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Von Räubern, Zigaretten und Schlagsahne

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»Du darfst mir nie wieder ins Theater gehen, Bärbel, wenn du weiterhin so zerstreut bist. Auch in der Schule klagt man über dich, das geht nicht! Erst kommen die Pflichten, dann das Vergnügen. Wenn du heute deine Aufgaben nicht sehr gut erledigst, schicke ich Edith, die dich nachher besuchen will, wieder heim.«

Mit niedergeschlagenen Augen hörte Bärbel die strengen Worte der Großmutter an.

Ach, diese ahnte ja nicht, wie es in dem Herzen des jungen Mädchens tobte. Eigentlich war das Lernen ein Unsinn. Karl Moor hatte auch alles über den Haufen geworfen und war in die Wälder gegangen. Ach – Karl Moor!

Die Vorstellung der »Räuber« hatte einen gewaltigen Eindruck auf das junge Mädchen gemacht. Schluchzend war Bärbel der Großmutter am Abend um den Hals gefallen und hatte erklärt, es sei eine Ungerechtigkeit der Regierung, derart edle Leute zu verurteilen und Schurken großzuziehen. Man müsse unter solchen Verhältnissen unbedingt ein Räuberhauptmann werden, es sei das einzig Richtige, wenn sich so edle Männer, wie Karl Moor und Kosinsky, zusammenschlössen, um die Armut zu beschützen und das Edle emporzuheben.

Bärbel hatte bitterlich geweint. Plötzlich hatte sie zu Frau Lindberg gesagt:

»Sage doch wenigstens auch einmal zu mir: du weinst, Amalie! Ach, Großchen, wie er das gesagt hat, – eine Welt von Mitleid lag in diesen Worten.«

»Jetzt hörst du auf zu weinen, Bärbel«, hatte Frau Lindberg erwidert.

»Großchen, ich muß ihn wiedersehen, koste es mein Leben!«

»Mach dich nicht lächerlich, Bärbel. Armin Rabes ist ein Mensch wie jeder andere, den du wohl aus der Entfernung ein wenig anschwärmen darfst, doch muß das nicht zu weit gehen. Ein Schauspieler ist leicht geneigt, kleine dumme Backfischchen auszulachen.«

Seufzend beugte sich Bärbel über die Schulhefte. Sie wußte, Großchen machte ernst, und gerade in den letzten Tagen war von ihr manche schlechte Arbeit abgeliefert worden. Aber Edith durfte nicht fortgeschickt werden. Mit Edith mußte sie nochmals alles durchleben. Gemeinsam wollte man von Armin schwärmen, und gerade heute konnten sie die »Räuber« mit verteilten Rollen lesen, denn Großchen ging zu Bekannten und wollte erst zum Abendessen wieder zurück sein.

So nahm sich Goldköpfchen sichtlich zusammen und bewältigte in überraschend kurzer Zeit die gestellten Aufgaben. Frau Lindberg sah sich die Hefte an und war zufrieden.

»So, Bärbel, nun magst du mit Edith schwärmen, soviel du willst. Aber bitte, nichts übertreiben!«

Edith Scheffel war gekommen, und Frau Lindberg hatte die beiden jungen Mädchen im Schutze ihrer treuen Anna zurückgelassen.

»Sie brauchen nicht ins Zimmer zu stürzen, Anna, wenn die beiden toben und schreien. Sie spielen heute Theater, und unser Bärbel macht sicher den Räuberhauptmann.«

»Ich weiß schon, gnädige Frau! Bärbel hat in den letzten Tagen so viel nach Freiheit geschrien, daß ich darauf nicht mehr reinfalle.«

Nun hockten die beiden Freundinnen dicht beisammen und ließen mit verzückten Blicken die gesehene Aufführung nochmals an ihrem Geiste vorüberziehen.

Plötzlich sprang Edith auf.

»Ich habe etwas Herrliches entdeckt, Bärbel.«

»Von ihm?«

»Ja.«

»Erzähle – schnell!«

»Du weißt doch, der dumme Junge, der Julian Winterland, verehrt mich. Und der Julian hat einen Freund, der heißt Max, und der Max wohnt in demselben Hause, in dem der Zigarrenladen ist, aus dem sich Armin Rabes seine Zigaretten holt. Nun habe ich durch den Julian den Max kennengelernt, und mit dem Max bin ich heute in dem Zigarrenladen gewesen. Wir haben dort gefragt, welche Sorte der göttliche Armin raucht. Und dann habe ich mir vom Max fünfzig Pfennige geborgt und mir zehn Zigaretten gekauft.«

»Dieselben, die er raucht?« fuhr Bärbel voller Begeisterung auf.

»Ja.« Edith holte eine kleine Schachtel hervor und stellte sie andachtsvoll vor Bärbel hin.

»Ihr Glücklichen, – er raucht euch, – ihr dürft zwischen seinen Lippen rutschen«, sagte Bärbel verklärt.

»Wie wäre es, Bärbel, wenn wir in seligem Andenken an ihn nun auch rauchten?«

»Großchen will es nicht.«

»Wir tun es doch nur für ihn – es soll eine Art Rauchopfer sein, das wir ihm in Dankbarkeit bringen.«

»Ja, das wollen wir tun. Wir wollen uns in seinen Karl versenken und dabei rauchen.«

Es dauerte auch nicht lange, da qualmten die beiden Backfische eine Zigarette nach der anderen. Und dabei nahmen sie sich die »Räuber« vor und lasen mit lauter Stimme alle die herrlichen Stellen, die Karl Moor gesprochen hatte. Bärbel suchte besonders jene Szenen heraus, in denen Karl Moor raste und tobte. Alles, was die anderen sagten, wurde einfach überschlagen.

»Weißt du, ich hasse den Franz, ich könnte ihm etwas antun, dieser Kanaille!«

»Er ist aber auch sehr nett.«

»Nein, ich liebe nur Armin Rabes«, erklärte Bärbel, »ich will von Benno Lehmann nichts wissen. Wie kann ein Schauspieler überhaupt Lehmann heißen. Er sollte sich dann schon lieber Lemano oder Lemanius nennen. Wie ganz anders klingt dagegen Armin Rabes.«

»Ja, du hast recht«, pflichtete Edith der Freundin bei, »Rabes klingt genau so wie Erhabenes.«

»Seit er mich angelächelt hat, habe ich niemals wieder Interesse für einen anderen Mann. Ich weiß, ich werde unbemannt sterben, ich werde nie eine Ehe schließen können, weil mein Sinnen und Trachten nur bei Armin ist.

Seine Augen werden wohl nicht auf mich fallen.«

»Grete Morres hat mir erzählt, daß sie einmal an einen Schauspieler geschrieben hat. Dann ist er gekommen. Ob wir das auch versuchen?«

Es erfolgte eine lange Beratung.

»Ich wüßte schon einen Weg«, meinte Bärbel, »wie wir seine Bekanntschaft machen könnten, aber er ist kostspielig.«

»Wie denn?«

»Da wir nun wissen, was er für Zigaretten raucht, könnten wir ihm vielleicht zwei Schachteln zuschicken. Wir schreiben unsere Namen und unsere Adresse dazu, dann müßte er sich doch bedanken. Vielleicht können wir auch etwas dichten.«

»Am ersten Dezember bekomme ich wieder Taschengeld.«

»Ich auch«, sagte Bärbel kleinlaut, »aber ich habe bei Großchen schon Vorschuß, und dann möchte ich auch mal wieder auf den Olymp gehen.«

»Es gibt doch aber noch billigere Zigaretten. Wir brauchen ja nicht die teure Sorte, das Stück zu fünf Pfennige, zu nehmen.«

»Nein«, rief Bärbel entrüstet. »In seinen Mund gehört nur Qualitätsware! Lieber rupfe ich mich nackt und bloß. Aber seine teure Marke muß er haben. – Ich will mal an Vati schreiben, vielleicht schickt er mir einen Taler extra.«

»Das machen wir gleich, Bärbel.«

So wurde eine Brief an den Apothekenbesitzer Wagner nach Dillstadt gerichtet, der allerdings nicht genau erkennen ließ, für welchen Zweck Bärbel den Taler so dringend brauchte. Goldköpfchen hatte listig erklärt, sie würde es dem Vater zu Weihnachten sagen, wenn sie nach Hause käme. Dann neigte man sich wieder über das Buch, und aufs neue begannen die beiden Mädchen um die Wette zu brüllen.

Endlich erschien Anna.

»Du liebe Zeit, die ganze Stube voller Rauch! Was wird die gnädige Frau dazu sagen! Du sollst doch nicht rauchen, Bärbel.«

»Riecht man es wirklich so sehr?«

»Na, die gnädige Frau wird Augen machen.«

»So machen wir rasch die Fenster auf.«

Die Fenster wurden geöffnet. Anna zog sich entrüstet zurück, aber der Rauch wollte doch nicht völlig weichen.

»Wirst du wirklich ausgescholten?« fragte Edith.

»Nun – ja«, sagte Goldköpfchen kleinlaut, »ich habe eben wieder mal über die Stränge geschlagen.«

»Was machen wir da?«

Goldköpfchen legte nachdenklich die Hand an die Stirn, dann sprang es auf. »Hurra, ich hab’s!« Weg war sie.

Eine Minute später kam Bärbel mit dem Staubsauger ins Zimmer. »Paß auf, Edith, der saugt alles weg. Das haben wir schon mal gemacht, als wir Benzin vergossen hatten.«

Der Staubsauger wurde angestellt, wieder erschien Anna, aber lachend ging sie davon, als sie das listige Manöver durchschaute.

Als Frau Lindberg am Abend heimkam, roch sie aber doch noch den Rauch. Sie winkte ihre Enkelin heran.

»Nun, Kind, was habt ihr denn heute angestellt?«

Bärbel kniff das rechte Auge zu und blickte mißtrauisch auf die Großmama.

»Die ›Räuber‹ gelesen und uns in Armin Rabes versenkt.«

»Hast du deiner Freundin auch etwas vorgesetzt?«

»An leibliche Genüsse haben wir nicht gedacht, Großchen. Was brauchen wir zu essen und zu trinken, wenn wir die göttliche Kunst haben.«

»Aber geraucht habt ihr?«

»Ja.«

»Sollst du das?«

»Großchen, es war eigentlich kein Zigarettenrauchen, – es war etwas ganz anderes. Setze dich mal zu mir, ich will dir das erklären.«

»Ich glaube, Goldköpfchen, hier bedarf es keiner Erklärung.«

»O ja, Großchen, es waren die Zigaretten, die Armin Rabes raucht, teure Zigaretten, fünf Pfennige ein Stück. Edith hat sie mit schweren Opfern errungen. Da haben wir gedacht, wir sind es seiner Kunst schuldig, – wir haben ihm zuliebe geraucht, wir haben ihm das Rauchopfer gebracht.«

»Ihr seid beide recht verdrehte Mädel. – Wenn Armin Rabes ins Wasser springt, braucht ihr ihm doch nicht nachzuspringen. Du weißt, mein liebes Kind, ich sehe es nicht gern, wenn du rauchst, und ich möchte in Zukunft bitten, daß du es mit deinen fünfzehn Jahren noch läßt. Eßt Schokolade, das ist für euch weit gesünder als dieser Unsinn. Nicht wahr, du gibst dem Großchen recht?«

»Sei mir nicht böse, Großchen, aber so ganz recht hast du diesmal nicht. Trotzdem verspreche ich dir, daß die nächste Versuchung an mir vorübergehen wird.«

So war der Frieden zwischen Großmutter und Enkelin wieder hergestellt.

Drei Tage später erhielt Goldköpfchen vom Vater nicht nur die gewünschten drei Mark, sondern einen Fünfmarkschein, mit dem Bemerken, daß Herr Wagner sich ja denken könne, wozu seine Tochter jetzt vor Weihnachten das Geld brauche. Sie solle sparsam damit umgehen und bei ihrer Heimkehr Bericht darüber erstatten.

Bärbel strahlte vor Glück. Fünf Mark hatte sie für den geliebten Armin Rabes. Jetzt war die Bekanntschaft gesichert. Er würde sich nicht so reich beschenken lassen, ohne die Spenderinnen zu belohnen.

Nun galt es, Kriegsrat abzuhalten. Die anderen Mitschülerinnen brauchten nichts zu wissen; nur Edith Scheffel nahm teil an allen Plänen. Wie würden alle vor Neid platzen, wenn Bärbel von Armin Rabes gegrüßt wurde. Wie wunderschön mußte es sein, wenn er ihretwegen das Haupt entblößte, wenn er seine Augen über die Backfische gleiten ließ, in Freude und Dankbarkeit.

»Fünf Mark sind zehn Schachteln Zigaretten«, sagte Bärbel.

»Wollen wir nicht lieber etwas Schokolade beipacken?«

»Oder eine Büchse Ananas? Der Kaufmann drüben hat sie schon für eine Mark und zehn Pfennige.«

»Die Auswahl ist schwer«, erklärte Edith. »Ob wir erst einmal heimlich anfragen lassen, welche Leidenschaften er hat?«

Stundenlang wurde beraten, und endlich entschloß man sich doch für Zigaretten und Schokolade. Dazu sollte ein Gedicht gelegt werden, das die Bitte einschloß, ein einziges Mal den Künstler zu sehen und zu sprechen.

Zigaretten und Schokolade waren längst gekauft, nur das Gedicht wollte nicht gelingen. Bärbel trug sich mit dem Gedanken, Gerhard Wiese zu bitten, irgendwo etwas abzuschreiben. Aber da kam sie bei Edith sehr schlecht an.

»Wozu sollen wir einen so dummen Jungen in unser Geheimnis einweihen? Abschreiben können wir allein. Deine Großmutti hat doch sicherlich Gedichtbücher da.«

»Ja, wir wollen mal suchen, ob irgendwo etwas paßt.«

Bärbel schleppte Schiller, Goethe, Heine, Uhland und Chamisso herbei.

»Wir wollen suchen.«

Krampfhaft blätterten die beiden jungen Mädchen. Nichts wollte so recht passen, bis Bärbel plötzlich vor Begeisterung aufschrie:

»Ich habe was! – Amalia heißt es! – Höre zu:

Schön wie Engel von Walhallas Wonne,

Schön vor allen Jünglingen war er.

Himmlisch mild sein Blick wie Maiensonne,

Rückgestrahlt vom blauen Spiegelmeer.

Seine Küsse, paradiesisch Fühlen,

Wie zwei Flammen sich ergreifen, wie

Harfentöne ineinanderspielen

Zu der himmelvollen Harmonie.«

»Das ist ja ganz schön«, sagte Edith, »aber es steht doch nichts von Zigaretten und einem Wiedersehen darin.«

»So machen wir noch einen Vers dazu, und wenn der auch nicht so schön ausfällt, – wenn nur der Anfang recht poetisch klingt.«

»Also, dichten wir!«

Nach einer vollen Stunde war der Vers endlich beendet.

»Unsere Seelen dampfen dir entgegen.

Diese Spende, sie sei dir genehm.

Tritt entgegen uns, auf unseren Wegen,

Denn wir flehen um ein Wiedersehn.«

»Eigentlich reimt es sich nicht ganz«, sagte Edith.

»Ach was, das merkt er nicht. Mir brummt der Kopf, wir schicken es so ab.«

Alles wurde niedlich eingepackt, mit roten Seidenbändchen umwunden; dann gingen die beiden jungen Mädchen gemeinsam zur Post und gaben das Päckchen am Schalter ab.

»Wird es aber bestimmt noch heute expediert? Es ist von größter Wichtigkeit?«

Der Schalterbeamte lächelte. Er hatte die Adresse gelesen und ahnte, daß zwei Backfischchen dem vergötterten Armin Rabes ein Geschenk machen wollten.

»Natürlich wird es heute noch expediert«, sagte der freundliche Sekretär, »morgen früh, mit der ersten Post hat er es.«

»Oh«, hauchte Bärbel erfreut, »können Sie uns nicht genau die Minute sagen, in der das Päckchen bestellt wird?«

»Zwischen acht und neun Uhr.«

»Danke sehr.«

Sie gingen davon.

»Weißt du, Edith, ich werden morgen im Französisch nicht viel leisten, ich werde immerfort nur an ihn denken müssen. – Zwischen acht und neun Uhr bekommt er das Päckchen. Ob er wohl sehr glücklich darüber sein wird?«

»Aber gewiß, – überglücklich!«

»Ob er uns ein Wiedersehen ermöglicht?«

»Er ist doch ein feiner Mann, er wird sich bestimmt bedanken.«

»Ach, daß er es doch täte!«

So unaufmerksam wie heute war Bärbel Wagner in der Schule noch nie gewesen. Doktor Gerlach, der Ordinarius, fand tadelnde Worte für seine Schülerin. Bärbel senkte nur ergeben den Kopf und flüsterte Edith zu:

»Ich leide gern für ihn. – Ob er es schon hat?«

Drei Tage vergingen in schwebender Pein. Bärbel war schon ganz niedergeschlagen.

»Die schönen fünf Mark«, klagte sie, »er hat unser Geschenk angenommen und nicht recht beachtet. Wenn ich heute nochmals fünf Mark hätte, ich schickte ihm gewiß nichts.«

»Ich gehe nie wieder ins Theater, wenn er spielt«, sagte Edith.

»Man müßte ihm schreiben, was sich schickt.«

»Ja, ja, Schauspieler sind mitunter ganz gewöhnliche Menschen.«

»Da spielt er nun heute einen Prinzen, also einen ganz vornehmen Mann, und dabei bedankt er sich nicht einmal für solch ein fürstliches Geschenk. Ach, Edith, ich habe richtige Herzschmerzen, wenn ich an diese große Enttäuschung denke.«

In der Tat war Bärbel durch diese Undankbarkeit des Angebeteten recht niedergeschlagen. Die fünf Mark, die sie zwecklos geopfert hatte, schmerzten sie. Was würde der Vati dazu sagen, wenn sie ihm alles erzählte? Sie hätte eine viel schönere Handarbeit für die Mutti kaufen können, als das geschehen war. Nun paffte dieser gräßliche Armin Rabes die Zigaretten in die Luft, die andere mit so großen Opfern erstanden hatten.

Als Bärbel am heutigen Tage heimkam und ins Eßzimmer trat, hielt ihr die Großmutter einen Brief entgegen.

Bärbel sah den großen, eleganten Umschlag, erblickte eine steile Männerhandschrift – der Herzschlag setzte ihr aus.

Verstohlen äugte Frau Lindberg zu der Enkelin hinüber, dann machte sie sich am Büfett zu schaffen. Nun erst riß Bärbel das Schreiben auf. Ein einziger Blick glitt über die Unterschrift hinweg: Armin Rabes.

»Großchen –!«

Frau Lindberg wandte sich um, sie erblickte ein freudig glänzendes Antlitz, dann lag Bärbel an ihrem Halse.

»Er! – er! – er!«

Stammelnd berichtete das junge Mädchen, was man sich erdacht hatte, und lächelnd hörte Frau Lindberg zu. Wozu sollte sie jetzt noch Vorwürfe machen? Sie wußte selbst, daß man in der Jugend etwas zum Anschwärmen brauchte, nur ging Bärbel ein wenig zu weit, daß sie für den Schauspieler auch noch Geld opferte.

Mit zitternder Stimme las Bärbel die wenigen Zeilen.

»Meine sehr verehrten jungen Damen! Für den schmackhaften Gruß verbindlichsten Dank! Ich bitte meine beiden Freundinnen am Sonntagnachmittag, vier Uhr, in der Konditorei von König zu sein, um mich persönlich bedanken zu können. Mit freundlichen Grüßen Armin Rabes«

Bärbel aß am heutigen Mittag kaum etwas. Röte und Blässe wechselten auf dem frischen Mädchengesicht. Gleich nach dem Essen wollte sie zu Edith eilen und litt Höllenqualen, daß sie es nicht sogleich ausführen durfte.

Aber schließlich kam der ersehnte Augenblick, daß sie der Freundin die herrliche Überraschung mitteilen konnte.

»Ich kann es nicht fassen, nicht glauben, mich hat ein Traum beglückt«, rief Bärbel immer wieder, »ach, daß es doch erst Sonntag wäre! Ich glaube, ich sinke vor Verlegenheit in die Erde.«

»Und alle Umsitzenden werden uns sehen – er wird auf uns zukommen. Kennst du die Konditorei König?«

»Nein.«

Da ging man davon, um die Konditorei zu suchen. Sie befand sich in einer Nebenstraße, war nicht besonders elegant. In dem kleinen Zimmerchen standen nur sechs Tische.

»Ach«, sagte Bärbel geringschätzig, »er hätte uns doch in ein eleganteres Café bestellen können.«

»Du bist ja dumm«, tadelte Edith. »Er will uns ungestört sprechen. Von keinem sollen wir belauscht werden, wer weiß, was er uns zu gestehen hat.«

Diese Aussichten söhnten Bärbel sofort wieder aus. Dann versanken die jungen Mädchen in die schönsten Träumereien, sie dachten an Handkuß, ein neues Wiedersehen, an Freikarten, vielleicht schenkte er jeder eine Blume. – Ach, es würde herrlich sein!

Endlich kam der Sonntag heran. Frau Lindberg hatte ihre liebe Not mit der Enkelin. Während sich Bärbel sonst die Mütze rasch auf die goldenen Locken drückte, wollte heute der Hut nicht recht sitzen.

»Ich finde, der Hut macht mich alt, Großchen. – Ist das Kleid auch nicht zu lang? – Oh, am Absatz ist ja noch ein Schmutzfleck. Großchen, habe ich nicht seit der vorigen Woche viel dickere Hüften bekommen?«

Diese Fragen nahmen kein Ende, und schließlich mußte Frau Lindberg drängen: »Beeile dich, Bärbel, sonst muß er zu lange warten.«

Dann erschien Edith. Auch sie hatte sich heute besonders festlich gekleidet.

»Mir zittert das Herz«, sagte Bärbel, »ob er schon da ist?«

Punkt vier Uhr betraten die beiden Mädchen das kleine Café. Nur ein alter Herr saß an einem der Tische und las die Zeitung. Sie wählten die hinterste Ecke. Man fragte sie, ob sie etwas genießen wollten; die beiden jungen Mädchen erklärten, sie müßten noch etwas warten, der Herr, der sie eingeladen habe, käme noch.

Die Herzen der Backfische schlugen von Minute zu Minute stürmischer. Man hörte Bärbels schweres Atmen.

Dann öffnete sich die Tür, er, Armin Rabes, erschien, schaute eine Sekunde umher und steuerte dann geradeswegs auf die beiden jungen Mädchen zu.

»Er ist’s«, hauchte Bärbel.

»Guten Tag, meine verehrten Damen, habe ich die Freude, die liebenswürdigen Spenderinnen vor mir zu sehen?«

»Ja.«

»Ich danke Ihnen recht herzlich, aber ich bitte Sie dringend, machen Sie sich in Zukunft nicht solche Ausgaben. Es reißt ein zu großes Loch ins Taschengeld.«

»Oh …«

»Haben die Damen schon etwas bestellt?«

»Wir warteten.«

»Natürlich Schlagsahne, nicht wahr, die essen junge Damen am liebsten.«

»Wenn wir darum bitten dürften.«

»Und Torte? – Haben Sie eine bestimmte Sorte?«

»Uns würde alles herrlich schmecken«, hauchte Bärbel.

Rabes ging für einige Augenblicke nach vorn. Die beiden Backfischchen sagten kein Wort, sie schauten sich nur verklärt in die Augen.

Dann kehrte Armin Rabes zu den beiden zurück. Sie warteten nun darauf, wohin er sich setzen würde. Wer würde Siegerin sein? An wessen Seite nahm er Platz?

Da kam auch schon der Kuchen und der Kaffee.

»Nun lassen Sie sich alles recht gut munden, meine Damen; ich habe mich gefreut, Sie hier zu treffen. Sie entschuldigen mich wohl, denn ich habe noch eine eilige Verabredung. Und recht guten Appetit!«

Er streckte beide Hände aus, drückte den jungen Mädchen die Rechte, dann ging er freundlich nickend davon.

In stummem Schweigen schauten ihm beide nach. Endlich unterbrach Bärbel die beängstigende Stille.

»Er ist weg!«

»Das finde ich stark!«

»Und dafür haben wir fünf Mark geopfert.«

Wieder Schweigen. Dann plötzlich begann Bärbel mit größter Eile die Torte zu verzehren.

»Ich vertilge sein Andenken.«

»Wir müssen keinen Eindruck auf ihn gemacht haben, sonst wäre er geblieben.«

»Wir sind ja dumm, Edith, er hat ganz andere, mit denen er spazieren geht und Kuchen ißt, dem sind wir ja viel zu kindisch. – Meinetwegen. Ich werde mich doch wieder an Hans Herwig halten, der liebt treuer. Ach, und dann müßte ich ja auch mal dem Herrn Wendelin schreiben. Er hat mir schon drei Karten geschickt. – Weißt du, das ist ein Freund meines Bruders, der mit ihm studiert.«

»Was kümmert mich dein Bruder und sein Freund? – Ich bin so unglücklich.«

Edith schob den Teller mit der Torte weit von sich.

»Willst du nicht?« fragte Bärbel.

»Nein, ich kann nicht essen.«

»Dann esse ich es. Es wäre doch schade, wenn es stehen bliebe. Er hat es ja bezahlt. – Ist ihm ganz recht, wir haben auch für ihn Geld ausgegeben, und er ist noch billiger weggekommen als wir.«

»Wie kannst du nur so gefaßt sein, Bärbel?«

»Ich will dir einen Vers sagen, Edith, den mußt du beherzigen:

Wenn auch das Herz vor Sehnsucht bricht.

Mein süßer Freund, ich komme nicht.

Ich bin aus festem, starkem Holz,

Es sagte Nein mein Mädchenstolz.

Dieses Gedicht hat mich einst vor einem tiefen Fall bewahrt. Nehmen wir also auch heute unseren Mädchenstolz zu Hilfe und vergessen wir den anderen.«

»Na, dann gib mir meine Torte.«

»Ach – die habe ich ja fast aufgegessen.«

»Du bist ’ne nette Freundin.«

»Wenn dir doch das Herz bricht und du nicht essen kannst?«

»Na, dann wollen wir lieber fortgehen. Aber dieses Lokal betrete ich nicht mehr.«

»Nein«, pflichtete Bärbel ihr bei, »denn hier sind wieder einmal unsere Hoffnungen zerbrochen.«

Magda Trott: Goldköpfchen Gesamtausgabe

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