationalsozialismus bezeichnet, was auch der kollektiven Selbstwahrnehmung von „Stimmen der Zeit“ zu entsprechen scheint, wird man die Einschätzung von P.S. Peterson berücksichtigen müssen, die damaligen Machthaber sahen es nicht so und ließen die Zeitschrift bis 1941 erscheinen (vgl. P.S. PETERSON, Once again).

47 St. Ignatius, 24.

48 K. BARTH – E. THURNEYSEN, Briefwechsel, II, 652.

49 „Die zur Welt hin gesendete Kirche ist es der Welt schuldig, eine geistige Sprache zu finden, die von der Zeit grundsätzlich verstanden werden kann. Sie muß im Gespräch stehen mit dem Denken der Zeit, jeder Zeit. Kirchenväter und Hochscholastiker bleiben dafür das Vorbild; Meister für unsere Zeit waren Erich Przywara und Joseph Maréchal mit ihrer Kunst verstehender Deutung und Transposition“ (H.U. VON BALTHASAR, Zu seinem Werk, 36).

50 K. RAHNER, Laudatio, 270. H.U. von Balthasars zeichnet Przywaras Rolle für seine theologische Entwicklung in folgenden Worten: „ein unvergeßlicher Wegweiser; eine solche Verbindung von Tiefe und Fülle, ordnender Klarheit und all-umfassender Spannweite ist mir nie mehr begegnet“ (H.U. VON BALTHASAR, Zu seinem Werk, 76).

51 K. SCHATZ, Geschichte, 76.

52 H, 311.

53 Zu den wenigen Enthüllungen über sein persönliches Schicksal gehört die so verblüffend knappe wie schmerzliche Antwort, die der betagte Przywara „ohne Zögern“ auf die Frage gab, ob er auch einmal glücklich im Leben war: „Das Noviziat war die einzige glückliche Zeit meines Lebens“ (G. WILHELMY, Vita, 33). Die glückliche Welt der religiösen Ideale endete für Przywara mit einem schmerzlichen Ereignis, das den Abgrund des Gegensätzlichen in Przywaras persönlichen Leben aufriss und „ihn ein Menschenleben hindurch verfolgen“ sollte. Inmitten seines philosophischen Studiums in Valkenburg in Holland erreichte Przywara 1911 ein Telegramm seines Vaters, die siebenundvierzigjährige und ans Krankenbett gefesselte Mutter möchte, da sie krank ist, ihren Sohn noch sprechen. Von seinen Ordensoberen „wird er nicht im Gehorsam hingeschickt, um seiner Kindespflicht und der einfachsten Nächstenliebe und Krankenhilfe zu genügen, sondern gefragt, ob er es für nötig halte“. Von der Situation sichtlich überwältigt und mit dem Gehorsamsideal konfrontiert, antwortete der junge Ordensmann, dass er es nicht wisse, sie sei öfters krank gewesen, und stellte die Entscheidung in Ermessen seiner Oberen. Przywara fuhr nicht nach Kattowitz. Wenig später verstarb seine Mutter, der ihm am nächsten stehende Mensch, und er blieb mit dem Vorwurf, ihren letzten Wunsch nicht erfüllt zu haben (vgl. ebd., 10).

54 H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara S.J. Zum 75. Geburtstag.

55 H. FRIES, Erich Przywara, 69.

56 G. WILHELMY, Vita, 22. Vgl. M. SCHMID, Erich Przywara, 16.

57 G. WILHELMY, Vita, 25

58 Am 7. April 1942 später schreibt Edith Stein an Angela Stadtmüller: „Dass es P. Prz[ywara] nicht gut geht, hörte ich auch aus Valkenburg. Man meint dort, daß er in M[ün]chen ist, weiß aber nicht, in welchem Haus. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Ihm Grüße zu übermitteln, wäre ich dankbar. Vielleicht interessiert es ihn, daß ich an einer „Kreuzeswissenschaft“ zu Ehren des hl. Vaters Johannes arbeiten darf und daß ich bei allen Arbeiten am wirksamsten von Valkenburg unterstützt werde“ (E. STEIN, Selbstbildnis in Briefen, II, 539f). Drei Wochen später, am 29. April 1942, bekommt sie eine Auskunft von Anna Dursy: „Ich mußte in letzter Zeit so oft an Sie denken, besonders wenn ich an Przy[wara] dachte, den ich im Februar gesehen. Es ist mir, als stünden gerade Sie beide im ganz besonderen Maße im Crucis Mysterium. Es war sehr schmerzlich, Przy. so zu erleben. Daß er vorher lange in Wörishofen war, wissen Sie wohl? Nur seinen Händen merkte man die Nervensache an. Sie zittern“ (ebd., 553).

59 Die bescheidenen Eindrücke, die Przywara bei den Anwohnern von Hagen hinterließ, kontrastieren stark mit den Zeugnissen, die ihm Rahner oder von Balthasar ausstellten. Herr Bierling vom Gasthaus am Kirchplatz 8, Hagen, 82418 Riegsee, erinnert sich an ‚Prof. Przywara‘, der abends in die Gaststätte zu kommen pflegte, um in seinen Büchern zu lesen. Er entzündete dazu eine mitgebrachte Kerze, da er elektrischen Strom nicht verbrauchen wollte. Jeden zweiten Tag bestellte er ein halbes Liter dunklen Biers und bat, ihm die eine Hälfte davon heute, die andere morgen auszuschenken. Genauso gut erinnert man sich daran, dass er jeden Tag und bei jeder Witterung im am Haus nahegelegen Weiher zu baden pflegte (Gespräch am 18. August 2013). Um dieselbe Person wird es sich auch bei M. Lochbrunner handeln, der von einem Gespräch mit einem Bauer am 5. April 2008 berichtet, der in der Hagener Kirche Messnerdienste versieht und die gleichen Erinnerungen an Przywara wiedergibt. Lochbrunner beschreibt noch das Gespräch mit einer Familie aus Hagen, die sich an Erich Przywara erinnert (vgl. M. LOCHBRUNNER, Hans Urs von Balthasar, 32f).

60 B. GERTZ, Erich Przywara, 575. Menschen, die mit Przywara persönlich oder mit seinem unmittelbaren Umfeld in dieser Periode zu tun hatten, berichten alle von dem Schatten der Krankheit, in dem Przywara lebte. Er wurde „immer wieder bedrängt durch extreme Schwankungen seiner psychischen Gesundheit“ (G. HAEFFNER, Erich Przywara, 137). Es war ein „unter tiefen physischen und psychischen Verschattungen gelebtes Leben“ (G. WILHELMY, Vita 34). Die einzige ärztliche Bescheinigung, auf die ich in Przywaras Nachlass stieß, bezieht sich auf Przywaras Gesundheitszustand in der letzten Phase seines Lebens, in der er schon zu keiner literarischen Tätigkeit mehr fähig war, und spricht unter anderem von „cerebrosklerotisch bedingter Involutionspsychopathie“ (Ärztliche Bescheinigung, ausgestellt am 15. April 1971 von Dr. med. Hans Willkomm, Chefarzt vom Gemeindekrankenhaus in Murnau).

61 Vgl. M. LOCHBRUNNER, Hans Urs von Balthasar, 61, 73.

62 Ebd., 135.

63 Ebd., 29. Laut von Balthasar war Przywaras Krankheit „für das Umkippen der Analogie in eine Widerspruchsdialektik“ verantwortlich (ebd., 135).

64 Ebd., 134.

65 Weiter schreibt von Balthasar: „Und das literarische Lebenswerk türmt sich zu solchen Höhen und umarmt solche Horizonte, dass sein Übermaß den pressierten Leser von heute entmutigt: der Auftrag wie seine Ausführung scheinen beide zu groß für diese Zeit“ (H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara S.J. Zum 75. Geburtstag, 112).

66 R. Schneider, der zu den wenigen gehörte, die sich mit Przywaras Alterswerk auseinandersetzten und der dessen Anliegen teilte, schrieb in diesem Geist: „die Heimtücke der Wahrheit spricht sich aus, kraft der kindhaften Freiheit eines Mannes, der alle Feuer durchlitten hat und die Bosheit der Eiferer, der da ist und nicht da und das Glück und Leid eines Sehers und Beters genießt; der sich dem totalen Skandal und Widerspruch, der Wahrheit, die Christus ist, ohne Kaufvertrag überläßt und, woran ihm natürlich nichts liegt, in der Herausforderung des platten Verstandes nicht zu übertreffen ist“ (R. SCHNEIDER, Pfeiler in Strom, 304). Auch hier knüpft er an die Erfahrung seiner Geburtserde an. In der oberschlesischen Seele gibt es „eine gesteigerte, ja nicht selten übersteigerte Wachheit, die Wachheit des Postens, – freilich eine Wachheit, die in die Nacht hinaus und hinein schaut“ (Oberschlesien, 14).

67 M. Schmid hatte den Eindruck, „daß Przywara in seiner Krankheit dieses Konzil, zu dessen Vordenkern in der ersten Reihe er doch zweifellos gehörte, nicht mehr wirklich rezipieren konnte“ (M. SCHMID, Erich Przywara, 26).

68 So zum Beispiel dankt er 1950 dem Herausgeber der Zeitschrift Besinnung für die Würdigung anlässlich seines sechzigsten Geburtstags und beklagt, dass sein Lebenswerk vergessen scheint (vgl. Brief an den Herausgeber). Symptomatisch für diese Haltung und die damit verbundene Frustration ist Przywaras Brief an den Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 16. Juni 1956, in dem er gegen die Liberalisierung des Wohnungsgesetztes protestiert. In dem Brief beruft sich Przywara auf Begegnungen mit Adenauer im Rahmen der Jugendbewegung zu Beginn der 30er Jahre und schreibt: „Mein Name wird Ihnen ja nicht unbekannt sein…“. Am 31. August 1956 schreibt er noch einmal, um sich zu beklagen, dass er vom Bundeskanzler Adenauer keine persönliche Antwort, nur eine amtliche von seinem Sekretariat bekommen hat. Dieser Brief bleibt ohne Antwort (Abschriften von beiden Briefen in: ArchDPSJ 47–182–798).

69 Alter und Neuer Bund und Mensch bleiben Fragmente als erste Teile eines auf zwei Teile gedachten Ganzen, und Christentum gemäß Johannes nur der Beginn eines Christentum gemäß der Offenbarung (vgl. G. WILHELMY, Vita, 32f).

70 K. RAHNER, Laudatio, 272.

71 Die Frage ist fundamental auch in diesem Sinn, da sie das Fundament der ignatianischen Exerzitien bildet.

72 Vgl. Analogia entis I, 21. Zum Ganzen siehe H. WULF, Erich Przywara; B. GERTZ, KreuzStruktur, 555f.

73 Weg zu Gott, 114.

74 Vgl. z.B. Neue Philosophie, 308; Analogia entis I, 70.

75 Vgl. H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara, in: L. ZIMNY (Hrsg.), Erich Przywara, 5.

76 Der Ruf, 104.

77 Ebd., 103.

78 H, 309.

79 Ebd. Vgl. auch M. ZECHMEISTER, Gottes-Nacht, 17.

80 Gott in uns, 554.

81 „Wenn wir nun zusammenfassen: Was haben wir anders gefunden, als dass der Ursprung der scheinbaren Gottesleugnung der neuzeitlichen Philosophie vielmehr ein ‚Gott alles allein‘ ist? Ihr Atheismus oder Pantheismus nur Erscheinungsform eines ursprünglichen ‚Theopanismus‘ – um den guten Ausdruck Rudolf Ottos zu gebrauchen. Das ‚Ich alles allein‘ anthropozentrischer und das ‚All alles allein‘ kosmozentrischer Philosophie nur Wandlungsform des ursprünglichen ‚Gott alles allein‘, wie es die Ursprungszeit der Neuzeit erfüllte. Auf der einen Seite das Ethos und Pathos des ‚Gott-Ich‘, wie es sich gegen eine zerrüttete Ideal-Weltordnung des Mittelalters leidenschaftlich erhob; auf der anderen Seite, gerade durch die Weltverachtung und Weltverdammung dieses Ich-Glaubens, das Ethos und Pathos des machtwillkürhaften ‚Gott-Welt‘, der Willens-Willkür-Gott in der Erscheinung der nicht mehr logosdurchleuchteten, sondern allein irrational machtdurchherrschten Willens-Willkür-Welt; – und als letzte die tiefe dunkle Tragik das Spinoza-Ethos des unergründlichen Schicksals, aber nun nicht lösbar durch einen sich-selbst-aufgebenden ‚amor intelectualis Dei‘ – sondern Gott selber als Alogos, die Rätsel-Finsternis-zeugende Ur-Rätsel-Finsternis. Undurchdringliches Schicksal, lösungslos, erlösungslos“ (Gott, 265).

82 „Gott, der Alleinwirkliche und Alleinwirksame, und das allein im Innern beschlossene christliche Leben als seine Erscheinungsform. Die bis zum äußersten aufgerissene Distanz zwischen dem ‚Gott des Gerichts‘ und dem seinshaft notwendigen Sünder formt sich zur äußersten Einheit, indem der ‚Gott der Gnade‘ alleiniges Wirk- und Formprinzip des Gerechten wird“ (Custos, 38).

83 Die religiöse Krisis, 51.

84 Custos, 38. Die „Neuzeit war entsprungen, da der platonische Hymnus eines göttlich idealen Menschen im Humanismus der Renaissance und die mystische Verzweiflung der Reformation sich ineinander schlagen. Sie vollendete sich, da in der französischen Revolution alle Religion zur Religion der gotthaften ‚reinen Menschlichkeit‘ ward, aber im dämonischen Ausbruch aller höllischen Tiefen des Menschen. Idealismus und Romantik erscheinen darum in ihrem Gegensatz zueinander wie als letzte Formel dieses Gesichts der Neuzeit. – Im Idealismus treibt die Verzweiflung des realen Menschen den Glorien-Traum vom gotthaft Idealen empor. In der Romantik aber wühlt sich eben die Verzweiflung des realen Menschen hinunter in die Traum-Nacht gotthaften Lebens der Ursprünge in die Tiefe. – Vergotteter olympischer Mensch oder vergotteter chthonischer Mensch (mit den Ausdrücken Bachofens), – dahinein mündet der neuzeitliche Dithyrambus vom Menschen. So wird verständlich, daß dasselbe neunzehnte Jahrhundert, in dem die Neuzeit (in Idealismus und Romantik) ihre volle Weite ausfaltet, auch das Jahrhundert ist, in dem die Überwindung dieser Neuzeit radikal einsetzt“ (H, 306).

85 Die religiöse Krisis, 51.

86 Przywara ist überzeugt, dass die absoluten Philosophien der Neuzeit „tatsächlich enttheologisierte Theologien“ sind und im dialektischen Umschlag die Theologie säkularisieren. „Als Beispiel kann dienen: wie Hegels Philosophie aus Theologie entsteht und wächst, – und umgekehrt […] dazu führt, aus Theologie philosophische Dialektik zu machen“ (Analogia entis I, 70).

87 Die religiöse Krisis, 51.

88 H, 45.

89 Siehe dazu DSM I, 50–67. Diese Gegensatzpaare dienen auch als Gerüst des zweiten Hauptteils von M, 83–424. In von Balthasars Urteil sprengen Przywaras Versuche einer Synthese dieser menschlichen Konstanten „jede überblickbare Gestalt“ auf (H.U. VON BALTHASAR, Theodramatik, II/1, 325).

90 DSM I, 54.

91 Liebe, 330.

92 Vgl. KiG, 39.

93 Liebe, 363.

94 „Ist nicht alles letztlich Tragik, Menschengemeinschaft wie Geschlechterfrage, Weltproblem wie Gottesproblem, Wissen wie Glauben? Eine unendliche Fülle von Standpunkten, die sich höchstens zu einer geheimnisvollen ‚Einheit der Gegensätze‘ zusammensehen lassen? Aber bedeutet das nicht praktisch völlige Resignation? Und muß das nicht, so oder so, zum letzten Verzweiflungsglauben an einen ‚tragischen Gott‘ führen?“ (Tragische Welt, 343). Für Przywara zeigt sich die eigentliche Ohnmacht der menschlichen Existenz in dem, was das Leben zutiefst ist: ein Wandel, ein Kommen und Gehen und „dieser unheimliche Atem des Nichts dazwischen“(CEx, 104). „Denn alle Entfernung von der glühenden Jugend zur sogenannten Reife ist doch schon Erkalten zum Vergreisen! Alles leuchtet, um zu verfinstern! Alles knospet, um zu welken! Alles flammt, um Asche zu werden!“ (CEx, 115).

95 DSM I, 57. Diese Formulierung bezieht sich primär auf die Fruchtbarkeit geschlechtlicher Polarität (siehe auch DSM I, 65).

96 „Wenn all die einander gegensätzlichen Richtungen, denen wir nachlaufen, um immer wieder (freilich praktisch vergeblich!) zu sehen, daß sie uns in unmögliche Übertreibungen führen – weil alle diese Richtungen eben ‚gradlinig‘ sind, so meinen wir, müßte auch die heißersehnte ‚große Lösung‘ ebenso gradlinig sein. Und weil wir dies meinen, so machen wir auch jede Lösung, die sich uns bietet, ‚gradlinig‘ – und sind dann höchlich betroffen, wenn auch die ‚Lösung‘, auch die heiligste und göttlichste, uns in die Irre der Übertreibung führt – nicht mehr und nicht weniger als die Lebensgegensätze selber, aus denen heraus wir zu dieser ‚Lösung‘ griffen“ (Liebe, 363).

97 In SI, 379–472 und S II, 121–242.

98 Jeder Versuch, im kreatürlichen Denken etwas Absolutes zu begründen, und sich somit Gottes zu bemächtigen, sowie jeder Versuch, den Chaos des Gegensätzlichen zum (paradoxal auch absoluten) Letzten zu erklären, und sich somit vor Gott abzuschließen, trägt „das Stigma des Menschen, der ‚in Adam‘ ist und nicht ‚in Christus‘“ (E. MECHELS, Analogie, 151. Siehe dazu z.B. H, 505, 567).

99 Gottgeheimnis, 215.

100 „Alle Häresien – und auch und gerade die Häresie der Reformation – zielen auf eine Vereinseitigung um einer leidenschaftlichen Vereinfachung willen. Sie wollen sein ‚wie Gott‘, der allein der Einfache ist, Deus simplex. Die Einfachheit der Kreatur aber ist in der Demut ihrer restlosen Bezogenheit zu Gott. In sich selbst ist sie das immer Offene der Spannung ihrer Zusammengesetztheit und darum, wie Augustinus sagt, wesenhaft die creatura mutabilis, ‚immer auf dem Weg‘“ (Der Ruf, 102).

101 So versucht Przywara angesichts der neuthomistischen Bewegung zu verdeutlichen, dass sein Programm der Polarität ein Programm „getreu der Thomasenzyklika unseres Heiligen Vaters ‚Studiorum Ducem‘ [ist], die entgegen einer öden Vereinerleiung den ‚Wetteifer in Freiheit‘ betont, und entgegen enger Verketzerung die Gottes- und Christusweite der Kirche, die als Leib Christi im Geiste des Korintherbriefes gerade die Verschiedenheit der Glieder fordert: ‚Wenn alle ein Glied wären, wo wäre der Leib?“ (Gottgeheimnis, 215f). Mit dem selben Argument begegnet Przywara auch der einseitigen Diskussion um das Liturgieverständnis: „Will die liturgische Bewegung dieselbe Weite des Geistes zeigen, wie sie, um ein naheliegendes Beispiel anzuführen, die Thomas-Enzyklika unseres Heiligen Vaters für die philosophischen und theologischen Fragen vorbildlich aufweist, wenn sie gegenüber einer Enge einseitiger Schulen den Satz aufstellt, ‚Niemand soll vom anderen mehr verlangen, als was von allen verlangt die Meisterin und Mutter aller, die Kirche‘“ (Verklärung, 26). Zum Problem der persönlichen Gottesbeziehung und Kirche: „Die echte Gottesbeziehung des Katholiken [ist] weder kirchenfrei noch eigentlich rein kirchenhaft, weder reine Individualfrömmigkeit noch reine Gemeinschaftsfrömmigkeit“ (Weg zu Gott, 58).

102 Gott in uns, 543.

103 Liebe, 333.

104 Aug, 111.

105 „Mit anderen Worten: an Stelle schulmäßiger Ableitung aus einem durchgehenden Prinzip stellt Thomas das letzte unauflösliche Geheimnis hin: ‚zum Sein der Wirkung ist die eine wie die andere Ursache erforderlich (= göttliche Erst-Ursache wie geschöpfliche Zweit-Ursache), und ein Ausbleiben von Seite der einen wie der anderen führt ein Ausbleiben in der Wirkung herbei‘ (q. disp. De Ver. Q 2 a 14 ad 15). Alle Einzellösungen haben nur ihren Sinn als Hinführungen zu diesen letzten Unlöslichen: Gott alles in allem und doch nicht alles allein, Gott allwirksam und doch das Geschöpf eigenwirksam“ (Thomas von Aquin, 910).

106 Vgl. Analogia entis I, 7; Thomas-Philosophie, 262f. Zum Ganzen siehe auch H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara, in: L. ZIMNY (Hrsg.), Erich Przywara, 15f.

107 Gott, 279.

108 Ebd.

109 Przywara diagnostiziert, dass alle philosophischen und religionsphilosophischen Systeme um dieses Essentia-Existentia-Problem kreisen. „Aber gerade in demselben Punkte scheiden sie sich am tiefsten“ (Ebd., 359), indem sie den einen oder den anderen Pol betonen und überbetonen, oder nur den einen oder den anderen Pol als letztendlich wirklich wahrnehmen. Die Wirklichkeit wird entweder rein statisch oder rein dynamisch, nur als keine Vielfalt zulassende Einheit oder nur als jegliche Einheit ausschließende Vielfalt aufgefasst. Im Extremfall gleiten diese Lösungen in eine Dialektik von Starre oder Chaos ab. Siehe auch Aug, 9f, wo Przywara diese beiden Denkmotive auf den Gegensatz zwischen Parmenides und Heraklit zurückführt, um zu zeigen, wie jede Epoche eine Variation dieses Gegensatzes ist.

110 Gott, 364. Die drei Denker verbindet „die unerhörte Feinfühligkeit für alle Unterschiedenheit des Individualen und damit die schmerzliche Feinfühligkeit für das verwirrend Zerklüftete dieser Welt und damit die ganze Glut augustinischen Gottsuchens, um Gott zu finden, und Gottfindens, um Gott zu suchen, aber eine Glut, die in zagender Ehrfurcht fast allzuweit geht in zurückhaltendem Wort über Wesen und Wege Gottes: Augustinus auf der Höhe der Antike, Thomas auf der Höhe des Mittelalters, Newman auf der Höhe der Neuzeit finden sich in der gleichen herbstlichen Altersreife der Höhe: Abendstimmung über Nebo“ (Religionsphilosophie, 481).

111 Gott in uns, 543. Vgl. Religionsphilosophie, 404; Analogia entis I, 9.

112 B. GERTZ, Glaubenswelt, 169.

113 H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara, in: L. ZIMNY (Hrsg.), Erich Przywara, 15.

114 Gott in uns, 544. Wie eine Rezension aus dieser Zeit zeigt, wurden Przywaras damalige Ausführungen auch so rezipiert. L. Fuetscher schreibt in seiner Rezension von Gottgeheimnis der Welt: „Es ist eine Philosophie des Ausgleichs und der Harmonisierung (Polarität) zwischen der einseitigen Betonung der scheinbar unüberwindlichen Gegensätze, an der wir bei der Beschränkung unseres Erkennens und der Tiefe und Reichhaltigkeit der Probleme mit ewig junger Kraft arbeiten müssen“ (L. FUETSCHNER, Gottgeheimnis der Welt von E. Przywara, 92).

115 Corpus Christi Mysticum, 144f. 1926, angesichts der Ernüchterung über die faktische Entwicklung der ‚katholischen Wende‘, fragt Przywara, ob die so vielbeschworene Einheit der Gegensätze nicht nur ein denkerisches Konstrukt, ein philosophischer oder ästhetischer Luxus ist „Was soll aber das Leben mit einem Chaos immer nur ‚aufgegebener‘, niemals praktisch gelöster Gegensätze?“ (Tragische Welt, 343).

116 Analogia entis I, 160.

117 Siehe dazu J. TERÁN-DUTARI, Die Geschichte; E. NAAB, Zur Begründung; TH. SCHUMACHER, In-Über.

118 Reichweite, 261.

119 Hier nach L, 61.

120 Religionsphilosophie, 403.

121 J. TERÁN-DUTARI, Christentum und Metaphysik, 96.

122 Analogia entis I, 42, Anm. 2. Vgl. auch ebd., 58f, 153f. Seltener benutzt Przywara auch die Formel „Gott über-in Geschöpf“ (vgl. B. GERTZ, Glaubenswelt, 178f).

123 Um die analogia entis, in: IuG, 277–281, hier 278. „Dieses Mehr sagt nicht einen statischen Komparativ: als etwas, was ein für allemal als das Größere erfunden wäre. Sondern da es Aus in Aug steht zum Deus semper maior, zum je immer größeren Gott (Augustinus, in Ps 62, 16)“ (CM, 57). Siehe auch H.U. VON BALTHASAR, Theodramatik, II/2, 202, Anm. 1.

124 Religionsphilosophie, 424. „Es ist jene Unähnlichkeit, die philosophisch am klarsten durch das Thomasgrundgesetz der causae secundae ausgedrückt ist: das Geschöpf, trotz seiner innersten Abhängigkeit von Gott, mit Eigen-Dasein begabt: Gott allwirklich und doch das Geschöpf eigenwirklich, Gott allwirksam und doch das Geschöpf eigenwirksam, Gott als Allwert und doch das Geschöpf als Eigenwert“ (ebd.).

125 Ebd., 404. „Kreatur sein, heißt von Gott kommen und in Gottes Händen sein und damit letztlich, wie der alte Schulausdruck lautet, potentia oboedientialis, <<völlige Bereitschaft zu Gott>>“ (ebd., 448). Siehe dazu auch E. MECHELS, Analogie, 88: „Rückführung aller Positivität des Denkens in den einen blinden Punkt, in dem es nur noch reine ‚negative Potentialität‘, nur noch Gott ausgelieferte Werkzeuglichkeit ist“. Ähnlich auch U. KÜHN, Natur und Gnade, 102: „Daß hier aber nicht in irgendeiner Weise gleichwertige Partner gegenüber stehen, sondern daß das Geschöpf radikal anders ist als Gott, ihm völlig unähnlich ist, zeigt sich vor allem darin, daß das Geschöpf immer wesentlich potentia bleibt, während Gott der actus purus ist. Die Existenz des Geschöpfes bleibt immer letztlich unverwirklichtes Wesen, das Sosein des Geschöpfes liegt zwar im Dasein, aber doch zugleich wesentlich über ihm, während in Gott Sosein und Dasein identisch sind“.

126 Vgl. M, 73; ChrJoh, 32.

127 Vgl. Analogia entis, II-IV, in; LThK2 I, 468–473, hier, 470 (weiter als Art. Analogia entis). Zu Beziehung und Anderssein siehe Analogia entis I, 136f. Ch. Lagger zeigt, wie Przywaras Analogiedenken das Geheimnis Gottes in der Bezogenheit auf die Andersheit verortet. „Analogiedenken in diesem Sinne ist von sich her ein unabschließbares und aufgebrochenes Denken, das durch die je andere und sich wandelnde und gegensätzliche Wirklichkeit neu herausgefordert wird. Einzelnes in seinem Anderssein wird verstehbar durch den Bezug auf anderes Einzelnes in seinem Anderssein. Analoges Denken ist deshalb Beziehungsdenken, das Beziehung gerade über die Differenz und das Anderssein definiert“ (CH. LAGGER, Scheu, 361f).

128 Art. Analogia entis, 470.

129 M, 75.

130 M, 77.

131 M, 73.

132 H.U. VON BALTHASAR, Theodrammatik, III, 107.

133 M, 75. „Der Rhythmus des ersten (aufsteigenden) ‚über hinaus‘ gilt der Überwindung des Übermaßes der Geschlossenheit eines Ganzen. Der Rhythmus des zweiten (absteigenden) ‚über-hinaus‘ klärt das Übermaß einer göttlichen Allein-Wirksamkeit zum Gleichmaß einer relativen Ganz-Einheit zwischen Göttlicher All-Wirksamkeit und geschöpflicher Eigen-Wirksamkeit“ (Analogia entis I, 193f).

134 Art. Analogia entis, 471.

135 Ebd.

136 Ebd. An diesem Punkt wird sichtbar, wie Przywaras Analogie-Lehre, die auf traditionelle Denk- und Sprachtradition zurückgreift, eine originelle Reinterpretation ist: „Nur wer einen gewissen neuscholastischen Rationalismus der ‚Schule‘ kennt, kann ermessen, wie genial Przywara die geheimnisvolle Mitte katholischen Denkens über Gott und damit über den Gott-Menschen, über die Kirche, zuletzt über jeden auf den Gott der Gnade bezogenen Menschen erkannte“ (H. WULF, Erich Przywara, 404). Siehe auch das Urteil W. Pannenbergs: „Man muss darum sagen, daß Przywaras Formel der reductio in mysterium durch das Bedenken der je immer größeren Unähnlichkeit Gottes die Intention der Analogie (die auf den gemeinsamen Logos zielt) sprengt, während umgekehrt diese im Analogiegedanken wirksame Tendenz der Einordnung des Unbekannten ins Bekannte der Intention einer reductio in mysterium genau entgegengesetzt ist“ (W. PANNENBERG, Analogie und Doxologie, 192).

137 Art. Analogia entis, 472.

138 K.-H. WIESEMANN, Zerspringender Akkord, 328.

139 Corpus Christi, 148f.

140 Art. Analogia entis, 472. „Es heißt einerseits: für eine ‚noch so große‘ Übernatürlichkeit ist die Natürlichkeit des Verhältnisses zwischen Schöpfer und Geschöpf das bestimmende Weil (quia); und innerhalb dieses Verhältnisses selbst ist die ‚je immer größere Unähnlichkeit‘ das bestimmende Nicht-kann (non potest … notari) und Muß (sit … notanda) der ‚noch so großen Ähnlichkeit. Es heißt aber andererseits: Die Natürlichkeit des Verhältnisses zwischen Schöpfer und Geschöpf erscheint faktisch einzig ‚in‘ der ‚so großen‘ Übernatürlichkeit (der Einen faktisch geschichtlichen Ordnung von übernatürlicher Teilnahme und Erlösung); und innerhalb des Verhältnisses zwischen Schöpfer und Geschöpf erscheint die ‚je immer größere Unähnlichkeit‘ wesenhaft einzig ‚in‘ der ‚so großen Ähnlichkeit‘. Diese ‚Analogie‘ ist, gemäß dem Konzil, die Form für Gegenstand und Akt der einzig möglichen Theologie“ (Reichweite, 273f). Über die Einheit von Philosophie und Theologie in analogia entis siehe auch B. GERTZ, Glaubenswelt, 245f).

141 Gottgeheimnis, 227. „<<Furcht und Liebe>>, wohinein man den Inbegriff des religiösen Verhältnisses legen kann, ist eben nichts anderes als der religiöse Ausdruck der analogia entis: Gott in den Geschöpfen und darum Liebe, Gott über den Geschöpfen und darum Furcht: <<Liebende Furcht und fürchtende Liebe>> (Augustinus, In Ps 118 s. 22,6)“ (Weg zu Gott, 22).

142 Um die analogia, 279.

143 Ebd.

144 Art. Analogia entis, 472.

145 „Das augustinische Sich-Bedingen zwischen ‚unendlichem Suchen‘ ‚unendlichem Gotte‘ ist die innerste Bedingung des ‚Jeweils mehr‘: das ‚je immer größere Suchen‘, weil Gott der Deus semper major ist, der über alles noch so große Suchen je immer größere Gott ist. Der menschliche Dynamismus ist durch den des Unendlichen Gottes als den unendlichen Actus purus zugleich je neu aufgerufen und in seine echt menschlichen Grenzen ernüchtert und so befreit“ (CM, 47f).

146 Religionsphilosophie, 404. Przwaras Denken kennt keine Unmittelbarkeit zum Logos (Logik im hegelschen Sinne), aber auch keinen Widerspruch zum Logos (Dialektik), sondern ist ein „geklärtes, distanzhaltendes geschöpfliches <<Hinlieben>> zur Sophia (<<Philo-Sophie>>), Empordenken zum Logos […], in welchem Denken der Logos, obwohl immanente Regel des Ordnens und Schreitens (<<ana>> als <<gemäß>>, <<der Reihe nach>>), doch als solche Regel über allem Ordnen und Schreiten transzendent und unerreichbar verharrt (<<ano>> als <<oben>>, <<empor>>). Das Prinzip heißt gegenüber Logik und Dialektik: Analogie“ (H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara, in: L. ZIMNY (Hrsg.), Erich Przywara, 10). Przywaras Analogiedenken ist eine Absage an jede Unmittelbarkeit der Gotteserfahrung. Und dennoch weist Przywara auf eine Möglichkeit der Erfahrung Gottes in der Welt: Gott wird erfahren als der je Andere, aber nicht als der ‚ganz Andere‘, da jeder Moment der Erfahrung der Unähnlichkeit auf die Ähnlichkeit zurückweist. In jeder Beziehung wird der andere als je Andere erfahren, da er aber doch so nicht-Andere ist (vgl. H. DÖRING, GOTT in menschlicher Erfahrung, 520). Siehe dazu auch E. JÜNGEL, Gott als Geheimnis, 388f.

147 Art. Analogia entis, 472.

148 Um die analogia, 279. Die analogia entis ist „nicht Prinzip, in dem das Kreatürliche begriffen und handhabbar ist, sondern in dem es in seiner restlosen Potentialität unverkrampft schwingt“ (Analogia entis I, 206); „in keiner Weise ‚Prinzip‘, insofern etwas urhaft Statisches damit vermeint sein könnte (ebd., 210).

149 Eine „kühle und fast zaghafte Haltung“, die durch die analogia entis geht, „die Haltung einer, man möchte sagen, erfahrungs- und enttäuschungsbeladenen Menschheit“ (Religionsphilosophie, 481).

150 Um die analogia, 280. Zu diesem, vor allem von Seite der protestantischen Theologie, vielfach wiederholten Vorwurf, äußerte sich Przywara unmissverständlich: „Ich habe bereits in dem großen Religionsgespräch mit Karl Barth in Münster 1928 scharf betont, daß aus einer ‚analogia entis‘ sich nichts ableiten lasse, und daß ‚Rom mich als den größten Ketzer verurteilen‘ müsse, wenn ich, wie Barth es sich vorstellte, alle theologischen Dogmen aus einer ‚analogia entis‘ herleiten wollte, und damit, wie ich scherzhaft sagte, dann ‚Papst des Papstes‘ werden müßte“ (ebd., 279). Die letzte Zusammenfassung und Auswertung der Debatte zwischen Przywara und Karl Barth über die analogia entis findet sich in: J. R. BETZ, Translator’s Introduction, 83–115.

151 K. RAHNER, Laudatio, 270. Przywara weist darauf hin, dass seine analogia entis über die Abgründe des Daseins nicht hinwegtäuschen will und auch keinen letzten subtilen Einigungsversuch darstellt, sondern vielmehr „das entscheidende In-die-Knie-Brechen aller menschlichen Konstruktionen wesenhaft besagt“ (Tragische Welt, 373).

152 Vgl. E. JÜNGEL, Gott als Geheimnis, 385ff; R. STOLINA, Niemand hat Gott, 64. L.B. Puntel vertritt die These, Przywara sei unfähig, das Eine zu denken. Sein ganzes Analogiegefüge sei nichts anderes als „eine ins Unendliche gezogene und aufgeschichtete proportionale Polarisierung der einfachen Beziehung als des gegenseitigen Andersseins. […] Die große Aporie der Position Przywaras besteht darin, daß er weder die Beziehung selbst noch die beiden Anderen als solche, d. h. in ihrer Andersheit erklären kann. Seine Analogielehre ist eine ins Unendliche projizierte Feststellung der Bezogenheit zwischen Anders (Anderem) und Anders (Anderem). ‚Wie‘ diese Beziehung möglich und ‚als was‘ sie aufgeht und die beiden Anderen enthüllt, das wird im Grunde nicht gesagt und kann auch nicht gesagt werden. Przywara erklärt nämlich die Andersheit der beiden Anderen durch das Begreifen der Beziehung als hin- und her-schwingende Proportion oder Bezogenheit, so daß die Analogie gerade Ausdruck dieser Mitte, dieses ‚Ausgleichs im Maß‘ ist. Aber durch diese linear-horizontal-vertikal aufgefaßte Beziehung als Proportion gerät Przywara unweigerlich in die Vorstellung einer unendlich sich ausgleichenden Dualität: die beiden Anderen sind gegenseitig aufeinanderbezogen in dem Sinne, daß sie sich gegenseitig äußerlich bleiben: Das eine Andere ist auf das andere Andere bezogen, nicht aber ist das eine dem anderen einbezogen, denn Einbezogenheit kann nicht mehr als hin- und her-schwindende Proportion einer schwebenden Mitte, sondern nur als Eingefaßtheit in das Eine begriffen werden. Die Beziehung als schwingende Proportion besagt zwar das Verhältnis der beiden Pole, nicht aber die Einheit des Verhältnisses“ (L.B. PUNTEL, Analogie und Geschichtlichkeit, 547f). Da Przywara im Kampf gegen die Identität jede Form der Identität bekämpft, sei er auch unfähig, „die wahre Beziehung der beiden Pole zu denken, ohne in eine lineare Identität zu verfallen“ (ebd., 549). Als rein formaler Denker muss sich Przywara den Einspruch gefallen lassen, er erreiche nicht die Sache, um die es geht. Siehe dazu die Polemik mit Puntels Interpretation in: J. TERÁN-DUTARI, Christentum und Metaphysik, 602–611. Vgl. dazu auch CH. LAGGER, Dienst, 46.

153 B. GERTZ, Glaubenswelt, 281.

154 Vgl. Analogia entis I, 7. Die kreuzestheologische Konzeption negativer Theologie bei Przywara wird analysiert in: R. STOLINA, Niemand hat Gott, 49–66. Die Ausgangsthese der Untersuchung lautet: „Maßgeblich sind für ihn [Przywara] Dionysius Areopagita und Johannes vom Kreuz sowie insbesondere Luthers Kreuzestheologie“ (ebd., 49).

155 Der Ruf, 104.

156 M, 73.

157 Przywara ist überzeugt, dass „die Religiosität der Exerzitien des hl. Ignatius sich notwendig in eine bestimmte allgemeine geistige Mentalität auswirken muß“ (CM, 53). Dazu schreibt K.-H. Wiesemann: „Seine Theologie der Exerzitien bildet einen systematischen Neuentwurf von Theologie, bei dem gerade dieses Ineinander von geistlicher Übung und systematischer Struktur reflektiert wird. ‚Theologie‘ und ‚Exerzitien‘ werden in letzter Konsequenz zu austauschbaren Begriffen“ (K.-H. WIESEMANN, Zerspringender Akkord, 362).

158 J. ENGERT, Gott und Welt, 160. Vgl. DSM III, 367.

159 „Das dunkle Geheimnis des Gegensatzes, zwischen dem Menschen, der in Adam Gott werden will, und Gott, der in Christo Mensch wird“ (ChrJoh, 58.) „Gegen den Hochmut des Menschen, der reiner Geist sein will (durch die Tierheit der Schlange) tritt die Demut Gottes, der reiner Geist ist und Fleisch des ‚Sklaven‘ wird ‚am Pfahl des Kreuzes‘“ (Absturz oder Aufgang, 135).

160 Vgl. L, 62.

161 Gespräch zwischen den Kirchen, 55f. Vgl. L, 156.

162 M. ZECHMEISTER, Gottes-Nacht, 61.

163 „Das volle Geheimnis des unsichtbaren Gottes [ist] volleres Geheimnis des sichtbaren Gottes in Christo. Wie der unsichtbare Gott nur durch Seine Unsichtbarkeit hindurch erglaubt werden kann, so, noch stärker, wird das Mysterium seines Todes in der Auferstehung und seiner Auferstehung im Tode nur erglaubt im Nicht-Sein. Das vollendete Glückselig aller Seligpreisungen des Evangeliums ist die Seligpreisung des Nicht-Sehens und doch Glaubens, – d. h. die Seligpreisung der blind sich einglaubenden und eingelobenden und einverlobenden Liebe in den Gott, der im Geheimnis des gestorbenen und auferstandenen, untergegengenen und auffahrenden Christus der Unsichtbare ist durch die ‚überleuchtende Finsternis‘ Seines blendenden Lichtes (Dionysius Areopagita)“ (ChrJoh, 285).

164 M, 169. Vgl. M. SCHNEIDER, „Unterscheidung der Geister“, 33–35. „Gemeint ist die ‚Nacht des Sehens mit den Augen des Ich‘; d.h. das Sehen vom Ich her muss aufgegeben werden, wenn man sich selbst mit den Augen des in Christus Fleisch gewordenen Gottes sehen will“ (K.-H. MENKE, Das Kriterium, 137).

165 „Der Mensch sucht den unbedingten Herrn, an den er Hingabe und Übergabe restlos verschwenden kann. […] Der Herr, dem Christus gehört, wäre nicht den unbedingte Herr, wenn Knecht und Magd Seine Wege und Weisen durchschauen könnten“ (CEx, 113)

166 Als „Einheit unbedingter Hingabe in der Distanz des Dienstes und einsam dunkler Nacht der Liebe in der Demut des Kindes“ (B. GERTZ, Glaubenswelt, 132). Przywara spricht über die „spanische Reform eines Ignatius von Loyola, einer Teresa von Avila, eines Johannes vom Kreuz: des Deus Gratia in media desperatione et nocte, Gott als alleinige Gnade aufgehend über dem zusammenbrechenden Stolz, aufleuchtend über der in Verzweiflung harrenden Seele: die dunkelste Nacht der Verlassenheit dennoch Nacht des überstrahlenden Lichtes“ (ANB, 42). In diesem Sinn wird auch Newmans religiöses Denken charakterisiert: „Aber ist sein [Newmans] surrender, jene restlose ‚Übergabe‘ ins Dunkel, nicht eigentlich Atem und Hauch von echter Nachtmystik?“ (Weg zu Gott, 86).

167 M, 169.

168 M, 169.

169 M, 169. Hierzu auch: „Als Nacht des Menschen ist sie das Aufgelöstsein in die Vielfalt irdischer Sichtbarkeiten, die dem Menschen jeden Halt und Stand zu rauben drohen. Als Nacht Gottes besagt sie jedoch restlose Hingabe ins Dunkel; der Mensch schwebt ohne Halt, aber in Gott“ (M. SCHNEIDER, „Unterscheidung der Geister“, 34).

170 Sum, 31f.

171 Sum, 5.

172 „Die Unterscheidung der Geister ist damit für den Christen eine ‚Unterscheidung in das Kreuz hinein‘, in das Zerbrechen jeder Schönheit“ (M. SCHNEIDER, „Unterscheidung der Geister, 76).

173 S. LÜTTICH, Erich Przywara, 143.

174 K. RAHNER, Laudatio, 268. Vgl. dazu K.H. NEUFELD, Vertiefte und gelebte Katholizität, 164. Schon während seines Philosophiestudiums im jesuitischen Kolleg in Valkenburg zeigt sich Przywaras Drang zu Universalität, sowie die Überzeugung, ein katholisches Denken könne sich nur im Gespräch entfalten. Der junge Jesuit begrenzt sich nicht auf die obligatorische Scholastik, sondern vertieft sich sowohl in die Werke der Kirchenväter wie auch der modernen Autoren. „Darum kann die Kenntnis des neuscholastischen Schulbetriebs an der Ordenshochschule das ‚Phänomen Przywara‘ nicht erklären. Vielmehr wurden die Lehrjahre vermutlich gerade durch jene Studien fruchtbar, die über die Rahmen des Üblichen hinausgingen oder sogar der allgemeinen Studienrichtung zuwiderliefen“ (B. GERTZ, Erich Przywara, 573). Przywaras Hinwendung zu Thomas von Aquin folgt den kirchenlehramtlichen Aufforderungen zur Erneuerung des Thomismus, um so den modernen, säkularen Strömungen zu begegnen. Andererseits ist für Przywara die Wiederentdeckung Augustinus’ prägend, die das geistige Klima der ersten Jahrzehnte des XX. Jahrhunderte durch die augustinischen Motive kennzeichnet: Unruhe des Herzens, das Paradoxe, die Zerreißung zwischen Sünde und Heil (vgl. TH.J. WHITE, Introduction, in: DERS. (Hrsg.), The Analogy of Being, 11f). Vertiefung erfährt sein Studium in der Auseinandersetzung mit den Motiven der Neuzeit: mit der Philosophie der Romantik (Baader, Görres und Deutinger), mit Goethe, Nietzsche, Troeltsch und Simmel, ferner mit Kierkegaard, Kant und Hegel (vgl. M. ZECHMEISTER, Gottes-Nacht, 64, 108f). Richtungweisend ist für Przywara die frühe Beschäftigung mit John Henry Newman, in dem Przywara einen modernen und katholischen Denker entdeckt. Newman ist für Przywara eine echt katholische Antwort auf die Fragen der ausgehenden Neuzeit und er wird nicht zögern, Newman als den „Kirchenlehrer des Heute“ zu sehen. „So sehr Kirchenlehrer, daß er, wie die großen Kirchenlehrer der christlichen Antike, die Ur-Linien des Christlichen aus einem heiligen Leben herauf erbetet; – so sehr Heutiger, daß seine Sprache ganz im ‚Realen‘ lebt (so wie er unwillig sein konnte, als ein Besucher ihm nichts über den Bau einer neuen Brücke in London zu berichten wußte, – wie er fast als geborener Politiker die Ereignisse des Krim-Krieges verfolgte)“ (Wege zu Newman, 29). Aus diesem Lobeshymnus auf Newmans Aktualität und dessen Fähigkeit, die große patristische Tradition mit dem neuzeitlichen Denken zu vermählen, können wir den Selbstanspruch Przywaras herauslesen.

175 Vgl. Analogia entis I, 7.

176 K. RAHNER, Laudatio, 267. „Przywara verstehen zu wollen, fordert deshalb, ihm in die konkreten Begegnungen und Kontroversen seiner Zeit zu folgen“ (M. ZECHMEISTER, Gottes-Nacht, 84).

177 Vgl. G. WILHELMY, Vita, 17f.

178 So die Widmung zu J. PIEPER, Tod und Unsterblichkeit.

179 Schon der zeitliche Aufwand, alle die von Przywara erwähnten Werke fremder Autoren zu studieren, und das noch bei allen anderen Aktivitäten der 20er Jahre und unter dem Schatten der Krankheit, verdient Respekt vor seiner immensen Arbeitsleistung und ungemeinen Zeitnutzung. „Das Arbeitspensum, das sich der Pater in jenen Jahren zumutet, scheint menschenmaß zu überschreiten“ (M. LOCHBRUNNER, Hans Urs von Balthasar, 25; vgl. G. WILHELMY, Vita 11).

180 M. SCHNEIDER, „Unterscheidung der Geister“, 27.

181 H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara, in: L. ZIMNY (Hrsg.), Erich Przywara, 13.

182 Vorwort, in: RdG I, VII.

183 Vorwort, in: IuG, 7.

184 So schreibt er auch über Simone Weil, dass sie „nicht einfach nachdenkt, sondern selber eintaucht und untertaucht“ (Simone Weil, 75).

185 Diese Methode hatte auch eine ganz praktische Konsequenz für Przywaras Arbeitsweise. Da er ununterbrochen die gelesenen ‚kernigen‘ Gedanken auf „kleine geordnete Zettel ausschrieb, […] entstand mit den Jahren eine ansehnliche Zettelbibliothek, die ihn sein Leben lang als wichtiges Rüstzeug begleiten sollte und zugleich bereits in der Auswahl der Stellen seine damalige Sicht des betreffenden Autors enthält“ (G. WILHELMY, Vita, 11).

186 Wege zu Newman, 29f. Ein anderer methodischer Leitsatz: „Bei Nietzsche, Scheler, Simmel, Newman hatte ich die Methode ausprobiert, von ihrem Ende her in den frühesten Anfang hinein zu sichten“ (Um Hölderlin, 132).

187 Analogia entis I, 51.

188 Vorwort, in: IuG, 9f.

189 Der Ruf, 93.

190 Vgl. P. MOLTENI, Al di là degli estremi, 78f.

191 Z.B. Simone Weil, 73.

192 M. ZECHMEISTER, Gottes-Nacht, 93.

193 H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara, in: L. ZIMNY (Hrsg.), Erich Przywara, 12.

194 Vgl. L.B. PUNTEL, Analogie und Geschichtlichkeit, 549.

195 F. KAUFMANN, Erich Przywara, Humanitas, 243 und 249.

196 Ebd., 242.

197 K. RAHNER, Laudatio, 272.

198 K. BARTH – E. THURNEYSEN, Briefwechsel, II, 190.

199 Im Vorfeld schreibt Barth an Thurneysen über seine Vorbereitungen für die Seminarsitzung, in der Przywara „dann einmal alles, was er über analogia entis etc. zu sagen hat, von Angesicht zu Angesicht vertreten“ sollte: „Aber auch da werden wir einen schweren Stand haben. Er ist ein Klügling durch und durch. Neulich hat Lollo [Charlotte von Kirschbaum] einen zweistündigen Vortrag von ihm gehört, in dem er alle unsere schönsten Register auch gespielt haben und nur zuletzt eben mittelst Thomas alles wieder eingewickelt haben soll. Lollo schrieb mir geradezu, sie habe den Eindruck gehabt, das sei der einzige, aber ein wirklich ernsthafter Gegner, den ich zu fürchten habe“ (ebd., 638).

200 Ebd., 651.

201 Ebd., 651–653. Thurneysen hatte ein Jahr später Przywara zu Gast gehabt und ihn im persönlichen Gespräch folgendermaßen erlebt: „beweglich und gescheit und nicht ohne eine gewisse menschliche Güte und Ansprechbarkeit. Wie eine Tanzmaus rannte er hin und her zwischen allen Gestalten der gegenwärtigen Weltbühne, heißen sie nun Heidegger oder Gogarten oder Buber oder Grisebach oder Husserl, benagte sie alle und äugte dann plötzlich aus dem eigenen Loch noch schnell siegreich heraus, um ungreifbar darin zu verschwinden. Dieses eigene Loch hieß diesmal: gratia praeveniens, hieß oboedientia potentialis, hieß gratia inhabitans, aber dies alles so raffiniert interpretiert, daß aller Pelagianismus gänzlich ausgeschlossen schien und einem alle die plumpen Kategorien, mit denen man ihn doch noch in die Falle zu bringen hoffte, gänzlich nebenabfielen. Man mochte noch so oft zum theologischen Bierjungen mit ihm ansetzen, man hatte kaum angesetzt, so war man auch schon ‚zweiter‘ Sieger. Ich glaube, mit dem würde der Teufel selber es verlieren. […] Sogar Fritz Lieb, den ich miteingeladen hatte, verstummte ob der großen Einsichten des Wasserpolaken, der alles immer noch ein wenig besser wußte und genauer kannte. Aber alles in allem ein ganz und gar vornehmes, urbanes und gelehrtes Gespräch. Es wurde unaufhörlich lateinisch gesprochen, es wurde sachkundig von der Orthodoxie und den Ikonen geredet, es wurde durchaus an keiner Stelle irgendjemand beleidigt oder direkt angegriffen. Es schimmerte durch alles hindurch beim Herrn Pater selber die große Sicherheit dessen, der auf dem unwandelbaren Felsen der Kirche eine wirkliche Zuflucht hat. Und so staunte man und bekam es fast mit dem Heimweh nach dieser ganzen erstaunlichen katholischen Möglichkeit, wenn nicht. ja, wenn nicht irgendwo ein letztes Grauen vor soviel Kunst in einem zurückgeblieben wäre“ (ebd., 708f). Zur Kontroverse zwischen Barth und Przywara siehe B. Dahlke, Die katholische Rezeption, 80–92, 124–129.

202 Oberschlesien, 12.

203 Siehe vor allem A. FOA, Ebrei in Europa, 231f. Darüber hinaus siehe G. ALY, Warum die Deutschen?; T. VAN RAHDEN, Juden und andere Breslauer; T. WEGER, Niemcy, Żydzi i Polacy.

204 G. Aly schreibt von einer generellen „deutsch-jüdische[n] antipolnische[n] Allianz, die bis in die Spätzeit der Weimarer Republik hielt“ (G. ALY, Warum die Deutschen?, 64). Im ähnlichen Spannungsfeld suchten auch die Prager Juden in ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis Schutz vor dem aufstrebenden tschechischen Nationalismus (Vgl. A. FOA, Diaspora, 85). Der wichtigste von ihnen mag Franz Kafka gewesen sein. Ohne seine Erfahrung, der jüdischen und zugleich der deutschsprachigen Minderheit in der überwiegend christlichen und slawischen Stadt der auseinanderfallenden Donaumonarchie anzugehören, sind seine Werke kaum zu denken. Als solcher symbolisiert auch er das Drama der jüdisch-deutschen Symbiose: „By the time Kafka died in 1924, only 5 per cent of the population of Prague were native German speakers. Most of them, like Kafka, were Jewish. And nearly twenty years later most of those, like his three sisters, were murdered in the Holocaust during the Nazi occupation of Czechoslovakia: it was, ironically, the Germans themselves who finally eliminated the German language and tradition in Prague” (N. MACGREGOR, Germany, 57f).

205 Zit. als Titel in: M. BOLL – R. GROSS (Hrsg.), „Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können“.

206 Begegnungen jüdischen und christlichen Geistes, in: H.J. SCHULTZ (Hrsg.), Juden, Christen, Deutsche, 239-–48. Vgl Rätsel Israel.

207 Im Nachlass Przywaras befinden sich zwei Briefe Baecks an Przywara (ArchDPSJ 47–182–13) sowie zwei Abschriften von Przywaras Briefen an Baeck (ArchDPSJ 47–182–812) aus den Jahren 1954–55, die auf persönliche Kontakte vor dem II. Weltkrieg schließen lassen. „Oft einmal habe ich in den vergangenen Jahren an Sie gedacht und hatte gefragt wie es Ihnen wohl ergehe“, schreibt am 9. Februar 1954 Baeck, der sich für die vom Fritz Landsberger überbrachten Grüße und Wünsche bedankt. „Ihr Brief ist für mich eine der schönsten Überraschungen seit dem Beginn der bösen Jahre“, antwortet Przywara (beim angegeben Datum, dem 2. Februar 1954, handelt es sich offensichtlich um einen Fehler).

208 Begegnungen, 243.

209 Rätsel Israel, 101. „Nach der im Frühjahr 1933 verfügten Zwangsauflösung der Bündischen Jugend durch die Nationalsozialisten sammelte Schoeps deren jüdische Mitglieder in einer eigenen Organisation, dem Deutschen Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden. Seine in diesem Rahmen entfalteten Unternehmungen zielten vorrangig darauf ab, die Zugehörigkeit der Juden zum Deutschtum bzw. zum Preußentum herauszustellen, und richteten sich vehement gegen alle Versuche, die deutsch-jüdische Symbiose zu entflechten, d.h. beide ‚Völker‘ zu ‚dissimilieren‘“ (F.-L. KROLL, Hans-Joachim Schoeps), 110). Wie J.H. Schoeps schreibt, wollte sein Vater die damalige liberale Führungsschicht im deutschen Judentum durch konservative, „bündisch-soldatische Kräfte“ ersetzen, was jedoch nicht besonders ernst genommen wurde. Dem Versuch soll eine Fehleinschätzung der Situation, aber keine Absicht, mit Nazis zu paktieren, zugrunde gelegen haben (vgl. J.H. SCHOEPS, „Hitler ist nicht Deutschland“, 232f. Vgl. Ders., Im Streit um Kafka).

210 Siehe dazu S.M. BATZDORF, Edith Stein, 160–163; M. BÖCKEL, Edith Stein; R. SCHMIDBAUER, Edith Stein.

211 Siehe dazu z.B. S. WEIL, Il fardello dell’identità.

212 Nach K.-H. Wiesemann müsse „der innere, vielleicht nur äußerst mittelbar erkenn- oder erahnbare Nachhall, den diese geistig-geistliche Freundschaft auf höchsten Niveau in den Beteiligten und ihren Werken erzeugte“ beleuchtet werden: „Welchen Niederschlag findet etwa das eigentümlich schwebende und quirlig oszillierende Polaritätsund Analogiedenken des Jesuiten in dieser so gradlinig angelegten Konvertitin? Wo ist der innere Berührungspunkt zwischen beiden, ohne den es keine fruchtbare Beziehung geben kann?“ (K.-H. WIESEMANN, Edith Stein, 189). Im Zuge der Befragung für den Seligsprechungsprozess schreibt der betagte Przywara jedoch, ihre Beziehungen waren „rein philosophischer Natur“. „Natürlich haben Edith Stein und ich uns mehrfach in wissenschaftlichen Angelegenheiten gesprochen; nach ihrem Eintritt in den Orden sprach ich mit ihr ein einziges Mal im Karmel von Köln. Ein Briefwechsel nach ihrem Eintritt bestand nicht, weil unsere philosophischen Fragen erledigt waren“ (Brief an Prälat [J.] Queck (Erzbischöffliches Offizialat in Köln), vom 26. Mai 1968 [Abschrift], in: ArchDPSJ 47–182–923).

213 Vorwort in: RdG I., X.

214 Simmel – Husserl – Scheler, 34.

215 Begegnungen, 239.

216 Über die vielen Erscheinungen des Antijudaismus siehe D. NIRENBERG, AntiJudaismus, bes. 97–143, 389–459. Über den Antijudaismus und Antisemitismus im Kontext der deutschen Philosophie der Neuzeit siehe D. DI CESARE, Heidegger, bes. 36–81. Eine bestechend ausgewogene und konsequente Analyse des traditionellen christlichen Antijudaismus als Schuldpotential im Kontext der Schoah findet sich in: G. LOHFINK – ‚ Maria – nicht ohne Israel, 45–57. Eine kompakte Übersicht der schwierigen und komplexen Beziehungen zwischen Kirche und Judentum bis zum Vortag des Zweiten Vatikanischen Konzils in: R.A. SIEBENROCK, Theologischer Kommentar, 618626.

217 Universeller Geist, in: Unser Oberschlesien 2 (1952) 5, zit. in: G. WILHELMY, Vita, 8.

218 Vgl. G. ALY, Warum die Deutschen?, 105; O. BLASCHKE, Katholizismus und Antisemitismus, 65f. Eine differenzierte und behutsame Verortung dieses Phänomens bietet Ch. Kösters, der mit O. Blaschkes These vom für das katholische Milieu konstituierenden Antisemitismus polemisiert. Laut Kösters deuten die Forschungsergebnisse auf ein eher ambivalentes Verhältnis zu den Juden, die bis in die ersten Jahre des NS-Regimes keineswegs eine herausragende Rolle in der Wahrnehmung der Katholiken spielten. Auch die Methodologie der Forschung, aus der Blaschke die These von einer „bruchlosen Kontinuität eines katholischen Antisemitismus zwischen 1871 und 1945“ herleitet, scheint ungenügend. Die von Blaschke „für die Historisch-Politischen Blätter von 1838 bis 1919 und die Stimmen aus Maria Laach von 1871 bis 1919 insgesamt nachgewiesenen 604 bzw. 197 Seiten antisemitischen Inhalts machen jeweils deutlich weniger als 1% der Gesamtseitenzahl dieser Zeitschriftenjahrgänge aus“ und werden nicht in Verhältnis mit den anti-antisemitischen Stimmen gebracht. Kösters will damit den „Zusammenhang von katholischen Milieu und Antisemitismus“ nicht relativieren, aber die Erklärungskraft woanders suchen: „in den vielen Grauschattierungen getrübter, teilweise gänzlich verstellter Wahrnehmung der jüdischen Lebensschicksale; von der Aufnahme familiärer Verbindungen zwischen Christen und Juden abgesehen, war und blieb man einander fremd“ (CH. KÖSTERS, Katholische Kirche, bes. 37f). Siehe auch: TH. BRECHENMACHER, Katholischer Antisemitismus?. Viele persönlich formulierten Einsichten in das jüdisch-katholische Miteinander zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Österreich finden sich in: A. KOSCHEL (Hrsg.), Katholische Kirche und Judentum.

219 O. BLASCHKE, Das Pianische Jahrhundert, 118f.

220 R. SCHNEIDER, Verhüllter Tag, 155.

221 Vgl. J. TAUBES, Brief an E. Przywara, vom 3. Januar 1953.

222 Brief an J. Taubes, vom 23. März 1953.

223 Vgl. J. TAUBES, Brief an E. Przywara, vom 19. Oktober 1960.

224 J. TAUBES, Die politische Theologie, 140f.

225 Ebd.

226 R. FABER, „Theokratie von oben …“, 63. „Taubes pflegte tatsächlich und mit Vorzug das Gespräch mit Antipoden, von Hans Urs von Balthasar über Eric Vogelin, Hans-Dietrich Sander und Armin Mohler bis Carl Schmitt“ (ebd., 89).

Israel als Urgeheimnis Gottes?

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