Читать книгу Keine Nachricht von Kami - Magnhild Bruheim - Страница 4

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Der ganze Schulhof war wie ein summender Bienenstock. Die Schüler schwirrten außerhalb des niedrigen, grauen Steingebäudes hin und her. Alle redeten nur über eine Sache: Kari-Marie Eiker war verschwunden!

Bente bekam kaum etwas davon mit, was um sie herum geschah. Alles war unwirklich. Ein Gedanke schoss ihr die ganze Zeit durch den Kopf: Was war mit Kami geschehen? Bilder tauchten auf, die sie nicht sehen wollte. Kami im Schnee. Kami mit einem unbekannten Mann über sich. Es war wie ein böser Traum. Und sie selbst hatte zu spät reagiert.

Die Mitschüler umringten sie. Nachdem sie ein paar Mal das letzte Gespräch mit Kami wiedergegeben hatte, konnte sie nicht mehr. Sie zog sich in das Büro der Rektorin zurück. Dort wollte die Polizei noch einmal mit ihr sprechen. Im Büro saßen auch alle, die am Abend zuvor mit ins Kino gegangen waren. Sie hatten wenig Neues hinzuzufügen. Die Berichte waren alle gleich und endeten an der Bushaltestelle ungefähr um halb elf.

Die Polizei hatte um halb eins in derselben Nacht bei Bente angerufen und ihre ganze Familie aufgeweckt. Kari-Marie war als vermisst gemeldet worden, und Liv Eiker hatte der Polizei mitgeteilt, was Bente ihr erzählt hatte. Danach war an Schlaf nicht mehr zu denken. Der Vater blieb bis drei Uhr mit ihr auf. Dann rief Liv an und sagte, dass sie nichts Neues zu erzählen hätte, und ihr Vater meinte, dass sie versuchen sollten, ein bisschen zu schlafen. Das war leichter gesagt als getan. Bente war schon wieder aufgestanden, bevor es hell wurde, und wartete auf den nächsten Anruf. Der war jedoch auch nicht erfreulicher.

Unter den Polizisten war auch eine Frau. Ziemlich jung für eine Polizistin, dachte Bente. Wohl nicht älter als fünfundzwanzig. Die schwarze Uniform war die gleiche wie bei den anderen. Ihre Haare waren hellblond und lockig. Sie war nicht gerade schlank. Sie kam zu Bente herüber.

»Ich heiße Mona«, sagte sie freundlich. »Ich möchte gerne ein wenig mehr mit dir reden, Bente. Aber ich habe mir gedacht, dass wir besser in ein anderes Zimmer gehen. Wir können das Büro nebenan nehmen.«

Bente fand das in Ordnung. Zusammen mit der Polizistin trottete sie ins nächste Büro.

»Bist du sicher, dass Kari-Marie auf dem Nachhauseweg war, als sie dich anrief?«

Diese Frage hatte sie nicht erwartet. Bente war fast ein bisschen beleidigt. Glaubte die Polizistin etwa, dass sie gelogen hatte?

»Das habe ich doch gesagt. Sie rief zuerst vom Bus aus an und dann zehn Minuten später, nachdem sie ausgestiegen war.« Bente war es leid, das wieder und wieder erklären zu müssen.

»Wir haben mit dem Busfahrer gesprochen. Er meint, dass Kari-Marie ein paar Bushaltestellen vor ihrer Haltestelle ausgestiegen sei.« Mona sah Bente misstrauisch an.

»Aber warum sollte sie vorher aussteigen?«

»Das fragen wir uns auch.«

Bentes Gedanken kreisten wild in ihrem Kopf. Sie verstand nicht, was die Polizei vermutete. Sie blickte sich in dem kümmerlichen Büro um. Überall Papiere und Bücher. Der Schreibtisch, das Buchregal, die Schrift an der Tafel. Ein Landschaftsbild war das Einzige, was davon abstach.

Mona fragte weiter: »Und du bist dir sicher, dass sie den jungen Mann nicht kannte, der mit ihr ausgestiegen ist?«

»Das hätte sie mir doch erzählt, wenn sie ihn gekannt hätte, oder?«

»Die Personenbeschreibungen, die sie dir gegeben hat, stimmen mit denen des Busfahrers überein. Der Typ kann ihr gefolgt sein.«

Das Letzte sagte die Polizistin mehr zu sich selbst, bevor sie Bente wieder ansah. »Hast du auch nur die leiseste Ahnung, wer er sein könnte?«

Bente konnte nur mit dem Kopf schütteln. Durch das Fenster sah sie die Gestalten, die auf dem Schulhof herumschwirrten. Unruhig. Als ob alles aus den Fugen geraten sei. Eine fehlte dort.

»Könnte er ein Ausländer gewesen sein?«

»Kami, also Kari-Marie, hat nichts darüber gesagt«, sagte Bente. Sie musste sich zwingen, aufmerksam zu sein.

»Noch etwas, Bente. Bald wird es hier vor Journalisten wimmeln. Ich gebe dir den Rat, so wenig wie möglich zu sagen, wenn sie mit dir reden wollen. Es gibt so Vieles, was noch unsicher ist. Wenn sie dich bedrängen, kannst du antworten, dass du der Polizei alles gesagt hast, was du weißt.«

Als sie wieder in das andere Büro zurückkamen, sagte die Rektorin, dass sich Bente gerne den Rest des Tages frei nehmen könne. Sie müsse sich sicher ausruhen, meinte sie. Bente wusste nicht so recht, was sie eigentlich wollte, stimmte aber zu, als sie hörte, dass ihre Mutter kommen und sie abholen würde. Ein Mann mit einer Halbglatze saß neben der Rektorin und machte sich Notizen.

»Du bist also die Freundin, mit der Kari-Marie Eiker auf dem Nachhauseweg gesprochen hat?«, fragte er und war sehr an Bente interessiert. Er gab ihr einen schlaffen Händedruck. »Ich komme von der Lokalzeitung. Kann ich kurz mit dir reden, bevor du gehst?«

»Jetzt nicht«, sagte Bente, ohne Monas Blick zu begegnen.

»Es dauert wirklich nicht lange. Nur ein paar Fragen. Und ein kleines Foto.« Sein Lächeln war zuckersüß. »Ich verstehe, dass du einen harten Tag hattest«, sagte er verständnisvoll.

»Jetzt nicht«, sagte Bente nochmal und zog ihre Jacke an.

»Bente Vessel, ist das richtig?«, fragte er.

Sie hatte keine Ahnung, woher er den Namen wusste, konnte aber nichts anderes als ja auf die Frage antworten.

Der Rest der Journalisten erwartete sie auf dem Schulhof. Plötzlich wurde sie von allen Seiten bedrängt, als ob sie ein Popstar wäre. Alle wollten nur sie interviewen. Sie stellten sich als Mitarbeiter von Lokalzeitungen, Radiosendern und zwei lokalen Fernsehsendern vor. Sie sagte, dass sie der Polizei alles gesagt habe, was sie wusste, und jetzt nach Hause wolle. Aber die Journalisten gaben nicht auf. Ohne ganz zu verstehen, wie ihr geschah, gab sie kurze Antworten auf die Fragen. Aber sie hielt das nicht für ein Interview, deshalb war sie erschrocken, als der Mann mit der großen Kamera sie filmen wollte.

»Wo, glaubst du, ist Kari-Marie?«

»Weiß ich nicht.«

»Hat Kari-Marie gesagt, dass sie Angst hatte, als du gestern Abend mit ihr gesprochen hast?«

»Nicht direkt.«

»Kennst du sie gut?«

»Wir sind gute Freundinnen.«

»War das ein schlimmer Tag für dich?«

»Ja.«

»Der schlimmste Tag in deinem Leben?«

»Ja.«

»Hast du Angst, dass sie Opfer einer kriminellen Handlung geworden ist?«

»Ja.«

Plötzlich stand ihre Mutter da. Sie nahm sie entschlossen am Arm und führte sie weg.

»Ich denke, die Geier haben genug bekommen«, sagte sie auf dem Weg zum Auto. »Hoffentlich haben sie dich nicht ganz aufgefressen.«

Keine Nachricht von Kami

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