Читать книгу Nachts am Teufelsberg - Maik Bischoff - Страница 7
Allerlei Geschichten
ОглавлениеDas Haus des Blockwarts war sehr dunkel und altmodisch eingerichtet. Er führte uns in sein Wohnzimmer, das von einer rustikalen Eichenholzschrankwand dominiert wurde, die dem Raum fast jegliches Licht nahm. Ein wuchtiges Polstersofa und zwei riesige Sessel ergänzten die Sache. Lediglich das Fernsehgerät war neueren Baujahrs. Es roch ein wenig muffig, nach Mottenkugeln und Staub, obwohl kein Staubkrümelchen zu sehen war. Im Haus war es genauso akkurat sauber wie im Garten.
Fabian benahm sich gleich daneben. »Alter Verwalter, ein Fliesentisch! Wie krass ist das denn bitteschön?« Er stemmte die Fäuste in die Hüften und sagte mit tief verstellter Stimme: »Der Zentralrat der Fliesentischbesitzer heißt sie in seinem Hauptquartier ganz herzlich willkommen!«
Konnte er denn nicht einmal seinen Mund halten? Aber der Blockwart registrierte das zwar, nahm es aber glücklicherweise nur mit einem Lächeln zur Kenntnis und bat uns Platz zu nehmen.
»Ich setze eben etwas Kaffee auf. Danach kann es dann losgehen. Machen Sie es sich solange schon mal gemütlich.«
Ich schaute mich ein wenig um und versuchte, nicht allzu offen zu in jede Ecke zu gaffen. Fabian hingegen war vollkommen unverhohlen dabei, sich ein ganz genaues Bild vom sichtbaren Inhalt der Schrankwand zu machen. Es grenzte schon fast an Schnüffelei. »Mensch Fabi, halte dich mal ein wenig zurück.«, raunte ich ihm zu.
»Ich gucke doch nur.« Er verzog den Mund zu einem schmollenden Etwas. Wie ein Kleinkind, dem man den Lolli weggenommen hat.
»Kannst Du ja machen, aber dann nicht so offensichtlich. Sonst hält er uns noch für Schnüffler.«
»Aber das sind wir doch!«
»Sein und zugeben was man ist. Zwei Dinge. Du verstehst?« Seinem Blick zufolge war er heute nicht wirklich der Hellste, ich ließ es also einfach sein und sah mich vorsichtig weiter um.
Die Schrankwand war mit allerlei Nippes vollgestellt, der vor etlichen Jahren mal jede Hausfrau in helles Entzücken versetzt hätte. Sammeltassen, Glastierfiguren und Rauchgläser in allen möglichen Farben und Formen. Das Kitschsammelsurium wurde durch etwa zwei Dutzend Holzschildchen mit mehr oder weniger sinnhaften oder humorvollen Sprüchen ergänzt, die die Wand über dem Sofa zierten. Auf einem kleinen Tischchen stand ein Wählscheibentelefon, das mit einer Häkeldecke verziert war. Die Blümchentapete, die sich an den Stoßnähten schon langsam aufwellte, was so gar nicht zur sonst so peniblen Ordnung passte, gab dem ganzen den Rest. Müsste ich hier wohnen, würde ich mich umgehend aus dem Fenster stürzen. Oder alles niederbrennen. Vermutlich sogar beides, in beliebiger Reihenfolge.
Das Telefon schien Fabian zu faszinieren. »Was denn, noch nie gesehen so etwas? Fragst Du Dich jetzt möglicherweise, wo man da die Rufnummer eintippt?« Ich lachte.
»Na so doof bin ich nicht, ich kenne das von meiner Oma. Ich bin nur gerade mittelmäßig bis schwer entsetzt, dass jemand noch so etwas benutzt.«
Es klapperte und Schritte wurden lauter. Der Blockwart kam mit dem Kaffee. Und den Keksen. Ich hatte ja bei Rita schon ordentlich Kuchen verspeist, also gar keinen Appetit auf Kekse, aber jetzt das. Er hatte tatsächlich Bärentatzen aufgetischt. Ein echtes Suchtmittel. Die müssen jetzt auch noch rein. Irgendwie passen die schon und nachdem ich vorhin ja schon mit dem Kuchen ordentlich gesündigt hatte, dürften die jetzt noch folgenden Kalorien wohl auch keinen erwähnenswerten Schaden mehr bei meiner Personenwaage anrichten können.
Fabian konnte seine Neugier nicht bremsen: »Sagen Sie mal, das uralte Telefon, hat sowas noch eine Postzulassung?«
Der Blockwart schaute kurz zu seinem antiken Fernsprecher und dann zu Fabian. »Nein, hier gibt es nicht einmal einen Telefonanschluss. Das Ding ist lediglich Dekoration. Es passt irgendwie zur alten Tapete. Ich selbst brauche kein Telefon. Wer mich erreichen möchte, kommt einfach her. Oder schreibt mir ganz klassisch einen Brief. Was ja heutzutage leider nur noch dann geschieht, wenn es sich um eine Rechnung, eine Mahnung oder sonstige Drohbriefe handelt.«
Das es so etwas noch gab, ein Mensch ohne Telefon, unerreichbar mit neuen Kommunikationsmitteln. Obwohl, ich selbst hatte ja auch erst seit kurzem ein Mobiltelefon und diese Dinger waren schon seit Jahren überall in Gebrauch.
»Er könnte auch eine Taube schicken.«, gab Fabian, ein wenig frech, hinterher, ließ die Sache dann aber auf sich beruhen, als ich ihn mit einem grimmigen Blick bremste.
Der Blockwart reagierte nicht weiter auf diese Spitze, steckte sich eine Bärentatze in den Mund, goss etwas Kaffee hinterher und lutschte genüsslich auf dem daraus entstandenen Brei herum. Dann wandte er sich mir zu: »Fangen wir mit Fuhrmann an. Ich hatte ja Informationen versprochen. Der Alte ist tatsächlich ein Schwein. Also im übertragenen Sinn. Seine Frau hat er betrogen. Und immer wieder angebrüllt. Selbst auf der Straße. Alle Nachbarn haben das mitbekommen. Würde mich nicht wundern, wenn er sie auch geschlagen hat. Dann die Sache mit den Weibern. Und seine Angeberei. In seiner Agentur war er bestimmt auch ein kleiner Despot.«
»Agentur? Was für eine Agentur denn?
»Eine Werbeagentur. Er war sogar der Chef. Oder Geschäftsführer. Wie auch immer das heißt, heutzutage geben die sich ja gern kryptische amerikanische Abkürzungen. Also war er in genau der Position, die Macht gibt. Und solche Typen nutzen das ja gern aus. Wobei ich da nur vom Hörensagen etwas weiß. Man munkelt, dass besonders junge Frauen gewisse Gefälligkeiten leisten mussten. Andernfalls war ihre Karriere zu Ende bevor sie begonnen hatte. Aber wie gesagt, alles Hörensagen.«
Fabian zog eine Augenbraue hoch. »Ernsthaft? Das wäre dann ja quasi der Klassiker. Alter Sack als Chef zwingt die junge Azubine zu sexuellen Gefälligkeiten.«
Das konnte ich mir jedoch nicht wirklich vorstellen. Es war eben Hörensagen und schlechte Menschen, mit so einem hatten wir es hier ja augenscheinlich zu tun, ziehen eben auch böse Gerüchte an. »Wissen Sie denn, ob es irgendwelche Anzeigen gegeben hat? Denn eigentlich sind die jungen Leute heutzutage taff genug und wehren sich gegen derartige Dinge. Da kann ich kaum glauben, dass jemand mit solchen Sachen tatsächlich durchkommt. Oft wird ja auch bei Kleinigkeiten jede Menge hinzugedichtet und damit aus einer Mücke ein Elefant gemacht.«
»Das kann schon sein. Aber hier zu Hause war er ein Arschloch. Wirklich. Regelmäßig hat er seine Frau vor den Nachbarn runtergeputzt. Als könne sie ihm nichts recht machen. Wenn man sie mal allein getroffen hat, dann merkte man einiges. Sie schreckte beim kleinsten Geräusch zusammen. Ständig sah sie sich um. Als hätte sie Angst, dass er auftaucht. Und dann sieht, wie sie mit jemandem spricht. Sie traute sich kaum unter Leute.«
Das erschien mir seltsam, denn es klang so überhaupt nicht nach einer Freundin von Rita. DAs waren eigentlich alles gestandene Frauen, die viel in ihrem Leben erreicht hatten. Allerdings könnte man es als Erklärung dafür hernehmen, dass sie Rita darum gebeten hatte, uns zwei zu schicken. Schon damit die erniedrigenden Eheszenen nicht allzu sehr in die Öffentlichkeit gezerrt wurden. Aber auch das waren nur Vermutungen. Hier sollten Fabian und ich wirklich abwarten, bis wir uns persönlich ein Bild von ihr gemacht hatten.
Fabian schien das aber weniger gelassen zu sehen und sprang direkt auf den Zug auf. »Sie meinen also, dass Fuhrmann die volle Psychoterrortour gegen seine Frau gefahren hat? Zu Hause das brave Weibchen am Herd und er selbst lässt es dafür ordentlich krachen und hält sich nebenher ein paar Geliebte? Krass!«
Der Blockwart lächelte mit einem wissenden Gesichtsausdruck. »So ungefähr. Seine Frau wurde komplett klein gehalten. Und seine Bumsweiber hat er nicht einmal versteckt.«
Gerade wollte ich ihn daran erinnern, dass er uns eine schöne Geschichte versprochen hat, als er mit der flachen Hand auf den Tisch schlug. Die Kaffeetassen schepperten, Florian, der nicht damit gerechnet hatte, blickte erschrocken in meine Richtung und der Blockwart räusperte sich.
»Am besten wir kommen zur Sache. Und ich beginne ganz am Anfang. Es war in den frühen Siebzigern. Fuhrmann hatte das Haus von Familie Schulz gekauft. Die wohnten vorher darin. Schon seit etlichen Jahren. Das waren alte Leutchen. Die zogen in ein Heim, weshalb das Haus verkauft wurde. Am Tag des Einzugs ging es schon los. Irgendwas musste heruntergefallen sein. Fuhrmann bekam einen Ausraster und die ganze Straße konnte zuhören. Er brüllte seine Frau an. Mit ziemlich gemeinen Worten. In dem Moment wollten Freibergs, die direkten Nachbarn, die neuen Leute begrüßen. Die haben dann gleich Reißaus genommen. Damit wollte niemand zu tun haben. Frau Fuhrmann tat allen Nachbarn leid. Sie war eine sehr nette Frau. Und äußerst attraktiv. Aber meistens furchtsam und verschlossen. Das wunderte niemanden, der die Szene beim Einzug mitbekommen hatte.
Dann begann allerlei Getuschel. Was eben so üblich ist. Fuhrmann bekam das sicher mit. Aber er sagte nichts dazu. Wenn man mit ihm ins Gespräch kam, gab er nur an. Wie ich schon sagte. Sah man ihn mit seinen Weibern, machte er auf feinen Kerl. Sah man ihn mit seiner Frau, war er ein Arsch. Also zwei komplett verschiedene Typen. Nur in einer Person.«
»Haben Sie denn seine Frau mal auf dieses Verhalten angesprochen«, hakte ich kurz ein.
»Ja, aber sie wiegelte nur ab. Er sei eben so. Und meine es nicht böse. Alles sähe schlimmer aus, als es wohl sei.«
»Okay, das typische Verdrängungsverhalten. Aber wie lief das denn zeitlich ab? War es von Anfang an so, dass Fuhrmann seine Frau unterdrückte und betrog?«
»Nicht ganz. Die Szene beim Einzug war lange ein Einzelfall. Erst Mitte bis Ende der Siebziger hörte man gelegentlich Streit bei denen. Kommt ja in der besten Ehe vor. Sollte man auch nicht überbewerten. Und das tat auch keiner. In den Achtzigern ging es dann los, dass Fuhrmann hin und wieder mal mit einer Blondine im Schlepptau hier auftauchte. Meistens dann, wenn seine Frau nicht zu Hause war. In den Neunzigern machte er dann keinen Hehl mehr daraus. Und etwa zu der Zeit krachte es auch sehr oft zu Hause. Und etwa seit der Zeit war Sabine auch besonders schreckhaft. Reagierte auf jedes Geräusch. Und sah sich laufend um.«
»Alter Verwalter!«, empörte sich Fabian. »Da scheint es mir ja beinahe besser, wenn er nie mehr wiederkommt. Für die Frau kann das doch eigentlich das allerbeste sein.« Damit hatte er durchaus Recht, aber wenn es wirklich eine Entführung war, dann konnte man das natürlich schon rein rechtlich nicht auf sich beruhen lassen, nur um einer unterdrückten Ehefrau Ruhe zu verschaffen. Und wer weiß, ob sie das überhaupt will. Und genau das sagte ich auch. Beide, der Blockwart und Fabian, schauten mich ratlos an.
»Ich glaube, wir sollten wirklich erst einmal mit Frau Fuhrmann sprechen. Dann wissen wir, was wirklich los ist und vor allem, was in ihrem Interesse ist. Und obendrein bleibe ich dabei, wenn es eine Entführung ist, dann müssen das Profis übernehmen.« Fabian schaute wieder zerknirscht drein. Offenbar konnte er sich noch immer nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass er diesmal nicht der Chefermittler sein durfte.
Aber mich interessierte noch etwas ganz anderes. »Sein privates Verhalten ist ja das eine, leider sogar ein nicht gerade seltenes. Aber wie sieht es beruflich aus? Hat Fuhrmann denn irgendwelche Feinde?«
Der Blockwart schüttelte langsam den Kopf. »Ob er echte Feinde hat, kann ich nicht sagen. Dazu habe ich zu wenig mit ihm zu tun. Aber möglich ist alles. Er ist immerhin der Chef einer Werbeagentur. Und man sagt, die wären mit der Konkurrenz nicht gerade fein umgegangen. Da gibt es mit Sicherheit Feinde. Jemand, dem ein Auftrag abgenommen wurde. Jemand, dem der irgendwie schlecht gemacht wurde. Irgendwas in der Art. Aber nichts genaues weiß ich nicht. Wie schon gesagt, die Firma von dem geht mich nichts an.«
Hier kamen wir also nicht weiter. Ein Geschäftsführer einer aggressiv tätigen Werbeagentur, da hatte der Blockwart Recht, hatte sicher genau diese Art Feinde. Aber bevor die mit einer Entführung beginnen, muss schon einiges mehr passieren. Alles andere gibt es doch nur in Hollywood.
Sehr viel mehr erhellende Informationen konnten wir hier wohl nicht mehr bekommen. Wir brachten also mit ein wenig Smalltalk unser Beisammensein zu Ende und nachdem Kaffee und Bärentatzen zur Neige gingen, blickte der Blockwart aus dem Fenster.
»Wie es aussieht, beruhigt sich da drüben die Lage. Es ist nur noch ein Fahrzeug da. Vielleicht kommt ihr ja jetzt näher ran.«
Wie auf Befehl erhoben wir uns zeitgleich und bedankten uns für die Gastfreundschaft und die Hintergrundinformationen. Auf dem Weg zur Haustür bot der Blockwart noch an, bei irgendwelchen Fragen auch weiterhin zur Verfügung zu stehen. Alles klar, er wusste also, wer oder was wir waren. Aber den Eindruck machte er ja von Anfang an.
Wir verabschiedeten uns und machten uns auf den Weg zum Haus der Familie Fuhrmann.
Als wir und dem Haus der Fuhrmanns näherten, kurz bevor wir die Gartenpforte erreichten, kam Leo aus dem Haus. Er sah uns an und schüttelte leicht den Kopf. Okay, also noch keine freie Bahn. Auch Fabian hatte das bemerkt. »Sieht wohl so aus, als dürfte die zweite Garnitur noch nicht ins Haus. So würde ich jetzt mal sein Kopfschütteln deuten, oder?«
»Das denke ich mal auch.«, entgegnete ich ihm und dann, etwas lauter und an Leo gerichtet: »Was ist los großer Polizeichef, darf die Hobbytruppe schon rein oder seid ihr noch am allerlei Dinge tun, die Polizisten so tun?«
»Aktuell läuft noch die Befragung von Frau Fuhrmann. Sie ist ziemlich durch den Wind und deshalb gestaltet sich das schwieriger und vor allem langwieriger als gedacht. Aber ich schätze mal, in zwanzig Minuten dürfte das erledigt sein. Und dann könnt ihr rein, sie hat auch schon nach euch gefragt.«
»Weißt Du denn schon etwas Genaues?«, fragte ich Leo.
»Noch nicht so richtig, ich hatte aber auch bisher keine Gelegenheit mit ihr zu reden und bin erstmal nur froh, dass der große Zirkus beendet ist und hier ein wenig Ruhe reinkommt. Also, wartet bitte noch kurz, ich gebe euch dann Bescheid, sobald es losgehen kann.«
»So soll es sein!«
Fabian hatte zwischenzeitlich wohl schon die nähere Umgebung beäugt und den nächsten neugierigen Nachbarn ausgemacht. Schräg gegenüber von Fuhrmanns Haus stand ein Nachbar am Gartenzaun und beobachtete alles, was sich in der Straße tat. Und den wollte sich Fabian wohl mal vornehmen: »Los Werner, den schnappen wir uns. Der sieht genauso neugierig aus wie der Blockwart und der wohnt sogar etwas näher dran.«
»Na dann los, Zeit haben wir ja noch…«
Der Nachbar sah allerdings deutlich anders aus, als der Blockwart. Er wirkte wohlhabend, war ausgesprochen gut gekleidet und darüber hinaus konnte man deutlich sehen, dass er regelmäßig Kunde in Fitnessstudio und Solarium war. Und damit passte er auch wesentlich besser hierher auf die Haveldüne. Er bemerkte uns, machte aber keine Anstalten seine Neugier zu verbergen. Ganz im Gegenteil, er schien sich von uns sogar Informationen zu versprechen. »Guten Tag die Herren, wissen sie zufällig, was da drüben los ist?«
Eigentlich machte er ganz klar den Eindruck, dass er genau weiß was los ist. Was sollte also dieses Schauspiel? Aber Fabian spielte das Spielchen direkt mit. »Wir wissen eigentlich gar nichts, deshalb kommen wir ja auch zu ihnen. Haben sie denn nichts mitbekommen?«
Er tat so, als wäre er enttäuscht, dass wir ihm nichts weiter sagen konnten. »Schade eigentlich. Ich selbst habe ja auch nur mitbekommen, dass da jede Menge Polizei vor dem Haus stand. Es wird doch wohl nichts mit meinem lieben Nachbarn geschehen sein?«
Den ‚lieben Nachbarn‘ zog er dabei mir verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln in die Länge. Hier stand also ganz klar ein echter Freund von Fuhrmann vor uns. Streng genommen der zweite für heute, der Blockwart hatte ja auch nicht viel Gutes zu berichten gewusst. Ich sprach ihn darauf an. »Das klingt mir jetzt irgendwie so, als wäre ihr Nachbar alles andere als ‚lieb‘. Was ist er denn für ein Typ?«
»Sind sie von der Polizei und machen jetzt die bei derartigen Verbrechen übliche Nachbarschaftsbefragung?«
»Nein, wir sind Zivilisten, die einfach nur an ihren Mitmenschen interessiert sind. Ganz so, wie sie ja offensichtlich auch.« Ich versuchte, möglichst kumpelhaft zu grinsen.
»Ach so. Dann sind sie also die Privatschnüffler, von denen der Buschfunk berichtet?«
Fabian schaute erstaunt auf. »Der Buschfunk?«
»Hey, hier auf der Haveldüne bleibt nichts geheim. Dem Friseur meines Hamsters Neffe sechsten Grades und so.«, erklärte er, ohne ins Detail zu gehen, dass wir inzwischen in der gesamten Nachbarschaft angekündigt waren. Und das nur kurz nach unserer Ankunft.
Was Fabian offenbar gefiel, denn er entgegnete: »Bei uns bleibt aber ebenfalls nichts geheim, das ist schließlich unsere Spezialität. Wir klären jeden Fall, wenn sie also mal ein paar Ermittler brauchen, sie wissen bestimmt, wie sie uns finden.«
»Mein junger Freund übertreibt mal wieder maßlos.«, grätschte ich in seine Angeberei, bevor er noch Höhenflüge bekam. »Wir sind lediglich auf Wunsch einer Freundin hier und wissen im Grunde nicht mehr, als die meisten hier in der Gegend. Aber können sie uns denn nun ein wenig erzählen?«
»Na der Fuhrmann, so heißt der Kerl, wie sie sicherlich schon wissen, war nicht wirklich sonderlich nett. Hat oft mit seiner Frau Streit gesucht und sie gern auch mal vor den Nachbarn zur Minna gemacht. Damit auch ja jeder sieht, das er im Hause das Sagen hat. Und so wie der sich immer aufführt, liegt ja die Vermutung nahe, dass seine Frau jetzt mal kurzen Prozess gemacht und einen Streit mit einem Küchenmesser beendet hat. Verständnis dafür hätte ich ja auf jeden Fall.«
»Das würden sie ihr wirklich zutrauen?«
»Nicht wirklich, die ist ja doch eher so ein kleines Heimchen vom Herd. Aber es weiß ja niemand, was sich hinter der Schale verbirgt. Und manch einer wird eben auch mal zum Äußersten gereizt.«
»Nun denn, von einem Mord ist bisher ja nicht die Rede gewesen und vor allem war vorhin, als hier noch gefühlte tausend Polizeifahrzeuge standen, kein Wagen der Gerichtsmedizin dabei.« Hoffentlich leuchtete ihm das ein, nicht dass es nachher noch Gerüchte gibt, die die Arbeit der Polizei unnötig erschweren. Und wir einen Rüffel dafür kassieren.
Fabian brachte dann etwas auf den Punkt, was mir selbst die ganze Zeit aufgefallen war. »Und sie konnten den Fuhrmann nun ebenfalls nicht leiden, richtig?«, fragte er den Nachbarn ganz unverhohlen.
»Nein, in meinen Augen war der ein Arschloch. Und zwar eines allererster Kajüte.« Da schien wohl jede Menge Ärger aufgestaut zu sein. »Den konnte hier doch niemand wirklich leiden. Es gibt eben Menschen, die schaffen es, es sich mit wirklich jedem zu verscherzen. Und Fuhrmann war deren Anführer.«
Zum Glück mussten wir jetzt nicht weiter ins Detail gehen, denn da würde sowieso nur noch substanzloses Gemecker kommen. Und Schauergeschichten kann man später immer noch anhören. Leo kam nämlich wieder aus dem Haus der Fuhrmanns und deutete mit einem Kopfnicken an, dass wir jetzt hinüberkommen sollen. Dabei sah er ziemlich ernst aus, also musste es tatsächlich eine Entführung oder ein anderes Verbrechen gegeben haben.
Schnell verabschiedeten wir uns. »Herr, ähh, wie war doch gleich ihr Name? Egal, wir müssen dann los. Auf Wiedersehen und vielen Dank für ihre Zeit.«
»Brenzling ist mein Name. Und keine Ursache, einen schönen Tag noch!« Er drehte sich um und verschwand. Damit konnten wir uns dann wieder Leo zuwenden.
Leo kam uns nicht weiter entgegen, sondern wartete direkt an der Haustür auf uns. Ich öffnete die Pforte, die dabei höllisch quietschte. Hier musste wohl mal wieder ein Tröpfchen Öl her. Während ich nun auf Leo zuging, spielte Fabian noch kurz mit der Pforte. Er schwang sie hin und her und versuchte auf diese Weise, aus dem Quietschen eine Melodie zu zaubern. Erfolglos.
Ich drehte mich zu ihm um. »Hast Du jetzt genug gespielt? Wie Du siehst, werden wir erwartet. Also los jetzt!« Kinder, sie bereichern unser Leben.
Leo ließ uns noch etwas näher kommen und begrüßte uns mit gedämpfter Stimme. »Okay, das Wichtigste zuerst. Ganz offensichtlich hat es tatsächlich eine Entführung gegeben. Aktuell gibt es aber noch keine konkreten Forderungen. Fakt ist aber, dass hier ein Menschenleben auf dem Spiel steht. Also haben wir hier das sagen. Ich lasse euch hier durch, weil Frau Fuhrmann darum gebeten hat. Wenn ihr eure Anwesenheit hilft, dann hilft sie auch uns. Denn Frau Fuhrmann braucht einen klaren Kopf. Ich kann euch zwar nicht verbieten, irgendwo zu schnüffeln, aber solltet ihr irgendwas herausfinden, so seht es einfach als eure Pflicht an, mich zuerst davon in Kenntnis zu setzen.«
»Ach Du ermittelst? Bist Du nicht bei den Mordermittlern? Das hier ist doch ein Fall für eine ganz andere Abteilung.«
»Fast richtig. Mein Kommissariat ist auch für Freiheitsberaubung zuständig. Allerdings sind die Zuständigkeiten innerhalb des Kommissariats aufgeteilt, deshalb bin ich hier auch nicht als leitender Ermittler tätig. Ich hatte nur Bereitschaftsdienst und wurde deshalb hierher zitiert. Gerade bei Entführungen geht es schnell um Mordfälle und deshalb sind wir da gern von Anfang an dabei. Alles was ihr mir sagt, gebe ich dann direkt weiter. Also passt das schon alles.«
Das klang einleuchtend. Und anders als es früher war, während ich selbst noch beim LKA arbeitete. Da haben wir einfach solange irgendwelche Schreibarbeit erledigt, bis irgendjemand Fakten geschaffen hatte und es eine Leiche gab. Nur auf die bloße Möglichkeit hin, es könne etwas geschehen, wurden wir früher nie tätig. »Na dann hoffen wir mal, dass Du nicht wirklich beschäftigt wirst. Wenngleich wir da so einiges gehört haben und das klingt ja eher so, als wäre der schlimmste Fall für Frau Fuhrmann eher der beste.«
Leo runzelte die Stirn. »Ihr seid noch keine zwei Minuten hier und habt schon irgendwelche Informationen? Wie habt ihr das denn wieder angestellt?«
Fabian grinste über das ganze Gesicht. »Wir sind eben ganz gerissene Ermittler und finden schier unerschöpfliche Informationsfüllhörner schon lange bevor wir sie benötigen.«
»Also habt ihr auf dem Weg mit einem Nachbarn gesprochen?«, nahm ihm Leo unverzüglich den Wind aus den Segeln.
»Die einen sagen so und die anderen so. Aber ja, haben wir. Nachbarschaftsbefragung ist eben eine unserer ganz besonderen Qualitäten.«, bestätigte ich Leos Vermutung. »In Kurzfassung können wir bisher sagen, dass Fuhrmann ein ganz großes Arschloch war. Hat seine Frau immer schön klein gehalten, gern auch vor Publikum runtergemacht und mit jungen Dingern hintergangen, wo es nur ging. Und das alles ganz offen vor der gesamten Nachbarschaft. Berufliche Feinde sind allerdings bisher nicht bekannt. Das wäre es in Kürze, beruht aber nur auf den Aussagen zweier Nachbarn. Somit ist es also noch nicht abschließend validiertes Hörensagen.«
»Irgendwie klingt das ganz anders als das, was uns Frau Fuhrmann von ihrem Mann erzählt hat. Nach ihrer Aussage war er der liebenswerteste und charmanteste Mensch, den man sich nur irgendwie vorstellen kann.«
»Klar doch. Hinterher sind immer alle ganz liebenswert gewesen. Keiner freut sich offen, wenn es ein Arschloch erwischt hat, man könnte dann ja selbst unter Verdacht geraten. Aber was soll es, wir kennen bisher diese eine Seite, lasst uns hereingehen und die andere hören.« Leo nickte, drehte sich um und ging uns voran ins Haus der Fuhrmanns.