Читать книгу Isabell – von heute an und für immer - Magdalena Steinkogler - Страница 6
ОглавлениеKapitel 2
Am Morgen des Aufbruches saß Isabell wieder auf der steinernen Fensterbank und starrte gedankenverloren zum Burgtor. In der Nacht war der Winter hereingebrochen. Der Frost hatte die Bäume und Dächer in einen weißen Schleier gehüllt. Der Wind war wieder stärker geworden und schüttelte die Bäume und Sträucher. Die Wintersonne schob sich langsam über den Horizont. Ihre Strahlen erhellten zwar das Land, doch Wärme spendeten sie keine mehr. Da erkannte Isabell ihren Vater gemeinsam mit Lord Leichester im Burghof. Sie waren in dicke Umhänge gehüllt und blieben kurz vor dem Burgtor stehen. Die beiden schienen sich angeregt zu unterhalten, beide Männer gestikulierten wild herum. Isabell drückte sich so nah wie möglich an das Fenster und kniff die Augen zusammen. Zu gerne hätte sie gewusst, worüber sich die beiden unterhielten. Als die beiden Männer wieder auseinandergingen, lehnte sich Isabell an die Wand neben dem Fenster. Sie musste darüber nachdenken wie imposant sie Lord Leichester in Erinnerung hatte. Groß und mächtig wie ein Bär war er ihr vor all den Jahren vorgekommen, strotzend vor Kraft. Doch jetzt, als sie ihn mit ihrem Vater beobachtet hatte, bemerkte sie, dass er einiges eingebüßt hatte. Er war zwar immer noch groß, doch er hatte einiges an Bauch zugelegt und schien des Lebens müde. Gedankenverloren öffnete sie das Fenster und hielt ihre Hand hinaus. Für einen kurzen Moment schien die Welt stillzustehen. Sie schloss ihre Augen und sog die kalte Winterluft ein. Sie fühlte wie die ersten Schneeflocken auf ihre Handfläche fielen. Isabell genoss die Stille und für ein paar Augenblicke ließ sie all ihre Sorgen los.
„Beeile dich, Isabell!“
Die Stimme ihrer Mutter drang durch die Tür. Die junge Lady rutschte rasch von der Fensterbank. Kurz darauf stand Lady Sophie auch schon im Zimmer.
„Lass dich ansehen.“ Sie musterte ihre Tochter kurz. Ein sanftes Lächeln zierte Lady Sophies Gesicht. „Du bist so wunderschön und stark, Isabell. Vertrau mir. Es wird dir gut gehen. Lord Leichester ist ein ehrenwerter Mann und sein Sohn ebenso. Du wirst sehen, die Zeit wird so schnell vergehen und wir sehen uns schon nach dem Winter wieder.“ Sie strich ihr durch die goldenen Locken und küsste sie auf die Wange. „Und nun lass die Männer nicht länger warten, sie wollen losreiten, solange das Wetter noch hält.“ Mit diesen Worten legte sie ihrer Tochter einen dicken, purpurfarbenen Umhang über die Schultern und schob sie zur Tür hinaus.
Als Isabell auf die Treppe zum Burghof trat, wehte ihr ein kalter Wind entgegen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Nun war es so weit. Der Tag, an dem sie ihre Familie und ihr bisheriges Leben hinter sich lassen musste. Sie atmete ein letztes Mal tief durch und streckte die Schultern. Isabell verabschiedete sich von ihrem Vater und ihrer Mutter. Ihrer Zofe hatte sie bereits frühmorgens in ihrem Gemach Lebewohl gesagt. Isabell war sehr traurig. Musste sie nicht nur ihre Liebsten zurücklassen, nein, ihr war es auch nicht möglich, ihre persönlichen Dinge mitzunehmen. All ihre Kleider musste sie zurücklassen. Lord Leichester hatte Isabell darüber aufgeklärt, dass eine lange und beschwerliche Reise vor ihnen lag. Am meisten aber schmerzte Isabell der Verlust ihrer Zofe und guten Freundin, Elizabeth. Sie war ihr in all den Jahren eine gute Freundin und Vertraute geworden. Mit Elizabeth an ihrer Seite hätte sie sich, so weitab von ihrer Familie, etwas sicherer gefühlt. Die junge Frau hüllte sich noch fester in ihren purpurfarbenen Umhang und ging langsam auf ihr Pferd zu. Richard führte Isabells Pferd am Zaumzeug. Er verneigte sich vor ihr und lächelte sie an.
„My Lady, Isabell.“
Richard half ihr auf das edle Tier. Hinter seinem Rücken verbarg er eine rote Rose, welche er Isabell nun schenkte. Sie nahm die schöne Blume mit einem Lächeln entgegen.
„Habt Dank, Richard. Sie ist wunderschön.“ Die junge Lady sog den Duft der Blume auf. Ein Lächeln zierte ihr liebliches Gesicht.
„Nicht annähernd so schön wie Ihr es seid, Isabell“, hauchte er, während er ihr die Hand küsste.
Die junge Lady errötete und senkte verlegen den Blick.
Der junge Lord wandte sich nun Isabells Vater zu. „Seid unbesorgt, ich bringe Eure Tochter unbeschadet nach Dunley Castle und sorge dort gut für sie.“
Bruce reichte ihm eine Hand, mit der anderen klopfte er dem jungen Mann auf die Schulter und nickte ihm zu. Lady Sophie lächelte, doch Isabell spürte ihren Schmerz. All die Jahre waren sie und ihre Mutter unzertrennlich gewesen. Mit diesem Abschied sollte all das vorbei sein. Ein neues Leben erwartete sie. Isabell hatte Angst, doch sie war fest entschlossen, ihre Eltern stolz zu machen.
Als die ersten Männer durch das Burgtor ritten, kam Thomas zu seiner Schwester. Er hielt ihr Pferd am Zügel fest und drückte ihr etwas in ein Ledertuch Gewickeltes in die Hand.
„Pass gut auf dich auf, kleine Schwester!“, flüsterte er ihr zu.
Isabell sah ihn fragend an. „Was ist das?“
Thomas hielt ihre Hand und sah sie eindringlich an. „Zögere nicht, wenn es die Situation erfordert!“
Er blickte misstrauisch zu Richard, der gerade auf sein Pferd aufgestiegen war. Isabell folgte dem Blick ihres Bruders. Sie wusste nicht wieso, doch plötzlich überkam sie ein ungutes Gefühl. Mit Tränen in den Augen sah sie Thomas an. Isabell zwang sich zu einem Lächeln und nickte ihm zu.
„Wir sehen uns im Frühling.“
Thomas drückte ihre Hand noch einmal fester. „Bleib stark! Du bist eine Rochdale, wir sind immer füreinander da.“ Er sah sie eindringlich an. „Ich werde da sein, wenn du mich brauchst. Vergiss das nie!“
Isabell nickte. Thomas gab ihrem Pferd einen Klaps und es trabte los. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie das Burgtor passierte. Jeder Schritt weiter in ihr neues Leben war ein Schritt weiter fort von allem, was sie kannte und liebte. Die Gewissheit, diese Mauern nie mehr ihr Zuhause nennen zu können, schmerzte sie. Ihr Herz drohte daran zu zerbrechen. Tief in ihrem Inneren hatte sie immer gewusst, dieser Tag würde kommen. Doch in ihrer jugendlichen Naivität hatte sie stets gehofft, ihr bliebe noch genügend Zeit. Sie seufzte, als sie zurückblickte. Eine Hand legte sich auf die ihre. Richard ritt neben ihr und bemerkte ihr trauriges Gemüt. Isabell sah ihn mit großen, mit Tränen gefüllten Augen an. Er drückte ihre Hand etwas fester. Ein sanftes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus.
„Ihr braucht keine Angst haben, Isabell. Es wird nichts geschehen, was Ihr nicht wollt. Ihr werdet es gut haben bei mir.“
Isabell nickte nervös. Sie wollte ihm glauben.
Kurz nachdem sie die Burg der Rochdales verlassen hatten, legte sich der Wind und es schneite nicht mehr. Sie waren nun schon seit mehreren Stunden unterwegs und Isabell bemerkte schnell, dass Lord Leichester nicht zu viel versprochen hatte. Die Burg ihres Vaters konnte Isabell schon seit einiger Zeit nicht mehr sehen. Sie ritten durch Wälder, an Wiesen und Bächen vorbei. Der Weg wäre für Kutschen tatsächlich völlig ungeeignet gewesen. Bereits jetzt hatte Isabell das Gefühl, er würde die Pferde bis zur völligen Erschöpfung antreiben, um möglichst schnell nach Dunley Castle zu kommen.
„Wir brauchen ungefähr vier Tage bis nach Dunley Castle.“ Richard blickte gen Himmel. „Wenn das Wetter nicht umschlägt und wir das Tempo halten.“
Als die Dämmerung hereinbrach, gab Lord Leichester endlich den Befehl, das Lager aufzuschlagen. Isabell war sichtlich erleichtert, als ihr Richard vom Pferd half. Ihre Blicke trafen sich und die beiden sahen sich tief in die Augen. Sie konnte es nicht erklären, doch jede Stunde, die sie mehr mit Richard verbrachte, gefiel er ihr besser. Dennoch sträubte sich irgendetwas in ihr und warnte sie vor diesem Mann. Sie fragte sich, weshalb ihr Bruder beim Abschied so misstrauisch gewesen war. Bald schon wurde diese Verwirrung ihrer Gefühle durch die Müdigkeit verdrängt. In der Mitte des Lagers hatten die Männer ein Zelt für Isabell errichtet. Während sich die Männer am Feuer unterhielten, zog sie sich zurück und packte den kleinen Dolch aus dem Ledertuch, welchen ihr Thomas mitgegeben hatte, aus. Sie drehte die Klinge in ihrer Hand und sah sie nachdenklich an. „Zögere nicht, wenn es die Situation erfordert!“, hallten die Worte ihres Bruders durch ihren Kopf. Eine Zeit lang saß sie einfach nur da und starrte den Dolch an. Dann wickelte sie ihn wieder ein, steckte ihn in ihren Stiefel und legte sich schlafen.
In der Nacht hatte der Wind abermals zugenommen. Er schüttelte die Bäume und die Kälte trieb Isabell die Röte in die Wangen. Kurz vor Sonnenaufgang hatte Lord Edward die Männer geweckt und sie angewiesen, sich rasch fertig zu machen. Isabell war von dem anstrengenden Ritt des letzten Tages so müde gewesen, dass sie, trotz der widrigen Umstände, gut geschlafen hatte. In ihren dicken Umhang gehüllt trat sie vor ihr Zelt. Die Männer waren bereits damit beschäftigt das Lager abzubrechen. Sie atmete tief durch. Eine Hand legte sich sanft auf ihren Rücken. Isabell erschrak und fuhr herum.
„Nur mit der Ruhe, Isabell“, lächelte sie Richard an. „Geht es Euch gut?“ Seine Augen leuchteten.
Er hatte etwas an sich, das Isabell noch nicht deuten konnte. Es war etwas in seinen Augen. Etwas, das sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Sie nickte. „Danke, Richard.“ Ein schüchternes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Habt Ihr gut geschlafen?“, fragte sie mit zarter Stimme.
Er legte den Kopf leicht schief und atmete scharf ein. „Ich werde erst wieder gut schlafen, wenn wir zu Hause sind.“ Er runzelte die Stirn. „In einem weichen Bett, in warmen Gemächern.“ Er grinste. „Und ohne all diese Geräusche.“ Dabei gestikulierte er hinter sich in den Wald.
Isabell musste lächeln.
Sein Blick haftete an ihrem Gesicht. „Euch jeden Tag meines Lebens so lächeln zu sehen ist der größte Segen. Mehr könnte sich ein Mann nicht wünschen.“ Er strich ihr sanft mit der Hand über die Wange. Richard konnte seine Augen kaum von diesem wunderschönen Mädchen lassen. Er war wie verzaubert von ihrer Erscheinung.
Isabell errötete. Ihre Stimme glich einem verlegenen Flüstern. „Richard!“ So sehr sie seine Zuneigung auch schätzte, so machten ihr all diese neuen Gefühle Angst.
Richard räusperte sich und wandte den Blick zu den Männern. „Kommt, wir sollten uns fertig machen.“ Er offerierte ihr seine Hand. „Vater möchte so rasch wie möglich aufbrechen.“
Sie nickte und legte ihre Hand in seine. Kurze Zeit später saßen alle Männer auf und die Reise wurde fortgesetzt. Richard half Isabell auf ihr Pferd, ehe er selbst aufstieg und neben ihr her ritt.
Nach zwei Tagen hatten sie den halben Weg zurückgelegt. Lord Edward Leichester war sehr zufrieden. Sie kamen gut voran. Er hatte mit mehr Protest oder Unmut seiner zukünftigen Schwiegertochter gerechnet. Aber ganz im Gegenteil. Sie ritt den ganzen Tag neben Richard her und unterhielt sich von Tag zu Tag mehr mit ihm. Die junge Frau beklagte sich nicht über die Unannehmlichkeiten der Reise. Vielmehr schien es, als würde sie Richard von Tag zu Tag näherkommen. Auch der junge Lord schien noch mehr von Isabell angetan zu sein. Sie lachten und scherzten zusammen. Ab und an hielt Richard sogar Isabells Hand. Stets war er um ihr Wohlergehen besorgt.
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“ Nachdenklich kratzte sich Richard am Hinterkopf. „Was hat Dunley Castle an sich? Na ja, es ist eine sehr alte Burg, direkt davor erstreckt sich eine weite Ebene. Ideal um Angreifer rechtzeitig auszumachen. Die Sommer sind atemberaubend schön. Die Wiesen und Wälder eignen sich wunderbar für die Jagd.“
„Angreifer?“, fragte Isabell verwundert nach.
Richard lächelte ihr zu. „Du musst keine Angst haben, liebste Isabell. Die Burg kann nicht eingenommen werden. Aber so weit im Norden muss man auf alles vorbereitet sein.“
Sie ließ ihren Blick in die Ferne schweifen. „Und die Winter? Ich war noch nie in meinem Leben so weit im Norden. Ich habe gehört, die Winter seien unerträglich.“
Richard lächelte schief. „Ja, da ist etwas Wahres dran. Die Winter sind kaum zu ertragen. Die Flüsse und Seen frieren zur Gänze zu und eisige Winde peitschen über das Land.“ Er blickte gedankenverloren gen Horizont. „Wenn es nach mir ginge, würde ich den Rest meines Lebens nicht in dieser Burg verbringen.“ Er atmete schwer aus. „Aber es ist nun mal mein Zuhause.“
Isabell hörte ein wenig Wehmut in seiner Stimme. Liebevoll legte sie ihre Hand auf seine. „Nun, bald wird es unser beider Zuhause sein.“
Richard sah sie erstaunt an. „Mit Euch an meiner Seite wird es sicher viel mehr als nur erträglich“, lächelte er.
„Ist alles in Ordnung? Geht es Euch gut, Isabell?“ Lord Leichester hatte sich von der Spitze des Zuges zu seinem Sohn und dessen Verlobten zurückfallen lassen. Er wirkte besorgt und auch etwas nervös.
Isabell lächelte. „Ja, my Lord, es ist alles in Ordnung.“
„Bitte Isabell, nenn mich Edward, du bist bald ein Teil meiner Familie.“
Isabell nickte. „Wie Ihr wünscht, Edward.“
Isabell war die übertriebene Sorge ihres Schwiegervaters nicht entgangen. Als er sie wieder alleine gelassen hatte, fragte sie deshalb ihren Zukünftigen: „Ist Euer Vater immer so besorgt?“
Richard schüttelte den Kopf und legte seine Stirn in Falten. „Nein, eigentlich nicht.“ Auch Richard spürte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
Isabell streckte ihre Hand erneut zu Richard aus und sah ihn ängstlich an. „Sind wir in Gefahr, Richard?“, flüsterte sie.
„Ach nein, Isabell. Macht Euch keine Sorgen“, beruhigte er sie und hielt ihre Hand zärtlich fest. „Wahrscheinlich haben einige der Männer Bären- oder Wolfsspuren entdeckt und deshalb sind sie etwas vorsichtiger. Und zur Not bin ich ja auch noch da. Ich werde Euch beschützen, Isabell.“
Richards Worte beruhigten Isabell nur wenig. Sie war noch nie so weit im Norden gewesen. Zudem wirkte ihr Verlobter nicht gerade wie ein kampferprobter Mann. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er schon jemals zuvor ein Schwert benutzt hatte. Richard war von zierlicher Statur, seine Hände waren weich und seine Gesichtszüge sanft. Sie fürchtete, sollte es zu einem Zwischenfall kommen, könnte er sie nicht beschützen. Ihr Magen verkrampfte sich bei diesem Gedanken. Sie hatte als Kind viele Geschichten über wilde Highlander und Überfälle im Norden gehört. Lord Bruce war zwar stets darum besorgt gewesen, solche Geschichten von den Ohren seiner Kinder fernzuhalten, doch die Leute redeten. Thomas und Isabell hörten den Händlern zu. Diese erzählten von wilden Highlandern, von einem Biest, welches den Norden heimsuchte und keine Überlebenden zurückließ. Bisweilen kümmerte sich Isabell nicht um das Gerede, denn sie hatte die schützenden Mauern der Burg ihres Vaters nie verlassen, doch jetzt, da der Norden ihr Zuhause werden sollte, breitete sich ein ungutes Gefühl in der jungen Lady aus. Immer wieder sah sie sich besorgt um. Doch sie konnte nichts Beunruhigendes entdecken.
An diesem Abend schlugen die Männer das Lager an einer kleinen Lichtung im Wald auf. Isabell schlief in einem eigenen Zelt in der Mitte des Lagers. Lord Leichester war weiterhin sehr um ihre Sicherheit besorgt. Deshalb suchte Isabell ihn an diesem Abend auf. Er stand am Rande der Lichtung und starrte nachdenklich in die Nacht hinaus.
„Isabell?“, fragte er verwundert. „Was macht Ihr denn so spät noch hier draußen? Ihr solltet Euch von der beschwerlichen Reise erholen und nicht den Schutz des Lagers verlassen.“
Isabell sah sich verunsichert um. „Edward?“ Sie blickte ihm tief in die Augen und flüsterte: „Sind wir in Gefahr?“
Lord Leichester drehte sich zu ihr. Er legte seine großen Hände auf ihre zarten Schultern. „My Lady, ich habe meine fähigsten Männer auf diese Reise mitgenommen, damit wir sicher nach Dunley Castle kommen. Sorgt Euch nicht, in zwei Tagen haben wir unser Zuhause erreicht.“
Er zwang sich zu einem Lächeln, um die junge Frau nicht weiter zu verunsichern, doch Isabell spürte, dass er etwas vor ihr verbarg. Ebenso unsicher wie zuvor zog sie sich in ihr Zelt zurück.
Lord Leichester blieb am Rande der Lichtung stehen und starrte weiter in den dunklen Wald. Auf einer so langen Reise lauerte überall Gefahr und er wusste das. Einer seiner Männer trat an ihn heran. Erwartungsvoll sah er den Mann an, doch dieser schüttelte den Kopf.
„Keine Spuren, my Lord. Wir haben nichts gefunden.“
Lord Leichester klopfte ihm auf die Schulter und nickte. „Gut, das ist sehr gut. Dann schaffen wir es vielleicht ohne Zwischenfall zurück.“ Er murmelte noch leise vor sich hin, als er ins Lager zurückging und sich ebenfalls zur Ruhe legte.
Der Vollmond tauchte diese Nacht in einen fahlen Schein.
Isabell konnte in dieser Nacht kaum ein Auge zumachen. Angestrengt dachte sie über Lord Leichesters Worte nach und auch über die Geschichten, die sie als Kind gehört hatte. Wurden sie möglicherweise verfolgt? Je länger Isabell darüber nachdachte, desto mehr bereute sie, sich nicht mehr gegen diese Verbindung gewehrt zu haben. Möglicherweise hätte sie ihren Vater davon überzeugen können, erst im Frühjahr zu reisen, hätte er geahnt wie gefährlich die Reise wäre. Vorsichtig zog sie den kleinen Dolch aus ihrem Stiefel. Nachdenklich starrte sie ihn an. Da hörte sie plötzlich ein Geräusch vor ihrem Zelt. Sie zog ihren Umhang fest über die Schultern und setzte die Kapuze auf, den Dolch hielt sie fest in der Hand. Dann schlich sie leise aus ihrem Zelt und sah sich um. Im schwachen Schein des Feuers erkannte sie eine der Wachen mit geschlossenen Augen an einen Baumstumpf gelehnt. Der Wind blies eisig in ihr Gesicht. Isabell steckte den Dolch zurück in ihren Stiefel. Die junge Frau wollte gerade wieder ins Zelt zurück, als sie etwas im Gebüsch hinter der schlafenden Wache erblickte. Sie kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Im nächsten Moment zuckte sie zusammen. Aus dem Unterholz sprang ein großer Mann mit langem Haar. Isabell stieß einen hellen Schrei aus. Sofort hielt sie sich die Hand vor den Mund. Sie erstarrte, als immer mehr Männer aus dem Dickicht kamen. Alarmiert durch ihren Schrei stürmten Leichesters Männer zu ihren Waffen.
„Zu den Waffen! Das Biest!“, rief einer der Männer.
Isabell blieb das Herz stehen. Wie angewurzelt stand sie vor ihrem Zelt. Um sie herum verwandelte sich das Lager innerhalb von Sekunden in ein blutgetränktes Schlachtfeld. Die Highlander schlugen ohne Gnade auf die Männer von Lord Leichester ein und töteten einen nach dem anderen. Die Männer brüllten. Die Verwundeten schrien vor Schmerzen auf. Isabells Augen waren von Angst geweitet, ihr Atem ging schnell und ihr Herz raste. So eine Grausamkeit hatte die junge Lady noch nie zuvor in ihrem Leben miterlebt. Unfähig, sich zu bewegen, stand sie wie gelähmt vor ihrem Zelt. Plötzlich wurde Isabell am Arm gepackt.
„Schnell! Ihr müsst fliehen!“
Es war Lord Edward. Sein Gesicht war blutverschmiert und seine Stimme donnerte durch die Schreie der Männer.
„Isabell! Steigt sofort zu Richard auf das Pferd!“
Immer noch unfähig, sich zu bewegen, starrte sie ihn entsetzt an. Da packte Lord Edward sie und hob sie zu seinem Sohn aufs Pferd.
„Reite so schnell du kannst. Blick nicht zurück, Sohn! Rettet euch!“
Richard tat, wie ihm sein Vater befahl und trieb das Pferd an. „Haltet Euch gut fest, Isabell!“, rief er ihr zu.
Isabell schlang ihre Arme um seine Taille. Ihr Blick haftete immer noch an den kämpfenden Männern. Ihre vor Angst geweiteten Augen waren mit Tränen gefüllt. Richards Stimme hallte wie durch eine Nebelwand gedämpft zu ihr durch. Ihre Finger krallten sich panisch in seinen Umhang. Richard war noch nie ein mutiger Mann gewesen. Das wusste auch sein Vater. Er hatte noch nie gekämpft, geschweige denn einen Mann verwundet oder sogar getötet. Lord Leichester sah die Angst in den Augen seines Sohnes. Er wusste, welches Schicksal ihn ereilen würde, sollte er nicht fliehen, denn er wusste genau, worum es hier ging. Unermüdlich suchte sein wachsamer Blick die wütenden Angreifer nach einem bestimmten Mann ab. Doch er blieb erfolglos.
Richard trieb das Pferd so schnell er konnte durch den Wald. Weg von dem Gemetzel. Isabell hatte alle Mühe, sich an ihm festzuhalten. Immer noch hörte sie die eisernen Klingen und Schreie der Männer. Der eisige Wind ließ jegliches Gefühl aus ihren Fingern weichen. Ihr Gesicht schmerzte vor Kälte und Tränen liefen ihr über die Wangen. Was passierte hier gerade? Isabell schloss vor lauter Entsetzen ihre Augen und lehnte ihren Kopf ganz nah an Richards Schultern. Sie versuchte die Schreie der Männer auszublenden, doch sie gingen ihr durch Mark und Bein. Tränen liefen der jungen Lady über die Wangen, während sie ihr Gesicht in Richards Umhang vergrub. Der junge Lord bemerkte all dies nicht. Er hielt sich panisch an den Zügeln fest und trieb das Pferd weiter an. Sie streiften Büsche und Äste. Die kahlen Zweige zerkratzten ihnen bei der Flucht durch den dichten Wald die Hände und die Gesichter. Es kam Isabell wie eine Ewigkeit vor bis sie endlich den Weg erreicht hatten. Doch plötzlich scheute das Pferd und blieb abrupt stehen. Isabell stockte der Atem. Richard erstarrte.
Vor ihnen baute sich ein mächtiger Krieger auf. Mit einem Mark durchbohrenden Kampfschrei war er vor das Pferd gesprungen. In einer Hand hielt er ein breites Schwert, in der anderen eine Axt. Für einen kurzen Moment war es um sie totenstill. Isabell starrte mit weit aufgerissenen Augen an Richard vorbei auf den Mann, der nun wie ein Bär vor ihnen stand. Voller Angst umfassten Isabells Hände Richards Oberarme.
„Richard“, flüsterte sie. Ihre Stimme drohte vor Furcht zu versagen.
Obwohl der Angreifer kein Wort sagte, sprachen seine Augen Bände. Isabell erkannte puren Hass in seinen Augen und befürchtete das Schlimmste. Ohne Vorwarnung machte er einen Satz auf das Pferd zu und holte zu einem Schwerthieb aus. Die Klinge traf Richard am Oberschenkel. Dieser schrie vor Schmerz. Das Pferd stieg vor Schreck auf und Isabell spürte wie sie den Halt verlor. Sie streckte die Arme Hilfe suchend nach Richard aus. Er drehte sich zu ihr um, doch Isabell war bereits außer Reichweite seines Armes. Als Isabell unsanft am Boden aufkam, verschwamm alles um sie herum. Ein unbeschreiblicher Schmerz breitete sich in ihrem Körper aus und sie sah nur mehr Umrisse über sich. Der Angreifer schien näher zu kommen und Richard drehte sich wieder nach vorne.
„Richard!“, keuchte sie mit zitternder Stimme. Isabell bekam kaum ein Wort heraus. „Hilf mir!“, flüsterte sie voller Angst.
Tränen liefen ihr aus den Augenwinkeln. Ihr Verlobter warf noch einmal einen Blick zu ihr, trieb dann aber das Pferd an. Übermannt von der Angst und dem Schmerz jagte er sein Pferd an dem Highlander vorbei. Für ihn zählte jetzt nur noch eines, sein Leben zu retten. Was aus Isabell wurde, kümmerte ihn im Angesicht des Todes nicht. Die Augen der jungen Frau füllten sich mit Tränen.
„Richard!“, flehte sie noch einmal.
Dann wurde es dunkel um sie herum.
***