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Das lange Warten

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Noch in Deutschland hatte man jedem Freiwilligen sein Projekt zugeteilt. Im Vorhinein gab man uns Informationen zu allen Projekten und wir hatten die Möglichkeit, Präferenzen anzugeben. Zur Auswahl standen beispielsweise Einsätze in der Arbeit mit körperlich oder geistig Behinderten, in der Kinderbetreuung, in einer Bibliothek oder im Büro.

Ich bekam mein Wunschprojekt zugeteilt und sollte in dem Büro von Campagne des Femmes arbeiten. Ich versprach mir viel von dem Projekt und sah darin eine tolle Möglichkeit, Arbeitserfahrungen im Nonprofitbereich zu sammeln. Mit meinem Studienabschluss konnte ich mir gut vorstellen, später einmal in diesem Sektor zu arbeiten. Meine Erwartungen an das Projekt und die Vorstellungen von der Arbeit knüpften sich an die Projektbeschreibung, die uns der FAW zur Verfügung gestellt hatte. Hier stand, dass es in dem Projekt vor allem darum ging, die Freiwilligen und die Gastfamilien zu betreuen und zu unterstützen. Außerdem sollten Treffen organisiert und die Internetseite betreut werden. Die beiden sozialen Einrichtungen, die Campagne des Femmes der Beschreibung nach unmittelbar leitete, zwei Waisenhäuser, waren ebenfalls Teil des Büro-Projektes. Das klang für mich nach interessanten Aufgaben mit viel Abwechslung.

Zunächst war ich enttäuscht darüber, dass ich keinen Projektplatz in Togos Hauptstadt Lomé bekommen hatte. Ich wollte in der Nähe des Meeres sein und das Hauptstadtleben erfahren. Mit der Zeit war ich aber sehr froh darüber, in Kpalimé sein zu können. Hier war es ruhiger als in Lomé, die Sonnenstrahlung weniger stark – wenn ich Sonnenbrand bekam, dann in Lomé –und der Verkehr nicht so lebensgefährlich wie in der Hauptstadt. Außerdem war die Gegend landschaftlich sehr schön und es gab einige Wasserfälle in der Region.


Ausblick über Kpalimé mit dem Mont Kloto im Hintergrund.

Bis die anderen Freiwilligen und ich allerdings überhaupt in den Projekten anfangen konnten, vergingen Wochen um Wochen. Denn wie so häufig passierten in Togo Dinge, die in Deutschland unvorstellbar sind, ob in positiver oder in negativer Weise. Die Grundschullehrer befanden sich im Streik, weil die Regierung sie seit November des vorherigen Jahres nicht bezahlt hatte. Neun Monate bekamen sie nun schon keinen Lohn! Das Geld für ihr Gehalt hatte man schlichtweg für die Parlamentswahlen ausgegeben. Die Lehrer verweigerten nun also den Dienst und die Kinder gingen infolgedessen seit Monaten nicht mehr in die Schule. Viele der Lehrer mussten Kredite aufnehmen, um überhaupt ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Was für eine Katastrophe für sie und ihre Familien! Und auch wir Freiwilligen waren davon betroffen. Unsere Projekte sollten gleichzeitig mit dem Schulbeginn anfangen und verzögerten sich genau wie dieser immer weiter nach hinten.

Der Einzug in unsere Gastfamilien, auf den wir ebenso wie auf die Projekte mit Spannung warteten, verschob sich ebenso. Wir Freiwilligen wohnten immer noch alle zusammen. Allerdings waren wir mittlerweile umgezogen. Ziemlich unerwartet eröffnete uns Honoré eines Tages, dass wir in das Hauptquartier von Campagne des Femmes umziehen würden. Dieses lag mitten in Kpalimé und war gleichzeitig der Wohnsitz seiner Familie. Wie im CARED waren auch hier in der Vergangenheit Waisenkinder untergebracht gewesen. In dem Anbau an das Wohnhaus von Honoré gab es daher vier leerstehende Zimmer, die nun von uns Freiwilligen bezogen wurden. Unser Standard verlagerte sich weiter nach unten. Hatten wir in unserer ersten Unterkunft noch Betten gehabt, blieben uns jetzt nur noch die durchgelegenen Schaummatratzen.

Damit wir überhaupt etwas zu tun hatten in dieser Zeit, gab uns Aku, die Frau von Honoré, zusätzlich zu unserem Französischkurs, nachmittags Ewe-Sprachunterricht. Die Sprache ist so anders im Vergleich zu den romanischen Sprachen. Ich konnte mir die Vokabeln kaum merken und die einzelnen Buchstaben zum Teil nicht aussprechen. Mein Ewe-Vokabular beschränkte sich daher die erste Zeit über auf so simple Dinge wie: „E“ (ja), „Ao“ (nein), „Yoo“ (Zustimmung), „Akpe“ oder „Apkekaka“ (Danke oder Danke sehr). Je nach Stärke der Dankbarkeit lassen sich übrigens unzählige „ka's“ zur Steigerung anhängen, so dass man durchaus auch mal ein „Akpekakakakaka“ auf der Straße hört. Andere Ausdrücke wie „E me foa“ (Mir geht’s gut), „Nko nye nye Lula“ (Ich heiße Lula), „Babalooo“ (das tut mir leid für Dich) oder „Midu Kaba Kaba“ (schnell schnell) kamen später dazu.

Mit diesen paar Wörtern konnte man einige Togolesen erfreuen, die es stets amüsierte, wenn man unbeholfen ein wenig in ihrer Sprache plapperte. Ein Wort, das man sich als Weißer in Togo aber unbedingt merken sollte, ist „Ameybo“. Das bedeutet „Schwarzer“ auf Ewe und ist in Kombination mit „Bonjour“ immer eine gute Antwort, wenn einem auf der Straße mal wieder ein „Yovo“ entgegengerufen wird, was „Weißer“ bedeutet. Denn wenn man einen schlechten Tag hat, kann es einen ziemlich nerven, dass man überall so gerufen wird. Wenn man die Straße heruntergeht, auf dem Markt ist oder sonstwie vor die Tür geht, stets begleiten einen diese Rufe. So als wolle der Rufende sich damit brüsten, dass er den Weißen zuerst entdeckt hat. Immer freundlich zu bleiben, forderte manchem Freiwilligen Selbstbeherrschung ab. Mit „Ameybo“ zu kontern, fand ich daher immer eine gute Möglichkeit, diesen Ruf zu erwidern. Manchmal habe ich die Leute auch einfach freudig gegrüßt oder an schlechten Tagen ignoriert. Einzelne Freiwillige zeigten als Reaktion auf die ständigen Rufe auch mal ihren Stinkefinger, was die Menschen natürlich beleidigte. Für sie ist „Yovo“ kein Schimpfwort, sondern eher ein Wort, das Verehrung ausdrückt. In Togo ist man als Weißer eben etwas Seltenes und erregt Aufsehen.

Im Norden Togos, wo die meisten Menschen Kabiyé sprechen, ändert sich zwar das Wort, aber nicht das Phänomen. Hier rufen die Menschen auf der Straße „Sara“, wenn sie einen Weißen erblicken. Wenn man als Europäerin dann zusätzlich diesen Vornamen trägt, kann das im schlimmsten Fall in einen Verfolgungswahn münden.

Das Warten auf unseren Projektbeginn machte uns Freiwillige sehr ungeduldig, unzufrieden und zum Teil auch wütend. Zwar hatten wir uns mittlerweile aneinander gewöhnt und uns miteinander angefreundet, aber es gab erste Streits und Unmut in der Gruppe. Es drohte ein Lagerkoller.

Mit den Sanitäranlagen gab es Probleme. Eine Toilette war verstopft, eine zweite war kaputt. Jetzt blieb uns für 12 Leute nur noch eine Toilette. Duschen gab es immerhin zwei, aber morgens wurde es natürlich eng. Einzelne fingen an, die Dusche zu reservieren, indem sie ihr Handtuch über die Tür hängten. Der Streit war vorprogrammiert.

Während des Essens achteten die anderen auf einmal darauf, wer sich vielleicht zuviel nahm und es gab Knatsch darüber, wer am wenigsten beim Tischdecken oder Spülen half.

Um den begrenzten Platz auf den Wäscheleinen brach ebenfalls ein Konkurrenzkampf aus. Außerdem waren wir uns nicht einig darüber, welche Wäsche dort aufgehängt werden durfte und welche nicht. Eine prekäre Frage, denn die Nylonleinen waren parallel zu unserem Essbereich gespannt. Eines Mittags kamen wir dorthin und vor unseren Augen baumelte eine Reihe bunter Slips. Dabei hatte man uns darauf hingewiesen, dass wir unsere Unterwäsche in unseren Zimmern trocknen sollten. Beim gemeinsamen Essen wurde das Thema angesprochen. „Ob wir uns darauf einigen könnten, keine Unterwäsche in den Essbereich zu hängen?“, fragte Felice. Charlotte und ich nickten zustimmend. Pia, welche die Slips augenscheinlich dort aufgehängt hatte, fuhr die Röte ins Gesicht. „Das stört jawohl niemanden!“, sagte sie harsch. Philip sagte, dass er Unterhosen nicht beim Essen sehen wolle und Pia war sichtlich beleidigt. Die Auseinandersetzung endete mit einer Abstimmung, wo Unterwäsche zukünftig getrocknet werden solle. Die Mehrheit stimmte für das eigene Zimmer.

Neben diesen Unstimmigkeiten hatten wir natürlich auch ganz wunderbare und lustige Momente miteinander. Als die erste Regenzeit kam, tanzten wir in dem strömenden Regen und ließen uns bis auf die Haut nass regnen. Zusammen mit Thomas, gelernter Koch und freiwilliger Helfer einer anderen Organisation, kochten wir zusammen Semmelklöße. Wir besuchten den Markt und gingen zu Schneiderinnen, um uns Kleidung nähen zu lassen. Wir machten Spaziergänge, erkundeten die Gegend oder gingen zusammen joggen. In den Reggaebars oder auf den Tanzspektakeln tranken wir togoisches Bier aus 0,65 Liter-Flaschen und tanzten ausgelassen mit den Rastafari.

Mittlerweile waren schon mehr als vier Wochen vergangen und die Lehrer streikten weiter. Um uns Freiwilligen neben dem Sprachelernen eine weitere Beschäftigung zu geben, ließ man uns in Kpalimé in einer Ferienschule helfen. Hier wurde in den Ferienwochen für wenig Geld Unterricht in einer Grundschule angeboten. Die Schule bestand aus zwei länglichen Gebäuden, in denen es jeweils drei Klassenräume gab. Außerdem gab es eine Toilettenanlage, einen Schulhof und einen mit Gras bewachsenen Sportplatz. Das Fundament des Gebäudes bestand aus grauem Zement und die Mauern waren hell verputzt.

Jeweils ein oder zwei Freiwillige wurden dort einem Lehrer an die Seite gestellt und durften je nach ihren Sprachkenntnissen auch selbst ein wenig den Unterricht gestalten. Ich war in der Klasse CE 1, bei den etwa 7- bis 9-jährigen Kindern. In der Klasse waren circa 20 Kinder, es kamen aber nicht jeden Tag alle zum Unterricht. Der Klassenraum war geräumig. Es gab drei Reihen von jeweils fünf Holzbänken, an denen nie mehr als zwei Kinder saßen. In manche Holzbänke waren die Namen von überwiegend deutschen Sponsoren eingraviert. So hatte man stets die Namen einiger Privatpersonen, Schulklassen, Firmen oder Vereinen vor Augen.

Der Lehrer, dem ich zugeteilt war, hieß Kossi und war etwa 40 Jahre alt. Kossi trug meistens Anzüge aus Pagne, der naturgemäß bunt war, und hatte die sauberste und schönste Handschrift, die ich je an einer Tafel gesehen habe. Ob meine Grundschullehrerin auch so sauber mit Kreide an die Tafel schreiben konnte? Ich erinnere mich nicht. Sein Unterricht war klassischer Grundschulunterricht. Es wurde gerechnet, gelesen, buchstabiert, gemalt und diktiert.

Die Klasse war zu meinem Erfreuen ziemlich ruhig, weil die Kinder viel Respekt vor dem Lehrer und Spaß am Lernen hatten. Mit Namen kannte ich von ihnen bald Koko, Sosso, Celine, Joseph, Espoire, Laté, Jeanette, Mausi und Nasif.

Jedes Kind hatte eine kleine Tafel, eine „ardoise“, die es im Unterricht benutzte. Wenn ein Kind eine gute Antwort gegeben hatte, gab ihm Kossi zur Belohnung manchmal ein neues Stück Kreide. Oft schrieben die Kinder auf den letzten Stummeln ihrer Kreidestifte. Wenn Rechnen auf dem Unterrichtsplan stand, kamen die Kinder mit einem Bund von 10 Stäbchen zur Schule, die aus Palmblättern gemacht wurden. Diese „dizaine“, die Zehnereinheit, half den Kindern beim Rechnen. An ihren Stäbchen konnten sie die richtigen

Lösungen abzählen.


Grundschulkinder während der Pause.

Die Arbeit machte mir Spaß. In Französisch durfte ich auch einmal eine Einheit mit den Kindern machen und mit ihnen zwei Lieder einüben. Eins handelte davon, wie man Fufu, das togoische Nationalgericht, stampft.

Kossi hatte einmal die Idee, ein wenig Deutsch zu unterrichten. Deutsch ist neben Spanisch eine der zwei Fremdsprachen, welche die togoischen Schüler auf den weiterführenden Schulen erlernen können. Die Idee fand ich super, denn da brauchte Kossi endlich auch einmal meine Hilfe und ich nicht immer nur seine.

Ich wurde in dem Projekt zwar nicht wirklich gebraucht, sah meine Funktion aber vor allem darin, die Kinder durch meine Anwesenheit zu erfreuen. Für viele war ich wohl die erste Weiße, mit der sie in Kontakt kamen und das schien ihnen gut zu gefallen. Manchmal schrieben die Kinder meinen Namen auf ihre kleinen Tafeln und hielten sie zu mir hoch, wenn der Lehrer sich zu der großen Tafel umdrehte. Da konnte einem nur das Herz aufgehen.

Kossi war in meinen Augen ein guter Lehrer. Er hat seinen Unterricht gut strukturiert und die Kinder haben etwas bei ihm gelernt. Wenn sie laut wurden oder es zu Streitigkeiten unter ihnen kam, war Kossi allerdings sehr streng. Einmal war ich dabei, als er ein Kind auf die Hand schlug. Das tat mir furchtbar leid, aber gesagt oder getan habe ich nichts. In Togo ist es Lehrern zwar gesetzlich verboten, Kinder zu schlagen, aber dennoch tun es fast alle. Die Eltern begrüßen das zum größten Teil, da ihre Erziehung genauso repressiv ist.

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