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Die Reise beginnt

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Kurz vor meinem Freiwilligendienst beendete ich mein sozialwissenschaftliches Studium. Für die Stellensuche mit anschließendem Arbeitsalltag fühlte ich mich aber noch nicht so recht bereit. Nach sechs – mal mehr, mal weniger langen – Jahren des Studierens, Lernens, Lesens und Schreibens wollte ich erst einmal etwas anderes sehen und erleben. Es zog mich in die Ferne.

Allerdings wollte ich nicht bloß reisen, sondern auch etwas Sinnvolles für andere tun, mich irgendwo nützlich machen. Es stand für mich daher bald fest, dass ich einen Freiwilligendienst leisten wollte und das am besten in einem afrikanischen Entwicklungsland. Der afrikanische Kontinent hatte mich schon länger interessiert. Meine Abschlussarbeit schrieb ich über die schwierige Menschenrechtssituation von Frauen und Mädchen in Afrika südlich der Sahara und war daher besonders daran interessiert, mehr über die Situation der Frauen vor Ort zu erfahren. Außerdem sah ich in einem Auslandsjahr eine gute Möglichkeit, meine Fremdsprachenkenntnisse zu verbessern, denn die waren während des Studiums ziemlich eingerostet. Ich hatte französisch zwar auf der Schule gelernt, aber nie richtig anwenden können.

Ich begab mich zunächst auf die Suche nach einer für mich geeigneten Entsendeorganisation. Nach vielen Stunden der Internetrecherche bin ich auf den Freiwilligenaustausch Weltweit (im Folgenden FAW) gestoßen. Die Organisation mit Sitz in Berlin entsendet jedes Jahr circa 300, meist junge Menschen ins Ausland und hat sich die weltweite Friedensförderung zum Ziel gesetzt. Gegründet wurde der FAW nach dem Zweiten Weltkrieg von einem deutschen Pfarrer, der die deutsche und die US-amerikanische Bevölkerung näher zusammenbringen wollte. Daraus hat sich bis heute ein Austausch entwickelt, der sich über alle Kontinente erstreckt.

Die Homepage der Organisation machte auf mich einen sehr sympathischen Eindruck. Bilder von glücklich aussehenden Menschen unterschiedlichster Herkunft und exotischen Tieren machten mich neugierig. Auch das Leitbild der Nichtregierungsorganisation fand ich sehr ansprechend. Interkulturelle Begegnungen, Friedensarbeit, Vielfalt und Solidarität waren dem FAW wichtig. Das konnte ich blind unterschreiben.

Eine Bewerbung beim FAW war online möglich. Über eine Maske auf der Homepage bewarb ich mich also für einen Dienst als Freiwillige. Die Bewerbung war recht aufwändig. Zunächst sollte ein Onlinefragebogen ausgefüllt werden. Der beinhaltete neben den üblichen Angaben zum Lebenslauf, Auskünfte über Fremdsprachenkenntnisse, bisherige Auslandsaufenthalte und die eigene derzeitige Wohn- und Lebenssituation. Die persönliche Motivation für einen ehrenamtlichen Freiwilligendienst sollte ebenfalls umfangreich dargestellt werden: „Welche sozialen, politischen, gesellschaftlichen Themen beschäftigen Dich? Welche Ziele für Deine persönliche Entwicklung verbindest Du mit Deinem Auslandsaufenthalt? Welche persönlichen Stärken und Eigenschaften kommen Dir, aus Deiner Sicht, für Deine Zeit als Freiwilliger zu Gute?“, sind drei Beispiele für Fragen, über die es hier nachzudenken galt.

Zusätzlich sollten der Bewerbung zwei aussagekräftige Referenzschreiben beigelegt werden. Ich bat die Professorin, die meine Masterarbeit betreute und bei der ich als studentische Hilfskraft angestellt war, und einen der anderen Dozenten um ein solches Schreiben.

Einige Wochen später bekam ich einen Brief. Ich wurde zu einem zweitägigen Informationsseminar in Hessen eingeladen. Wow! Vor Freude sprang ich wild in meinem Zimmer des Studentenwohnheims umher. Gespannt fuhr ich kurze Zeit später mit dem Zug nach Hessen. Etwa 50 junge Leute waren ebenfalls angereist. Auf dem Seminar stellte die Organisation sich und ihre Programme gründlich vor. Zur Finanzierung eines Freiwilligendienstes gab es mehrere Möglichkeiten: Das weltwärts-Freiwilligenprogramm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beinhaltete den Hin- und Rückflug, die Vermittlung in ein Projekt, die Unterbringung in einer Gastfamilie und ein monatliches Taschengeld in Höhe von 100 Euro (was in einem Entwicklungsland über dem Monatseinkommen der meisten Menschen liegt). Der Restbetrag von 1800 Euro, den weltwärts nicht abdeckt, sollte durch einen Förderkreis selbst beigebracht werden.

Neben diesem Programm gab es die Möglichkeit, den Auslandsaufenthalt über den IJFD (Internationaler Jugendfreiwilligendienst) oder das EU-Programm EFD (Europäischer Freiwilligendienst) zu finanzieren.

Mit jedem Bewerber wurde später auf dem Seminar ein Einzelgespräch geführt, in dem nach den eigenen Vorstellungen und Erwartungen an den Freiwilligendienst gefragt wurde. Welche Herausforderungen für einen in dem Gastland wohl am schwierigsten zu bewältigen sein würden, war zum Beispiel eine solche Frage. Ich stellte mir die Sprache zu diesem Zeitpunkt als das größte zu überwindende Hindernis vor. Ich ahnte schon, dass es mich furchtbar frustrieren würde, nicht das ausdrücken zu können, was in mir vorging.

Nach dem Gesundheitszustand der Bewerber erkundigte man sich in dem Gespräch ebenfalls, dieser sollte später noch durch ein ärztliches Gesundheitszeugnis dargelegt werden.

Einige Wochen nach dem Seminar hatte ich wieder Anlass fröhlich in meinem Zimmer umherzuspringen: Ich bekam die Zusage für einen einjährigen Einsatz in Togo! Togo war das Land, das ich als Erstwunsch für meinen Freiwilligendienst angegeben hatte. Ich hatte doppeltes Glück, denn mein Einsatz als Freiwillige wurde durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert. Bis zum 28. Lebensjahr kann man sich für die Förderung bewerben. Ich sollte glücklicherweise erst in Togo 28 Jahre alt werden und bekam einen der begrenzten Förderungsplätze.

Durch die weltwärts-Förderung war der Großteil der Kosten für mein Auslandsjahr also abgedeckt. Es blieb aber noch der Restbetrag von 1800 Euro, den ich durch einen Förderkreis, ein für mich bis dato völlig unbekanntes Konzept, aufbringen sollte. Die Idee des Förderkreises ist, kurz gesagt, dass man Spenden für seinen Einsatz sammelt und dadurch gleichzeitig viele Menschen darüber informiert und für die Sache interessiert. Ich schrieb insgesamt 18 Briefe an Freunde und Verwandte, in denen ich ihnen von meinen Plänen berichtete und sie um eine Spende für meinen Förderkreis bat. Ein paar Unternehmen schrieb ich ebenfalls an, erzielte damit jedoch keinen Erfolg. Andere Freiwillige waren in ihren Unternehmungen kreativer und verkauften zum Beispiel Waffeln an ihrer Schule. Ich konnte insgesamt 1000 Euro in meinem persönlichen Umfeld sammeln und bestritt den Restbetrag selbst.

Zusammen mit mir reisten weitere sieben junge Freiwillige über den FAW nach Togo aus: Felice, Pia, Philip, Luisa, Maike, Tanja und Thorsten. Fast alle hatten gerade ihr Abitur bestanden und waren zwischen 17 und 20 Jahren alt. Nur Pia und ich waren schon deutlich über 20. Die meisten Freiwilligen, die der FAW ins Ausland entsendet, befinden sich klassischerweise in einer Übergangssituation. Meistens von der Schule an die Hochschule, bzw. den Beruf oder von der Hochschule in den Beruf.

Unsere Gruppenmitglieder kamen aus den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands. Philip war ein waschechter Hamburger, Thorsten wohnte nicht weit von Berlin entfernt, Tanja, Pia und Maike kamen aus dem Stuttgarter Raum. Luisa und ich entstammten dem Rheinland und Felice kam aus München. Immer wieder lachten wir über die sprachlichen Unterschiede, die sich bei uns offenbarten. Maike nannte ein „Butterbrot“ eine „Vesper“, „Frikadellen“ hießen bei anderen „Ballen“ und als einen „Hoddel“ bezeichnet lange nicht jeder einen „Lappen“.

In Togo arbeitet der FAW mit der Organisation Campagne des Femmes zusammen. Deren Präsident, Honoré Akete, vermittelte uns Freiwillige in Projekte und war für unsere Betreuung vor Ort zuständig. Jeder von uns Freiwilligen hatte im Voraus eine Präferenz für ein Projekt angegeben und daraufhin eine Zuteilung erhalten. Ich sollte in dem Büro von Campagne des Femmes eingesetzt werden. Genau das hatte ich mir gewünscht. Ich war voller Vorfreude auf meine Ausreise. Mein Leben würde sich für ein Jahr komplett verändern und ich brannte auf dieses Abenteuer.

Während eines 10-tägigen Seminars in Nordhessen bereitete der FAW uns auf unseren Einsatz als Freiwillige vor. Zusammen mit 137 anderen Freiwilligen, welche in die verschiedensten Länder der Welt entsendet werden sollten, erarbeiteten wir uns in Kleingruppen Themen wie westliche Privilegien, Vorurteile oder globalisierter Handel. Die Stimmung unter uns Freiwilligen war super gut und unsere Erwartungen an das Auslandsjahr mega hoch. Jeder hängte sich in den Seminaren rein und alle versuchten, besonders schlaue und gewichtige Dinge zu sagen.

Die Einheit, die wir über Rassismus machten, blieb mir besonders in Erinnerung. Hier wurde am heftigsten diskutiert. Ich erfuhr, dass der Rassismus ein Abfallprodukt der Aufklärung war und unter anderem auf Ideen von Immanuel Kant zurückzuführen ist. Das überraschte mich sehr. Kant kannte ich bisher nur als den friedvollen Denker, der wollte, dass die Menschen gut zueinander sind. Als den Mann, der den kategorischen Imperativ aufstellte, der besagt, dass man so handeln soll, dass das eigene Handeln jederzeit ein allgemeingültiges Gesetz werden könnte. Jetzt lernte ich, dass insbesondere auf Kant eine Theorie zurückgeht, in der die Menschheit in vier Rassen eingeteilt wurde. Die Rassen sollten sich vor allem in ihrer Vernunftbegabtheit unterscheiden. An der Spitze, wie sollte es anders sein, stünden die Europäer. Unglaublich, dass Menschen so etwas ernsthaft denken konnten.

Was Rassismus überhaupt ist, darüber führten wir im Anschluss hitzige Diskussionen. Bald entstanden zwei Lager im Seminarraum. Die eine Seite, auf der ausschließlich Freiwillige standen, argumentierte gegen die Seminarleiter des FAW. Die FAW-Mitarbeiter vertraten die Ansicht, dass es Rassismus gegen Weiße nicht gäbe, denn Weiße blieben bei jeder rassistischen Diskriminierung, die sie erfahren, am Ende doch immer die Privilegierten und Mächtigeren. Man könne lediglich von situationsbedingter Diskriminierung reden, wenn Weiße in Afrika beispielsweise mehr bezahlen müssen als Einheimische. In Togo betrifft dieses Phänomen zum Beispiel den Frisör. Die Preise für Weiße liegen nicht selten über dem 10-fachen dessen, was Togolesen zahlten. Und ja, das kann man sicher als eine eben solche situationsbedingte Diskriminierung begreifen. Weiße haben im Vergleich meist eben einfach mehr Geld in der Tasche als andere. Deshalb werden sie ungleich behandelt, behalten aber trotzdem die bessere Position. Ich habe aber auch etwas erlebt, worauf der Begriff der Diskriminierung nicht mehr passt, aber darauf komme ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zurück.

Wie bereits erwähnt, mussten wir Freiwilligen vor der Ausreise ein Gesundheitszeugnis beibringen, in dem uns ein guter Allgemeinzustand attestiert wurde. Zu den weiteren Vorbereitungen zählten Besuche beim Tropenmediziner. Ich wurde gegen Gelbfieber, Hepatitis A und B, Tollwut, Meningitis, Keuchhusten und Cholera geimpft. Zudem richtete ich mir ein Onlinekonto ein, damit ich in Togo eine Visa-Karte besaß, mit der ich kostenlos Geld abheben konnte. In Togo stellte sich dann heraus, dass Visa eine gute Wahl war, denn Maestro-Karten funktionierten dort nicht.

Dann hieß es einkaufen. Ich kaufte mir Trekkingsandalen, Flip-Flops, einige T-Shirts, Baumwollunterwäsche, kühlendes Gel, sehr viele Insektenschutzsprays, Sonnenmilch, Pflaster, Schmerz- und Durchfallmittel für die Reiseapotheke und einen großen Vorrat an Tampons – denn die gibt es in Togo nicht zu kaufen. Zu den anderen Dingen, die ich mitnahm, zählten ein Taschenmesser, eine Regenjacke, ein Moskitonetz, ein Jugendherbergsschlafsack, eine Taschenlampe und ein kleiner Wanderrucksack.

Manche Sachen davon erwiesen sich in Togo als überaus nützlich (wie zum Beispiel das kühlende Gel, das sehr gut bei Insektenstichen half) wohingegen sich andere Dinge als völlig überflüssig herausstellten. Ich hatte viel zu viel Sonnenmilch eingepackt! Ein oder zwei Tuben hätten locker für das ganze Jahr gereicht. In der prallen Sonne hält man sich in Togo ohnehin wenig auf und auch sonst schien die Sonneneinstrahlung nicht so intensiv zu sein. Denn obwohl fast immer die Sonne schien, verursachte sie nur selten einen Sonnenbrand. Vielleicht lag das an dem vielen Staub, der dort in der Luft liegt.

Eine Regenjacke braucht man auch nicht. In der Regenzeit stellt man sich einfach solange unter, bis der Regen vorbei ist. Das mag dem einen oder anderen Europäer absurd vorkommen. Wer in Deutschland von einem Regenschauer überrascht wird, rennt wahrscheinlich ganz schnell nach Hause oder holt seinen Knirps aus der Tasche. In Togo wartet man, bis der Regen aufgehört hat. „Zeit gibt es genug“, denkt man sich. Wovon sonst kommt immer mehr nach?

Und selbst bei monsunartigem Regen ist es immer noch sehr warm und man verspürt keine Lust, eine Regenjacke zu tragen. Eher sollte man sich einen gemütlichen Pulli mitnehmen. Das einzige Mal, als ich meine Regenjacke in Togo benutzte war, als ich nachts fror.

An Gepäck waren von der Fluggesellschaft zwei Koffer à 23 kg und ein Handgepäckstück zugelassen, was ich voll nutzte. Bei der Rückreise ließ ich dann viele der Dinge in Togo zurück, damit ich in den Koffern Platz für all' die schönen Souvenirs und bunten Kleider fand, die ich aus Togo mitbrachte. Man sollte wirklich nicht zu viel Kleidung mitnehmen. Teure Funktionskleidung ist nicht nötig. Die vielen farbenfrohen gemusterten Stoffe, die es auf dem Markt gibt, verleiten einen schnell dazu, sich etwas daraus schneidern zu lassen. Die knalligen Stoffe, die in Togo „Pagne“ heißen, sind mit den wildesten Motiven bedruckt. Blaue Hühner, rote Telefone, Duschbrausen, knatschpinke Pumps oder überdimensionale USB-Sticks – alles ist tragbar. Meine Mitfreiwillige und Mitbewohnerin Luisa konnte sich überhaupt nicht bremsen und besaß am Ende über 30 Kleidungsstücke aus afrikanischen Stoffen. Besonders beliebt war unter uns Freiwilligen der „Garnelen-Pagne“. Auf dunkelblauen Grund waren unzählige knallrote Garnelen gedruckt. Philip ließ sich aus diesem Stoff sogar einen zweiteiligen Anzug, einen „complet“, schneidern.


Ein Pagne-Stand auf dem Markt.


Unzählige Motive und Farben kennzeichnen die afrikanischen Stoffe.

Vor dem Abflug musste natürlich auch noch ein Geschenk für meine zukünftige Gastfamilie her. Ich wusste zu dem Zeitpunkt der Ausreise noch nicht, in welche Familie ich kommen würde, ob die Familie Kinder haben würde und wenn ja, wie viele. Mir blieb daher nichts anderes übrig, als ins Blaue hinein zu kaufen. Ich besorgte Malbücher, Buntstifte und einen Anspitzer. Außerdem wollte ich meiner Gastfamilie typisch deutsche Geschenke machen. Ich fand ein hübsches Frühstücksbrettchen mit Motiv, kaufte Erdbeermarmelade aus eigener Herstellung, lokale Süßigkeiten-Spezialitäten, eine Flasche deutsches Bier mit Bügelverschluss und Fruchtgummi mit Waldmeistergeschmack. Der Verkäufer in dem Fruchtgummiladen versicherte mir, dass Waldmeister etwas total Besonderes ist, was es nur in Deutschland zu kaufen gäbe und damit entsprach auch das Fruchtgummi voll und ganz meinem Anspruch.

Ausgestattet mit all' diesen Dingen fühlte ich mich bereit für die große Reise. Am Vorabend meiner Ausreise gab es noch eine große Grillfeier und ich verabschiedete mich von meiner Familie und meinen Freunden. Am nächsten Tag ging es dann tatsächlich los. Der FAW hatte für alle Freiwilligen, die durch weltwärts gefördert wurden, denselben Flieger gebucht und so traten wir gemeinsam unsere Reise nach Togo an. Am Frankfurter Flughafen verabschiedeten wir uns von unseren Eltern und Freunden, die uns zum Flughafen begleitet hatten. Die meisten kämpften mit den Tränen. Als ich durch das Gate ging und die Personenkontrolle passierte, konnte ich meine Eltern, meine Schwester Claudia und meine Freundin Marie noch durch die Glasscheiben sehen. Da fühlte auch ich auf einmal einen dicken Kloß im Hals. Wie lange würden sich die zwölf kommenden Monate ohne meine Familie und meine beste Freundin wohl anfühlen? Was lange Zeit nur ein Traum war, wurde auf einmal ernst. Ich winkte meinen Lieben noch ein letztes Mal zu, atmete tief ein, drehte mich um und schritt meinem Abenteuer entgegen.

Ein Direktflug nach Togo bräuchte eigentlich nur 6 Stunden. Da es sich bei unserer Airline aber um eine äthiopische Fluglinie handelte, mussten wir zunächst nach Addis Abeba, die äthiopische Hauptstadt, um von dort weiter nach Togo zu fliegen. So dauerte unser Flug nach Lomé, der Hauptstadt Togos, ganze 16 Stunden.

Togo besitzt nur einen einzigen internationalen Flughafen und im Gegensatz zu den deutschen Flughäfen ist er winzig klein. Nachdem wir unser Gepäck abgeholt hatten, warteten wir in der Flughafenhalle auf jemanden, der uns abholen sollte. Ein junger Mann kam freudig auf uns zu und dirigierte uns zu dem Parkplatz vor dem Flughafengebäude. Dort saß Honoré Akete, der Leiter der Partnerorganisation, am Steuer eines blauen Kleintransporters. Dass es sich bei ihm um Honoré handelte, fanden wir aber erst später heraus, denn vorgestellt hatte er sich uns nicht.

Dann hieß es, Gepäck einladen. Unsere Koffer stapelten sich im Laderaum, während wir uns vorne auf die Sitze quetschten.

Honoré fuhr uns von Lomé direkt nach Kpalimé, dem Ort, wo wir die nächste Zeit verbringen sollten. Auf der zweistündigen Fahrt bekamen wir einen ersten Eindruck von dem Land. In der Hauptstadt herrschte reges Gewusel auf den Straßen. Der Verkehr war sehr dicht, auf den Straßen drängten sich unzählige Motorräder und Taxen. In den Gassen spazierten Hühner, Schafe und Ziegen umher. Der Geräuschpegel war hoch. Das Fußvolk quetschte sich an den Straßenrändern vorbei. Es klingt vielleicht naiv, aber ich war total beeindruckt davon, nur schwarze Menschen auf den Straßen zu sehen. Ich sah keinen einzigen Weißen. Füllige Frauen in bunten Kleidern trugen überladene Körbe auf ihren Köpfen und zogen Kinder an den Händen hinter sich her. Auf den Rücken trugen sie oft zusätzlich ein kleines Baby. Männer standen an Straßenecken und gestikulierten wild, während sie miteinander diskutierten. Die Gesichter der Menschen sahen für mich alle gleich aus. Die Hautfarbe der Menschen war gleich, die meisten Nasen waren breit, die Lippen dick und die Haare kurz. Worin unterschieden sich ihre Gesichter eigentlich? Dass ich kaum in der Lage war, die Gesichter der Menschen auseinanderzuhalten, sollte auch in den ersten Wochen noch so bleiben.

Als wir aus der Stadt hinausfuhren, führte uns die Landstraße vorbei an Maisfeldern, grünen, üppigen Landschaften mit Palmen, grünen Sträuchern und weiten Flächen. An einigen Stellen war der Boden verbrannt und es ragten nur noch qualmende Baumstümpfe aus der dunklen Erde hervor. Vereinzelt standen schiefe Hütten an den Straßenrändern und manchmal passierten wir ein kleines Dorf. Die meisten Häuser waren bescheiden und mit Wellblech bedeckt. Wir sahen weniger Menschen, dafür umso mehr Rinder, Schafe und vor allem Ziegen.


Ein prächtiger Affenbrotbaum.

Es war schon dunkel, als wir unser Domizil erreichten. Untergebracht werden sollten wir Freiwilligen langfristig zwar in einer Gastfamilie, zunächst wohnten wir aber alle zusammen im CARED. Das war ein verlassenes Waisenhaus, in dessen Garten heute eine kleine Schweinezucht betrieben wird. Honorés Frau, Aku, begrüßte uns dort herzlich mit einer festen Umarmung, die wir alle dringend brauchten.

Das Haus lag in Agomé-Yoh, etwa 2 Kilometer nördlich von Kpalimé. Das leer stehende Waisenhaus war von einer hohen Mauer umgeben und wir betraten die Anlage durch ein großes rostbraunes eisernes Tor. Das Haus war aus Backsteinen gebaut. Es hatte wie die meisten Häuser in Togo nur ein Stockwerk. Gebaut war es in Form eines Hufeisens, so dass es einen kleinen Hof in seinem Inneren gab.

In dem Hof wuchs Gras und es waren einige Wäscheleinen quer darin gespannt. Hier tummelten sich einige Hühner, die auf dem Gelände gehalten wurden. Auf dem Rasen watschelten außerdem Enten umher und es gab einen kurzhaarigen, weißen Hund. In den nächsten Tagen begegneten uns auf den Fluren des Hauses auch Nashornkäfer, tellergroße Nachtfalter oder gigantische Schnecken. Später sahen wir, dass jemand die Schnecken in der Küche auf den Rücken legte. So ließ man sie tagelang liegen. Wollte man sie auf diese Weise trocknen?

In dem Haus gab es drei große Schlafzimmer, auf die wir uns aufteilten. Die beiden Jungs bezogen einen Raum. Maike und Pia teilten sich mit mir ein Zimmer und die restlichen Mädchen schliefen in dem größten der Räume. Dass wir so einen deutlichen Mädchenüberschuss hatten, war typisch. Ein Freund von mir, der in der Entwicklungszusammenarbeit arbeitet, sagte einmal, dass es Mädchen und Frauen typischerweise nach Afrika ziehe, wohingegen Jungs und Männer meist lateinamerikanische Länder für einen Freiwilligendienst bevorzugten. Warum auch immer.

In jedem der Zimmer standen mehrere Hochbetten aus dunklem Holz, in denen früher einmal togoische Waisenkinder geschlafen hatten. Wir bezogen die unteren Betten, rollten unsere dünnen Schlafsäcke auf den durchgelegenen Matratzen aus und befestigten unser mitgebrachtes Moskitonetz an der Unterseite der oberen Schlafstätte. Für den fast zwei Meter großen Philip war das Bett viel zu klein und seine großen Füße ragten über den Rand hinaus.


Unser Schlafraum bei Nacht.

An den Fenstern, die in Togo so gut wie nie verglast sind, befanden sich Gitterstäbe. Der Raum wurde durch eine nackte Glühbirne an der Decke beleuchtet. Immerhin gab es hier Elektrizität, was keine Selbstverständlichkeit in Togo ist. Die Möbel in dem Haus waren allesamt aus dunklem Holz, es gab außerdem einige Plastikstühle, die vor dem Haus und in den Fluren standen und auf denen wir zwischendurch gerne Platz nahmen, um zu entspannen.

Außer den Schlafzimmern befanden sich in dem Haus noch zwei Wasch- und Toilettenräume, eine Küche und zwei Unterrichtsräume. Die Unterrichtsräume waren mit Tafeln ausgestattet und wurden von uns hauptsächlich als Esszimmer genutzt. Wir aßen mit Löffeln oder Gabeln von Plastiktellern, außer morgens, da gab es keine Teller. Wir tranken unseren Instant-Kaffee aus Plastiktassen und spülten anschließend alles in großen Bottichen auf der Terrasse. Anstelle von Spülmittel benutzten wir Waschpulver, was im Grunde genauso gut funktionierte.

Zur Küche führte ein Korridor, der in einen zweiten Ausgang des Hauses mündete. Hier gab es eine Feuerstelle aus Ton, die mit Holzkohle befeuert wurde. Eine Schwester von Honoré, Ami, kochte dort täglich für uns. Unsere liebe Köchin war etwa 55 Jahre alt und eine sehr füllige afrikanische Mama. Dazu muss man wissen, dass ab einem gewissen Alter alle Frauen in Togo Mama gerufen werden und meist auch füllig sind. Als man mich später auf der Straße gelegentlich mit „Bonjour Mama!“ oder „Bonjour Mamawi“, wobei die Endung „wi“ für klein steht, begrüßte, fühlte sich das für mich seltsam an. Aber klar, togoische Frauen haben in meinem Alter meistens schon Kinder.

Für uns war Ami eine freundliche Großmutter, die einen gerne zwischendurch an ihre weiche Brust drückte. Sie war eine imposante und gleichzeitig herzliche Erscheinung, was nicht zuletzt mit ihrer Art, sich zu kleiden, zu tun hatte. Sie trug immer traditionelle afrikanische Stoffe, welche bei ihrer immensen Körperfülle wunderbar zur Geltung kamen. Eine der knalligen Stoffbahnen wickelte sie sich als Rock um die Hüften und eine weitere trug sie zum Turban gewickelt auf dem Kopf. Dadurch verlängerte sich ihr Körper um einige Dezimeter. Und wenn sie sich schwerfällig, aber lächelnd über die Flure des Hauses bewegte, baumelte der golden glänzende Schmuck an ihren fleischigen Ohrläppchen. Ami beherrschte die traditionelle togoische Küche perfekt und gewöhnte uns nach und nach an das scharfe Essen Togos. Denn uns war so, als würden die Gerichte mit jedem Tag ein wenig schärfer.

An manchen Tagen ging es Ami nicht gut. Dann saß sie auf einem Hocker und rieb sich die schmerzenden Knie. Wenn man ihr dann eine Schmerztablette aus seiner Reiseapotheke anbot, war sie darüber sehr froh.


Ami bereit das Mittagessen „Pate“ zu.

Ami konnte kaum französisch sprechen. Wie lange hatte sie in ihrem Leben wohl eine Schule besucht? Morgens, wenn sie uns auf ihren hellblauen Flip-Flops auf den Gängen des Hauses entgegenkam, rief sie einem oft ein freudiges „Woezo-looo!“ entgegen, was auf Ewe soviel bedeutet wie „Willkommen“. Und bald verstanden wir, dass sie darauf ein „Yoo!“ als Antwort erwartete, denn „Yoo“ oder gesteigert zu „Yoolooo“ drückt in den verschiedensten Situationen Zustimmung aus.

Ewe ist die am meisten gesprochene Sprache Togos. Die Ewe stellen neben den Kabiyé das größte Volk dar. In Togo gibt es rund 40 verschiedene Ethnien, die zum Großteil ihre eigene Sprache sprechen. Die meisten Togolesen sprechen darüber hinaus französisch. Französisch ist die offizielle Amtssprache Togos, die in den Schulen gelehrt und gesprochen wird.

Im CARED, wo vor kurzer Zeit noch Spinnen gehaust hatten, tobte nun das Leben. Das Waisenhaus wurde jetzt von einem Dutzend junger Leute bewohnt. Neben Ami und uns Freiwilligen lebten noch drei togoische Jungs, in dem Haus, Eric, Edi und Nyedzi. Sie schienen alle für Honoré zu arbeiten. Die beiden erstgenannten waren nicht viel älter als 20 Jahre . Nyedzi war 27 Jahre alt und besaß das breiteste und strahlendste Lächeln Togos. Er war drahtig, muskulös und von einer sympathischen, einnehmenden Art. Honorés Frau Aku kam beinahe täglich mit ihren zwei Söhnen Jacques und Jean-Paul vorbei. Außerdem kamen auch immer wieder Jungs aus dem angrenzenden Dorf zu uns. Zu ihnen zählte auch Kodjo, der ebenfalls für Honoré arbeitete. Bereits nach zwei Tagen in Togo machte dieser mir den ersten von vielen weiteren Heiratsanträgen, die folgen sollten. Kodjo hatte einen kleinen Strauß Blumen gepflückt. Im Garten des Hauses gab er sie mir und stellte die große Frage. Er lächelte mich breit an und seine schiefen Zähne waren zu sehen. Ich hielt das für einen Spaß, guckte ihn herausfordernd an und sagte: „Vielleicht“. Dann fragte Kodjo, wo mein Geschenk für ihn sei. Ich hätte doch bestimmt etwas aus Europa für ihn mitgebracht. Das schien er nun ganz ernst zu meinen. Mit einer ausweichenden Antwort verzog ich mich ins Haus. Von nun an hatte ich einige Mühe damit, Kodjo auf Distanz zu halten. Alle weiteren Anträge lehnte ich in Zukunft vehement ab.

Der gemauerte Schweinestall lag in der hintersten Ecke des Gartens. Besonders nachts, wenn alles still war, hörten die Mädchen in dem nächstgelegenen Zimmer die Schweine grunzen und quieken. Eines Nachmittags, als wir gerade zum Französischkurs zusammen saßen, hörten wir einen lauten Schrei, der uns erschauern ließ. Wir stürzten in den Garten.

Kodjo stand auf der Terrasse. In der linken Hand hielt er ein kleines Messer mit einem Plastikgriff. Er hatte eines der jungen Schweine getötet. Ein Eimer Blut stand neben dem toten Tier. Das Schwein lag auf der Seite und blutete aus der Halsschlagader. Kodjo lachte über den Ausdruck auf unseren Gesichtern und setzte seine Arbeit fort. Er nahm eine Rasierklinge in die Hand und begann, die Borsten von der dicken, rosafarbenen Schweinehaut abzuschaben. Ich bekam Gänsehaut, hatte wenig Lust, mir das weiter anzuschauen und ging wieder ins Haus. Kurz darauf folgten weitere laute Geräusche, die bis in jedes Zimmer vordrangen. Es klang so, als würde jemand mit einer Axt Holz hacken, als Kodjo das Schwein mit seinem Beil in einzelne Teile zerlegte.


Die Schweinezucht im Garten.


Kodjo entfernt die Borsten des toten Schweins mithilfe einer Rasierklinge.

An der Außenseite des Hauses gab es einen Wasseranschluss. Zum Duschen und für die Toilettenspülung mussten wir uns dort das Wasser holen. Mehrmals täglich befüllten wir Plastikeimer mit Wasser und trugen sie in die Dusch- und Toilettenräume. In der Dusche gab es weitere Plastikgefäße, mit denen wir uns das kalte Wasser portionsweise über den Körper schütten konnten. Manchmal hörte man es im Vorbeigehen aus den belegten Duschkabinen schnaufen und japsen, weil das Wasser eiskalt war. Aus anderen Duschen hörte man es manchmal kichern. Mit großer Belustigung nahmen wir Freiwilligen zur Kenntnis, dass die togoischen Jungs dort zusammen ihre Dusche nahmen. Eric und Nyedzi bespritzten sich gegenseitig mit dem kalten Wasser und amüsierten sich dabei köstlich.

Für uns Mädchen bestand das größte Problem in der Haarwäsche. Das Shampoo wieder aus den Haaren herauszubekommen, war besonders für Luisa und Felice mit ihren langen braunen Mähnen eine langwierige Sache. Mit den kleinen Plastikgefäßen konnte man sich immer nur kleine Mengen Wasser über den Kopf gießen. Dieses Wasser floss dann natürlich auch nur sachte über den Kopf. Eine ganz schöne Umstellung, denn wir waren aus Deutschland natürlich Duschbrausen mit hohem Wasserdruck gewohnt.

Die Landschaft, in die das alte Waisenhaus eingebettet war, war von üppigem Grün und sehr schön. Ganz anders, als man sich als Durchschnittseuropäer eine afrikanische Landschaft so vorstellt. An den Straßenrändern wuchs hohes, sattes Gras und überall standen Bananenbäume, Akazien, Teakbäume oder Fächerpalmen. Da das Waisenhaus am Fuße eines wild bewachsenen kleinen Berges lag, wurde es in dem Haus vor allem in der Nacht ziemlich kühl. Zum Schlafen hatte ich einen Jugendherbergsschlafsack dabei. Der stellte sich schnell als zu dünn heraus und ich deckte mich zusätzlich mit meiner hellblauen Regenjacke zu. Da ich sie vorher als Kopfkissen benutzt hatte, gab es nun kein Kissen mehr für mich, aber immerhin war es nicht mehr so kalt. Nun hielt mich nicht mehr die Kälte vom Schlafen ab, aber dafür andere Aktivitäten in unserem Zimmer. Es raschelte in den Ecken des Raumes, Nachtfalter und Moskitos schwirrten um die Betten herum und irgendetwas huschte über mein Moskitonetz. Das machte mich nervös. Ich griff nach meiner Taschenlampe und leuchtete das Netz von unten aus und entdeckte den Verursacher der Geräusche:


Ein Gecko auf der Außenseite meines Moskitonetzes.

Das Phänomen klärte sich und ich schlief ruhiger. Allerdings nur bis drei oder vier Uhr. Dann begannen die Hähne zu krähen. Auf die Morgendämmerung zu warten, kam ihnen nicht in den Sinn.

Neben dem wenigen Schlaf litt ich, genau wie alle anderen, am Kommunikationsentzug. Es war an der Zeit, dass wir uns ein Handy besorgten. Dafür mussten wir nach Kpalimé in die Stadt. Die 2 bis 3 Kilometer zu Fuß zurückzulegen, darauf hatten wir angesichts der sengenden Hitze wenig Lust. Ein Motorradtaxi musste her. Die Motos, wie die kleinen Motorräder in Togo genannt werden, ruft man sich als Fußgänger von der Straße heran. Dafür genügt ein Winken mit der Hand. Dass ein togoisches Heranwinken dieselbe Geste wie ein deutsches „Geh-weg-Winken“ ist, muss man dabei erstmal verinnerlichen. Auch auf Quietschen oder Zischen reagieren die Motorradfahrer. Gezischt wird mit aufeinandergestellten Zähnen und gequietscht mithilfe eines Kussmundes, durch den die Atemluft eingesogen wird. Hält ein Moto an, sollte man vor dem Aufsteigen nicht versäumen, mit dem Fahrer den Preis zu verhandeln. Gerade Weißen wird gerne ein höherer Fahrtpreis berechnet. Da wir am Anfang immer in Begleitung von Honorés Mitarbeitern waren, hatten wir das in der ersten Zeit jedoch nicht zu befürchten. Dann hieß es also aufsteigen. Immer von links, damit man sich den Fuß nicht an dem glühend heißen Auspuff verbrennt. Felice ist das einmal passiert. Eine fiese Brandwunde hat das gegeben.

Vorbei an der schönen grünen Landschaft, die das Waisenhaus umgab und im flotten Zickzack um die vielen Schlaglöcher herum, brausten wir in die Stadt. Wir kauften uns jeder ein Mobiltelefon, Thorsten erstand ein Paar überteuerte Sandalen und ich fand auf dem Markt noch ein kleines, mit Daunen gefülltes Kissen.


Blick von oben auf den Marktplatz von Kpalimé.


Eine typische Straßenszene mit Eisverkäufern, Mototaxifahrern und Wohnhäusern, die hinter hohen Mauern liegen.

An diesem Abend waren wir alle sehr glücklich. Endlich konnten wir unsere Freunde und Familien anrufen. Jeder tigerte mit seinem Telefon am Ohr umher. Alle waren sichtlich gelöst und erleichtert, nachdem sie mit ihrer Familie und ihren Freunden gesprochen hatten. Nach unserem Abschied am Frankfurter Flughafen war dies der erste Kontakt mit unseren Angehörigen.

Eines Nachmittags unternahmen wir unter der Führung von einheimischen Jungs eine Wanderung zu einem verwilderten deutschen Friedhof. Der alte Friedhof war aus dem 19. Jahrhundert und lag nicht weit vom CARED entfernt. Die Jungen zeigten uns bei dieser Gelegenheit Avocado-, Papaya-, Teak- und Kakaobäume. Wir staunten nicht schlecht über die großen grünen Kakaoschoten an den Bäumen, aus denen einmal unsere geliebte Schokolade gemacht werden sollte. Als wir an den Friedhof gelangten, waren wir überrascht, wie früh die damaligen Kolonialisten zum Teil gestorben waren. Mitten zwischen wilden Bananen- und Mangobäumen in Agomé-Yoh liegt seit 1904 zum Beispiel ein Erwin S. begraben, der noch nicht einmal 30 Jahre alt geworden war.

Da das Haus am Fuße eines kleinen Berges lag, dem Mont Kloto, gab es in der Umgebung außerdem mehrere kleine Wasserfälle zu erkunden. Einer lag mitten im Wald. Ohne die Hilfe von Kodjo und seiner Machete wäre er für uns kaum zu erreichen gewesen.


Ein Wasserfall nahe bei Kpalimé.

Auf dem Weg dorthin begegneten wir dunkelbraun gestreiften Tausendfüsslern, deren Haut sich so hart wie der Panzer einer Schnecke anfühlte. Nahm man die etwa zwanzig Zentimeter langen Tiere in die Hand, rollten sie sich flugs zusammen.

Im CARED fand auch unser dreiwöchiger Orientierungs- und Französischkurs statt. Drei von uns Freiwilligen sprachen überhaupt kein französisch. Die anderen brachten Schulkenntnisse mit. Philip, Felice und Maike, diejenigen, die gar kein französisch sprachen, hatten nicht ihr Wunschausreiseland vom FAW zugeteilt bekommen. Ich bewunderte ihren Mut, dennoch den Dienst anzutreten. Wie sich später herausstellte, lernte Philip im Laufe der Zeit sehr schnell, was sicher nicht nur an seinem Sprachtalent, sondern auch an seiner Kontaktfreudigkeit lag. Er war schon schnell nicht mehr auf andere Freiwillige angewiesen, die ihm halfen.

Man teilte uns in eine Anfänger- und in eine Fortgeschrittenengruppe ein. Ich selbst hatte 6 Jahre lang französisch auf der Schule gelernt und zur Vorbereitung auf meinen Auslandsaufenthalt einen Kurs in einem deutsch-französischen Kulturinstitut gemacht. Zusammen mit Luisa, Pia, Thorsten und Charlotte kam ich in den Kurs für die Fortgeschrittenen. Am Anfang hatte ich das Gefühl, mein Französisch sei total schlecht, aber bei den meisten von uns verbesserten sich die Sprachkenntnisse schnell. Schon nach einer Woche hatte ich Fortschritte gemacht und war sicher, dass sich meine Französischkenntnisse während der Arbeit in meinem Projekt noch weiter entwickeln würden.

Unser gutaussehender Französischlehrer war – was für ein glücklicher Zufall – der sympathische Nyedzi. Als ich ihn das erste Mal im Kurs sprechen hörte, wurde offensichtlich, dass er nicht nur gutaussehend, sondern außerdem sehr klug war. Er wählte seine Worte mit Bedacht und hörte aufmerksam zu, wenn jemand sprach. Die Feingliedrigkeit seiner dunklen Hände mit den hellen Nagelbetten und seine feine Gestik gefielen mir besonders. Es kam, wie es kommen musste: Mich auf seinen Unterricht und nicht nur auf seine schönen dunklen Augen zu konzentrieren, fiel mir von Stunde zu Stunde schwerer.

Verliebt in Afrika

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