Читать книгу Seelenverkäufer: Das Schicksal einer Deutsch-Amerikanerin - M. Gontard-Schuck - Страница 4
II.
Der neuen Welt zu.
ОглавлениеDen ersten Tag auf See.
Der Abschied von den lieben Alten war schrecklich! Die Großmutter weinte zum Erbarmen. Und ich? Ich weiß nicht, es tat mir ja auch sehr leid, aber trotzdem – ich komme mir beinahe schlecht vor – ich freute mich! Freute mich auf die große, unbekannte Welt und auf all das Schöne, das sie mir vielleicht bringt.
Ich bin jung, und ein klein wenig von all den Herrlichkeiten der Welt ist das Leben mir doch auch schuldig.........?!
Das Wetter ist sehr schön, nur gegen Abend wurde es etwas bewegter. Hoffentlich behalten wir es so, daß ich nicht seekrank werde. Die Großeltern haben mich dem Kapitän sehr empfohlen, und er will gut auf mich aufpassen.
Er ist ein reizender Mensch und auch noch gar nicht so alt. Ich habe früher immer gedacht, die Kapitäne wären alle alt und grau. —
Den 29. Mai.
Ich habe kein Auge zugetan die ganze Nacht. Das Bett war entsetzlich hart. Ich bin nicht gewöhnt, nur auf der Matratze zu liegen. Und die Wolldecken zum Zudecken sind auch nicht besonders hübsch.
Ich bin mit einer Dame zusammen im Zimmer, einer Amerikanerin. Das heißt, eigentlich ist sie aus Wien, aber sie ist schon sehr lange in Amerika. Sie fährt jedes Jahr zweimal nach Europa. Ich glaube, sie ist sehr reich. Sie hat die ganzen Hände voll feiner Ringe. Mit mir ist sie sehr freundlich und gibt mir allerlei gute Ratschläge.
Hübsch ist sie nicht, aber sehr fein; sie hat so feine Nachthemden, wie ich noch gar keine gesehen habe. — —
Donnerstag, den 30.
Heute ist schlechtes Wetter, tüchtig Wind und Regen. Gegen Abend wurde es sogar sehr stürmisch – nach unsrer Ansicht.
Zum Mittagessen lag schon alles krank. An unserem Tisch waren nur ganz wenige erschienen, und während des Essens verschwanden auch die noch zum Teil sehr rasch. Es war mir auch ein wenig sonderbar, ich hab' aber doch gut gegessen, nur keinen Fisch, der Geruch war mir zu widerlich.
Ich bin gestern abend erst um elf Uhr zu Bett gegangen, habe dann aber ganz fein geschlafen.
Den 1. Juni.
Heute war das Wetter wieder schön; den ganzen Tag sehr ruhig, und trotzdem sind noch Einige seekrank. Mir schmeckt jetzt wieder alles. Heute nachmittag zwischen vier und fünf Uhr fuhr auch ein Dampfer an uns vorbei, nach Hause zu. Mir war ein klein wenig sonderbar zumute, ob es wohl Heimweh ist? Ich habe recht nette Gesellschaft gefunden. Meine Zimmergenossin – Frau Fröhlich heißt sie – hat einen Neffen mit an Bord; gleich am ersten Tage hat sie ihn mir vorgestellt. Er sieht sehr gut aus, und ich glaube, er mag mich auch gern, denn er ist immer um mich herum.
Ich glaube, wenn ich nicht so furchtbar viel durchgemacht hätte mit den Männern – ich meine mit Rudolph – so könnte ich ihn vielleicht liebhaben, aber so! Nein! Ich werde niemals wieder einen Mann lieben. — — —
Mr. Smith – so heißt der Neffe – gibt sich sehr viel Mühe mit mir. Er will mich Englisch lehren. Die paar Brocken, die ich bei Fräulein Fischer gelernt habe, die helfen mir gar nichts.
An Deck haben wir immer viel Spaß. Wenn wir in den Stühlen liegen, kommt zuweilen der Kapitän und fragt, ob wir auch gut zugedeckt seien oder ob er den vierten Offizier schicken solle, damit er den Damen die Füße schön einwickele. Dann gibt es immer großes Gelächter. — — — —
Den 2., abends.
Endlich haben wir das lange prophezeite schlechte Wetter. Heut' gegen Abend waren wir auf der Brücke; es sah wunderschön aus, wenn das Wasser vorn über Deck kam und sogar bis zu uns heraufspritzte. Herr Smith ist sehr aufmerksam, stets ist er in meiner Nähe. Heute früh saß er im Stuhl neben mir – seine Tante war im Damenzimmer, da sie sich nicht besonders wohl fühlte. Er hat mir so viel dummes Zeug vorgeschwatzt. Er sagt, ich sei sehr schön – ob das wohl wahr ist? – Er ist der einzige Erbe seiner Tante, die sehr reich ist, und kann seiner Frau jeden Wunsch erfüllen. Und wenn er eine so schöne Frau hätte, wie ich, so würde er sie in Samt und Seide kleiden, das muß fein sein. – Und Geld braucht sie gar nicht zu haben, er hat nicht nötig, darauf zu sehen.
Wenn ich dagegen an Rudolph denke! Jetzt könnte ich mich schon rächen. Wenn ich Mr. Smith heiratete, so könnte ich schon nächstes Jahr wieder zu Besuch nach Hause reisen, und dann könnte ich Rudolph zeigen, daß ich auch ohne Geld einen reichen und hübschen Mann bekommen habe. – Denn hübsch ist Herr Smith, hübscher als Rudolph. Aber ich liebe ihn nicht, kann ihn also auch nicht heiraten. Das habe ich ihm auch gesagt.
Er war sehr traurig – und da tat er mir wieder leid. — —
Den 3., morgens.
Die Nacht war schrecklich! Das Innere wurde mir förmlich umgedreht. Scheußlich! Ich fürchtete wirklich, ich würde auch noch krank. Um zwei Uhr bin ich aufgestanden, ich konnte nicht mehr liegen, bald stand ich nahezu Kopf, bald wieder auf den Füßen. Ich habe mich auf das Sofa gesetzt und eine Apfelsine gegessen, dann war mir etwas menschlicher.
Frau Fröhlich ist sehr krank, jetzt sieht sie gar nicht mehr fein aus. Auch viel älter kommt sie mir vor. Erst dachte ich, sie wäre kaum dreißig.
Aber natürlich, sie hat doch einen Neffen, der 27 Jahre alt ist. — — —
Den 4.
Heute ist wieder prachtvolles Wetter. Trotzdem sind noch immer Einige krank. Ich selbst fühle mich großartig. Ich habe zwar noch nicht ein einziges Mal bei Tisch gefehlt, aber gestern war's doch nicht so ganz richtig.
Riesigen Spaß haben wir gestern nachmittag gehabt, als wir im Salon zum Kaffee waren. Ohne daß man vorher viel gemerkt hatte, holte das Schiff plötzlich so stark über, daß unsere Kuchenteller, Kaffeetassen und alles was nicht fest war, mit einem Male auf der Erde herumflog. Natürlich großes Geschrei. Alle suchten Zwiebäcke zusammen. Kaffee wurde dann nicht mehr getrunken. Heute abend ist großes Konzert, sogenanntes Seemannskonzert. Ich gehe auch hin. Alle wollen sich sehr elegant machen, und ich habe nur ein einfaches weißes Kleid, das ich anziehen kann. —
Da sitz' ich nun und halte schon eine ganze Weile die Feder in der Hand, ohne daß ich weiß, wo ich beginnen soll. Und doch habe ich so viel zu schreiben, wie noch nie während der ganzen Reise.
Zwischen gestern und heute liegt eine Ewigkeit oder ein ganzes Menschenschicksal, ich weiß es nicht.
Mir ist so sonderbar – so bange. Ist es das Neue, das Unbekannte, dem ich entgegengehe?
Es ist wohl hauptsächlich der Gedanke: hast du auch recht getan, der mich quält. —
Ist es doch das erstemal, daß ich bewußt mein Schicksal in die eigenen Hände genommen habe. — —
Also ich habe mich nun doch mit Herbert Smith verlobt. —
Ich war gestern abend in dem Konzert und hatte mein weißes Kleid an. Alle andern Damen waren feiner, denn das Kleid ist sehr einfach. Frau Fröhlich und ihr Neffe saßen mit mir am Tisch, außerdem noch eine junge Dame aus Baltimore, Miß Pfort, und ein Herr aus Köln. Schon als ich in den Salon kam, sah ich, daß Herberts Augen aufleuchteten; er sprang auf und kam mir entgegen; er sagte mir gleich so viel Schönes, daß ich ganz rot und verlegen wurde.
Eine Schönheit wie ich, habe nicht nötig, sich noch mit kostbaren Kleidern zu schmücken, ich sei die Schönste im Saal trotz meiner Einfachheit. — — —
Ich müßte kein Mädchen sein, wenn ich mich nicht gefreut hätte. —
Zuweilen dachte ich wohl, es seien nur Redensarten, aber mir scheint doch, es ist etwas Wahres daran, denn ich habe wohl bemerkt, daß alle Herren nach mir sahen. Und ich muß sagen, ich gefalle mir selbst, wenn ich im Gesellschaftszimmer an den großen Spiegeln vorübergehe. Ich bin groß und schlank, und mein goldbraun leuchtendes Haar sieht sehr apart aus. —
Ein bißchen eitel darf ich wohl sein. —
Nach dem Konzert saßen wir noch etwas zusammen, es kamen noch einige Herren dazu, und als im Salon die Lichter ausgelöscht werden sollten, beschlossen alle, ins Rauchzimmer zu gehen. Frau Fröhlich bat so lange, bis ich mitging. —
Wir haben sehr viel Champagner getrunken – ich trinke ihn gern – und ich glaube, ich habe einen regelrechten kleinen Schwips gehabt. Ja – und heute früh war ich verlobt. – Wenigstens sagen es alle. Und Herbert war schon um acht Uhr an unserer Zimmertüre und nannte mich seine schöne Braut, seinen stolzen Schwan und was der dummen Dinge mehr sind. – Aber gern hör' ich's doch. — —
Ich kann's jetzt verstehen, daß mein Vater gern Champagner trinkt; mir hat er auch geschmeckt. —
Herbert sagt, wenn ich erst seine Frau sei, könne ich trinken, so viel ich wolle. —
Ich bin doch etwas stark benommen im Kopf. Frau Fröhlich sagt, das komme vom ungewohnten Trinken; sie ließ eine Flasche Sherry kommen, da habe ich auch ein Glas mitgetrunken, und es ist mir wirklich etwas besser geworden. —
Wenn ich über alles klar nachdenke, dann ist mir ganz miserabel zumute. – Soll ich Herbert mein – mein – ja was ist es eigentlich, was hinter mir liegt? Ein Erlebnis – ein Unglück – oder was sonst? Es ist schrecklich! Nein, ich kann es nicht sagen. Würde er dann noch zu mir sagen – mein stolzer Schwan? Schwäne sind rein – weiß – unnahbar. Ach, ich komme mir manchmal so gar nicht mehr rein vor. – Ich sage nichts, lieber will ich ihn überhaupt nicht heiraten.
Aber wird er mich wieder freigeben?
Er hat mir heute nachmittag schon seinen Plan entwickelt. —
Sowie wir in New York ankommen, fahren wir beide im Automobil zum Pfarrer und lassen uns trauen. Das geht in Amerika ganz leicht. Herbert kennt einen Pfarrer in der 2. Avenue, zu dem fahren wir. Papiere brauchen wir nicht.
Die Tante besorgt währenddessen das Gepäck, und ehe alles fertig ist, sind wir schon wieder zurück, dann kann ich meinen Großonkel, der mich abholen will, immer noch begrüßen.
Herbert meint, es wäre möglich, daß wir beide mit zur Großtante reisten, aber es sei besser, daß wir uns sofort trauen ließen, dann könne der Onkel nichts mehr daran ändern.
Wenn wir nicht gleich mit dem Onkel gehen, dann wollen wir aber später einige Wochen zu ihm und der Tante. —
Und nächstes Jahr kann ich schon wieder nach Deutschland zu Besuch. —
Herbert hat mich gebeten, dem Kapitän nichts von unserem Plan zu erzählen. Es wäre ihm vielleicht nicht recht, weil ich noch so jung sei, und weil er doch den Großeltern versprochen habe, auf mich zu achten.
Ich werde es ihm nicht sagen, ich sehe ihn ja auch so selten. – Ich quäle mich immer mit dem Gedanken, daß ich Herbert doch meinen Fehltritt sagen müßte. Ich warte immer auf einen günstigen Augenblick. Wenn ich einmal längere Zeit ganz allein mit ihm wäre, dann hätte ich den Mut. Aber hier am Schiff ist man ja nie allein. —
Ob ich Herbert liebe, weiß ich wirklich nicht. Manchmal glaube ich es ja, aber trotzdem – wenn er jetzt plötzlich von mir gehen würde, ich glaube kaum, daß es besonders wehe tät'. —
Es ist vielleicht gut so. — —
Morgen sind wir dort. Eben sagte mir der Kapitän im Vorübergehen, daß wir morgen früh 10 Uhr am Pier in Hoboken sind.
Jetzt sitzt nun alles im Salon und schreibt Briefe, und auch ich will die letzten Zeilen in mein Buch schreiben, ehe ich es weglege. Vielleicht komme ich in nächster Zeit doch nicht zum Schreiben. Und wenn ich wieder schreibe, bin ich schon Frau. Frau! Komisch. Mir ist, als könnt ich's kaum glauben. —
Gleich will ich noch einen Brief an die Großeltern schreiben, denen werde ich aber doch alles berichten, obgleich Herbert mich bat, vorläufig noch nichts davon zu erwähnen. —
Um mich herum sitzt alles und schreibt. Briefe und Karten.
Adressen werden ausgetauscht, Versprechungen gemacht usw.
Ich möchte wohl wissen, wie viele von diesen Adressen benutzt werden. Wer denkt nach einem halben Jahre noch an die geschlossene Freundschaft?
Es sind auch eine ganze Anzahl Liebespärchen hier an Bord, alle erst von dieser Reise.
Die Seeluft muß eine stark aufreizende Wirkung haben.
Bei manchen sollte man es kaum glauben, daß sie sich erst seit kaum acht Tagen kennen.
Da ist zum Beispiel ein Pärchen an unserem Tisch. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß sie sehr intim miteinander sind. – Ich hielt sie für Mann und Frau.
Gestern sprach ich mit dem Zahlmeister darüber, der lachte. —
»Das ist jede Reise so, zuweilen mehr, zuweilen weniger. Diese beiden haben sich vordem nie gesehen. Sie ist Rheinländerin und er ist aus Thüringen. Überdies wird sie von ihrem Bräutigam erwartet.« — —
Der Zahlmeister wird wohl recht haben. — —
Ich möchte keinen Seemann heiraten. Die Damen hier am Schiff sind teilweise sehr entgegenkommend gegen die Herren. — —
Herbert, der schon oft gefahren, lacht mich aus und sagt, das sei nicht so schlimm. Ein bißchen amüsieren dürfe sich jeder Mann. — —
Die See wird manchmal so unruhig, lange wird's nicht dauern, dann gibt's wieder Seekranke.
Allzu schlimm kann's nicht mehr werden, denn es sind jetzt nur noch zwölf Stunden. —
Wenn ich dann wieder einschreibe, ist es in der Neuen Welt. — —