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Die Flitzpiepe

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Wie Deine bösen Gedanken aussehen, weiß ich natürlich nicht, meine sind Zukunftsängste.

Wie willst du jetzt noch in den Job zurück? Alle werden dich nur schief ansehen nach dieser Zeit, du Psycho.

Oder noch besser: „Hat es sich ja gut gehen lassen, all die Monate zuhause! Hoppla, fetter ist sie auch noch geworden dabei! Schau mal, die soll krank sein? Grinst wie eh und je… Ja klar, sich auf Kosten anderer ausruhen, während wir hier arbeiten müssen. Nette Auszeit, sollten wir auch mal probieren, schöner Urlaub! Weichei, als ob wir nicht alle unsere Probleme hätten, wir erlauben uns nur nicht, zuhause zu liegen!“

Sehr schön auch: „Danke schön für Ihre Mitarbeit, wir haben festgestellt Sie sind entbehrlich, wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft!“ Schade, dass ich der Großverdiener bin, heute schon ein Haus verloren? Ich könnte ewig so weitermachen…

Wie konnte ich Idiot nur denken, ich hätte es mir leisten können, mir, nein uns ein Haus zu gönnen. Ich schaffe es offensichtlich nicht, wir werden auf der Straße landen, mit einem Haufen Schulden…

Ist es das, was du wolltest? Wieso hast du nicht früher überlegt? Wie stellst du es dir vor, das zu schaffen? Glaubst du, nur weil du das Glück hattest, einen guten Job zu finden, wirst du immer Glück haben? Dass diese Glückssträhne niemals abreißt? Wie kann man nur so verantwortungslos sein? So gierig? Steht es dir zu???

Hast Du auch das Gefühl, dass auf Deinen Schultern tonnenschwere Last liegt? Dass alles von Dir alleine abhängt und die Verantwortung riesengroß ist? Dass Du alles verlieren könntest? Dann habe ich eine gute Nachricht für Dich: Das ist Deine verzerrte Ansicht der Dinge, verursacht durch die Krankheit, durch die erwähnte Spirale. Da ich es jetzt weiß, sollte ich doch eigentlich jubeln vor Freude! Alles tutti! Ich bin gar nicht der Loser, dem nichts mehr gelingen mag wie früher… An guten Tagen weiß ich, dass es stimmt. An diesen Tagen, an denen nicht alles hoffnungslos ist, sehe ich meine Probleme sogar ganz klar.

Mir mag nicht alles gelingen wie früher, mir gelingt meinem Zustand entsprechend eine ganze Menge! Ich bin immer noch eine liebevolle Mutter, kriege den Haushalt hin, versuche oft genug, dem Tod aus dem Weg zu gehen und halte die Fassade sogar blumig schön. Kurz gesagt: Ich strenge mich ständig an, die Umstände sind nur anders!

Vielleicht muss mir auch nicht alles gelingen wie früher? War das der Fehler? Bestimmt einer davon. Alleinerziehend; sechs bis sieben Tage die Woche gearbeitet; nicht allzu hübsche Vergangenheit verdrängt; ein kleiner Psycho als Chef, der mich für seine Aggressionen (miss)brauchte; ich Depp, der es hat mich sich machen lassen… Die tolle Hausfrau nicht vergessen! Mutter? Jederzeit! Schlechtes Gewissen geht immer und überall! Wer wäre so bescheuert, sich nach einem, milde gesagt, stressigen Tag bei der Arbeit gar keine Zeit für sich zu nehmen? Zu ignorieren, dass man sich täglich mit aller Kraft wachhalten muss, am Steuer, nach Feierabend? Ständig aufs Handy zu schauen, ob der Job/Psycho ruft, dazwischen nur Mama sein wollen und wenn die Kinder im Bett sind, den Haushalt mit links zu schmeißen? Und sich dann noch für nicht gut genug beschimpfen?

Das braucht man sich nicht einmal zu sagen, es ist ein tiefes Gefühl der Wahrheit in einem selbst, ein ständiger Begleiter. (Dazu später mehr.)

Hast Du auch das Gefühl nichts mehr zu schaffen? Dann kann ich dir jetzt widersprechen. Das kann nämlich nicht sein. Offensichtlich schaffst Du es zumindest, Dich mit diesem Teufel Depression auseinanderzusetzen und ein Buch zu lesen. Glaube mir, das ist schon mehr als manch ein Durchschnittsgesellschaftsmitglied (ich mag dieses Wort) am Durchschnittstag schafft. Das Ergebnis ist eventuell nicht so top, ja und? Auch wenn du nur in Gedanken arbeitest, Grübeln ist anstrengend! Ich kenne Deine Situation nicht, aber du weißt schon, was ich Dir zu sagen versuche. Unproduktiv, nicht das gewünschte Ergebnis erreichend, ist nicht gleich faul.

Vielleicht bist Du sogar krank weil Du immer alles richtig, noch besser und am besten in jedem Lebensbereich machen wolltest?

Da wären wir dann! Meine Ärztin fragte mich einmal, ob ich mich mit weniger als 100% zufrieden geben könnte. Ich sagte, das sei nur was für Flitzpiepen. Dabei meinte ich es doch gar nicht so. Ich würde Dir und jedem anderen raten, es Euch gut gehen zu lassen. Zu leben, anstatt irgendetwas hinterher zu rennen, das man eh nicht bekommt. Ich bin die Flitzpiepe von uns beiden. Auch bei 100%.


Nachtrag:

Hallo nochmal, hier die Flitzpiepe. Es sind ein paar Wochen vergangen… Ich arbeite daran, keine mehr zu sein. Also nicht mit Leistung, eher daran, eine von euch zu werden. Es war grausam, keine 100% mehr zu schaffen… Ich will sie nicht mehr… Sitze hier und schreibe Dir, obwohl da Bügelwäsche wartet, die Küche noch nicht geputzt ist. Warum? Weil es sich besser anfühlt, Dir zu schreiben. Ich mache gleich noch die Küche, den Rest lasse ich liegen. Dann fahre ich zur Sonnenbank. Das erste Mal seit Ewigkeiten, danach lege ich mich in die Wanne. Das macht glücklich.


Nachtrag:

Ich gebe längst nicht mehr 100%, das schon, bevor diese Entscheidung mich zu retten feststand, die Krankheit hat mich ausgebremst. Es fällt mir nicht mehr so schwer zu sehen, dass Dinge nicht erledigt werden, liegen bleiben. Was schwer fällt ist die Anspannung, die ich dadurch aushalten muss. Ich kann nach einem Jahr immer noch nicht die Angst ablegen, dass meine Eltern vor der Tür stehen, spitze Kommentare abschießen werden, oder gleich total verzweifelt aussehen, weil ihre unfähige Tochter nichts kann. Diese Anspannung ist nach wie vor riesengroß. Ich habe mich von ihnen distanziert. Es ist kein böses Wort gefallen, soll es auch nicht, ich melde mich nur kaum noch. Das tut schon mal gut. Sie werden sicher bald, wie jedes Mal, fragen, wann ich wieder arbeiten gehe. Puh… ich habe einen Knoten im Magen.

Nüchtern betrachtet ist alles das, was Gift für mich ist, genau das, was sie stolz macht und beruhigt. Nicht kompatibel.


Nachtrag:

Ich habe in den drei Jahren sehr daran gearbeitet, dieses Extrem weniger werden zu lassen und war erfolgreich damit. Es wird noch deutlich an manch einer Stelle, die meine Entwicklung beschreibt. Auch hier weiche ich noch vom Durchschnitt ab, was okay ist, da ich es grundsätzlich tue. Es ist jetzt erträglich geworden, ich werde mich keinem Durchschnitt anpassen. Ich kann aber ein Stück weit vom Durchschnitt glücklich und zufrieden sein, denn es ist eine deutliche, spürbare Besserung, die mein Leben schöner macht. Toll!


Gestatten, Maggie!

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