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Was im letzten Teil geschah

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Die Ungeduld der beiden ältesten Mädchen war zu groß. Schon am Nachmittag, als sie ihrer Großmutter bei der Hausarbeit halfen, kam das Gespräch unweigerlich auf die Geschichte zurück. Die alte Frau war nicht überrascht, sie lachte sogar. »Ich hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Nun gut, gehen wir in den Garten. Dort sind wir weitestgehend ungestört.«

Willig fassten beide Mädchen mit an und warteten darauf, dass ihre Großmutter weiter erzählte. »Althea ist also die ganze Zeit verschwunden«, begann sie.

»Ja, es ist etwas geschehen beim Übergang in die Feenwelt, nicht wahr?«, fragten die beiden.

»Oh ja. Erinnert euch, Phileas hat ein Tor hoch im Norden angegriffen. Die Feen sind in Aufruhr, und dann taucht auch noch wie aus dem Nichts ein fremdes Mädchen auf der Suche nach dem Feenjungen auf. Althea muss nun erfahren, was die Macht ihrer Wächter bedeutet. Es sind Hunderte kleiner geflügelter Wesen, die sie durchs Tor zerren und gefangen nehmen. Nur mit Mühe gelingt es ihr, die Feen davon zu überzeugen, dass sie nicht hinter dem Angriff auf deren Welt steckt.

Althea steht unter Schock. Warum erwarten alle von ihr bestimmte Rituale, die sie nicht kennt, und wie kann es sein, dass die Feen Phileas damals selbst bekämpft haben und sich gut an den Kampf erinnern? Auch die Feen stehen vor einem Rätsel, warum sie so unwissend ist. Gemeinsam ergründen sie, was damals vorgefallen ist.«

»Die Geschichte der Druidai?«, fragte das eine Mädchen.

»Genau die, und den Glaubensursprung der Temorer«, nickte die Großmutter. »Einst waren die Tore in die Welt der Feen nicht von einem Todesring umgeben, sondern von einem guten Ring. Nur die Druidai konnten es öffnen, denn nur sie geboten über das Licht. Einige Druidai waren dazu ausersehen, eine Auserwählte zu werden. Sie gingen ein in die Welt der Feen und vollzogen mit ihnen das Ritual der Vereinigung. Na, kommt euch das bekannt vor?«

»Ja! Von Phelans Priesterin Yeni. Die Ethenier leben es noch heute.«

Die Großmutter hielt einen Moment mit ihren Verrichtungen inne und schaute beide ernst an. »Nur, dass es für eine Druidai der sichere Tod ist. Sie kommt bei der Geburt eines Feenmischlings ums Leben. Altheas Freund Ti’Anan ist so ein Mischling, ein halb Mensch, halb Fee, und der letzte seiner Art.«

»Weil keine Auserwählten mehr durchs Tor kommen?«

»Genau das. Die Feen zeigen ihr das Meer der Seelen, jenen Ort, an den alle Seelen nach dem Tode zurückkehren und der mit Hilfe der Mischlinge am Leben erhalten wird. Sie sichern, so erzählen sie ihr, den Übergang der Seelen in ihr nächstes Dasein. Der Glaube der Temorer nach der lebenslangen Suche der Seelenhälfte, hier hat er seinen Ursprung. Finden zwei Seelenhälften zusammen, gehen sie ein in die Quelle allen Lichts.

Zu ihren Erstaunen bemerkt Althea inmitten der in dem Meer wirbelnden Gestalten eine einsame Frau. Es ist Asklepia, die dort immer noch auf ihre Seelenhälfte Phileas wartet. Als Althea neugierig näher tritt, greift Asklepia sie an, versucht sie zu sich ins Meer zu ziehen und sich ihr Wissen anzueignen, und als das nicht gelingt, zwingt sie Althea all ihre Erinnerungen auf. Im letzten Moment wird Althea von den Wächtern gerettet. Sie trägt jetzt nicht nur das Licht, sondern auch einen riesigen Berg an Bildern und Gefühlen in sich, das Wesen einer Druidai, ein Erbe, das ihr noch große Schwierigkeiten bereiten wird.

Die Feen berichten ihr, dass es schon immer Versuche von Nicht-Druidai gegeben hat, den Ring zu überwinden und in ihr Reich einzudringen und Herrschaft über die Quelle zu erlangen, nur war keiner je so weit gegangen wie Phileas. Sie geben offen zu, nach dem Kampf einen entscheidenden Fehler begangen zu haben: Anstatt Phileas gleich für alle Zeit zu vernichten, belegten sie ihn nur mit einem Fluch und mussten sich geschwächt aus der Menschenwelt zurückziehen, weil sie dort nicht lange überleben konnten. Dabei ließen sie all ihre Opfer und eine große Anzahl toter Wächter zurück. Als sie das Tor mit der Hilfe der einzigen überlebenden Druidai, Ti’Anans Mutter, wieder öffneten, waren ihre Toten verschwunden, und eine Mauer umgab das Tor. Ti’Anans Mutter ging sie suchen. Von ihr erfuhren sie, was vorgefallen war:

Irgendwann in dem Chaos hatten die Diener der Druidai entdeckt, dass die toten Feen ein eigener Ring umgab, selbst die Wächter ein winzig kleiner, und dass sie mit ihrer Hilfe den Ring betreten konnten. Daraufhin kam es unter den Überlebenden zum Streit. Die Frauen wollten die Toten vor dem Tor belassen, den Feen zurückgeben, die Männer jedoch erkannten, welche Macht ihnen damit gegeben wurde. Veltan, dem Anführer der Eroberer, war diese Macht zu gefährlich, und deshalb verbannte er die Diener samt ihrer gefährlichen Fracht aus dem eroberten Land und verbarg das Tor. Nur den rechtschaffenen Frauen erlaubte er zu bleiben, sie gründeten den Orden der hl. Asklepia. Die Diener zogen fort gen Westen, aus ihnen wurden die Völker Temoras und Sarans.

Althea begreift nun das ganze Ausmaß von Phileas’ Streben. ER will die Herrschaft über alle Seelen erlangen, über Leben und Tod, und in ihr reift ein ungeheuerlicher Verdacht: Haben die Temorer die Toten immer noch bei sich und schaffen so den Ring um Temora? Gelangen sie mit Hilfe der toten Wächter durch den Ring? Nennen die Ethenier deshalb die Temorer das Verrätervolk?

Sie muss zurück, IHN aufhalten und vergangenes Unrecht wieder gutmachen. Aber Ti’Anan macht ihr klar, dass die Feen sie niemals gehen lassen werden, denn sie ist die Einzige, die Phileas durchs Tor bringen kann, eine Gefahr für ihr Reich, und zudem die einzige Druidai seit langer Zeit, die wieder ein Mischlingswesen gebären kann. Und noch ein Umstand drängt sie: Ti’Anan und sie selbst sind etwa gleich alt, nur wurde er kurz nach Phileas’ Bann geboren. Sie ahnen, was dies zu bedeuten hat: Läuft die Zeit in der Feenwelt sehr viel langsamer? Vergeht mit jedem Augenblick, den Althea dort verbringt, in der Menschenwelt eine Stunde, ein Tag, ein Monat?

Althea gerät in Panik, dass sie nie wieder zu den Ihren zurückfindet. Ihr bleibt keine Wahl, sie muss auch die Feen hintergehen. Durch eine List ihres Freundes Ti’Anan entkommt sie knapp den kleinen Wächtern, und es gelingt ihr die Flucht zurück in die Menschenwelt.«

Atemlos hatten die beiden Mädchen zugehört. Alle Arbeit war vergessen. »Und? Ist dort viel Zeit vergangen?«

»Oh ja, sie behält recht. Die Zeit wird beim Durchschreiten des Tores förmlich zerrissen, das Tor stürzt ein, und sie wandelt sich auf einen Schlag vom jungen Mädchen zur jungen Frau. Nur dank ihres Lichts übersteht sie diese Tortur.

Ihre plötzliche Rückkehr gibt der alten Heilerin Chaya Rätsel auf, bis sie den kleinen Wächter entdeckt, der sich in Altheas Kleidern verfangen hat. Da ahnt sie, weshalb Noemi all die Zeit, selbst als Altheas Großvater ihr Schläge androhte, Stillschweigen über Altheas Verschwinden bewahrt hat und ihre Ängste nur den Briefen an Phelan anvertraut hat.

Fremd sind sich die beiden Mädchen geworden, es schmerzt Althea sehr, besonders als sie bemerkt, wie tief Phelans und Noemis Freundschaft über ihren jahrelangen Briefwechsel geworden ist. Sie fühlt sich ausgestoßen. Doch während ihrer Genesung finden beide Mädchen wieder zusammen, und auch Chaya nimmt nach anfänglichem Schrecken Altheas neues Wissen an, denn sie begreift, mit diesem Wissen ist Althea eine Gefahr für die Temorer, und sie würden sie zum Schweigen bringen, mit allen Mitteln. Das macht sie auch Althea klar, und sie versprechen dem kleinen Wächter, alles zu tun, damit sie seine toten Brüder und die Feen finden. Im Gegenzug verspricht der kleine Wächter, sie vor allen bösen Mächten zu beschützen.

Althea beginnt zu forschen. Als sie ihre Briefe durchgeht, ihre Träume und die neuen Erkenntnisse, die Phelan und Jeldrik zusammengetragen haben, lässt das für sie nur einen furchtbaren Schluss zu: Phileas schafft sich ein unsichtbares Heer hoch im Norden. Er löscht ganze Völker dafür aus.

Obwohl sie sich vor der Begegnung fürchtet, beschließt sie, Hohepriester Anwyll vor der drohenden Gefahr zu warnen. Dieser findet sich einer gänzlich veränderten jungen Frau gegenüber. Macht umgibt sie mit jedem Atemzug, zum ersten Mal bekommt er eine Ahnung von der Druidai. Er fürchtet um sie, denkt, sie sei besessen. Altheas Vertrauen in den alten Priester wird arg erschüttert. Eingedenk Chayas Warnung verschweigt sie ihm, wo sie gewesen ist, und verbirgt ihr neues Wesen tief in ihrem Innersten.

Trotz ihres merkwürdigen Verhaltes glaubt Anwyll ihr. Er bitte Bajan um Hilfe, und dieser überzeugt Clansführer Roar, die saranische Flotte gen Norden zu senden, den Aufenthaltsort ihres Feindes auszukundschaften.

Mehr kann Bajan nicht tun, aus Gilda kommen immer noch keine Neuigkeiten zu ihm, weil seine Kundschafter gezwungen waren, sich lange Jahre untätig zu verbergen. Durch den fehlenden Handel greifen Armut und Krankheiten um sich. Kaum jemand wagt es, den Soldaten der Mönche Widerstand entgegenzusetzen, und wer es tut, wird gefangen gesetzt oder seine Familie verschleppt. Es gärt unter der Bevölkerung, die Zukunft des Reiches ist ungewiss. Der sieche König hat keine Kinder mit seiner Geliebten bekommen, seine Söhne gelten als tot und machtgierige Günstlinge greifen nach der Krone.

Nun gelingt Bajans Kundschafter Nadim aber, seinen Tod vorzutäuschen und sich wieder frei zu bewegen. Er befreit Tavar, den Sohn des Fürsten von Nador und jüngeren Bruder von Curranns Kamerad Tamas, aus der Gewalt der Mönche und macht ihn zu seinem Gehilfen. Sie schließen sich den Rebellen in Nador an, und nach und nach wird Tavar in Nadims geheime Aufgaben eingeweiht. Sie reisen nach Gilda, wo Leanna sich all die Jahre bei den Heilerinnen verborgen hat. Tavar findet sie erstaunlich gut im Bilde über die Vorgänge im ganzen Reich. Verwundert fragt er sich, wie das sein kann. Es sind doch nur hilflose Frauen?«

»Ha!«, machte das ältere Mädchen. »Das glaubt er wohl!« Sie lachten, und die Großmutter fuhr schmunzelnd fort:

»Da hat er sich gründlich getäuscht. Nach anfänglichem Misstrauen weiht Leanna ihn ein: Seit Jahren spioniert sie mit ihrem Freund und Beschützer Rynan heimlich die Festung aus. Die Heilerinnen und Nadim haben davon keine Ahnung, sie denken, Rynan schnappt die Neuigkeiten während seines Dienstes beim Heer auf. Tavar wird zu ihrem festen Verbündeten und verspricht, ihr Geheimnis zu wahren. Durch Tavar findet Rynan einen Weg, mit Altheas Vater im Gefangenenlager in Verbindung zu treten und ihm zu helfen, und auch in Mukanir kann Tavar mehr über das Schicksal der Königin erfahren und Leanna berichten. Mit diesen guten Neuigkeiten im Gepäck macht er sich wieder auf nach Westen.

Doch auch die Diener und deren Tempelwachen waren nicht untätig. Als Nadim und Tavar nach Nador zurückkehren, finden sie Schreckliches vor: Das Lager der Rebellen ist aufgeflogen, es gibt viele Tote, und dann wird Nadim auch noch von einem Diener angefallen und überwältigt. Mit letzter Kraft gelangen Tavar und er nach Temora, wo er weiß, dass es dort die einzige richtige Hilfe für ihn gibt: Althea.«

»Aber.. dann ist Tavar ja gleich in ihre Gabe eingeweiht!«, unterbrach sie die Jüngere der beiden.

»Oh ja, und ihr könnt euch vorstellen, für ihn ist es ein regelrechter Schrecken. Doch den überwindet er schnell, und er schließt Freundschaft mit den beiden ungewöhnlichen Mädchen, denn er bringt Althea ja Nachricht von ihrem Vater, und er wird zu ihrem Vertrauten und heimlichen Boten, wie auch schon für Leanna in Gilda. Auch sie weihen Tavar in ihre Geheimnisse ein und nehmen ihn mit nach Temora, um ihn ihren dortigen Freunden vorzustellen.

Auch Bajan empfängt die beiden Kundschafter erleichtert. Endlich kann er wieder in die Geschicke Gildas eingreifen, anstatt tatenlos zuzusehen. Durch Altheas Träume wissen sie um den ungefähren Aufenthaltsort Curranns und der verschwundenen Fürstensöhne. Er schickt sie auf Suche aus, denn erst, wenn einwandfrei bezeugt werden kann, dass der Thronfolger am Leben ist, kann an Aufbau eines Widerstandes gegen die Mönche gedacht werden.

In Saran lernt Tavar auch Altheas grausamen Großvater kennen, mit dem er schnell aneinandergerät. Auf seinem Schiff reisen sie zurück nach Temora, und sie müssen erleben, was es heißt, wenn Regnar die Beherrschung verliert. Voller Zorn über ihr jahrelanges Verschwinden schlägt er Althea, und den Mädchen bleibt nichts anderes übrig, als mit Tavars Hilfe die Flucht zu ergreifen. Damit hat Regnar endgültig Altheas Vertrauen verloren. Wutentbrannt reist er mit der Flotte der Saraner gen Norden, ohne sich mit seiner Enkelin ausgesöhnt zu haben.

Wieder in Morann, erleben Nadim und Tavar eine Überraschung, als sie nicht nur Currann finden, sondern eine ganze Familie. Drei Söhne hat er mittlerweile, die Dynastie hat Erben. Currann stimmt mit Bajan überein, dass ein Widerstand aufgebaut werden muss, nur will er seine Frau und seine Kinder nicht in Gefahr bringen. Er verpflichtet die Kundschafter zum Stillschweigen, sie sollen lediglich sein Überleben bezeugen. Auch für Currann wird Tavar zum Vertrauten, zum Geheimnisträger der gesamten Königsfamilie und zum Bevollmächtigten des Thronfolgers. Er reist durch ganz Morann, um sich den Fürsten, allen voran seinem eigenen Vater, zu zeigen und sie dazu zu bewegen, ihre eigenen Soldaten auf die Übernahme des Heeres vorzubereiten. Auch Leanna sucht er wieder auf, und er wird wohl selbst am meisten überrascht, dass er sich in die schöne und ungeheuer willensstarke Prinzessin verliebt.

Leanna hat seine Rückkehr aus ganz anderen Gründen herbeigesehnt. Ihr Beschützer Rynan ist verschwunden, und nach einer qualvollen Zeit des Wartens erfahren sie, dass er von den Tempelwachen verfolgt worden und gezwungen war, den Freitod zu suchen. In ihrer Trauer kommen die beiden sich näher, und Tavar gesteht ihr, wie es um ihn bestellt ist. Doch Leanna weist ihn ab, zu frisch sind die grausamen Dinge, die sie erlebt hat. Getroffen und regelrecht verstört macht sich Tavar wieder auf Reisen, während Nadim in Gilda bleibt, um dort aus dem Verborgenen den Widerstand zu stärken.

Es wird allerhöchste Zeit. Mit Ankunft der saranischen Seefahrer im Norden setzen Altheas Träume mit einer Heftigkeit ein, die sie alarmiert. Es gibt mehrere Diener im Land, einer ist sogar in den Rat Temoras vorgedrungen und Hohepriester Anwyll erneut in Gefahr. Gemeinsam mit ihren temorischen Freunden ersinnt Althea einen Plan, wie sie Anwyll schützen kann. Der alte Mann täuscht auf ihren Einfall hin einen Schwächeanfall vor und legt sein Amt als Hohepriester nieder. Altheas Freund Galvin, bisher der Störenfried der Novizen, wird dazu gezwungen, ihm zu dienen, und so zu seinem Leibwächter. Doch Anwyll ist nicht umsonst für seine Klugheit geachtet und gefürchtet zugleich. Schnell kommt er hinter die Schliche seines Novizen, und er folgt ihm zu ihrem heimlichen Treffpunkt und stellt Althea und ihre Freunde. Sie hat nun keine Wahl mehr, sie muss sich Anwyll offenbaren.

Doch der alte Priester glaubt ihr nicht, er denkt, sie hat so Entsetzliches erlebt, dass sie unter Wahnvorstellungen leidet. Da packt Althea der Zorn, und sie schlägt Chayas Warnung in den Wind. Sie zeigt ihm den kleinen Wächter und schleudert ihm altes Unrecht entgegen. Für den alten Mann zerbricht eine ganze Glaubenswelt. Voller Entsetzen über sich selbst erkennt er, dass er wirklich versucht ist, Althea mit allen Mitteln zum Schweigen zu bringen, und verbietet sich dies streng. Er sagt sich innerlich von der Gemeinschaft los und schwört dem fremden Wesen, den Frevel seiner Vorfahren wieder gutzumachen.

Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche und werden schnell fündig. Die drei toten Feen befinden sich in Temora, wie Althea schon vermutet hat. Ihre noch immer existierende Macht bildet den Ring, und alle Priester erhalten bei ihrer Weihe einen heiligen Armreif, in dem ein toter Feenwächter eingelassen ist. So können sie den Ring durchschreiten. Voller Zorn verlangt der Wächter die Herausgabe, doch bevor das gelingt, werden sie vom Rat und damit vom Diener entdeckt.«

»Was ist passiert?!«, riefen die Mädchen.

»Tja..« Die Großmutter musste schmunzeln. »Ihr müsst verstehen, die vier Freunde aus Temora hatten sich nach Altheas Fortgang entzweit. Eine von ihnen, Emlyn, war unter den Einfluss eines Ratsmitglieds geraten, und wurde von den anderen drei gemieden. Sie rächte sich dadurch, dass sie den einzigen unter ihnen, der überall aneckte und den sie heimlich begehrte, beständig in Misskredit brachte.«

»Galvin.« Das war für die Mädchen keine Frage.

»Genau, Galvin. Als Althea nun so plötzlich zurückkehrt, müssen sie alle ihre Freundschaft wieder entdecken, und Galvin stellt fest, dass er in ihr bald etwas anderes zu sehen beginnt als nur seine alte Freundin und Kampfgefährtin. Eine Zeit lang kann er sich beherrschen, doch bei seiner Einweisung geht es mit ihm durch. Er versucht Althea zu überwältigen, und..«

»..Emlyn sieht das und verrät sie an den Rat? Es gibt einen Kampf? Siegt Althea?«, fragten die Mädchen aufgeregt.

»Natürlich tut sie es, aber leider kommt ihr kleiner Wächter dabei um.« Die Großmutter seufzte. »Aber wenn ihr denkt, dass jetzt die dunkle Macht aus Temora vertrieben ist, täuscht ihr euch. Anwyll vermutet, und damit behält er recht, dass der Diener sich Untergebene geschaffen hat. Er zwingt Althea dazu, sämtliche von der dunklen Macht Befallenen in der Gemeinschaft zu heilen. Die Zeit der verborgenen Schliche ist nun endgültig vorbei. Nicht nur Chaya, sondern auch ihre Großmutter ist außer sich darüber, dass sie all die Zeit hintergangen wurde, aber Althea ist kein kleines Mädchen mehr. Sie weist ihre Großmutter in die Schranken, sie möchte nicht ihren ehrgeizigen Zwecken dienen wie einst ihr Vater. So kehrt sie Temora ein für alle Mal den Rücken und lebt fortan als unabhängige Heilerin in den Wäldern. Nachdem sie sich mit Chaya wieder versöhnt hat, begibt sie sich allein auf die Suche nach den noch immer außerhalb Temoras existierenden Dienern. Doch das ist gar nicht so einfach.«

»Weil es gefährlich ist?«, fragte das ältere der beiden Mädchen.

»Das auch, Mädchen, das auch. Nein, was passiert, wenn eine junge und zudem sehr ungewöhnliche Frau allein durch die Lande zieht? Sehr ihr, Althea ist zwar körperlich zur jungen Frauen geworden, innerlich aber in vielen, eben diesen Dingen immer noch ein kleines und sehr naives Mädchen, selbst nach ihrem Erlebnis mit Galvin. Sie weiß nicht, dass sie die Begehrlichkeit der jungen Männer weckt, und das lenkt Aufmerksamkeit auf sie. Besonders einer, Taisto, der Sohn eines Clansführers, stellt ihr regelrecht nach. Sie weist ihn ab, aber später soll sie es noch bitter bereuen, ihn nicht gleich mit aller Gewalt zum Schweigen gebracht zu haben, doch zu dieser Zeit hat sie andere Sorgen.

Schatten ziehen am Horizont herauf, nicht alle saranischen Schiffe kehren zurück. Die es schaffen, berichten von leeren Siedlungen und ausbleibenden Händlern. Althea gelingt es, aus diesen Neuigkeiten eine Karte mit Phileas’ ungefährem Aufenthaltsort zu zeichnen. Er ist nahe, sehr nahe sogar. Altheas Großvater ist der Letzte, der zurückkehrt, und er ist dem Tode geweiht. Er und seine Männer waren dabei, als eine Siedlung von einer unsichtbaren Horde förmlich überrannt wurde, und Regnar wurde von einem von Phileas’ Wesen angefallen, dem er nur durch einen Sprung ins Meer entkam. Es ist Althea ein Rätsel, wie er solange überleben konnte, und sie zieht sehr schnell einen für sie alle wichtigen Schluss: Vertragen die Wesen kein Meerwasser, das darin enthaltende Salz? Denn aus Yenis Träumen weiß sie, dass diese Wesen im Flusswasser sogar schwimmen können.

Althea kann ihren Großvater heilen, aber sie kann nicht verhindern, dass er mehr von ihrer Gabe zu sehen bekommt, als ihr lieb ist. Er bleibt für immer verändert, wird zu einem Ungeheuer. Sein Anblick macht auch den Zögerndsten unter den Führenden Temoras und Sarans klar, dass sie etwas tun müssen. Sie beschließen, eine Versammlung aller Führer ihrer beiden Völker auf dem kommenden Einheitsfest abzuhalten, und laden zögernd die beiden Gebannten, Bajan und Phelan, mit ein.

Altheas Großvater Regnar ist unterdessen gehörig ins Grübeln geraten. Er macht sich auf, seine eigene Vergangenheit zu erforschen. Tief in den Sümpfen Sarans existiert ein weiteres Tor mit einem Todesring, ein Ort, den seine Vorfahren immer behütet und beschützt haben. Was ist seine Enkeltochter? Und damit er selbst? Er spürt, dass er dicht davor ist, das verschüttete Wissen vieler Generationen wieder auszugraben, und er schnappt sich denjenigen, mit dem sich die Mädchen noch nicht hinter einer Mauer des Schweigens verschanzen konnten: Phelan auf der weit entfernten Insel.

Jahrelang hat dieser dort ausgeharrt und seinem Freund Jeldrik bei der Sicherung des Friedens auf See geholfen. Für ihn bedeutet die Neuigkeit, dass Althea am Leben und seine Familie wohlauf ist, die Erlösung aus schweren Sorgen. Dass er nach Saran zurückkehren und am Einheitsfest teilnehmen soll, stellt ihn jedoch vor hohe Schwierigkeiten: Zum einen ist er immer noch ein aus Temora Gebannter, und zum anderen haben die Ethenier ihm blutige Rache geschworen für Yenis Tod. Regnars Neuigkeiten und Versuch, mit aller Gewalt hinter Altheas Geheimnis zu kommen, erfüllt ihn mit Unglauben: Kann es sein, dass Regnar ein direkter Nachfahre der Druidai ist, dass er es ist, der Althea ihre Fähigkeiten vererbt hat? Doch Phelan gerät nicht in Versuchung, sein Wissen mit dem alten Seeräuber zu teilen. Schließlich weiß er genau, was der mit Noemi und Althea getan hat.

Stattdessen nimmt er sich Altheas Vermutung bezüglich Phileas’ Wesen an. Er beschließt, auf eigene Faust zu handeln. Gemeinsam mit Jeldrik, der auf Befehl seines Vaters so viele Waffen als nur möglich für den höchst wahrscheinlich bevorstehenden Kampf schmieden soll, beginnt er noch eine andere Waffe herzustellen: einen ansehnlichen Vorrat Salz. So wappnen sie sich gegen ihren Feind und bereiten ihre Rückkehr nach Saran vor.«

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