Читать книгу Klatschen reicht nicht! - Luna Al-Mousli - Страница 14
Christopher, 33
Postbeamter
ОглавлениеSeit über einem Jahr bin ich nicht mehr so früh unterwegs gewesen. Durch meine Jacke spüre ich die frische Morgenluft. Sie rüttelt mich auf und gibt mir einen Motivationsschub. Für das Interview fahre ich zur Postfiliale im 4. Bezirk. Um 7.30 Uhr empfängt mich Christopher vor dem Haupteingang.
Christopher arbeitet seit 16 Jahren bei der Post, war lange im Zustelldienst tätig und wurde dann Teamleiter. Er ist für acht bis 13 Zusteller*innen verantwortlich. Er ist dem Gebietsleiter unterstellt, der die Zustellung von zwei bis drei Bezirken verwaltet und im Überblick hat.
„Egal ob kalt oder warm, ob es schneit oder regnet, ob Corona oder nicht: Wir gehen arbeiten. Das liegt uns im Blut“, sagt Christopher. Die Post zählt zu den kritischen Infrastruktureinrichtungen, so waren die Postfilialen auch in allen Lockdowns durchgehend geöffnet. „Es war ein gewisser Stolz da, für die Gesellschaft da sein zu dürfen, indem man den Leuten eine Freude macht, wenn man das Packerl zustellt“, fügt er hinzu.
Dienstbeginn ist normalerweise um 6 Uhr Früh, wobei die Mitarbeiter*innen durch die Corona-Pandemie in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Während die einen ihre Schicht um 6 Uhr beginnen, starten die anderen um 9 Uhr. So kommen weniger Mitarbeiter*innen miteinander in Kontakt. Nachdem der Lkw mit der Post um 5.30 Uhr angekommen ist, werden Briefe und Pakete vom Amtsdienst auf die Bewohner*innen aufgeteilt und sortiert. Dann werden sie in ein Wagerl gepackt. „Im 4. Bezirk gehen wir alles zu Fuß und stellen die Post zu“, erzählt Christopher.
Am Arbeitsalltag hat sich trotz Corona nicht viel verändert. Was zu bemerken war, ist jedoch, dass vor allem im ersten Lockdown ab März 2020 viele Menschen auf Online-Shopping umgestiegen sind. Sei es Kleidung, Elektronisches Zubehör oder Büroartikel; von Socken bis zu Wohnungseinrichtungen, über Bleistifte und Spielzeug: Von allem war etwas dabei. Während der Paketversand boomte, gingen Brief- und Werbepost zurück. Auch Geschäftspost hatte abgenommen, da viele Unternehmen auf Homeoffice umgestellt hatten und versuchten, diese elektronisch zu verschicken.
Im Jahr 2020 schrieb die Österreichische Post AG einen neuen Mengenrekord, rund 165 Millionen Pakete wurden in ganz Österreich befördert und zugestellt, das sind 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Dezember, kurz vor Weihnachten, wurden zwar die Geschäfte für wenige Wochen wieder geöffnet und der Ansturm war sehr groß, doch viele bestellten Geschenke weiterhin online oder verschickten sie an Familienmitglieder, da eine gemeinsame Feier durch den Lockdown nicht möglich war. So stieg die Anzahl der Pakete täglich. An nur einem Tag wurden rund 1,3 Millionen Pakete transportiert. So kam es auch zu längeren Zustellzeiten, da der Druck massiv gestiegen ist. Nicht alle Kund*innen hatten Verständnis dafür. Solch eine Auseinandersetzung musste ich einmal in einer überfüllten Postfiliale miterleben, bis ein Kunde dazwischenging und der Dame erklärte, dass ihre Enkelkinder auch nach Weihnachten an den Geschenken Freude finden würden.
Um die Zustellung möglichst sicher zu gestalten, wurden die Postler*innen dazu aufgefordert, die Haupteingangstürgriffe zu desinfizieren, bevor sie diese angreifen. Um den Kontakt mit den Kund*innen zu reduzieren, wurde die kontaktlose Zustellung eingeführt. Die Postler*innen stellten das Paket vor die Tür, klingelten, gingen zurück und warteten, bis der Kunde oder die Kundin aufmachte. Eine Unterschrift wurde nicht verlangt.
Im ganzen Gebäude der Postfiliale, so auch im Raum, in dem wir sitzen, hängen Schilder mit der maximalen Personenanzahl und anderen Anweisungen, um an die Regeln zu erinnern.
„Wir haben es hier in der Basis geschafft, keinen einzigen Corona-Fall zu haben“, sagt Christopher, der mir im karierten Hemd gegenübersitzt, zwischen uns ein Schreibtisch. In anderen Städten und Stellen wurden im Mai 2020 hohe Corona-Infektionszahlen festgestellt, wie im Post-Logistikzentrum Hagenbrunn und im Verteilerzentrum Inzersdorf in Wien-Liesing. Das Österreichische Bundesheer und Zivilbedienstete mussten zur Unterstützung einrücken.
Christopher ist Familienvater, so gab es für seine Kinder auch gewisse Veränderungen im Schulalltag. Da er und seine Frau arbeiten gehen mussten, war es möglich, die Kinder weiterhin in Betreuung zu schicken, jedoch waren weniger Kinder vor Ort. Der harte Lockdown fiel Christopher schwer, da die privaten Kontakte eingeschränkt werden mussten und er seiner sportlichen Aktivität nicht nachgehen konnte. „Wir sind ein Sportler-Postamt und mit Fußball verbandelt“, erzählt er und führt aus, wie sehr ihm das Training mit seinem Teamkollegen abgeht, das nur kurz im Sommer 2020 wieder möglich war.
„Egal ob kalt oder warm, ob es schneit oder regnet, ob Corona ist oder nicht: Wir gehen arbeiten. Das liegt uns im Blut.“
„Ich finde, mehr Transparenz von der Regierung wäre gut. Aber auch Toleranz der Regierung gegenüber, denn keiner hat eine Ahnung, wie es sich entwickelt“, sagt Christopher. „‚Die nächsten zwei Wochen sind entscheidend’ haben wir ein Jahr lang oft gehört. Anstatt so zu tun, als ob nach dem Lockdown alles normal wäre, wäre es vielleicht besser gewesen, ehrlich zu sein. Eine Pandemie kann ein bis drei Jahre dauern, steht auf Wikipedia“, sagt Christopher zum Abschluss.
Mit mehr Transparenz hätten die Menschen sich besser auf die Situation einstellen können. Das ist auch etwas, was meine Mama immer wieder bemängelt hat: Sich jede Woche auf eine neue Situation einzustellen und neu zu organisieren, ist nicht einfach und verlangt einem extrem viel Energie ab.