Читать книгу Isabell – von heute an und für immer - Magdalena Steinkogler - Страница 5

Оглавление

Kapitel 1

Die Herbstwinde hatten das Land fest im Griff. Nachts begann es langsam zu gefrieren und die letzten Blätter waren bereits von den Bäumen geweht worden. Jeden Tag wieder schob sich eine dichte Nebelwand über das Land. Während hier alle die kalte Jahreszeit verachteten, liebte es die junge Lady Isabell, im kühlen Herbstwind auszureiten. Sie liebte das bunte Laub, welches vom Wind umhergetrieben wurde und auch die sternenklaren Nächte. Stundenlang konnte sie am Fenster sitzen und in den Nachthimmel blicken. Nichts beruhigte sie mehr, nichts gab ihr mehr Sicherheit. An diesem Morgen konnte sie, wegen des dichten Nebels, kaum über die Mauern des Burghofes hinaussehen. In eine Decke gewickelt öffnete Isabell das Fenster und setzte sich auf die steinerne Fensterbank. Ihre Beine hatte sie vor der Brust angewinkelt. Ihr Blick schweifte dabei über den Burghof. Ein Lächeln huschte über ihr liebliches Gesicht, als sie daran dachte wie viel Freude sie hier all die Jahre erleben durfte. Es kam ihr vor, als wäre es erst gestern gewesen. Sie und ihr Bruder Thomas tollten, völlig unbeschwert von den Geschehnissen der Welt außerhalb der Burgmauern, durch den Rosengarten ihrer Mutter. Sie spielten Verstecken, jagten sich mit Stöcken hinterher oder spielten sich alberne Streiche. Ihre Gemüter waren frei von jeglicher Sorge. Nie zuvor hatten sie sich Gedanken über ihre Zukunft gemacht noch darüber, welche Verantwortung oder Opfer sie mit sich bringen würde. Die beiden wuchsen in einer behüteten, geschützten Umgebung inmitten einer liebevollen Familie auf. Isabell und ihr Bruder waren seit jeher unzertrennlich. Sie hatte nie daran gedacht, was geschehen würde, wenn sie eine erwachsene Frau wäre. Nie einen Gedanken daran verschwendet, welche Entscheidungen gefällt werden müssten. Nie … bis jetzt.

Nun war es ein Hauch von Wehmut, der ihr Gemüt bedrückte. Wünschte sie doch, es könnte alles so bleiben wie es bis vor Kurzem noch war. Die junge Frau kämpfte gegen die Tränen an, sie schloss die Augen und sog die kühle Herbstluft tief in ihre Lungen. Ihren Kopf lehnte sie dabei an die steinerne Mauer neben dem Fenster. Vor ihrem inneren Auge sah sie den Rosengarten ihrer Mutter. Mitten im Sommer stand er in voller Blüte. Sie und Thomas verbrachten an diesem wunderbaren Ort viele Stunden ihrer Kindheit. Dort teilten sie ihre Gedanken, ihre Geheimnisse und ihre Träume. Mit ihrem Bruder konnte sie einfach über alles reden, ihm vertraute sie auch ihre Ängste an. Sie hatte das Gefühl, nur an der Seite ihres Bruders wäre sie komplett. Ohne ihn fehlte ein Teil ihres Herzens. Von Traurigkeit überwältigt liefen ihr Tränen über die Wangen. Ein Leben weitab von ihrem Bruder und seiner Unterstützung konnte sie sich kaum vorstellen.

Es waren Isabells Eltern, Lord und Lady Rochdale, die ihr erst vor wenigen Tagen verkündet hatten, dass sie im nächsten Frühjahr heiraten würde. Auch ihren Gemahl hatte ihr Vater, Lord Bruce, bereits ausgewählt. Ihre Mutter, Lady Sophie, erklärte ihr, er wäre eine gute Partie. Sie sollte sich keine Sorgen machen. Ihr Vater versicherte ihr, er hätte besonnen für sie ausgewählt. Bereits heute Abend sollte ihr zukünftiger Gemahl die Burg ihrer Eltern erreichen. Der jungen Frau schnürte es die Kehle zu, wenn sie nur daran dachte, ihre Familie verlassen zu müssen, um bei diesem fremden Mann zu leben.

Es klopfte an der Tür. Isabell wurde aus ihren Gedanken gerissen.

„Wer ist da?“, fragte sie traurig.

„Ich bin es, dein Bruder!“

Isabell sprang förmlich von der Fensterbank und eilte zur Tür. Die Decke, in die sie sich gehüllt hatte, ließ sie einfach zu Boden fallen. Voller Freude ließ sie ihren Bruder herein und umarmte ihn. Ihren Kopf lehnte sie dabei an seine Schulter. Thomas war nur ein Jahr älter als seine Schwester, dennoch stand er ihr immer mit Rat und Tat zur Seite. Er war ein groß gebauter, schlanker junger Mann.

„Bitte lass nicht zu, dass sie mich fortschicken, Thomas!“, flehte sie ihn mit Tränen in den Augen an.

Thomas ließ seine Hände an ihren zarten Armen heruntergleiten. Sein Blick war voller Mitgefühl. „Ach, Isabell …!“, seufzte er. Der junge Mann strich sich unglücklich durch sein kurzes Haar und biss auf seine Lippe. Er schüttelte betrübt den Kopf. „Vaters Entscheidung ist unumstößlich.“ Er zuckte mit den Schultern.

Isabells erst so hoffnungsvoller Blick erstarb bei diesen Worten und sie sank auf einen Stuhl. Tränen der Verzweiflung liefen ihr über die Wangen.

Er kniete sich vor sie. „Ich konnte ihn nicht umstimmen.“

Schluchzend lehnte sie ihren Kopf wieder an seine Schulter. „Ich schaffe das nicht, Thomas“, flüsterte sie. „Ich schaffe das nicht alleine.“

Thomas hielt sie ganz fest und strich seiner aufgelösten Schwester durch ihr offenes Haar. Er versuchte sie zu beruhigen, doch tief in seinem Inneren kämpfte auch er mit dieser Situation. All die Jahre hatte er sie vor jedem Unheil beschützt. Er hatte nie ein Versprechen gebrochen. Er wusste um die Traditionen und was von ihnen erwartet wurde. Sie nun gehen lassen zu müssen brach ihm dennoch das Herz. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, seine kleine Schwester in die Arme eines fremden Mannes zu geben und sie weitab von ihrem Zuhause ihrem Schicksal zu überlassen. Doch wie er schon sagte, er konnte nichts mehr tun. Die Entscheidung seines Vaters stand fest. Es war das erste Mal, dass Thomas nicht die richtigen Worte fand, um den Kummer seiner Schwester zu lindern. Zum ersten Mal war er hilflos. Isabell war sich dieser ausweglosen Situation bewusst. Sie machte ihrem Bruder keinen Vorwurf, hatte er doch alles versucht, um ihren Vater umzustimmen. Jedoch schien es ihr etwas ungerecht, denn Thomas wurde ein Aufschub bei der Wahl für seine zukünftige Gattin gewährt. Dieses Privileg erhielt Isabell nicht.

Nachdem er wieder gegangen war, setzte sie sich erneut an das geöffnete Fenster. Ihr Blick schweifte abermals in die Ferne. Weit über die Burgmauern hinaus. Der Nebel hatte sich wie ein dünner Teppich über die Wiesen vor der Burg gelegt. Der Wind nahm langsam wieder zu. Isabell ließ ihre Gedanken treiben. Wie wäre es, würde sie auf einen ehrwürdigen Mann warten? Einen, den sie aufrichtig lieben würde. Einen, für den sie sich selbst entscheiden könnte. Ein Mann, der sie bedingungslos liebte. Der hinter ihr stünde, immer für sie da wäre und sie vor allem Unheil beschützen würde. Die junge Frau seufzte. Sie wusste, all dies waren die Gedanken eines naiven Mädchens. Nun musste sie sich in ihre neue Rolle einfügen. Sie war nun eine Frau. Ihre Eltern erwarteten, dass sie sich auch wie eine solche benehme.

„Isabell! Was tust du denn da?“

Isabells Mutter war in ihre Gemächer gekommen und zog ihre Tochter von der Fensterbank.

„Aber Mutter …“

Isabell versuchte sich zu erklären, doch Lady Rochdale ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen.

„Kein Aber, Isabell!“ Sie schloss das Fenster und schüttelte den Kopf. „Wie oft habe ich es dir schon gesagt? Eine Lady sitzt nicht am Fenster und träumt vor sich hin, vor allem nicht bei solchen Temperaturen!“ Sie hob die Decke auf, welche Isabell so achtlos auf den Boden fallen ließ, ehe sie ihre zarten Hände an Isabells Wangen legte. „Du bist schon eisig kalt. Was denkst du dir nur dabei? Du holst dir noch den Tod.“

Isabell verdrehte die Augen. Sie wusste genau, wie ungern es ihre Mutter sah, wenn sie in den Tag hineinträumte oder spätabends in die Sterne sah.

Sie schüttelte den Kopf. „Du musst dich fertig machen, Lord Leichester und seine Männer werden bald eintreffen.“

Ihre Mutter war eine sehr pflichtbewusste und vorbildhafte Frau, die sich stets nach den Wünschen ihres Gemahls richtete. Doch sie war ebenso auch liebevoll und warmherzig, wenn es um ihre Kinder ging. Isabell kannte kaum einen strengen Ton von ihr, doch heute war alles anders. Ihre Mutter wirkte so aufgeregt wie nie zuvor.

„Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich lasse dir ein Bad vorbereiten.“

Während ihre Mutter nach einem passenden Kleid suchte, ließ sich die junge Frau auf ihr Bett fallen.

„Muss das sein, Mutter?“ Isabell atmete schwer aus.

Lady Rochdales Stimme wurde mit einem Mal ganz sanft und liebevoll. „Ach, Isabell!“, seufzte sie. „Wir wussten doch, dass dieser Tag irgendwann kommen würde.“ Sie setzte sich zu ihrer Tochter ans Bett. Liebevoll strich sie ihr durch das golden glänzende Haar. „All die Jahre habe ich deinem Vater gut zugeredet. Du bist jetzt schon zwanzig Jahre alt. Es ist an der Zeit, Liebes.“

Isabell sah sie verzweifelt an, brachte jedoch kein Wort heraus.

„Habe keine Angst, es wird dir gut gehen. Vertraue auf deinen Vater.“ Sie lächelte. „Wir lieben dich so unendlich.“ Lady Sophie küsste ihre Tochter liebevoll auf die Wange, ehe sie ein goldenes Kleid über den Stuhl warf und zur Tür eilte. Bevor sie hinaustrat, drehte sie sich noch einmal zu ihrer Tochter um. „Du wirst sehen, dein Vater hat sehr besonnen ausgewählt.“ Dann hastete sie auf den Gang, um selbst noch die verbliebenen Vorbereitungen zu treffen.

„Es wird dir gut gehen.“ Diese Worte hallten immer und immer wieder durch Isabells Kopf. Das durfte doch nicht wahr sein. Sie war gerade der Kinderstube entwachsen und hatte ihr ganzes Leben noch vor sich. Doch jetzt … Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Jetzt sollte sie mit einem fremden Lord verheiratet werden und nichts mehr sein als eine Ehefrau. Isabell brach in Tränen aus. Wie konnten ihr ihre Eltern nur so etwas antun? Sie wollte sich gar nicht ausmalen, welch ein alter, vertrockneter Lord sie zur Frau nehmen würde. Wie sollte sie nur ihr restliches Leben eingesperrt in einem fremden Heim, weitab von ihren geliebten Eltern und ihrem Bruder fristen? In der jungen Lady machten sich die unterschiedlichsten Gefühle breit. Wut, Trauer, Enttäuschung und Verzweiflung überrollten sie. Isabell wusste nicht damit umzugehen und ließ sich weinend in ihr Bett zurückfallen. Ihre Hände zu Fäusten geballt, schlug sie voller Verzweiflung auf ihr Kissen ein. Sie lag immer noch tränenüberströmt im Bett, als ihre Zofe Elizabeth in ihr Gemach kam.

„My Lady, geht es Euch nicht gut?“, fragte Elizabeth besorgt.

„Ach, Elizabeth!“ Isabell schluchzte. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. „Ich lerne noch heute meinen zukünftigen Gemahl kennen.“

Bei dieser Vorstellung schnürte es der jungen Frau die Kehle zu. Sie konnte kaum Luft holen. Elizabeth kam näher und legte ihre Hand auf Isabells Schulter. Sie war Isabell immer eine gute Freundin gewesen. Obwohl sie nur ein paar Jahre älter war als die junge Lady, konnte Isabell stets auf ihren Rat vertrauen.

„Vielleicht ist er ja gar nicht so übel. Lasst uns Euch erst einmal herausputzen. Ihr wisst ja, Eure Mutter hat großen Einfluss auf Euren Vater. Sie würde niemals zulassen, dass er Euch mit einem fetten Widerling verheiratet. Vielleicht ist es auch ein gut aussehender und manierlicher junger Lord.“ Elizabeth zog die Schultern hoch und lächelte. „Vertraut auf Eure Mutter, my Lady.“

Bei diesen Worten beruhigte sich die aufgewühlte junge Frau. Tief in ihrem Inneren wusste sie, ihre Mutter konnte den Lauf der Dinge nicht ändern. Sie hatte nur all die Jahre gehofft, dass immer noch Zeit bliebe, um diese Entscheidung zu treffen. Isabell war sich über den Einfluss ihrer Mutter auf die Entscheidungen ihres Vaters sehr wohl bewusst. So blieb ihr nur zu hoffen, dass ihre Mutter das Bestmögliche aus dieser aussichtslosen Situation herausholen konnte.

„Nun kommt, Lady Isabell.“, sprach die Zofe mit ruhiger Stimme und streckte ihre Hand zu Isabell aus. „Eure Mutter hat Euch ein Bad vorbereiten lassen.“

Isabell ließ sich von Elizabeth zum Badezuber führen. Die beiden Frauen traten in ein Zimmer am anderen Ende des Ganges. Inmitten des Raumes stand ein hölzerner Behälter, der im weitesten Sinne an ein riesiges Fass erinnerte. Er war mit großen Tüchern ausgelegt und bereits mit heißem Wasser befüllt. Isabell ließ ihr Kleid zu Boden fallen und stieg langsam in das dampfende Wasser. Das ungute Gefühl in ihrer Brust verschwand nicht zur Gänze, doch es verblasste als sie in den Badezuber stieg. Elizabeth hatte dem Badewasser Rosenöl und Rosenblüten zugegeben. Der Duft der Rosenblüten erfüllte den gesamten Raum. Isabell lehnte den Kopf an den hinteren Rand des Zubers und schloss die Augen. Sie atmete tief ein und sog den Duft der Rosen in sich auf. In ihren Gedanken entstand das Bild des Rosengartens, der im Sommer, direkt um den Brunnen im Burghof, in voller Pracht erblühte. Isabell liebte es durch die zart duftenden Rosengärten ihrer Mutter zu laufen und sich an der Schönheit der Natur zu erfreuen. Für einige Minuten vergaß sie all ihre Unsicherheit und ihre Ängste. Ihr zarter Körper begann sich langsam zu entspannen. Eine Zeit lang träumte sie einfach vor sich hin. Lange konnte sie jedoch nicht in diesem Zustand verweilen, denn ihre Zofe stand bereits wenig später wieder neben ihr und räusperte sich.

„My Lady?“

Isabell öffnete langsam ihre Augen und seufzte. „Wer weiß schon, was das Leben für uns bereithält.“ Ihre zarten Finger strichen sanft über den Rand des Badezubers. Sie sah ihre Zofe gedankenverloren an. „Wer weiß, wohin uns unser Weg führt. Vielleicht ist es Schicksal …“, hauchte sie.

Elizabeth nickte und hüllte den zarten Körper der jungen Lady in ein großes Leinentuch, als diese aus dem Badezuber gestiegen war. Anschließend begann sie ihr die Haare zu bürsten. „Ihr werdet sehen. Es wird alles gut werden.“

Als Elizabeth ihr die Haare zu großen Locken drehte, sah die junge Frau aus dem Fenster. Dort erkannte sie, wie die Männer ihres Vaters das schwere Tor öffneten.

„Lord Leichester kommt an“, flüsterte sie. Ihr Magen verkrampfte sich und eine erdrückende Übelkeit breitete sich in ihr aus. Isabell war neugierig, dennoch musste sie sich zwingen, aus dem Fenster zu sehen. Sie erkannte Lord Edward Leichester, ein alter Freund und Vertrauter ihres Vaters. Hinter ihm ritten mehrere Männer mittleren Alters.

„Da ist Eure Mutter.“

Isabell presste sich ans Fenster, um zu erkennen, welche Männer ihre Mutter begrüßte. Lord Edward stieg elegant von seinem Pferd ab und gab seinem Gefolge ein Zeichen, es ihm gleichzutun. Nun stiegen auch die restlichen Männer von ihren Pferden ab. Isabell hatte keine Ahnung, wer von diesen Männern ihr zukünftiger Gemahl sein würde. Kopfschüttelnd ließ sie sich wieder zurück auf den Stuhl sinken.

„Wie soll ich das nur schaffen? Was, wenn er mir nicht gefällt?“ Sie blickte ihre Zofe verunsichert an. „Was ist, wenn ich ihm nicht gefalle?“ Bei diesen Worten musste sie erneut mit den Tränen kämpfen, denn sie wusste, es würde überhaupt nichts ändern.

Elizabeth versuchte ihr weiter gut zuzureden. „Ihr werdet sehen, es wird alles gut werden. Seid einfach Ihr selbst, ich bin mir sicher, dann wird Euer zukünftiger Gemahl augenblicklich von Euch verzaubert sein.“

Isabell zwang sich zu einem Lächeln und nickte. Innerlich drohte sie vor Verzweiflung zu zerspringen. Zu groß war ihre Angst, den Erwartungen ihrer Eltern und ihres zukünftigen Gemahls nicht gerecht zu werden. Sie könnte es nicht ertragen, den Rest ihres Lebens in einem lieblosen Zuhause gefangen zu sein.

„Bruce!“

Die tiefe Stimme von Lord Leichester donnerte über den Burghof, während er mit großen Schritten und ausgebreiteten Armen auf seinen alten Freund zukam.

„Bruce, endlich sehen wir uns wieder!“

Die beiden Männer umarmten sich herzlich.

„Du bist ja richtig alt geworden, Bruce“, lachte Edward, als er die ergrauten Schläfen seines Freundes bemerkte.

Lord Rochdale beäugte Edward mit gehobenen Augenbrauen und klopfte ihm auf die Schulter. „Und du bist fett geworden, alter Freund!“

Beide brachen in schallendes Gelächter aus. Währenddessen schob sich Lady Sophie neben ihrem Mann vorbei.

„Lady Sophie.“ Edward verneigte sich vor Lady Rochdale und küsste ihr sanft die Hand. „Ihr seid bezaubernd wie eh und je. Um keinen Tag gealtert, my Lady.“

Lady Sophie musste schmunzeln und nickte ihm zu „Und Ihr, Lord Edward, seid immer noch ein Charmeur.“

Lord Leichester hob die Arme. „Ihr müsst Thomas sein!“, rief er voller Begeisterung, als er den jungen Mann hinter Bruce erblickte.

Thomas hatte sich neben seine Mutter gestellt und nickte ihm zu. „Lord Leichester.“

Edward legte ihm lächelnd die Hände auf seine Schultern. „Bitte, nenne mich Edward. Wir sind ja bald eine Familie.“ Er nickte Bruce zu. „Einen prachtvollen, starken Sohn hast du da. Aus ihm ist ein echter Mann geworden.“ Er wandte sich wieder zu Thomas. „Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du noch so ein kleiner Bursche“, lachte er und hielt die Hand ungefähr auf Höhe seiner Hüften. Neben Lord Edward schob sich ebenfalls ein junger Mann, etwa einen Kopf kleiner und von schmaler Statur. Edward legte seine Hände auf die Schultern des jungen Mannes „Seht! Mein Sohn, Richard.“

Der junge Mann verneigte sich. „My Lord, my Lady.“

„Kommt mit in die große Halle, wärmt Euch erst einmal auf und erholt Euch von der anstrengenden Reise.“ Lady Sophie ging voran.

Thomas verschwand in einem unbeobachteten Moment und schlich zu dem Gemach seiner Schwester. Isabell zuckte nervös zusammen, als es an der Tür klopfte.

„Wer ist da?“, fragte die Zofe.

Isabell brachte kein Wort heraus.

„Ich bin es, Thomas. Lass mich rein!“

Isabell sank erleichtert in ihrem Stuhl zusammen. Elizabeth öffnete die Tür. Thomas huschte herein und sah seine Schwester einen Moment lang nur wortlos an.

„Und? Hast du ihn gesehen?“ Die junge Frau rutschte nervös auf ihrem Stuhl weiter nach vorne. Ihre Augen waren vor Aufregung weit aufgerissen. Thomas kniete sich vor sie und nahm ihre zarten Hände in die seinen. „Nun sag schon!“ Ihre Worte überschlugen sich beinahe.

Er verzog sein Gesicht. „Ach, Isabell!“ Er atmete schwer aus. „Dein zukünftiger Gemahl …“ Er stockte.

„Was?“, fragte Isabell atemlos. „Was ist mit ihm?“ Ihre Augen waren immer noch weit aufgerissen.

Thomas antwortete nicht, er starrte sie eine Weile einfach nur an. „Es tut mir so leid, Isabell! Dein Zukünftiger ist Lord Leichesters alter, hässlicher Cousin Bernard.“

Isabell hielt den Atem an. Für einen kurzen Augenblick schien es ihr, als wäre ihr Herz stehen geblieben. Thomas hob die Augenbrauen und wartete auf Isabells Reaktion. Sie zog ihre Hände zurück und schluchzte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen „Was?!“, hauchte sie verzweifelt.

Thomas konnte sich nicht länger verstellen und lachte laut los. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen, Isabell!“ Vor lauter Lachen verlor der junge Mann beinahe das Gleichgewicht. Er hatte seiner Schwester wieder einmal einen üblen Streich gespielt.

Isabell war dabei keineswegs zum Lachen zumute. Wütend ohrfeigte sie ihn. „Thomas Rochdale!“, schimpfte sie. „Schämst du dich denn gar nicht, mich so zu erschrecken?!“

Thomas konnte kaum noch atmen. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und rieb sich die schmerzende Wange. „Liebste Schwester!“ Er schüttelte den Kopf und nahm sanft ihre Hände. „Es ist ein junger Mann. Lord Edwards Sohn.“

Isabell atmete erleichtert aus. Ihre Zofe legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.

Thomas verzog sein Gesicht. „Du würdest ihn vielleicht sogar als attraktiv ansehen. Ich kann das nicht beurteilen“, sagte er schulterzuckend.

Erleichtert umarmte sie ihren Bruder. „Danke, Thomas!“ Anschließend schubste sie ihn von sich. „Mach so etwas nie wieder! Hörst du?“, fauchte sie ihn an.

Er lachte nur. „Wir sehen uns später in der Halle.“ Thomas küsste sie auf die Wange und verließ lächelnd ihr Gemach. Noch auf dem Gang konnte er sich sein Grinsen nicht verkneifen.

Bald schon war die Halle voll mit Lord Leichesters Männern und Lady Sophie zog sich zurück, um ihre Tochter zu holen. Auf dem Weg zu Isabells Gemächern traf sie auf Thomas, welcher immer noch erheitert von Isabells Reaktion auf seinen Scherz grinsen musste.

„Mutter!“

Lady Sophie sah ihn musternd an. „Was ist denn so amüsant, Thomas?“, fragte sie.

„Nichts, Mutter. Ich dachte nur gerade daran, wie still es hier sein wird, wenn Isabell mit den Leichesters geht.“

Lady Sophie hob die Augenbrauen und schüttelte den Kopf. „Mach dich fertig und gesell dich zu den Männern in der Halle!“, wies sie ihn an, ohne seiner Aussage weiter Beachtung zu schenken.

Thomas eilte in sein Gemach, um sich anschließend in die große Halle zu begeben.

Bruce saß indes neben Edward und legte ihm seine Hand auf die Schulter. „Das wir eines Tages wieder so eng miteinander verbunden sein werden, wer hätte das gedacht.“

Edward nickte. „Mein Sohn wird Isabell ein guter Mann sein. Das schwöre ich dir bei meinem Leben. Er ist ein guter Junge.“

Die beiden Männer stießen mit ihren Krügen an und tranken auf die baldige Vermählung ihrer Kinder.

Bruce senkte seine Stimme. „Wie geht es Gloria?“

Edward sah kurz zu seinem Sohn hinüber, der etwas abseits der Männer stand, und dann blickte er Bruce tief in die Augen. Er sprach leiser. „Nach dem Tod von William war ihr Leben von Schmerz und Trauer bestimmt. Ich dachte, ich werde sie nie wieder lachen sehen.“ Seine Stimme klang nun ernst und von Trauer belegt. Er stellte seinen Krug zurück auf den Tisch. „Doch Richard hat ihr wieder neue Kraft gegeben.“

Bruce blickte ebenfalls zu Richard und wirkte betroffen. „Edward, ich …“

Doch sein alter Freund ließ ihn nicht ausreden und ballte die Fäuste. „Wir haben Rache genommen an denen, die uns das angetan hatten, doch es hatte für Gloria keine Bedeutung.“ Er schüttelte traurig den Kopf. Seine Augen wirkten glasig. „Ich habe ihnen alles genommen, Bruce. Doch es änderte nichts für sie.“ Lord Leichester leerte den Krug mit einem Schluck und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Aber ich hatte meine Rache!“

Bruce packte ihn am Arm und sah ihn entrüstet an. „Du weißt genauso gut wie ich, dass dein Sohn das alles selbst zu verantworten hatte.“

Edward erhob sich und sah Bruce zornig an. Seine Kiefermuskulatur mahlte. Es fiel ihm sichtlich schwer, seine Stimme nicht zu erheben, so aufgebracht war er durch dieses Gespräch. „Er war ein Kind! So einen grausamen Tod hatte er nicht verdient.“ Mit diesen Worten schob er seinen Stuhl nach hinten und stürmte mit großen Schritten aus der Halle hinaus auf den Burghof.

Bruce folgte ihm. „Edward …“

Er wollte seinen Freund beruhigen, denn er spürte dessen Schmerz. Noch nach all den Jahren war der Tod seines Erstgeborenen wie eine offene Wunde. Edward stützte sich am Rand des Brunnens auf.

„Edward, ich weiß, welchen Schmerz du ertragen musstest. Vergiss nicht, ich war dabei in jener schicksalhaften Nacht. Doch ich habe nicht vergessen, wie sich alles zugetragen hatte. Es war dein Sohn, der diesem Mädchen Gewalt angetan hatte.“ Er packte Edward an den Schultern und drehte ihn zu sich.

In den Augen seines Freundes erkannte er neben tiefer Trauer immer noch Zorn und Wut.

„Und die Enttäuschung, dass du mir damals bei meinem Rachefeldzug nicht beigestanden hast, sitzt immer noch tief!“, brummte Edward und löste sich aus dem Griff seines Freundes. Edward hielt Bruce auf Abstand. „Er war mein Erstgeborener, mein Erbe …“ Edwards Stimme drohte zu versagen. In seinem Gesicht lag so viel Schmerz.

Sein Freund machte einen Schritt auf ihn zu und legte seine Hand auf dessen Schulter. Bruce sah ihn mitleidsvoll an. „So tief die Wunde auch war, die der Tod deines Sohnes bei dir hinterlassen hatte, so grausam war auch die Tat, die er selbst begangen hatte. Jeden anderen deiner Männer hättest du selbst dafür bestraft. Und ich möchte mir die Härte deines Urteils in diesem Falle nicht ausmalen.“

Edwards Augen waren mit Tränen gefüllt. Er senkte seinen Blick. Traurig schüttelte er den Kopf.

„Lass uns all das vergessen. Diese dunklen Tage liegen weit hinter uns. Lass uns unser Bündnis und unsere Freundschaft mit der Vermählung unserer Kinder bestärken. Edward, lass uns nach vorne sehen.“

Edward nickte und sie schlenderten gemeinsam über den Burghof. Sichtlich ernster kamen die beiden wenig später wieder in die Halle zurück und setzten sich nun an die schon vorbereitete Tafel. Die Bediensteten hatten bereits begonnen die Speisen aufzutragen, als Sophie zu Isabell hereingestürmt kam.

„Elizabeth? Gut, ihr seid schon fast fertig.“ Sie eilte zu ihrer Tochter und drängte die Zofe zur Seite. „Elizabeth, du kannst jetzt in der Halle helfen. Ich kümmere mich um den Rest.“

Die junge Zofe drückte noch einmal Isabells Hand und blickte sie aufmunternd an. Dann verließ sie das Zimmer.

„Was hat denn da so lange gedauert?“, fragte Ihre Mutter barsch. „Steh auf, damit ich dir ins Kleid helfen kann!“

In Isabell breitete sich große Angst und Verzweiflung aus, als ihre Mutter sie in ihr goldenes Kleid schnürte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.

„Mutter?“ Isabells Stimme klang traurig.

„Was ist denn, mein Kind?“

Isabell zögerte. „Wie ist er denn so?“

Lady Rochdale ließ von dem Kleid ab und drehte ihre Tochter zu sich herum. „Mein liebes Kind …“ Sie atmete tief aus. „Du weißt, mir wäre es auch anders lieber, aber dein Vater …“ Sie stockte kurz. „Es ist Lord Edward Leichesters zweitgeborener Sohn Richard. Ich glaube, er wird dir ein guter Ehemann sein und dich vor allem Unheil beschützen.“ Dann zupfte sie an Isabells goldenen Locken herum. „Ich bin mir ganz sicher, er wird von dir verzaubert sein.“ Sie lächelte ihre Tochter liebevoll an.

Lord Leichester. Isabell erinnerte sich. Es war sicher schon fünfzehn Jahre her. Sie war noch ein kleines Kind gewesen, als sie Lord Edward zum letzten Mal gesehen hatte. Er war ein Mann von beeindruckender Statur. Sie erinnerte sich daran wie sprachlos sie war, denn Lord Leichester überragte ihren Vater noch um einen Kopf. Er war mit Abstand der größte Mann, den sie jemals gesehen hatte. Sie erinnerte sich an sein markantes Gesicht. Seine kühlen blauen Augen und sein glänzend schwarzes Haar. Einen Mann wie ihn hatte sie nie zuvor gesehen. Er strahlte Sicherheit aus, dennoch hatte er etwas Einschüchterndes an sich. Lord Leichester kam damals zu ihrem Vater. Er erzählte ihr Geschichten aus dem Norden und den eisig kalten Wintern dort. Dies sollte bald ihr neues Zuhause sein. Eine grauenhafte Vorstellung. Soweit sie sich erinnern konnte, gingen ihr Vater und Lord Leichester im Streit auseinander. Den genauen Grund dafür kannte sie nicht, doch seither hatte ihr Vater kein Wort mehr über Lord Leichester verloren. Nun wirkten die beiden Männer wieder sehr vertraut, gar wie zwei alte Brüder. Isabell wurde aus all dem nicht schlau. Doch viel Zeit, um darüber nachzudenken, blieb ihr nicht, denn ihre Mutter zog sie bereits hinter sich her. An der großen Treppe nickte sie ihrer Tochter zu.

„So! Und jetzt lass uns in die Halle gehen. Dein zukünftiger Gemahl wartet sicher schon auf dich.“ Lady Rochdale drehte sich am Treppenabsatz noch einmal zu ihr um und nahm sanft Isabells Gesicht in ihre Hände. „Du wirst ihm bestimmt gefallen, es wird alles gut.“ Ihre Mutter schritt elegant die Treppe herunter und nahm neben ihrem Gemahl Platz.

Isabell hielt kurz inne und besah sich ihre Eltern. Die beiden waren das perfekte Paar. Ihr Vater war groß, mit breiten Schultern, leicht ergrautem Haar und einem immer wachsamen Blick. Hingegen ihre Mutter mit lieblichen Gesichtszügen, von kleiner Statur mit fülligem, braunem, langem Haar. Isabell ließ ihren Blick durch die Halle schweifen. An fünf großen Tafeln hatten die Bediensteten die feinsten Speisen aufgetragen. Am Kopf der Halle saßen ihre Eltern, der Tisch stand quer zu den übrigen. Die Männer der Leichesters unterhielten sich angeregt und tranken ausgelassen. Irgendwo unter ihnen befand sich ihr zukünftiger Gemahl. Isabell fühlte sich wie eine Verurteilte auf dem Weg zum Henker. In wenigen Augenblicken wäre ihr Schicksal besiegelt und ihr Leben vorbei. Aber was sollte sie tun? Es gab keinen Ausweg mehr.

Da trat plötzlich Thomas neben sie an die Treppe. Er nickte ihr zu, als er sie in ihrem golden glänzenden Kleid erblickte. „Du siehst wunderschön aus, kleine Schwester.“ Er küsste sie sanft auf die Wange.

Isabell lächelte, doch Thomas erkannte den Schmerz, welchen sie dahinter verbarg.

„Wollen wir?“, fragte er und reichte ihr seine Hand.

So nahm Isabell all ihren Mut zusammen, atmete tief durch und schritt langsam, an der Seite ihres Bruders, die Treppe herunter. Engelsgleich schwebte sie durch die große Halle zu dem Tisch, an dem bereits ihre Eltern und Lord Leichester mit seinem Sohn Platz genommen hatten und verzauberte den jungen Lord vom ersten Augenblick an.

„Ist sie das?“, fragte Richard leise mit weit aufgerissenen Augen, als er Lord Rochdales Tochter an der Treppe erspähte.

„Ja, Isabell. Ist sie nicht wunderschön?“, antwortete Lord Bruce.

Er musste dem jungen Lord Leichester seine Tochter gar nicht schmackhaft machen. Richard blieb förmlich der Mund offen stehen, als er diese wunderschöne junge Frau erblickte. Die großen, blonden Locken der jungen Lady umspielten ihre zarten Schultern, während Isabell in ihrem goldenen Kleid strahlte. Als sie nähertrat, erkannte er in ihrem Gesicht mehrere kleine Sommersprossen, die, ähnlich wie die Sterne am Firmament, um ihre Nase und auf ihren Wangen verteilt waren. Richard strahlte über das gesamte Gesicht. Von so einer wunderschönen Gemahlin hatte er nie zu träumen gewagt. Er sprang auf.

„My Lady.“

Richard beugte sich nach vorne und küsste sanft Isabells Hand. Sie errötete und senkte den Blick. Es war ihr anzusehen, dass sie sich sehr unwohl fühlte. Thomas hob die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern, als ihn seine Schwester Hilfe suchend ansah. Danach setzte er sich wortlos neben seine Mutter. Der junge Lord Leichester konnte seine Augen nicht mehr von Isabell abwenden, so verzaubert war er von ihrem Antlitz. Er zog ihr den Stuhl zurück und ließ sie neben ihm Platz nehmen. Auf seinem Gesicht breitete sich ein zufriedenes Lächeln aus, welches den gesamten Abend anhielt.

„Nun.“ Lord Rochdale erhob sich. „Lasst uns trinken. Auf Lord Richard Leichester und seine zukünftige Braut, meine Tochter Isabell.“

Isabell sah ihren Vater entsetzt an. Es war also entschieden. Sie würde diesen Mann ehelichen und mit ihm fortgehen, weg aus ihrem Heim, weg von all den Menschen, die sie liebte. Isabell wurde bei dem Gedanken, mit diesem Fremden Tisch und Bett zu teilen und ihm irgendwann auch Kinder zu gebären, ganz flau im Magen. Doch sie zwang sich, sich diesen Umstand nicht anmerken zu lassen und lächelte bescheiden. Den ganzen Abend traute sie sich kaum, Richard anzusehen. Elizabeth hatte zwar recht behalten und Mutters Einfluss auf Lord Rochdale schien groß zu sein. Ihr Zukünftiger war vielleicht ein paar Jahre älter als sie selbst, doch gewiss kein alter, vertrockneter oder fetter Lord. Richard hatte klare Gesichtszüge und eine angenehme Stimme. Der junge Lord schien gepflegt zu sein. Sein haselnussbraunes Haar war kurz geschnitten, dennoch erkannte Isabell einen Ansatz von Locken. Zudem er war nicht gerade von großer Statur, er war ungefähr genauso groß wie Isabell. Sie musste lächeln, denn dieser Junge sah ganz und gar nicht aus wie ein großer Lord. Vielmehr wirkte er wie ein unbeholfener junger Recke, der zum ersten Mal mit seinem Vater auf Reisen gehen durfte. Den gesamten Abend über spürte Isabell Richards Blicke auf sich. Einerseits war sie immer noch voller Enttäuschung, einen ihr vorbestimmten Mann ehelichen zu müssen, doch es schien beinahe so, als würde sie diesen jungen Mann ganz und gar nicht so abstoßend finden, wie sie zunächst dachte. Sobald Richard sie ansprach, musste sie lächeln. Ihren Blick hielt sie dabei stets gesenkt, denn sie fürchtete erneut zu erröten. Dem jungen Lord blieb dieser Umstand natürlich nicht verborgen. Er reichte Isabell nach dem Mahl die Hand.

„Wollen wir einen Spaziergang machen, my Lady?“

Isabell sah verunsichert zu ihrer Mutter. Diese nickte zustimmend. Der junge Lord legte ihr einen dicken grauen Umhang über ihre zarten Schultern und gemeinsam traten sie auf den Burghof.

Der eisige Wind blies durch Isabells Haar. Sie schloss die Augen und ließ die kalte Luft in ihre Lungen strömen. Richard jedoch hüllte sich noch fester in seinen Umhang, um sich vor der Kälte zu schützen.

„Ihr habt ja kaum ein Wort gesprochen“, bemerkte Richard nach wenigen Schritten.

Isabell blieb stehen. „Verzeiht, my Lord!“ Ihre Stimme war zart und leise. Sie lächelte verlegen.

Richard blickte sie eine Weile an, bevor er sanft mit seiner Hand über ihre Wange strich und lächelte. „Wisst Ihr, Isabell, ich war auch nicht begeistert, als mein Vater mir von dieser arrangierten Ehe berichtete. Ich meine, wer möchte eine wildfremde Person heiraten?!“

Sie sah ihn erleichtert an, denn er sprach ihr aus der Seele.

„Aber ich hätte es weitaus schlechter treffen können“, lächelte er. „Ihr seid wahrlich ein wunderschönes Mädchen. Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen.“ Er nahm ihre Hand. „Und wenn wir einander besser kennen, lernen wir uns vielleicht auch lieben.“

In Isabell tobten die Gefühle. Zwar war sie erleichtert, dass Richard ein junger, gut aussehender und offensichtlich zuvorkommender Mann war. Doch sie hatte sich noch nicht damit abgefunden, nach dem Wunsch ihres Vaters verheiratet zu werden. Richard machte es ihr allerdings sehr schwer, ihn nicht zu mögen. Isabell musste sich bald eingestehen, dass sie seine Art und seine Freundlichkeit sehr anziehend fand. Richard war sehr redegewandt und voller Charme. Zudem war er ausgesprochen attraktiv.

„So erzählt mir, Isabell, was erfreut eine junge Lady wie Euch?“

Isabell und Richard spazierten im fahlen Mondschein durch den Burghof an dem Rosengarten vorbei. Isabell hielt inne und strich zart über die Blütenblätter der letzten purpurroten Rose.

„Die Rosen meiner Mutter.“ Sie lächelte. „Eine Blume, so wunderschön und zart, und doch auch stark und robust. Imstande sich durch ihre Dornen zu wehren und in dieser Welt zu bestehen.“ Sie beugte sich nach vorne und sog den Duft der Rose ein. Ihr liebliches Gesicht wurde in diesem Moment von einem friedlichen Lächeln geziert.

„Wahrlich, eine ganz besondere Blume. Nun sagt mir, Isabell, seid Ihr ebenfalls wie eine Rose? Habt Ihr auch Dornen, an denen ich mich verletzen könnte?“

Isabell lächelte ihn an. Richard blieb stehen und ergriff sanft ihre zarten Hände, während er ihr tief in ihre smaragdgrünen Augen sah.

„Ich will Euch jeden Tag meines Lebens eine Rose schenken, nur um Euch so lächeln zu sehen, Isabell.“

Die junge Lady senkte verlegen ihren Blick, freute sich aber tief im Inneren über so liebevolle Worte. Bald schon hatte sie keine Argumente mehr, ihn nicht zu mögen.

Isabell schlenderte weiter durch den Burghof. „Nun sagt mir, junger Lord Leichester, was erfreut einen jungen Mann wie Euch? Ist es die Jagd?“ Isabell dachte dabei an ihren Bruder, der seit sie denken konnte nichts lieber tat, als mit Vater auf die Jagd zu gehen.

Richard ließ seinen Blick gen Himmel wandern und wirkte nachdenklich. „Nein, jagen war nie eine meiner Leidenschaften. Es war mehr die Passion meines Bruders.“ Er hielt kurz inne, denn er hatte schon seit Jahren nicht mehr von ihm gesprochen. „Ich war immer schon der Ruhigere und Besonnenere von uns beiden.“ Er blieb stehen. „Ich lese gerne.“

Er lächelte sie an, doch Isabell bemerkte seine Trauer.

„Bitte verzeiht mir, ich wollte Euch nicht …“

„Ist schon gut“, unterbrach er sie. „Lasst uns wieder zurückgehen.“

Isabell nickte und fragte nicht weiter.

Ihre Väter schienen sich indes prächtig zu amüsieren. Als Edward die beiden erspähte, winkte er sie zu sich.

„Richard, mein Sohn.“ Er klopfte ihm auf die Schulter. „Bruce und ich hatten gerade besprochen, dass wir bereits in den nächsten Tagen zurückkehren und deiner Verlobten ihr neues Heim zeigen.“ Er setzte ein breites Grinsen auf. „Und schon im Frühling findet die Hochzeit statt“, fügte er erfreut hinzu.

„So bald schon?“, platzte es aus Isabell heraus. Sofort hielt sie sich die Hand vor den Mund und schaute ihren Vater entsetzt an. Er verlangte doch nicht etwa tatsächlich, dass sie den gesamten Winter weitab von ihrem Zuhause auf ihre Heirat wartete.

„Isabell!“, tadelte ihr Vater. Mit ruhiger, doch bestimmter Stimme sprach er weiter. „So hast du genügend Zeit, dir deiner Pflichten in deinem neuen Heim bewusst zu werden. Und du wirst Richard besser kennenlernen.“

Sie wollte protestieren „Aber …“

Mehr brachte Isabell nicht heraus, denn ihr Vater ließ keine weiteren Widerworte zu. Sein strenger Blick ermahnte sie.

„Es ist beschlossen und so wird es gemacht. In den nächsten Tagen werdet ihr aufbrechen.“

Isabell wusste, dass sie ihren Vater nicht mehr umstimmen konnte. Auch jeder Versuch würde die Situation nur noch unerträglicher machen. Sie musste sich mit diesem Schicksal abfinden, ob sie wollte oder nicht, also nickte Isabell still. „Ihr entschuldigt mich?“ Die junge Lady hatte alle Mühe gegen die Tränen der Enttäuschung anzukämpfen. Eilig zog sie sich in ihre Gemächer zurück. Dort angekommen sank sie hinter der Tür zu Boden. Ihr Gesicht in ihre Handflächen vergraben, ließ sie ihrer Verzweiflung freien Lauf.

Der Mond stand bereits hoch am Himmel, als sich die große Halle langsam leerte. Lord Rochdale stand in dieser Nacht am Fenster seiner Gemächer und starrte in die Dunkelheit hinaus.

„Worüber habt ihr euch gestritten?“, fragte Sophie.

„Gestritten?“, wiederholte Bruce fragend, als er sich zu ihr umdrehte.

Sie lächelte ihn sanft an. „Mach mir nichts vor, dich beschäftigt etwas. Ich habe euch beide gesehen. Teile es mit mir, dann wird es dir leichter.“

Bruce wusste, er konnte seiner geliebten Frau nichts vormachen und auch nichts vor ihr verheimlichen. Er atmete tief aus, während er sich auf die steinerne Fensterbank stützte. „Es ging wieder um William.“

Sophie schüttelte den Kopf. „Hat er seinen Tod noch immer nicht überwunden? Es ist jetzt bestimmt schon fünfzehn Jahre her.“

Bruce verzog das Gesicht und begann, sich sein Hemd auszuziehen. „Nein, er wird niemals damit abschließen. Ich dachte, er würde es, nachdem er Rache genommen hatte, endlich gut sein lassen, doch dieser Schmerz brennt immer noch in seiner Seele. Ich habe es heute in seinen Augen gesehen.“ Er atmete tief durch. „Dabei war der Junge wirklich selber schuld.“ Er setzte sich ins Bett und zog die Decke über seine Beine. Sophie legte sanft ihre Hand auf die Schulter ihres Gemahls. Er ballte die Fäuste. „Hätte sich ein Junge so dermaßen an unserer Tochter vergangen, ich befürchte, ich hätte nicht anders gehandelt. Ich hätte jegliches Leben aus ihm herausgeprügelt, bis nichts mehr von ihm übrig geblieben wäre …“ Er schüttelte betrübt den Kopf.

Sie setzte sich neben ihren Gemahl und strich ihm zärtlich über die Wange. „Ein unfassbarer Schmerz musste ertragen werden, doch Rache allein kann diese Wunden nicht heilen. Wir hatten das schon immer geahnt. Vielleicht kann er abschließen, wenn Richard und Isabell verheiratet sind und uns Enkelkinder schenken.“

Bruce küsste seine Gemahlin auf die Stirn. „Wollen wir es hoffen, denn sonst fürchte ich, wird es ihn eines Tages noch zerstören.“

Sophie legte sich neben ihren Gatten und lehnte ihren Kopf an dessen Schulter. „Es war die richtige Entscheidung“, bekräftigte sie Bruce.

An diesem Abend wollte der Schlaf einfach nicht zu Isabell kommen. Stundenlang lag sie wach im Bett und versuchte ihre Eindrücke und Gefühle zu sortieren. Der Mond leuchtete hell am pechschwarzen Himmel, als Isabell, in einen dicken Umhang gehüllt, aus ihrem Zimmer trat. Ruhelos schlich sie durch die Burg und fand sich nach einiger Zeit vor dem Gemach ihres Bruders wieder. Leise klopfte sie an dessen Tür.

„Thomas? Bist du noch wach?“

Unruhig wartete sie auf Antwort. Kurz darauf hörte sie Schritte aus dem Inneren des Zimmers. Thomas öffnete ihr verschlafen die Tür. Er hatte seine Decke über die Schultern gelegt.

„Isabell?“, fragte er ungläubig und rieb sich die müden Augen. „Was ist denn los?“

Isabell drängte sich an ihm vorbei und setzte sich auf sein Bett. „Ach, Thomas …“, schluchzte sie. Die junge Frau ließ ihre Schultern hängen und starrte mit Tränen gefüllten Augen auf den Fußboden. „Was soll ich nur tun?“

Thomas schloss leise die Tür und kniete sich vor seine Schwester. Liebevoll nahm er ihre Hände in die seinen. „Isabell. Ich kenne keine bessere, stärkere und schönere junge Frau als dich.“ Er drückte ihre Hände fester. „Du wirst mit ihm reiten. Du wirst eine neue Familie mit ihm gründen. Ich bin mir sicher, Richard ist ein anständiger Mann, der gut für dich sorgen wird. Es wird dir an nichts fehlen.“

„Aber ich bin dort ganz alleine mit ihm …“, warf sie beunruhigt ein.

Thomas verzog sein Gesicht und legte den Kopf schief. „Isabell. Er wird nichts tun, was du nicht willst“, bestärkte er sie.

Tief im Inneren hatte er ein ungutes Gefühl, seine kleine Schwester mit diesem Fremden ziehen zu lassen. Über Monate wäre sie diesem Mann, weit im Norden, weitab von ihrer Familie, schutzlos ausgeliefert. Wer wüsste schon, ob er bis zur Hochzeitsnacht im Frühjahr warten würde?! Doch Thomas versuchte, sich diese Zweifel nicht anmerken zu lassen. Er wollte seine Schwester nicht noch mehr beunruhigen. So nickte er und versicherte ihr: „Es wird alles gut, Isabell. Wenn du mich brauchst, schreib mir einfach einen Brief. Es sind ja nur ein paar Tage bis zu der Burg der Leichesters.“

Isabell umarmte ihn und atmete erleichtert aus. „Danke, Thomas! Ich weiß, auf dich kann ich immer zählen.“

Beruhigter machte sich Isabell auf den Weg zurück in ihre Gemächer und legte sich zu Bett. Thomas saß noch eine Weile an seinem Fenster und starrte nachdenklich in die dunkle Nacht.

Als der Morgen dämmerte, setzte sich Isabell auf die steinerne Fensterbank in ihren Gemächern und blickte in die Ferne. Die Sonne schob sich langsam über den vom Nebel eingedeckten Horizont, als Isabell den Kopf gegen die Mauer lehnte. Sie stellte sich vor, wie sie einfach auf einem Pferd davonritt und all diese Pflichten hinter sich ließ. Sie träumte davon, einfach frei zu sein. Einen Mann zu finden, den sie von ganzem Herzen liebte und davon, glücklich zu sein.

„Lady Isabell?“, klopfte es an der Tür.

Isabell wurde aus ihren Gedanken gerissen und sprang von der Fensterbank. Hastig suchte sie ihren Morgenmantel.

„Lady Isabell? Hier ist Richard, seid Ihr schon wach?“

„Ja, ja, ich bin bereits wach, Lord Richard. Was wollt Ihr denn so früh?“

Er räusperte sich. „Verzeiht mir, ich wollte Euch bitten, mich zu begleiten.“

Isabells Herz schlug ihr bis zum Hals. Es erschloss sich ihr nicht, weshalb sie so aufgeregt war, dennoch zitterte ihr ganzer Körper. Ihre Worte überschlugen sich beinahe, als sie antwortete: „Ich bin gleich fertig, Lord Richard.“

Wenige Minuten später öffnete Isabell die Tür und blickte in Richards rehbraune Augen. Die junge Frau trug ein einfaches dunkelgrünes Kleid mit goldenen Stickereien am Saum. Ihr langes blondes Haar hatte sie locker hochgesteckt. In einem ebenfalls dunkelgrünen, dicken Umhang gehüllt, strahlte sie Richard an. Ihre smaragdgrünen Augen glitzerten ihn freundlich an. Richard konnte kaum ein Wort herausbringen, so verzaubert war er von ihrer Erscheinung. Er verneigte sich vor ihr und küsste ihr zärtlich die Hand.

„Ihr seht zauberhaft aus, Isabell.“

Die junge Lady errötete und senkte ihren Blick. Richard nahm sie bei der Hand und geleitete sie auf den Burghof.

„Was habt Ihr vor?“, fragte sie neugierig.

„Schließt Eure Augen.“ Er führte sie sicher bis zum Fuße der steinernen Treppe.

Isabells Atem ging schnell. Richard winkte einem der Männer im Burghof zu und schon bald wurde ein wunderschönes weißes Pferd herbeigebracht.

„Nun könnt Ihr sie wieder öffnen.“

Isabell konnte es kaum fassen. „Ein Pferd?“ Sie sah ihn verwundert an.

„Ja. Velvet, eine unserer schönsten Stuten.“ Er sah sie erwartungsvoll an.

Isabell war sprachlos. Richards Lächeln erstarb, denn Isabell sagte kein Wort.

„Gefällt sie Euch nicht?“, fragte der junge Lord verunsichert. Die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben.

Doch ihre Augen weiteten sich vor Freude. „Ganz im Gegenteil. Ich bin überwältigt!“ Sie konnte es kaum glauben und eilte auf das anmutige Tier zu. Sanft strich sie ihm über die Nüstern und lehnte ihre Stirn gegen den Kopf des Pferdes.

Richard trat näher an sie heran und lächelte. „Ich möchte, dass Ihr glücklich seid, Isabell. Und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Euch ein Leben nach Euren Wünschen zu ermöglichen.“

Isabell konnte ihre Freude und Erleichterung nicht mehr verbergen und umarmte Richard stürmisch. „Habt Dank! Sie ist wunderschön.“

Als sie sich wieder von ihm löste, hielten die beiden kurz inne und Richard küsste sie sanft auf die Wange. Erneut errötete Isabell. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

„Wollt Ihr sie ausreiten?“, fragte er und kannte bereits ihre Antwort.

Isabell lächelte und nickte. Richard half Isabell auf das edle Tier. Die junge Frau spürte seine sanften Berührungen und Blicke. Konnte es möglich sein, dass sie sich tatsächlich zu diesem jungen Mann hingezogen fühlte? War es möglich, dass sie Gefühle für den ihr ausgesuchten Gemahl entwickelte? Isabell hatte so etwas noch nie zuvor erlebt und konnte ihre Gedanken und Gefühle nicht einordnen. Damit hatte sie nicht gerechnet.

Die beiden waren gerade durch das Tor geritten, als Lord Leichester auf den Burghof trat.

„Richard!“, rief er ihnen hinterher.

„Wartet hier, Isabell, ich bin gleich wieder da.“

Richard erkannte seinen Vater und machte kehrt. Isabell verweilte vor dem Tor, während Richard zu seinem Vater zurücktrabte.

„Was wollt Ihr, Vater?“

Edward hielt das Pferd seines Sohnes an den Zügeln fest. „Was tust du?“ Seine Stimme klang besorgt.

Richard wandte den Blick zu Isabell und lächelte. „Ich verbringe Zeit mit meiner Zukünftigen, Vater. So wie Ihr das wolltet, oder nicht?“

Edward nickte. „Schon gut, schon gut. Nur reitet nicht zu weit von der Burg fort.“

Richard lächelte erneut „Wie Ihr wünscht, Vater.“

Dann trieb er das Pferd an und ritt zurück zu Isabell. Gemeinsam galoppierten sie über die weiten Wiesen und ritten durch den angrenzenden Wald. Der Sturm der letzten Tage hatte nachgelassen und so bemerkten die beiden die Kälte kaum, als sie durch den Wald trabten. Isabell erzählte von ihrer Kindheit und fühlte sich in Richards Gegenwart immer wohler. Isabell hatte in der Nacht, als sie nicht einschlafen konnte, über Richards Worte nachgedacht. Nun fragte sie sich, wieso er so betroffen war, als sie ihn nach seinem Bruder gefragt hatte. Vor allem war Isabell aufgefallen, dass dieser auch nicht unter Lord Leichesters Männern war. Deshalb wollte sie mehr darüber erfahren.

„Ist Euer älterer Bruder bereits verheiratet?“, fragte sie interessiert nach.

Richard hielt sein Pferd an und sah sie traurig an. Betroffen schüttelte er den Kopf. „Mein geliebter Bruder William weilt leider nicht mehr unter den Lebenden.“

Isabell fühlte sich schrecklich. „Verzeiht! Ich wollte nicht …“

„Ist schon gut, Isabell. Mein Bruder war auch nicht verheiratet.“

„Das tut mir leid, verzeiht bitte meine dumme Frage, ich wusste ja nicht …“

„Ist schon gut“, unterbrach er sie. „Er ist schon vor vielen Jahren von uns gegangen. Doch sein Verlust schmerzt immer noch wie am ersten Tag. Er ist viel zu früh von uns gegangen.“ Richards Augen füllten sich mit Tränen und er wandte den Blick von Isabell ab, denn sie sollte ihn nicht so schwach sehen.

Sie streckte ihre Hand zu ihm aus. „Das tut mir sehr leid für Euch und Eure Familie.“ Ihre Augen waren voller Mitgefühl. Nun bemerkte sie wie sich Richards Körper verspannte.

„Es geschah auf der Jagd. William war damals erst fünfzehn Jahre alt.“ Traurig senkte er seinen Blick. „Er war unglücklich vom Pferd gestürzt und noch vor Ort an seinen Verletzungen gestorben.“

Isabell hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ihr müsst ja am Boden zerstört gewesen sein.“ Sanft strich sie mit ihrer Hand über seine.

Richard nickte und blickte Isabell mit glasigen Augen an. „Mein Vater war taub vor Schmerz und meine Mutter von Trauer umhüllt.“ Richard atmete tief ein und wieder aus. Der junge Mann zwang sich zu einem Lächeln. „Doch lasst uns von erfreulichen Dingen sprechen und die grausame Vergangenheit hinter uns lassen.“

Sie nickte. Er hielt ihre Hand fester und sie ritten weiter über die große Ebene.

Kaum hatte Isabell ihre Gemächer betreten, wurde sie aufgeregt von ihrer Zofe begrüßt.

„Ihr müsst mir alles erzählen, Lady Isabell!“ Die Worte der jungen Bediensteten überschlugen sich beinahe, so aufgeregt war sie.

Isabell lächelte verträumt. „Er hat mir eine wunderschöne Stute geschenkt.“

Elizabeth klatschte vor Freude die Hände zusammen. „Das ist doch wunderbar! Er sorgt sich bereits um Euch, my Lady.“

Isabell nickte und setzte sich vor den Kamin. „Es ist ein wunderschönes Tier. So stark und doch edel und sanftmütig.“

Elizabeth begann der jungen Lady die Haare zu bürsten. „Nun, es scheint wohl so, als wäre Richard Leichester doch eine gute Partie, meint Ihr nicht?“

Isabell lächelte verlegen. „Es scheint wohl so.“

Elizabeth hatte die junge Lady schon vor einer Weile allein gelassen, doch Isabell lag noch lange wach in ihrem Bett. Sie versuchte all diese Eindrücke zu sortieren. Da kamen ihr die Worte von Richard während des Ausrittes in den Sinn, als er über den Tod seines Bruders gesprochen hatte. In seiner Stimme erkannte sie so viel Schmerz und Sanftmut. Er trat stets tadellos auf. Sie fragte sich, ob es möglicherweise nur eine Fassade war. Machte er ihr vielleicht nur etwas vor? Isabell lief ein kalter Schauer über den Rücken. Was, wenn Richard nur vorgab ein freundlicher, verständnisvoller und zuvorkommender Mann zu sein? Wie würde ihr Leben an seiner Seite aussehen? Sollte dieser Mann ihre Zukunft sein? Isabell schob diesen beängstigenden Gedanken rasch beiseite und schloss die Augen.

Die letzten Tage waren schnell vergangen. Isabell verbrachte viel Zeit mit ihrem zukünftigen Gatten, doch wann immer sie es einrichten konnte, zog sie sich in ihre Gemächer zurück. Dort fühlte sie sich sicher und manchmal vergaß sie dort den nahenden Abschied und träumte vor sich hin. Am Abend, bevor sie in ihr neues Heim aufbrechen sollte, sprach sie mit Lord Leichester. Er hatte Isabell nach dem Abendmahl zur Seite genommen und erzählte ihr von ihrer Reise nach Dunley Castle.

„Das Geschenk Eures Sohnes gefällt mir wirklich außerordentlich“, bedankte sie sich bei Lord Leichester.

„Das freut mich sehr, Isabell. In der Tat war der Gedanke nicht ganz uneigennützig“, gestand er ihr. „Die Reise nach Dunley Castle wird beschwerlich. Und mit der derzeitigen Witterung kurz vor dem Wintereinbruch ist der Weg auch nicht für Kutschen geeignet. So müsst Ihr wohl oder übel zu Pferd unterwegs sein.“

Isabell sah ihn nachdenklich an. „Verzeiht die Frage, Lord Leichester, aber wie kommen dann meine Habseligkeiten nach Dunley Castle?“

Edward lehnte sich zurück und biss die Zähne zusammen. Er atmete scharf ein. „Nun, Isabell. Sobald wir in Dunley Castle sind, werden meine Schneider eigens für Euch eine völlig neue Garderobe erstellen. Seid unbesorgt, es wird Euch an nichts mangeln. Eure Zofe kann dann im Frühjahr nachkommen.“

Isabell war sichtlich überrascht. Doch sie lächelte ihre Verzweiflung einfach weg. „Ganz wie Ihr wünscht.“ Sie nickte ihm zu. „Es ist schon spät. Ich werde mich zurückziehen.“

„Habt Ihr noch etwas auf dem Herzen, my Lady?“

Isabell atmete tief ein und aus, ehe sie sich zu ihrer Zofe drehte. Vorsichtig nahm sie Elizabeths Hände in die ihren. Ihr Blick sprach tausend Worte. „Elizabeth …“ Sie stockte. Die Worte schienen ihr nicht über die Lippen kommen zu wollen, so schwer fiel es ihr, diese auszusprechen. Ihre leuchtend grünen Augen waren mit Tränen gefüllt. Sie drückte Elizabeths Hände fester. „Ich kann dich nicht nach Dunley Castle mitnehmen.“ Die Tränen brannten heiß, als sie über ihre Wangen liefen.

Die junge Zofe lächelte traurig, ehe sie nickte.

„Lord Leichester hat mir von der beschwerlichen Reise berichtet. Er meinte, es wäre sicherer, wenn meine persönlichen Habseligkeiten und auch meine Zofe erst im Frühling folgen würden.“

Elizabeth nickte. „Ich verstehe das, my Lady. Ich hoffe nur, Ihr wollt mich dann noch. Lord Leichester wird sicher eine pflichtbewusste und fürsorgliche Zofe für Euch haben.“ Sie senkte den Blick.

Isabell legte ihre Hände auf Elizabeths Schultern und nickte aufmunternd. „Ja, die wird es dort geben, doch keine so gute Freundin wie du es bist, Elizabeth.“

„Ihr ehrt mich, Lady Isabell.“

Die junge Lady lächelte. „Ich kann mir keine bessere Zofe an meiner Seite vorstellen. Es sind nur ein paar Wochen und im Frühling kommst du schon nach.“

Während Isabell diese Worte aussprach, verkrampfte sich ihr Magen und eine beinahe lähmende Übelkeit breitete sich in ihr aus. Doch sie wollte auch für Elizabeth stark sein. Allein der Gedanke, so lange Zeit inmitten all dieser Fremden allein auf sich gestellt zu sein, machte ihr Angst. Mutig verdrängte sie all ihre Ängste und nickte ihrer Zofe zu.

„Hilfst du mir aus dem Kleid?“

Elizabeth nickte „Natürlich, Lady Isabell.“

Wie jeden Abend half sie der jungen Lady in ihr Nachtkleid. Als sie die Kerzen verloschen, nahm Isabell erneut ihre Hand. Die beiden Frauen sahen sich tief in die Augen, ehe Isabell das Wort ergriff.

„Wir sind stark. Wir schaffen das!“, bekräftigte sie sich.

***

Isabell – von heute an und für immer

Подняться наверх