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III.
Nacht.

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Inhaltsverzeichnis

Vier Wochen später.

Ach ja, es ist eine neue Welt, in der ich lebe – aber was für eine!

Furchtbare Wochen liegen hinter mir – fürchterlichere vielleicht noch vor mir!

Ich will schreiben – und weiß nicht, wo beginnen – ich weiß weder Anfang noch Ende.

Mit einem einzigen Schrei der Qual möchte ich alles in die Welt hinausrufen. —

In die Welt! In welche Welt?

Die Welt, die mich jetzt umgibt, lacht über meine Klagen. Und eine andere aufzusuchen, in der ich nicht verlacht werde, liegt nicht in meiner Macht. — —

Ich bin gefangen! Wo? Ich weiß es nicht. —

Doch ich will es dir schlicht und der Reihe nach erzählen, kleines Buch. Du allein bist ohne Falsch. —

Alles spielte sich so ab, wie Herbert es mir gesagt. Wir beide gingen nach Ankunft des Schiffes sofort ohne Aufenthalt durch die Zollschranke. Gepäck hatten wir nicht. Im Automobil fuhren wir dann ein ziemliches Stück, auch auf einem großen Fährboot über den Fluß und dann noch eine kurze Strecke weiter.

Wir sind dann in ein großes Haus gegangen. Wie Herbert mir sagte, zu seinem Freunde, dem Pfarrer. —

Ob es eine Vorahnung war? – Als die Tür hinter mir zuschlug, überkam mich plötzlich eine Angst, daß ich am liebsten wieder hinausgelaufen wäre. Doch Herbert legte den Arm um mich und führte mich in ein auf der linken Seite des Flures gelegenes Zimmer.

Sonderbar, ich sah keinen Menschen, und Herbert schien hier wie zu Hause zu sein.

Auch im Zimmer war niemand. Herbert geleitete mich zu einem Sessel, welcher der Tür gegenüberstand. —

Ich war plötzlich so müde. —

Einen Augenblick nur solle ich ihn entschuldigen, er komme sofort zurück, sagte er mir, und ging durch eine andere Tür hinaus.

Ich sah mich im Zimmer um. Die Wände waren mit einigen Bildern geschmückt – Dutzendware –, gegenüber der Tür stand eine Chaiselongue, kein Tisch, nur noch einige Sessel. —

Aber was mir jetzt erst auffiel – das Zimmer hatte ja gar kein Fenster! Eine elektrische Krone erhellte es, es war aber doch Tag. Es konnte höchstens zwölf Uhr sein! —

Noch immer kam Herbert nicht wieder.

Hinter mir rauschte ein Seidenkleid – eine Tür hatte ich nicht gehen hören. Ich drehte mich aufhorchend um, eine Dame stand vor mir und lächelte mich an.

Es war eine große, kräftig gebaute Frau im Alter von ungefähr fünfzig Jahren. Sie war sehr elegant gekleidet, sah aber trotzdem sehr gewöhnlich aus, denn ihr Gesicht war unangenehm und brutal. —

»Sie müssen Herrn Smith einen Augenblick entschuldigen. Er hat erst noch rasch etwas zu erledigen, wird aber sofort hier sein. Darf ich Ihnen einstweilen eine kleine Erfrischung anbieten?«

Und ohne eine Erwiderung abzuwarten, trat sie an einen kleinen Seitenschrank und goß zwei Gläser voll Wein, von denen sie mir das eine anbot; das andere stellte sie auf ein kleines Ziertischchen, in dessen Nähe sie sich niederließ. —

Ich hatte bis jetzt noch kein Wort gesprochen.

Ich saß da mit meinem Weinglas in der Hand und sah mich hilflos um. Ich hätte es gern hingesetzt, aber ein Tisch schien in diesem Zimmer ein überflüssiges Möbel zu sein. —

»Trinken Sie, liebes Kind, Sie werden erschöpft sein. Ich nehme Ihnen dann das Glas wieder ab,« sagte meine liebenswürdige Wirtin – die Gattin des Pfarrers, wie ich damals annahm.

Ich war wirklich durstig, aber noch mehr hungrig. Ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr genossen, und auch da vor lauter Aufregung nur wenig. Ich tat deshalb einen guten Zug aus meinem Glase, dann nahm sie mir das Glas ab und setzte sich mir gegenüber.

Was sie zu mir gesprochen, weiß ich nicht; mich überfiel eine seltsame, bleierne Müdigkeit, ich riß einige Male mit Gewalt die Augen auf, aber dann konnte ich nicht mehr dagegen ankämpfen. Ich bin dann wohl eingeschlafen. — —

Als ich erwachte, war es Nacht. Ich lag ausgezogen auf einem Bett. Im Zimmer war es ganz finster.

Ich versuchte mühsam, meine Gedanken zu sammeln. Wo war ich? Was war mit mir geschehen? War ich krank gewesen? Mir war sonderbar benommen im Kopf. Ich sann und sann und kam zu keiner Klarheit.

Müde schlief ich endlich wieder ein. — —

Das Geräusch einer schließenden Tür weckte mich. Als ich die Augen aufschlug, war es Tag, und die Frau von gestern stand vor meinem Bett.

»Nun, ausgeschlafen?« fragte sie.

Ich sah sie verständnislos an.

»Wo ist Herbert?« fragte ich, nachdem ich meine Gedanken einigermaßen gesammelt hatte.

»Sie meinen Herrn Smith? Der hat noch gestern wieder abreisen müssen, liebes Kind. Aber er kommt wieder, sobald er nur irgend kann. Seien Sie nur zufrieden, Sie sind bei Freunden. Sie werden es gut bei uns haben, wenn Sie schön artig und vernünftig sind.«

»Aber wo bin ich denn! Bei wem?« fragte ich dringend. »Ich muß doch zu meiner Tante!«

»Es ist leider niemand gekommen, der Sie hat abholen wollen. Wir haben gestern sofort nachfragen lassen. Sie müssen deshalb schon bei uns bleiben. Nun ruhen Sie sich nur noch recht schön aus, ich schicke Ihnen gleich etwas Frühstück herauf. Später kommen Sie dann auch mal herunter in den Salon. Vorläufig ruhen Sie noch.« — —

Sie ging, und ich war wieder allein. Doch nicht lange.

Ein Mädchen kam und brachte mir Kaffee und Gebäck.

Aber wie sah die Person denn aus! Schrecklich! Wie konnte man denn so ein Geschöpf um sich haben? Ganz entzündete Augen und auch sonst so ekelhaft.

Sie sah mir den Widerwillen wohl an und lachte häßlich.

»Wenn du Glück hast, mein Engel, so siehst du eines Tages auch so hübsch aus,« sagte sie frech.

»Wie meinen Sie das?« fragte ich.

Sie antwortete nicht, drehte sich um und ging hinaus.

Ich mochte nichts anrühren von dem, was dieses Geschöpf in den Händen gehabt hatte. Der Kaffee wurde kalt.

Doch in meinen Eingeweiden wühlte der Hunger; ich war jung und gesund und hatte seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen. Nach und nach trank ich den kalten Kaffee und aß auch das Gebäck. Ich wollte endlich aufstehen und mich nach meinen Wirten umsehen. – Ich suchte nach meinen Kleidern, sie waren nicht da. Ich sah mich um, nichts war zu sehen, auch keine Klingel, um jemand herbeizurufen.

Mein Gott, was bedeutete das alles?! Wo war ich nur? Ich tat das einzige, was mir übrig blieb, ich kroch wieder ins Bett.

Wie lange ich gelegen – ich weiß es nicht, ich mußte wohl wieder eingeschlafen sein. —

Ein Geräusch schreckte mich auf, meine Wirtin stand wieder vor mir. Ich sprang rasch aus dem Bett und fragte nach meinen Kleidern.

»Ihre Kleider sind ganz verdorben, liebes Kind. Sie sind ein wenig krank gewesen gestern. Aber ich habe Ihnen hier ein schönes neues Kleid mitgebracht, das ziehen Sie an.«

Mit diesen Worten legte sie ein wunderbares Gebilde von Spitzen und durchsichtigem Mull auf das Bett.

In meiner grenzenlosen Dummheit freute ich mich über das schöne Zeug.

»Oh, von Herbert!« rief ich erfreut.

Ich dachte an die versprochenen Kleider aus Samt und Seide. — —

Meine Wirtin antwortete nicht, sie lächelte nur zustimmend. --

Ich zog mich rasch an, es paßte wie für mich gemacht.

Ich suchte mit den Augen nach einem Spiegel, denn ich hätte mich gern gesehen in meiner neuen Herrlichkeit, aber ich sah keinen.

»Kommen Sie, Kind,« sagte die Frau, die meinem Blick gefolgt war, und faßte mich um. »Wenn Sie recht vernünftig und artig sind, bekommen Sie bald ein schönes großes Zimmer mit großen Spiegeln.«

Wenn ich artig und vernünftig bin – schon wieder diese Redensart. Was soll das? Weshalb sollte ich nicht artig sein? — —

Lange dachte ich aber nicht über dieses Rätsel nach, ich verstand es einfach nicht. —

Ich ging mit meiner Führerin eine schöne, breite Treppe hinunter – ich war also in meinem gestrigen Zustand die Treppe hinauf getragen worden – dann trat sie mit mir in einen Salon, der, nach meiner Berechnung, in entgegengesetzter Richtung von dem Eingang liegen mußte.

Ein merkwürdiges Haus. Auch hier brannten wieder die elektrischen Flammen. Anscheinend war gerade eine größere Gesellschaft. Im Zimmer saßen elegante Damen und Herren. —

Und fein war es hier, überall standen bequeme Sofas und Tischchen. – Lauschige Ecken, schwellende Polster; kurz und gut, ich kam mir vor wie im Märchen.

Meine Führerin, deren Namen ich noch nicht einmal wußte, stellte mich mit den Worten vor: »Meine Herrschaften, hier bringe ich Ihnen Fräulein Lotti. Gestern erst frisch von Europa angekommen.«

Das war ja eine sonderbare Sitte hier in diesem Lande. Aber alle schienen das in der Ordnung zu finden. Alle lachten und schwatzten durcheinander. Einige kamen auf mich zu und sprachen einige Worte mit mir. Doch ich verstand sehr wenig, sie sprachen fast alle englisch.

Ich war ganz verlegen. Ich setzte mich auf ein Sofa in der Nähe der Tür.

Bald setzte sich ein Herr zu mir, ein kleiner, dicker Kerl mit einer Glatze und vorstehenden, wässerigen Augen.

Ein ganz frecher Patron! Setzte sich sofort zu mir auf das Sofa, ganz dicht an mich heran.

Ich rückte von ihm ab, da lachte er so widerlich und sagte:

»Na, Kleine! Noch so spröde? Wird bald besser. Komm, wir trinken ein Fläschchen zusammen. Dann gibt's Mut.«

Ich sah mich hilflos um. Was bedeutete das? War ich in einem Narrenhaus? Da sah ich an der anderen Seite des Salons meine Wirtin.

Ich wollte aufspringen, sie fragen, um Aufklärung bitten. Aber ich weiß nicht, wie mir plötzlich war; auf halbem Wege blieb ich stehen. Die Frau sah mich so sonderbar stechend, so lauernd an. — —

Ich mußte an den Blick einer Schlange denken, die ihr Opfer hypnotisiert. Ich sah mich um. Alle hatten jetzt Wein auf den Tischen, nur noch einige Damen saßen so da. Ich machte ein paar Schritte und wollte zu einer alleinsitzenden Dame hingehen, da stand der alte, eklige Kerl wieder neben mir.

»Mach' keine Dummheiten, Kleine, komm setz' dich,« sagte er zu mir und faßte zugleich nach meinem Arm.

Ich riß mich los und stürmte nach der Tür. Als ich draußen stand, wußte ich nicht wohin. Ich hatte den Gedanken, nach unten zu laufen, hinaus aus diesem sonderbaren Hause – da stand die Frau neben mir.

»Was soll das?« sagte sie kurz, »warum laufen Sie weg?«

»Ich will mich nicht von dem alten Kerl anfassen lassen! Ich kenne ihn ja gar nicht! Man ist doch nicht gleich so dreist!«

»Da wirst du dich dran gewöhnen müssen, liebes Kind. Das ist bei uns nun mal so. Und überhaupt, gerade mit diesem Herrn wirst du sehr freundlich sein, der hat sehr viel Geld. Komm!«

Jetzt sagte sie schon Du zu mir! Und wie schroff sie war! Hier blieb ich nicht!

»Dann will ich hier fort,« sagte ich rasch. »Ich kenne ja die Leute alle gar nicht. Lassen Sie mich gehen, ich laufe ans Schiff zu dem Kapitän, der wird an meine Verwandten telegraphieren.«

»Schlag dir das aus dem Kopf,« sagte die Frau. »Du kannst hier nicht fort. Ich habe gestern deine Koffer holen lassen, die standen noch drüben am Pier, das kostet Geld. Das Kleid hier habe ich für dich bezahlt, kannst du mir das alles wiedergeben?« — —

Ach Gott, mein Geld! Daß ich daran nicht gedacht hatte! —

Ich hatte ja noch zweihundert Mark gehabt. Wo war meine Tasche? Alles fort!

»Wo ist mein Geld, meine Tasche! Ich hab' es doch mit hierher gebracht!« rief ich angstvoll.

»Du glaubst doch nicht, daß du hier bestohlen worden bist?« sagte die Frau höhnisch. »Wenn du Geld bringst, kannst du gehen; so lange bleibst du hier.«

Mit diesen Worten faßte sie mich an der Hand und zog mich wieder in den Salon.

Da ging es jetzt lustig zu. Sie sangen und tanzten wild durcheinander. – Und wie waren die Mädchen angezogen! Das war mir vorhin noch gar nicht so aufgefallen. —

Ich setzte mich ratlos wieder hin. Da kam auch schon wieder dieser Mensch und setzte sich neben mich.

Ich sah ihn gar nicht an. —

Es wurde Champagner gebracht, ich nippte kaum. So gut er mir unterwegs geschmeckt hatte, der Appetit war mir vergangen. — —

Wäre ich nicht gar so dumm gewesen, hätte ich nur einmal über etwas derartiges gelesen oder gehört, ich würde endlich gewußt haben, wo ich war. So aber saß ich noch immer und zermarterte mir den Kopf, was das eigentlich für eine Gesellschaft sei, in der ich mich befand. — — —

Es gab an dem Abend noch einen furchtbaren Skandal. Ich begriff endlich, wo ich mich befand und was man von mir wollte. Als der alte Kerl einige Glas Champagner getrunken hatte, wurde er zudringlich, und ich schlug ihn ins Gesicht. Da wurde er wütend, er tobte wie ein Wahnsinniger. Mir war es einerlei, ich verstand auch nicht, was er sagte.

Die Frau verstand ich dann um so besser. Sie wurde furchtbar heftig und ließ endlich die Maske fallen.

Ich sei in diesem Hause zu keinem anderen Zweck, als den Herren, die hierher kämen und die ihr schweres Geld dafür bezahlten, gefällig zu sein. Sie habe ein anständiges Stück Geld für mich bezahlt und sie würde schon dafür sorgen, daß sie keinen Schaden habe. Sie wolle mich schon zahm kriegen. Sie habe da ganz schöne Mittelchen. Sie gebe mir aber den guten Rat, mich gleich zu fügen, denn nützen würde mir mein Widerstand doch nichts. —

Seelenverkäufer: Das Schicksal einer Deutsch-Amerikanerin

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