Читать книгу Neuanfang oder so ähnlich - M. E. Wuchty - Страница 4

Kapitel 1

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Ich war also mit einem Mann zusammen, dessen Ego/Selbstüberschätzung in etwa gleich groß war, wie seine Selbstzweifel/Minderwertigkeitskomplexe - eines übrigens so nervtötend wie das andere und um das Paket zu vervollständigen, kam zur Tarnung all dessen auch noch eine „Sensibilität“ hinzu, die ich in der Rückschau maximal als Zickigkeit beschreiben würde.

Klarerweise stellt sich hier jede intelligente Person die Frage, wie ich mit ihm zusammen gekommen und warum um alles in der Welt ich noch mit diesem Mann zusammen war, der mir so offensichtlich nicht gut tat. Glauben Sie mir, ich habe mir diese Frage selbst gestellt und die wenig schmeichelhafte Antwort war: Zusammengekommen waren wir, weil ich wieder einmal ein Opfer meiner eigenen Muster geworden war und noch immer zusammen waren wir aus Bequemlichkeit und der Angst vor dem Alleinsein. Man gewöhnt sich zu schnell an die Anwesenheit einer anderen Person. Selbst, wenn es diese Person irgendwie darauf anzulegen scheint, einen in den Wahnsinn zu treiben.

Was aber brachte das Fass letztendlich zum Überlaufen und mich zur Besinnung?

In meinem Fall war es eigentlich eine Kleinigkeit (aber ist es das nicht immer?). Ich hatte einen schon älteren, wunderschönen, dreieckigen Wohnzimmertisch aus Buchenholz. Ein nicht alltägliches Stück mit einer ebenso dreieckigen Glasplatte in der Mitte. Wie an allem, nagte auch an ihm der Zahn der Zeit und es erfüllte mich mit ein wenig Kummer. Oft schon dachte ich darüber nach, ihn abzuschleifen und neu zu lackieren, aber ich scheiterte – raten Sie! – an eingebildetem Zeitmangel und meiner inneren Abneigung, Hilfe für dieses Unternehmen in Anspruch zu nehmen. Eines schönes Abends dachte ich wieder einmal laut über mein Vorhaben nach, was bei – nennen wir ihn einfach D – zu einem spontanen Begeisterungsausbruch führte.

„Super Idee! Das wär doch wieder einmal was, das wir gemeinsam machen könnten!“

Um ehrlich zu sein, war ich etwas überrascht. Der Mann machte sich nicht gern die Hände schmutzig. Sie sollten einmal sein Badezimmer sehen! Oh, natürlich, ich verstehe, putzen ist etwas Anderes.

Nun, ich versuchte also, die Termine von drei Personen unter einen Hut zu bringen. Drei deshalb, weil ich mich letztendlich durchgerungen hatte, einen lieben Freund, seines Zeichens Tischlermeister mit einer eigenen Werkstatt, um seine Expertise zu bitten. Rudi und ich hatten auch schnell ein Wochenende im Auge, an dem er mir persönlich und mit seinem Werkzeug zur Seite stehen konnte, D jedoch fand eine Ausrede nach der anderen: Einmal war es ein „spontanes“ Treffen mit Freunden, dann wollte er lieber ins Kino gehen, wieder ein anderes Mal war er zu müde, weil seine Arbeitswoche ihn „physisch so ausgelaugt hätte“ – der Mann hatte einen Bürojob, um Himmels Willen! Und jedes Mal sah er mich treuherzig an und fragte, ob es für mich in Ordnung war, wenn wir die Renovierung meines Wohnzimmertisches verschieben könnten, weil „er wolle ja soooo gern dabei sein“.

Nachdem ich also Rudi drei Mal abgesagt und zu den Eskapaden meines Freundes geschwiegen hatte, trank ich inzwischen zwei Liter Käsepappeltee am Tag, um meine aufflammende Gastritis in den Griff zu bekommen, ganz zu schweigen von den unzähligen Thomapyrin, die ihren Weg in meinen Organismus gefunden hatten, um meinen schmerzenden Schädel zu beruhigen.

Eines schönen Morgens wachte ich auf und fand mich überrascht in einem Zustand wieder, den ich nur als „beinahe erleuchtet“ beschreiben konnte. Das mit D und mir hatte keine Zukunft, in vielerlei Hinsicht, genauso wenig, wie abzuwarten, dass sich der Beste dazu durchrang, endlich seinen Hintern in Bewegung zu setzen und bei meiner „Ich renoviere meinen Wohnzimmertisch“-Aktion mitzumachen. Ich beschloss, meinem Wohnzimmertisch und mir noch eine Chance zu geben, fragte meinen befreundeten Tischler ein letztes Mal schüchtern um einen Termin und zuckte mit keiner Wimper, als D wieder etwas Besseres vorhatte. Weder wunderte es mich, noch juckte es mich am Hinterteil, als er mir am Donnerstagabend freudestrahlend eröffnete, dass einer seiner Freunde eine Radtour geplant hatte und er mitfahren wollte. Stattdessen schluckte ich eine Bemerkung, die sinngemäß widergegeben hätte, dass dies wohl auch die einzige Gelegenheit sei, bei der er seinen Hintern auf ein Rad schwünge, zu einem anderen Behufe, als zur Arbeit zu fahren. Selbst planen, selbst organisieren und ausführen, was mit seinem Job nichts zu tun hat, war des Aufwandes zu viel und … Lassen wir das.

Wie gesagt, es flanierte mir inzwischen an der Avenue du derrière vorbei, so hatte ich freie Hände und Ellenbogen. Rudi lachte schallend, als ich ihm am Telephon davon erzählte.

„Mädel, der Typ tut dir echt nicht gut!“

„Erzähl mir etwas, das ich noch nicht weiß“, grummelte ich.

„Ich hol dich am Samstag um Neun ab“, lachte er, bevor er auflegte.

An diesem Samstag überlegte ich ernsthaft, ob ich das Richtige gelernt hatte. Es hat total Spaß gemacht, mit der Schleifmaschine zu arbeiten! Natürlich wollte Rudi vermeiden, dass ich mich verletze, aber er hatte auch Vertrauen in meine Fähigkeiten und mit ein bißchen Hilfe wurde ich in wenigen Stunden zur Königin der Schleifmaschine! Haha, nimm das! Dann noch die eine oder andere Schicht Lack und des Abends saßen wir beide bei mir, bei belegten Broten und ein paar Bier und sahen uns Zeichentrick-DVDs an. Auch etwas, das wir gemeinsam hatten, wir mochten beide Cartoons und ich hatte Rudi gern um mich, mit seiner ruhigen, unprätentiösen Art.

Am Sonntagabend konnte ich mein Tischlein im neuen Glanze wieder in mein Wohnzimmer stellen. Hach, diese Freude!

Meine stillverzückte Versunkenheit wurde von einem Anruf meines Freundes unterbrochen, der sich von der Radtour zurückmeldete und sich beschwerte, dass ihm seine Knie weh täten, weil sein Freund den Sattel seines Rades falsch eingestellt hätte.

„Und? Was soll ich jetzt tun? Gerald anrufen und ihn schimpfen?“ fragte ich spitz. Ich hatte dieses Gemaule so satt, vor allem weil er das scheinbar nur bei mir machte und von mir zu erwarten schien, dass ich jetzt meinen Zauberstab auspackte und auf wundersame Weise wieder alles ins rechte Lot brachte. War mein zweiter Vorname Hermine?!

„Du bist alt genug, du hättest deinen Sattel auch selbst einstellen können“, fügte ich trocken hinzu.

Am anderen Ende der Leitung herrschte kurz Schweigen.

„Ja, wie auch immer … kommst du vorbei?“

Wozu? Um mir anzuhören, wie weh ihm die Knie taten? Oder um Krankenschwester zu spielen? Nein, danke, keine Lust.

„Mmm, nö“, sagte ich gut gelaunt, „Ich hab heute noch was vor.“

„Was hast du denn heut noch vor?“ Oh, die Überraschung war unüberhörbar! Scheinbar hatte er erwartet, dass ich zu Hause saß und seiner Heimkehr harrte! Ätsch, nix da.

„Oh, Mist, so spät schon! Ich muß los! Ciao, ciao!“ flötete ich in den Hörer und legte auf.

Zufrieden pflanzte ich meinen Hintern auf die Couch, meine Füße auf meinen frisch renovierten Wohnzimmertisch, futterte Chips und sah mir „Armageddon“ im Telewischer an (eines der Filmplakate hätte lauten können: Nie wieder Beziehungsstreß, versprochen!).

Scheinbar hatte meine Taktik bei D eine Art Alarm in Gang gesetzt, denn am nächsten Tag, kaum, dass ich von der Arbeit nach Hause gekommen war, läutete das Handy und er schnurrte mich an, ob ich ihn heute sehen wollte. Meinetwegen, seufzte die innere Stimme und tatsächlich stand er keine halbe Stunde später vor der Tür, lächelnd und gurrend, wie Valentino. Diese Masche kannte ich schon, so benahm er sich, wenn er Sex wollte. Auch recht, denn bekommen würde er ihn nicht, nicht von mir, nicht heute.

Als D mein Tischlein im neuen Kleide erblickte, erstarben Lächeln und Gurren, er runzelte die Stirn, setzte sein „Ich bin so arm, weil keiner auf mich Rücksicht nimmt!“-Gesicht auf, verzog den Mund und maulte: „Ich wollte doch dabei sein! Immer lässt du mich außen vor, wenn du etwas mit deinen Freunden machst!“

Im ersten Moment holte ich vor Fassungslosigkeit tief Luft, dann entschied ich mich für die ultimative Antwort, die eigentlich schon lange fällig war: „Weißt was, hupf in Gatsch und schlog a Wöll´n!“ (Für alle, denen das ostösterreichische Idiom nicht so geläufig ist, hier die Übersetzung: Rutsch mir den Buckel runter!).

Seine Erwiderung war Sprachlosigkeit. Ich gab ihm keine Erklärung, es gab keine Entschuldigung, kein gar nichts, außer einem Rauswurf. Wozu? Sollte ich ihm aufzählen, dass er drei Termine gecancelt hatte, weil ihm „nicht danach war“, dass es egal gewesen wäre, wie oft ich ihn gefragt hätte, wie lange ich darauf gewartet hätte, ob der Gnädigste endlich Zeit und Lust hat – ziemlich egal, wenn es um etwas ging, das mir wichtig war? Oder hätte ich ihm sagen sollen, dass sich die Welt nicht um ihn drehte und alle darauf warteten, dass er endlich den Arsch in die Höhe bekam, um dann, wie in einem schlechten Werbespot, um ihn herumzuscharwenzeln, auch, wenn es ursprünglich und eigentlich nicht um ihn ging?

Wissen Sie, D war einer von den Typen, die immer zu spät kommen und beleidigt sind, wenn man sich über ihre Unhöflichkeit beschwert. Oder wie gerade, beleidigt, weil man einfach keine Lust mehr hat, sich nach ihm zu richten. Abgesehen davon war die ganze Welt schlecht, er furchtbar arm und immer das Opfer – von Menschen oder Umständen, egal. Und überhaupt waren alle anderen nur und ausschließlich dazu da, ihn zu unterhalten, sich um ihn zu kümmern und ihn zu therapieren! Nämlich! Weil er hatte ja fast jedes verfügbare Buch zum Thema Selbstwert, Bewusstseinsbildung und persönliche Weiterentwicklung gelesen, das auf dem Markt verfügbar war und liebte es, über seine Erkenntnisse zu dozieren. Meine Erkenntnis diesbezüglich hatte sich im Laufe der letzten Monate dahingehend verdichtet, dass er vor allem eines herausgefunden hatte: Dass immer die anderen Schuld hatten und wie man diese Schuld möglichst überzeugend transportiert. Blöd nur, dass sich die Welt im Allgemeinen und manche Menschen im Besonderen irgendwann nicht mehr darum scherten.

Ich für meinen Teil war es endgültig leid, Mutterersatz, Therapeutin und Projektionsfläche für seinen Frust und seine Respektlosigkeiten zu sein, die Verliebtheit, die mich all das hatte ertragen und rechtfertigen lassen, war einen traurigen Tod gestorben und an ihre Stelle war etwas getreten, was ich schon viel früher aus dem Koma hätte holen sollen: Das Bewusstsein für meinen Selbstwert. Also besann ich mich darauf, erkannte von einer Sekunde auf die andere, dass ich so ein Weh (ostösterreichisch für Trottel) nicht notwendig hatte und setzte ihn vor die Tür.

„Bitte von außen schließen, danke!“ waren meine letzten Worte an ihn.

Dass es ihn tief getroffen hatte, konnte ich deutlich sehen, dass es ihn verwirrte, auch. Seine Verwirrung rührte daher, dass ich normalerweise sehr verständnisvoll und tolerant ihm gegenüber gewesen war – kleiner Nachteil eines großen Herzens und von Verliebtheit. Wahrscheinlich erwartete er eine wortreiche Erklärung oder eine Entschuldigung, die er bis dato ja auch immer bekommen hatte, meistens inklusive einer tätigen Wiedergutmachung. Nun ja, ich hatte ein für alle Mal die Schnauze voll davon, immer den Schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen und lang und breit erklären zu müssen, warum auch ich das Recht hatte, mit Respekt und Anstand behandelt zu werden. Die rosarote Brille war im Müll gelandet und was den Rest betraf – siehe oben.

Ok, jetzt war ich also den Mann endgültig los, dachte ich wenigstens. Obwohl ich erleichtert war und das Gefühl hatte, dass mir eine Riesenlast abgenommen worden war, nagte da doch noch etwas an mir. Ich hatte aufgegeben, war gegangen, anstatt zu kämpfen. Normalerweise tue ich das, nicht nur, weil ich so erzogen wurde, sondern weil ich überzeugt bin, dass es eine Lösung für jedes Problem gibt. In meinem Hinterkopf erschien die Frage: Hatte ich wirklich alles getan, was notwendig gewesen wäre, um diese Beziehung zu retten, oder hatte ich einfach den bequemeren Weg gewählt? Es braucht zwei, um eine Beziehung zu führen und auch zwei, um sie zu ruinieren. Es war ja auch nicht das Gefühl gewesen, dass er nicht gewollt hatte, eher die Tatsache, dass er nicht gewusst hatte, wie! Hätte ich ihn noch mehr unterstützen müssen, mehr tun, oder hätte ich …?

Ich konnte mir selbst die Frage nicht fertig stellen, weil sich plötzlich eine sehr laute, sehr bestimmte und eindeutig wütende Stimme meldete, die mir mitteilte, ich hätte getan, was mir möglich gewesen war und wenn er nicht erkennen konnte, was er gehabt hatte, solle er sich doch bitte einer Lobotomie unterziehen, damit wenigstens etwas Licht in dieser Gehirn gelangt! Wir sind alle für unser Glück selbst zuständig und in einem seiner Bücher stand dieser Satz auch garantiert drin!

Ich weiß, ich kann ein Miststück sein, und wie es scheint, auch mein Unbewusstes, aber es half mir, meine Selbstvorwürfe zu begraben und mit neuem Optimismus in die Zukunft zu schauen.

Wenn man eine Beziehung beendet hat, gibt es zwei Arten, weiterzumachen: Man stürzt sich auf die nächste, oder man legt eine Pause ein. Bei mir war es gemischt. Je nachdem, wie die letzte Beziehung zu Ende gegangen war, hatte ich Lust, mich auf eine Neue einzulassen.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen noch etwas über mich verraten und gestatten Sie mir die Kleinkind-Metaphorik: Die meisten meiner „Partnerschaften“ hatten das Stadium des Laufen-Lernens, also die neun bis zwölf Monate knapp erreicht, bevor sie den Bach runtergingen. Sehr, sehr wenige hatten es zum selbständigen Laufen gebracht und nur eine einzige hatte es in den Kindergarten geschafft, bevor ich dahinterkam, dass mein Freund mich betrog und ich Schluss machte. Bei aller Wertschätzung für eine Beziehung hatte ich also sehr wohl auch meinem Singledasein gefrönt, wie man das so schön Neudeutsch sagt und ich habe mich in diesem Zustand eigentlich immer sehr wohl gefühlt. Sei es, dass ich dann meine Unabhängigkeit zu sehr liebte oder einfach keine Lust auf die Auseinandersetzungen oder die Arbeit hatte, die eine Beziehung mit sich brachte. Es konnte natürlich auch sein, dass ich mir während meiner Singlephasen sehr viele Gedanken darüber machte, was denn falsch gelaufen war, oder ob ich einfach zu nett und verständnisvoll für den durchschnittlichen Mann war und dann konnte ich keinen von jenen gebrauchen, um meine tiefgreifenden Denkvorgänge zu unterbrechen, ganz speziell dann nicht, wenn Alkohol und andere Frauen involviert waren.

Außerdem ist es so schön, seine Wohnung ganz für sich allein zu haben und seine Zeit nicht damit zu verbringen, den verkümmerten Selbstwert eines Mannes aufzubauen, der gleichzeitig meint, die Weisheit der Welt mit dem ganz großen Löffel eingeflößt bekommen zu haben. Nicht zu vergessen, dieses wunderbare Naturereignis namens „Freundinnen“. Eine davon arbeitete glücklicherweise auch noch in derselben Firma wie ich.

Am nächsten Morgen also begaben Veronika und ich uns zur traditionellen Gewerkschaftspause in den Lichthof. Ihrem scharfen Auge entging mein veränderter Beziehungszustand natürlich nicht und sie fragte sehr vorsichtig: „Wie geht´s dir? Du wirkst etwas …“, sie kniff die Augen leicht zusammen und machte eine abwägende Handbewegung, „… verändert.“

Für einen Moment hielt ich die Luft an, dann sagte ich: „Unbemannt und glücklich damit!“

„ Wer hat wen …?“

„Hm, genau genommen, wir einander und das schon vor langer Zeit, aber keiner von uns hat den Arsch in die Höhe bekommen und endlich Schluss gemacht.“

„Wusah! Ich bin so stolz auf dich!“ kicherte sie und machte eine winkende Bewegung mit gespreizten Fingern. Sie kannte die ganzen Geschichten und Bonmots und hatte sich auch nie zurückgehalten, wenn es darum gegangen war, mir die Meinung zu sagen. Hätte ich nur früher auf sie gehört.

„Alkohol am frühen Morgen? Drogen? Medikamente? Krieg ich das auch?“ fragte ich lachend.

Ein paar Minuten, sprich, eine Zigarettenlänge und eine Tasse Kaffee später, traten Frau Kollegin und ich aus der Teeküche auf den Gang und stießen mit ihrem Chef zusammen. Unwillkürlich musste ich bei seinem Anblick immer an eine nervöse Bulldogge denken – er hatte einen Tick, dass er immer zu zwinkern anfing, wenn er mit jemandem sprach, dazu kam dieses runde Gesicht mit leichten Hängebacken – fehlte nur noch, dass er irgendwann bellte.

„Carmen, machst du morgen den Hygienerundgang?“

„Yep.“

„Veronika, ich hätte dich gerne dabei. Vier Augen sehen mehr als zwei und ich hab keine Lust.“

Klare Ansage, wenn auch völlig unangebracht, der Mann war Qualitätsmanagementbeauftragter und „hatte keine Lust“? Pardone moi! Was machte er, wenn wir jetzt sagten, wir hätten auch keine?!

Veronika und ich wechselten einen langen Blick. Dann zuckten wir gleichzeitig mit den Achseln und meinten unisono: „Machen wir.“

Sehen Sie, der einzige Unterschied zwischen meiner Beziehung und meinem Job war die Bezahlung – für diesen Job wurde ich wenigstens einigermaßen gut bezahlt. Aber sonst? Kindergarten, Sandkiste, Streit um des Kaisers Bart, Umschichten heißer Luft, beleidigte Sensible – ich machte mir manchmal Gedanken, ob ich nicht eigentlich das Falsche für diesen Job gelernt hatte. Kindergärtnerin oder Hamsterdompteuse schien mir, wäre die bessere Wahl gewesen, je länger ich in diesem Hause Dienst tat.

Das war nicht immer so gewesen. In meinen Anfangstagen in dieser Firma war ich neugierig gewesen, begierig zu lernen und mich zu etablieren.

Es hat Zeiten gegeben, da freute ich mich über jedes einzelne Mal, wenn jemand mich geschäftlich zu sprechen wünschte. Egal, ob der Anruf mich persönlich betraf, oder, ob ich nur an einen Kollegen, eine Kollegin verweisen konnte - es gab mir ein Gefühl von Wichtigkeit, des Wahrgenommen-Werdens. Eine Befriedigung, dass das professionelle Ich seine Daseinsberechtigung unter Beweis stellen kann! Wenn man schon sonst auf Ersatzmutter und Therapeutin reduziert wird.

Gefragt zu werden bedeutete, dass man wichtig war, dass deine Meinung wichtig war, dass … dass man irgendwann den Fehler machte, sich tatsächlich zu bemühen, sich Gedanken zu machen, entgegen allen Regeln Entscheidungen zu treffen und seine Meinung und Entscheidung auch tatsächlich ernst zu nehmen, ohne sich eine Ausrede zu überlegen, wie man sich später wieder herauswinden konnte. Es bedeutete, dass man irgendwann zur universell Zuständigen (oder auch Trottel für alles) gemacht wurde. Und inzwischen nervte dieses Telephon nur noch tierisch.

Aber bei all dem hatte ich mir ja wieder eine Oase der Ruhe geschaffen – zu Hause. Heim kommen, die Tür hinter sich zu machen und die Welt sich eine Runde ohne mich drehen lassen.

Dennoch, bei aller Freude über das Singledasein war ich doch immer wieder verblüfft, wie ich es schaffte, einen ganzen Tag mit völlig sinnlosen Dingen zu verbringen, wenn mir langweilig war, wie zum Beispiel fernsehen. Mit erheblichem Schrecken musste ich dann am Ende des Tages feststellen, dass ich wieder Stunden mit dieser „Tätigkeit“ verbracht hatte.

Tätigkeit? Habe ich das wirklich gerade als Tätigkeit bezeichnet? Dieser Begriff impliziert „Tun“! Entweder mit dem Körper oder dem Gehirn oder wenigstens irgendetwas! Tatsächlich tat sich aber während des TV-Glotzens herzlich wenig bei mir. Hin und wieder schob ich den Popsch ein wenig auf der Couch hin und her, damit er nicht einschlief, aber sonst? Fernsehen ist eine absolut schlechte Gewohnheit, stellte ich fest, deshalb wurde mir dabei auch häufig langweilig. Kein Scherz. Ich weiß, ich weiß, ich war irgendwie ein Paradoxon in mir selbst. Ich drehte den Fernsehapparat auf, weil mir langweilig war und dann wurde mir erst recht langweilig dabei. Dummerweise war ich aber im Moment zu träge, mir etwas Besseres einfallen zu lassen, speziell nach einem Arbeitstag, nach dem mir die Motivation fehlte, etwas Anderes zu tun, als mich berieseln zu lassen. Und mir waren in letzter Zeit auch keine guten Bücher untergekommen.

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