Читать книгу Klatschen reicht nicht! - Luna Al-Mousli - Страница 17
Vesna, 42
Abteilungshelferin im Spital
ОглавлениеMein Onkel hat mir Vesnas Nummer geschickt. Er kennt sie jedoch nicht persönlich, denn er arbeitet in einer anderen Abteilung im Spital. Ich rufe an, und wir verabreden uns für ein Telefongespräch am nächsten Tag, in der ersten Maiwoche.
Vesna arbeitet seit 2007 im Spital. In den ersten drei Jahren war sie als Reinigungskraft beschäftigt und vor allem für die Ärztezimmer verantwortlich. Nun ist sie Abteilungshelferin und kümmert sich um die Verteilung des Essens an die Patient*innen, den Wechsel der Bettwäsche und die Desinfektion des Pflegematerials. „Früher gab es keine Abteilungshelfer*innen, alles hat die Reinigungskraft gemacht. Irgendwann wurde es dann aufgeteilt“, sagt Vesna. Sie arbeitet Vollzeit, von 7 bis 18 Uhr, öfters auch an Feiertagen und Wochenenden, und hat je nach Dienstplan an unterschiedlichen Tagen frei.
Ab März 2020 wurden Vesna und ihren Kolleg*innen neue Aufgaben zugeteilt: Sie waren zuständig für die Reinigung und Desinfektion der Covid-19-Ambulanz. Dort wurden anfangs Patient*innen mit Verdacht auf Covid-19 mit PCR-Tests getestet. Im Herbst 2020 wurde die Teststation ausgebaut, mehrere Container kamen dazu, um das ganze Krankenhauspersonal und alle Patient*innen regelmäßig mit Schnelltests testen zu können. Siebenmal am Tag reinigt Vesna mit ihren Kolleg*innen die Covid-Teststation: Oberflächen werden desinfiziert, der Müll wird ausgeleert und wenn notwendig Material nachgefüllt. Dann wird das Reinigungspersonal bestellt, um sich die Böden vorzunehmen. „Ohne Reinigungsdamen kann ein Spital nicht funktionieren“, sagt Vesna. Die Zusammenarbeit mit dem Reinigungspersonal ist im vergangenen Jahr intensiver geworden.
Für das Betreten der Teststation gibt es eigene Regeln. Vesna muss einen Schutzanzug und zwei Paar Handschuhe übereinander anziehen. Bevor es genug FFP2-Masken gab, musste sie zwei Mund-Nasen-Schutzmasken übereinander aufsetzen. „Die Schutzkleidung richtig anzuziehen und auszuziehen war sehr wichtig, wir haben uns Zeit gelassen. Aber die Angst war immer da. Mein Mann ist Risikopatient“, erzählt Vesna. Um das Coronavirus keinesfalls mit nach Hause zu nehmen, entwickelte sie ihre eigene Schutzmaßnahme. „Zu Hause habe ich mein Gewand beim Eingang ausgezogen und dann gleich gewaschen“, sagt sie.
„Früher hatten wir viel Spaß, wir haben auf der Station zusammen gelacht. Jetzt hat jeder Angst vor jedem.“
Es kam nicht selten vor, dass Patient*innen positiv getestet wurden. Diese wurden in ein anderes Krankenhaus mit Covid-19-Station verlegt. In solch einem Fall wurde Vesna sofort verständigt. Die Wege, die der Patient vom Bett aus hätte gehen können, wurden nachverfolgt und anschließend das Zimmer gut gelüftet, alles gereinigt und desinfiziert: von der Kloschüssel bis hin zu Türklinke und Lichtschalter. „Die Arbeit ist irgendwie mehr geworden. Es ist psychisch stressiger, nicht so wie früher“, sagt Vesna und wird kurz still. „Früher hatten wir viel Spaß, wir haben auf der Station zusammen gelacht. Jetzt hat jeder Angst vor jedem.“
Immer wieder fällt Personal aus, entweder weil die Betroffenen selbst mit Corona infiziert wurden oder Kontaktperson waren. Vesna war bisher dreimal in Quarantäne, letztes Mal im April 2021, da ihr Mann an Corona erkrankte. „Der Verlauf seiner Krankheit war schwer, er hatte elf Tage hohes Fieber. Er hatte schon einen Impftermin, jetzt muss er sechs bis acht Monate warten“, sagt Vesna. Sie wurde bereits im Jänner 2021 geimpft, mit allen ihren Kolleg*innen. „In Quarantäne zu sein, ist eine Belastung, vor allem beim ersten Mal. Meine Chefin und ich hatten die Gesundheits-Hotline 1450 angerufen. Sie waren überlastet und sind mich erst drei Tage später testen gekommen. Die Was-wäre-wenn-Gedanken haben mich fertiggemacht“, erzählt sie. Was sich auch an ihrer Arbeit veränderte, war, dass es Besucher*innen eine lange Zeit nicht gestattet war, ihre Angehörigen im Krankenhaus zu besuchen. „Ich fand es gut, wir konnten uns besser auf unsere Arbeit konzentrieren, und die Patient*innen konnten sich besser regenerieren“, sagt sie. Sowohl das Pflegepersonal als auch die Abteilungshelfer*innen sprechen jetzt mehr mit den Patient*innen, um ihnen die Einsamkeit zu nehmen.
Wenn es Vesna mal zu viel wird, geht sie im Wald spazieren. „Ich tanke Kraft und Energie für alles Weitere, sammle Pilze und bringe etwas zum Essen nach Hause. Ich musste das letztes Jahr öfters machen“, verrät sie mir.
Vesna ist mit ihren zwei Töchtern und ihrem Mann in Österreich, doch ihre Großfamilie lebt in Kroatien. Normalerweise fährt sie mehrmals im Jahr auf Besuch. „Ich mache mir große Sorgen um sie, meine Eltern sind schon sehr alt. Ohne das Internet wäre es nicht zu ertragen“, erzählt sie.
Im Sommer 2020 wurden die Grenzen geöffnet, und Vesna besuchte ihre Familie, doch sie musste auch Urlaub für die Quarantäne miteinberechnen, bevor sie ihre Arbeit im Krankenhaus wiederaufnehmen konnte. Die Feiertage zu Weihnachten fielen ihr besonders schwer. „Ich bin seit dem Jahr 2000 in Wien, und das waren meine ersten Weihnachten hier. Na, es war schon schön mit den Kindern, aber am Abend habe ich geweint, weil ich meine Familie vermisst habe“, erzählt sie. Mit der Impfung hätte Vesna zwar nach Kroatien ausreisen, aber nicht nach Österreich einreisen können, ohne in Quarantäne zu gehen. Da sind die Regelungen sehr unterschiedlich.
„Von der Politik kam nur wenig Unterstützung, wir haben nur 350 Euro Zuschlag bekommen“, erzählt sie. Vesna ist im Betriebsrat und spricht viel mit den Kollegen*innen in den anderen Abteilungen. „Bei allen ist die Arbeit nicht weniger geworden. Ich sehe auch die Arbeit der Reinigungsdamen. Manche haben gute Ausbildungen, aber ihnen fehlt die Sprache und die Möglichkeit, sich fortzubilden“, sagt sie, denn auch für sie war es nicht einfach. „Die Sprache lernte ich durch die Arbeit, denn Sprachkurse gab es keine“, erzählt sie.
Ihr ging es genauso wie meiner Oma, die jung nach Österreich zu ihrem Mann kam und sich Deutsch erst durch den Umgang mit Menschen aneignete.