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c) Ziele: Globale Informationsvermittlung

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Gibt es eine allen internationalen Organisationen gemeinsame Zielsetzung? Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betraf die internationale Organisation alle nur erdenklichen Bereiche des politischen und kulturellen Lebens, der technischen Normensetzung, der Wirtschaft und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Alle diese thematisch höchst unterschiedlichen Prozesse globaler Erweiterung basierten auf dem gemeinsamen Ziel, Informationen zugänglich zu machen. Ob Weltpostverein oder Tierschutzorganisation – in staatlichen Konventionen und den Satzungen privater Vereine wird stets die Bedeutung des Zugangs und der Verteilung von Information betont. Die Auseinandersetzung mit der Frage, wer denn Informationen liefern und wer sie nutzen darf, beschreibt seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die Grenzen zwischen staatlicher Geheimdiplomatie und der Ausprägung einer internationalen Öffentlichkeit. Beide Bereiche, die geheimen Verträge des internationalen Bündnissystems und die Öffentlichkeit internationaler Konferenzen und Kongresse, basierten auf verbesserten Kommunikationstechnologien und einer wachsenden Vielfalt der Medien. Nicht von ungefähr gibt es gute Gründe, den Beginn von Global Governance an die Gründung der Internationalen Telegraphenunion und an die Verdichtung des Telegrafennetzes zu knüpfen. Vor der Gründung der Vereinten Nationen war die internationale Administration immer noch verschwindend gering – aber die Presse, die Fotografie, das Radio und schließlich das Fernsehen ließen Zeit und Raum kleiner, den Bedarf nach Übersetzung kultureller Differenzen größer werden. Zwischen die Weltpolitik der Großmächte und die Globalisierung des Handels schob sich zusehends eine zivilgesellschaftliche Vorstellung von Globalität, die in Weltausstellungen Form und Bedeutung gewann.

Weltausstellungen und die Entwicklung einer Sprache des internationalen Vergleichs

Weltausstellungen prägten das 19. Jahrhundert und mobilisierten Millionen von Besuchern. Allerdings sorgte erst eine 1928 gegründete internationale Organisation, das Bureau international des expositions, dafür, dass Weltausstellungen bestimmten Vorgaben entsprechen mussten, um als solche zu gelten. Im 19. Jahrhundert handelte es sich um Ausstellungen, die sich selbst zur Bedeutung eines globalen Ereignisses erklärt hatten. Seit der ersten, 1851 in London eröffneten Weltausstellung brachten solche Großanlässe einem Millionenpublikum die schwierige Auseinandersetzung zwischen Beherrschung und Kooperation, zwischen nationaler Selbstdarstellung und der Notwendigkeit eines internationalen Vergleichs und damit den Unterschied zwischen universellen und globalen Vorstellungen nahe. Dieser Unterschied lässt sich am besten mit der Entwicklung global gültiger Sprachen darstellen. Seit der Jahrhundertwende kämpften verschiedene Kunstsprachen wie das Esperanto (Universal Esperanto Association, gegründet 1908) um internationale Anerkennung, ohne diese auch tatsächlich zu erreichen. Wesentlich erfolgreicher waren dagegen alle Bemühungen, die Übersetzungen im weitesten Sinne anboten: Übersetzungen von Zolltarifen, von Medikamentenbeschreibungen, von Währungen und Messgrößen. Erfolgreich waren Verständigungen über gemeinsame Terminologien in der Forschung, aber auch über gemeinsame Spielregeln im Sport (ein Anliegen der Ice-Hockey League, 1908), sowie über kompatible Begriffe in der Eisenbahntechnologie und in der Wirtschaftsprüfung. Solche Standardisierungsprozesse wurden bislang als Begleiterscheinung von Modernisierung verstanden. Mit der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Sozial- und Geisteswissenschaften ist zusehends auch die oben angeführte „Übersetzungsleistung“ von Interesse. Seitdem die postkoloniale Theorie eine kritische Reflexion westlich geprägter Universalismen einfordert, richtet sich das Forschungsinteresse zunehmend auf die Frage, wie und ob globale Begriffe entstehen, wie und ob internationale Organisationen aus einem anderen als einem eurozentrischen Blick dargestellt werden können. Der indische Historiker Dipesh Chakrabarty hat mit seiner Forderung nach einer Provinzialisierung Europas das kritische Bewusstsein nach der Herkunft von Erkenntnisinteressen geschärft. Im konkreten Fall der Geschichte internationaler Organisationen fällt die Antwort auf den ersten Blick eindeutig aus: Bis 1945 hat die überwältigende Mehrheit der internationalen Organisationen ihren Sitz in Europa. Von den 444 beim Völkerbund gemeldeten internationalen Organisationen befanden sich 1929 gerade mal 24 außerhalb Europas. Erst mit der Eröffnung des Hauptsitzes der Vereinten Nationen in New York kündigte sich eine transatlantische Verschiebung des Mächtegleichgewichts an. Doch erinnern wir uns an die eingangs erwähnten definitorischen Schwierigkeiten: Ist der Sitz geeignet, eine internationale Organisation zu charakterisieren? Mit der nötigen Vorsicht halten wir fest, dass internationale Organisationen mit globaler Reichweite bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vornehmlich in Europa lokalisiert waren, auch wenn die hier nicht weiter berücksichtigten kontinentalen Organisationen wie die panamerikanische Union sehr wohl auch außerhalb Europas entstanden.

Internationale Organisationen seit 1865.

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