Читать книгу Nachts am Teufelsberg - Maik Bischoff - Страница 8

Ein neuer Fall

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Hinter der Haustür erwartete uns ein Vorraum, in dem Besucher normalerweise vermutlich die Schuhe ausziehen sollten. Ein Schuhregal mit jeder Menge Platz und ein weiteres, gefüllt mit großen Filzlatschen, standen gleich neben der Tür. Darüber hingen jede Menge Fotos, die fast alle das gleiche Paar zeigten. Ich tippte auf Urlaubsfotos aus gleich mehreren Jahrzehnten. Alle Bilder zeigten die Fuhrmanns in verschiedenen Altersstufen. Und nirgends Kinder. Die Ehe war also kinderlos geblieben, ich wusste nur nicht, ob das so beabsichtigt war. Aber das dürfte wohl auch nichts weiter mit der aktuellen Entführung zu tun haben. Nicht vorhandene Kinder sind, wenn überhaupt, nur das Problem derer, die sie haben.

Leo führte uns weiter durch einen weiß gestrichenen, fast schon steril wirkenden, Flur in ein recht geräumiges Wohnzimmer, in dem zwei Wände mehr oder weniger komplett aus Fenstern bestanden und einen tollen Blick in einen sehr gepflegten Garten ermöglichten. Ansonsten sah es Haus der Fuhrmanns auf den ersten Blick gar nicht nach all dem Geld aus, mit dem Fuhrmann nach Aussage des Blockwartes immer angegeben hatte. Es war zwar schick, aber nicht übertrieben eingerichtet. Klassische Eiche, einfache Möbel ohne viel Schnörkel und vergleichsweise wenig Dekoration. Und mitten im Raum ein dicker Teppich, der von drei Seiten von einem großen Sofa gesäumt wurde, das locker Platz für acht Leute bot. Auf dem mittleren Teil dieses Sofas saß eine ältere Dame. Sie hielt ein Taschentuch in der Hand und hatte ganz offensichtlich gerade geweint. Sie ließ die Schultern hängen und wirkte deshalb noch kleiner, als sie ohnehin schon war. Und älter. Aber das war wohl normal. Immerhin befand sich ihr Ehemann gerade in der Hand eines oder mehrerer Entführer.

»Frau Fuhrmann, hier sind Herr Böhme und Herr Dost, die beiden Herren, nach denen sie vorhin Frau Meyer-Welmingen gefragt hatten.« Boah, Leo klang extrem förmlich. Ich überlegte, ob ich früher, im aktiven Dienst, auch so geklungen haben könnte. Vermutlich ja. Man muss professionelle Distanz wahren und das geht am besten durch ein möglich förmliches Auftreten.

Ich gab ihr die Hand. »Guten Tag. Und sagen Sie ruhig Werner zu mir.«, begrüßte ich sie und machte gleich klar, dass ich als Freund und nicht als Ermittler irgendeiner Polizeibehörde hier war. Sie nickte nur und als sie antworten wollte, kam nur ein lauter Schluchzer. Auch Fabian gab ihr die Hand, sagte aber nichts weiter. Ich staunte, ihn sprachlos zu sehen, hatte er doch sonst zu allem und jedem einen Kommentar auf Lager und konnte mit so ziemlich jeder Situation umgehen. Ältere, weinende Damen gehörten aber wohl nicht zu seinem Charmanzrepertoire.

Ich setzte mich einfach neben sie. »Sabine, ich darf doch Sabine sagen, ich muss als Erstes klarstellen, dass so ein Entführungsfall auf jeden Fall durch die Polizei bearbeitet werden muss. Alles andere wäre echt fahrlässig.«

»Klar dürfen Sie das sagen. Darfst Du das sagen.« Wieder ein lauter Schluchzer. »Ich weiß ja, dass die Polizei das machen muss. Aber ich dachte mir, wo ihr doch der Isolde schon so toll geholfen habt, könntet ihr euch auch hier ein wenig umhören.« Der nächste Schluchzer folgte. »Ich wäre dann wohl deutlich ruhiger.«

Ich blickte zu Leo, der sich uns gegenüber in einen Sessel gesetzt hatte. »Was gilt denn in dieser Sache bisher überhaupt als gesichert?«

Leo übernahm es, für Sabine zu antworten: »Frau Fuhrmann hat einen Brief erhalten. Ganz ordentlich mit Schreibmaschine geschrieben. Das Original ist inzwischen schon bei der KTU, mit etwas Glück kriegen wir raus, was für ein Modell verwendet wurde. Nicht, dass es uns aktuell zum Täter führt, dazu müsste es schon ein sehr exotisches Modell sein und jemand müsste wissen, wer so etwas besitzt. Aber wenn wir ihn haben und seine Schreibmaschine finden, dann hilft das dem Staatsanwalt als Beweismittel vor Gericht. Warte, ich habe mir den Text abgeschrieben.« Er kramte sein Notizbuch hervor, blätterte ein wenig und las vor. »WIR HABEN IHREN MANN IN UNSERER GEWALT. WARTEN SIE AUF WEITERE FORDERUNGEN. KEINE MÄTZCHEN. KEINE POLIZEI.«

»Keine Polizei? Na das hat ja prächtig geklappt, vorhin stand hier die ganze Straße voller blau-weißer Wagen. Total das unauffällige Auftreten. Hoffen wir mal, dass der Entführer dieses Theater nicht gesehen hat.«, wies ihn Fabian darauf hin, dass hier tatsächlich weniger mehr gewesen wäre.

»Das ist wohl meine Schuld.« Wir blickten Sabine an. »Ich habe das nicht gleich so gesagt und muss am Telefon wohl zu aufgelöst geklungen haben. Also hat die Polizei alles mögliche hergeschickt. Ich wusste nur aus dem Fernsehen, dass man immer die Polizei holen muss, auch wenn die Täter etwas anderes fordern. Also habe ich direkt angerufen.«

»Und das war auch ganz richtig so.«, versuchte Leo sie zu beruhigen. »Abgesehen davon sind inzwischen alle Fahrzeuge abgezogen. Hier im Haus sind nur noch der leitende Ermittler, drei seiner Mitarbeiter und ein Techniker, der noch das Telefon anzapfen muss. Wir wissen ja nicht, ob die angekündigten Forderungen wieder als Brief oder möglicherweise telefonisch gemacht werden.«

Wie auf ein Zeichen kam nun riesengroßer Mann ins Wohnzimmer und begrüßte uns. »Sie müssen also die Meisterdetektive sein, die Leo seinerzeit so richtig derb vorgeführt haben. Guten Tag, Sieberling mein Name.« Er gab mir und Fabian die Hand und setzte sich in den letzten freien Sessel. »Ich bin der leitende Ermittler in diesem Fall. Und ich möchte sie gleich vorweg darum bitten, uns nicht in die Quere zu kommen. Hier geht es immerhin um ein Menschenleben.«

So langsam konnte ich diesen Spruch nicht mehr hören, jedoch bestätigte er meinen Wunsch, mich hier komplett herauszuhalten. Nur sah das Sabine wohl etwas anders.

»Herr Sieberling, bitte. Die Herren Böhme und Dost werden bestimmt nicht stören. Aber mich beruhigt es ungemein, sie beteiligt zu wissen.« Jetzt waren wir wohl endgültig gefangen. Auch Fabian schien das begriffen zu haben, denn er grinste über das ganze Gesicht.

»Meinetwegen. Aber eines muss klar sein, sollte es irgendwelche Hinweise geben, müssen wir die umgehend bekommen!«

»Das habe ich den beiden schon draußen gesagt und habe ihr Wort bekommen. Wir werden alles erfahren, was die beiden herausfinden. Wenn sie denn überhaupt etwas herausfinden. Herr Böhme ist ja ein ehemaliger Kollege vom LKA, er weiß also durchaus, wie wichtig das ist und wo unsere Prioritäten liegen.«, nahm uns Leo ein wenig aus der Schusslinie und Sieberlings Gesicht hellte sich deutlich auf.

»Okay. Dann sind die Zuständigkeiten ja geklärt.«, stellte Sieberling fest. Er erhob sich wieder und wollte gerade gehen, als er sich noch kurz an Sabine wand. »Frau Fuhrmann, ich werde Sie nachher kurz allein lassen. Allerdings wird immer einer meiner Kollegen hier im Haus sein, damit wir bei weiteren Nachrichten sofort reagieren können.« Sabine nickte als Antwort und er verschwand wieder im Nebenzimmer.

Aber auch Leo wollte wohl gehen. »Ich lasse euch Hübschen dann mal allein. Für mich gibt es hier ja zum Glück nichts weiter zu tun. Und denkt an euer Versprechen!« Letzteres sagte er mit einem mahnenden Blick zu Fabian. Wir nickten nur und dann verschwand auch Leo.

»Was meinte er denn damit, das er zum Glück nichts zu tun hätte?«, fragte uns Sabine.

»Er ist bei der Mordermittlung tätig und wurde als Beamter im Bereitschaftsdienst nur pro forma mit hierhergeschickt. Aber da es ja eine Entführung und kein Mord ist, hat er nichts zu tun. Und das ist doch tatsächlich ein Glücksfall.«

»Das stimmt wohl.« Sabine seufzte und lehnte sich zurück. Dabei verschwand sie fast in der üppigen Polsterung ihres Sofas.

»Jetzt sind wir drei ja unter uns. Wir sollten keine Zeit verlieren und zunächst ein paar wichtige Dinge klären.« Sabine und Fabian sahen mich fragend an. »Sabine, wir müssen da vor allem ein paar sehr persönliche Details klären. Wir waren nämlich bisher nicht ganz untätig und haben die Zeit, in der wir noch nicht hierher ins Haus kamen, sinnvoll genutzt. Und dabei haben wir allerlei Dinge über Deinen Mann gehört, die sich so ganz und gar nicht nett anhörten. Dabei müssen wir möglicherweise auch nach ganz intimen Details fragen und ich bitte dich darum, möglichst offen und ehrlich zu antworten. Ich versichere dir auch, dass alles, was hier gesagt wird, unter uns bleibt. Es sei denn natürlich, es ist ermittlungsrelevant und wir müssen es an die Polizei weitergeben.« Irgendwie traute ich mich nicht, sie ganz offen zu fragen, ob sie verprügelt wurde.

Fabian war da schon wesentlich kahler. »Was Werner sagen will, wir haben gehört, dass Dein Mann Dich möglicherweise verprügelt, auf jeden Fall aber ziemlich mies behandelt haben soll. Also das volle Programm mit Fremdgehen und so. Ist da was dran?«

Der nächste Schluchzer. Fast wie auf Kommando. Sabine sah uns abwechselnd an, drehte ein paar Mal den Kopf von mir zu Fabian und wieder zurück. Langsam begann sie zu reden. »Ja, mein Mann war, das muss ich ganz offen sagen, auch wenn es mir hochnotpeinlich ist, ein ziemliches Arschloch. War. Denn er ist inzwischen wie ausgewechselt. Wisst ihr, früher, als wir noch ganz jung waren, da war es der charmanteste Mensch der Welt, voll Humor und ungemein gebildet. Höflich und zuvorkommend, auf Händen hat er mich getragen und mir jeden Wunsch erfüllt, noch bevor ich ihn äußern konnte. Nach unserer Hochzeit veränderte er sich dann zusehends, aber ich wollte das wohl nicht wahrhaben. Oft sieht man ja auch nicht, was man nicht sehen will. Und als wir dann hierherzogen, wurde es richtig schlimm. Er entwickelte sich zum Despoten und sah in mir nur noch ein Stück Dekoration, das ihm den Haushalt führt. Unsere Ehe ist dabei kinderlos geblieben, was er mir zum Vorwurf machte. Und an mir hat es ganz sicher nicht gelegen, das haben mir schon mehrere Ärzte bestätigt. Er wollte aber immer einen Sohn, einen echten Stammhalter. Seinen Zorn darüber, dass er keinen bekam, ließ er dann gern an mir aus. Und ich habe mir dann immer selbst die Schuld gegeben.

Aber er hatte immer nur gebrüllt, mich beleidigt und ganz demonstrativ seine jungen Sekretärinnen oder was auch immer die waren hier angeschleppt. Als wolle er mir zeigen, dass er jede haben kann. Nicht, dass er sie mit reingebracht hätte, nein. Er hat sie einfach draußen im Auto warten lassen, dass auch wirklich jeder sehen konnte, dass die dumme Fuhrmann nicht einmal mitbekommt, wenn ihr Mann mit einer anderen heimkommt. Aber nie hat er geschlagen. Bis dann auch das geschah. In einem Wutanfall hat er die Faust genommen und mich ins Gesicht geschlagen. Dabei brach mir das Jochbein und ich war auf der Stelle bewusstlos. Und das musste für ihn wohl so eine Art Weckruf gewesen sein. Noch während ich im Krankenhaus war, hat er sich freiwillig und aus eigenem Antrieb in eine Therapie begeben. Jeden Tag stand er mit Rosen an meinem Krankenbett, hat sich tausendfach zu entschuldigen versucht und mir hoch und heilig versprochen, dass so etwas nie wieder passiert. Er hatte eingesehen, dass er zu einem sehr schlechten Menschen geworden war und wollte das komplett ändern. Die Therapie hat dabei auch gut geholfen, denn in den letzten Wochen und Monaten hat er sich wieder zu dem Menschen entwickelt, den ich seinerzeit geheiratet hatte. Alles war wieder gut und jetzt plötzlich die Entführung. Gerade gehen meine verloren geglaubten Träume in Erfüllung, habe ich das Leben, dass ich immer wollte, kommt jemand und macht alles kaputt.« Wieder ein Schluchzer.

Ein langer Monolog, aber immerhin hatte sie uns bestätigt, dass der Blockwart Recht hatte. Und nicht ganz auf dem aktuellen Stand war. Was mich natürlich, besonders für Sabine, freute. Und Ansporn genug war, zu helfen. Zumindest in dem mir und Fabian möglichen Umfang. »Alles klar, ich denke, da müssen wir wirklich mit ran.«

»Strike!« Fabian reckte eine Faust in die Luft. Zum Glück bemerkte er schnell, dass diese Geste eher unangebracht war und nahm die Faust sofort wieder herunter.

»Wie und wo fangen wir am besten an?«, fragte Fabian und blickte dabei in die Runde, obwohl die Frage vermutlich nur an mich gerichtet war. »Ich meine, wir können ja schlecht Hunde besorgen und dann mit denen die Fährte aufnehmen.«

»So sieht es aus, denn ginge das, hätte die Polizei es sicher schon versucht. Das sind ja schließlich keine Anfänger.« Wir sollten wohl am besten das tun, was wir können. Fragen stellen. Damit hatten wir ja schon einmal Erfolg. »Sabine, wir müssen da noch einiges klären. Was die Sache mit Deinem Mann und seinem Verhalten Dir gegenüber betrifft, wissen wir ja nun Bescheid. Allein das wären ausreichend Gründe für deutlich mehr als eine Entführung, aber dann wärst auch Du diejenige mit dem Motiv. Aber das vermutet hier niemand, keine Sorge. Du solltest Dir allerdings bewusst sein, dass die Polizei aus eben diesem Verhalten Deines Mannes auch immer Rückschlüsse ziehen wird, die auf Dich zurückfallen. Denn das Du ein erstklassiges Mordmotiv hast, liegt auf der Hand. Das wird auch den Ermittlern der Polizei nicht entgehen. Und wenn irgendetwas schief geht, ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber zum Beispiel Dein Mann tot aufgefunden wird, dann kommen da auch sehr unangenehme Fragen auf Dich zu.«

»Ihr meint, dass man mich dann des Mordes verdächtigt?« Sabine schaute uns entsetzt an.

»Ja, genau das meine ich damit. Bei Mord findet man den Täter oder die Täterin in den meisten Fällen im direkten persönlichen Umfeld, in der Familie. Und wenn es dann noch so ein offensichtliches Motiv geht, dann wäre der Ermittler, in dem Fall dann wohl Leo, ein ziemlicher Stümper, wenn er das nicht mit in Erwägung zieht. Aber soweit nur zu dem, was kommen könnte. Wir denken jetzt einfach mal positiv und gehen davon aus, dass Dein Mann in ein paar Stunden wieder putzmunter und kerngesund hier am Tisch sitzt. Und wir helfen, damit es auch dazu kommt.« Sabine musste das wohl erst einmal sacken lassen, denn sie sagte keinen Ton. Also fuhr ich fort. »Interessant wäre jetzt noch sein berufliches Umfeld. Er war ja wohl Geschäftsführer einer Werbeagentur bei uns in der Wilhelmstadt. Gab es da irgendwelche Probleme oder offene Feindschaften, von denen er gesprochen hat?«

Sabine schneuzte sich die Nase und blickte zur Decke. Sie schien zu überlegen und wirkte ganz so, als müsse sie sich ihre Antwort gewissenhaft zurechtlegen. »Ich glaube, es gab da nichts wirklich Schlimmes. Aber so richtig sicher bin ich mir nicht.« Okay, irgendetwas gab es da. Und das könnte durchaus etwas mit seinem Verschwinden zu tun haben.

»Hat denn, ja wie heißt Dein Mann eigentlich?«

»Arthur.«

»Hat denn Arthur wirklich nie etwas erzählt? Immerhin war er ja sicher die meiste Zeit des Tages auf Arbeit, sie war somit ein wesentlicher Teil seines Lebens. Da redet man doch auch mal drüber.«

»Na klar hat er auch schon mal was erzählt, aber das war alles unwichtiges und belangloses Zeug. Aber vor einigen Monaten, noch vor der Sache mit dem Krankenhaus, kam er mal sehr verärgert heim und schimpfte auf einen seiner Mitarbeiter. Der hatte wohl irgendetwas richtig falsch gemacht und Arthur war deshalb stinksauer. Aber ich weiß nicht, wer genau das war und um was es da ging. Tut mir leid.«

»Nicht so schlimm, wir werden ohnehin noch zur Agentur gehen und uns dort ein wenig umhorchen. Ich glaube zwar kaum, dass man uns dort allzu viel erzählen wird, aber einen Versuch ist es allemal wert. Und solange es keine Forderungen oder ähnliches gibt, haben wir ja Zeit uns wieder mal durchzufragen. Nur das die Agentur bis morgen warten muss, die werden ja nicht extra für uns am Sonntag öffnen.«

»Nein? Wie unverfroren und respektlos!«, blödelte Fabian. »Voll ärgerlich nur, dass ich kein Taxi mehr fahre. Jetzt habe ich nicht einmal mehr einen Dienstwagen, den wir als Detektivmobil nutzen könnten. Menno.« Fabian hatte bis vor kurzem nebenher als Taxifahrer gejobbt und bei unserem letzten »Fall« konnten wir sein Taxi dazu nutzen, um schnell mal durch die Gegend zu fahren. Aber auch jetzt gab es ja Abhilfe.

»Gar nicht voll blöd, denn ich habe uns längst ein Fahrzeug besorgt. Der kluge Mann denkt nämlich gleich an solch wichtige Dinge und regelt sie, bevor er sie braucht.«

»Und was hat der besonders kluge Mann für ein Fahrzeug besorgt? So eins mit Chauffeur und 45 Sitzplätzen, für das man eine Monatskarte im Abo kaufen kann?«

»Bus fahren wäre schon eine Option, aber so ein feiner 1975er Strichachter ist auch nicht zu verachten. Dachte ich mir und habe uns einen besorgt.« Fabian hatte wohl tatsächlich nicht mitbekommen, dass Rita uns noch beim Gehen ihren Wagen angeboten hatte. Und sie fuhr so ein feines Gefährt. Sicher nicht mehr das Modernste und Sicherste was es zu haben gibt, aber enorm bequem und vor allem unendlich stilvoll.

Fabians Augen leuchteten auf. »Echt jetzt? Hundertvierzehn oder hundertfünfzehn?«

»Hundertvierzehn. Gut so?«

»Orr, der Sechszylinder!« Fabian fiel auf die Knie, faltete die Hände wie zum Gebet zusammen und stieß sie in Richtung Himmel. »Es gibt doch einen Gott!« Und ich war erstaunt, dass ein junger Kerl wie Fabian wusste, worin sich die beiden Strich-Acht Modelle unterschieden. Er war eben immer wieder für eine Überraschung gut.

»Genug gebetet! Dafür gilt es jetzt noch etwas ganz wichtiges zu klären, die Polizei wird das ja auch schon gefragt haben: Wann hast du denn Arthur zum letzten Mal gesehen beziehungsweise, was wollte er heute machen, wenn er nicht zu Hause ist? Schließlich wird ihn ja niemand heimlich aus dem Schlafzimmer getragen haben, während du schliefst.«

»Heute früh ist er direkt nach dem Frühstück aus dem Haus. Er wollte noch ein paar Kleinigkeiten in der Agentur erledigen und der Nachmittag war dann für uns zwei reserviert. Wir wollten ein wenig an der Havel spazieren gehen und dabei irgendwo auf eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen einkehren. Aber dann kam ja der Brief und seither geht es hier drunter und drüber.«

»Alles klar, also ist es noch ein recht knappes Zeitfenster. Das sollte uns Mut machen. Sabine, wir werden Dich jetzt mit den Herrschaften der Polizei allein lassen. Sollte sich irgendetwas wichtiges ergeben, ruf uns bitte sofort an. Hier hast Du noch meine Nummer.« Ich kritzelte die Nummer auf einen Zettel und drückte ihn ihr in die Hand. »Wir machen uns als Erstes auf zu Rita, um den Wagen zu holen. Danach geht es noch einen Happen essen und dann ins Bett, damit wir morgen fit für die Suche sind. Oder sollen wir doch besser noch einen Moment bei Dir bleiben?«

»Nein, bei mir ist alles klar. Zumindest soweit das möglich ist. Und nochmal vielen, vielen Dank, dass ihr mir und Arthur helft. Das werde ich euch nie vergessen.«

Wir gaben kurz Leo und Sieberling Bescheid und machten uns wieder auf den Weg zu Rita. Als wir das Grundstück von Sabine verließen, konnte ich noch sehen, wie der Blockwart in seinem Häuschen verschwand. Der war wirklich ein Kettenhund, dem nichts in der Straße entging. Aber gut zu wissen, dass jemand aufmerksam ist, denn wenn sich hier vor Ort etwas ergibt, dann bleibt das nicht geheim. Gerade jetzt, wo es hier eine Entführung gegeben hat, dürfte er ja besonders gut aufpassen und so wie der sich bei uns angebiedert hatte, konnten wir vermutlich jederzeit auf ihn als Auge und Ohr vor Ort zählen.

Auf dem Weg zu Rita dachte ich laut nach. »Warum sollte jemand den Geschäftsführer einer Werbeagentur entführen? Nicht dass er wirklich arm wäre, aber das ganz große Geld ist da ja nicht zu holen. Also muss es etwas Persönliches sein. Aber da ist so eine Entführung doch eher unüblich. Da murkst man denjenigen doch in aller Regel gleich ab.«

Fabian sah mich entsetzt an. »Ernsthaft? Wenn Dir jemand nicht in den Kram passt, dann murkst Du den ab?«

»Das war eher metaphorisch gemeint. Natürlich murkse ich niemanden ab. Ich bin schließlich Polizist. Also war einer. Aber sei doch mal ehrlich, wenn Dich jemand so sehr auf die Palme bringt, dass Du zu einer Straftat bereit bist, was machst Du dann eher? Entführung oder Mord?«

»Stimmt wohl, wenn man jemanden entführt, dann kann der einen erkennen beziehungsweise später auch identifizieren und man muss den sogar noch füttern. Wenn es denn wirklich länger dauert und der überleben soll.«

»So sieht es aus. Obendrein braucht man ein gutes Versteck. Eines, wo der Entführte Krach schlagen kann, ohne gehört zu werden, eines das man trotzdem gut und schnell erreicht und eines, das nicht zum eigenen Umfeld gehört. Gerade der letzte Punkt ist ja wichtig, denn sollte man versehentlich in den Kreis der Verdächtigen geraten, wird ja überall dort gesucht, wo man sich oft herumtreibt.«

»Hmm, vielleicht hat der alte Fuhrmann ja irgendwo geheime Reserven, irgendein Schwarzgeldkonto, von dem der Täter weiß und der von diesem Kuchen etwas abhaben möchte.«, warf Fabian ein.

»Auch das halte ich für unwahrscheinlich, denn um an ein Stück eines geheimen Kuchens zu kommen, ist die klassische Erpressung doch wesentlich einfacher und unkomplizierter zu machen.«

»Ja, aber dann kennt der Erpresste den Erpresser und wenn der geheim bleiben möchte, dann ist so eine Entführung für eine nette Lösegeldforderung genau das Richtige.« Dieser Einwand war nicht von der Hand zu weisen, da musste ich Fabian Recht geben.

»Stimmt wohl, das könnte tatsächlich der Schlüssel sein.«

»Hah, Detektivlehrling Dost ist eben kein kleiner Dummer!« Aber erwachsen wird er wohl auch nie.

Wir kamen endlich bei Rita an und wurden schon an der Gartenpforte erwartet. »Jungs, ich habe Kaffee fertig, immer rein in die gute Stube und schnell berichtet. Ich platze inzwischen fast vor Neugier und Sorge.«

Rita ging uns voran ins Haus und bugsierte uns dort direkt ins Wohnzimmer. Wir machten es uns gemütlich und ich berichtete ihr von den Geschehnissen des Nachmittags. Insbesondere was die Situation zwischen den beiden Fuhrmanns betraf, bei der ich allerdings, meinem Versprechen folgend, nicht allzu sehr ins Detail ging, schien sie weniger überrascht zu sein.

»Ich habe mir so etwas schon gedacht. Es munkelt hier oben auf der Haveldüne ja schnell, irgendwie ist das alles ja doch nur ein Dorf. Aber es bestätigt zu wissen, ist schon heftig. Hätte ich doch nur früher etwas gewusst, dann hätte ich ihr beistehen können.«

Ich entgegnete: »Rita, Du allein kannst die Welt nicht retten und wenn jemand unschöne Details seiner Beziehung geheim halten möchte, dann hast auch Du keine Chance, das zu ändern. So etwas erlebt man doch immer wieder. Also mach Dich jetzt nicht fertig deswegen.«

»Ach Werner, Du sagst das so locker. Aber sie ist doch eine Freundin. Für die muss man doch da sein.«

»Genau, eine Freundin die nicht wollte, dass Du solche Dinge von ihr hörst. Also wäre es auch am Besten, wenn Du zukünftig nicht unbedingt darüber redest. Wenn sie will, dass dieses Thema angeschnitten wird, dann wird sie es schon selbst tun. Immerhin ist es jetzt uns gegenüber auf den Tisch gekommen und ich gehe jede Wette ein, dass sie sich auf mit Dir noch darüber unterhalten wird. Und bis dahin betrachte sie so, wie sie für dich bisher ausgesehen hat, denn genau das ist es, was sie will.« Laienpsychologie schien sich langsam zu meinem nächsten Betätigungsfeld zu entwickeln.

»Da hast Du wohl Recht. Aber weiter im Text. Was habt ihr denn nun jetzt genau vor?«

Das war Fabians Stichwort. »Als Erstes müssen wir Deinen Daimler Probe fahren, nicht dass uns das neue Detektivmobil vor der Lösung des Falles im Stich lässt!« Genau, er wird wohl nie erwachsen.

Aber Rita schien das zu schmeicheln. »Schön, dass ich euch wenigstens damit helfen kann. Und keine Sorge, der Wagen ist gut gewartet und läuft wie am ersten Tag. Der lässt euch garantiert nicht im Stich.«

»Nichts anderes hätte ich erwartet.«, warf ich ein und lenkte dann auf das eigentliche Thema zurück. »Ansonsten können wir heute nicht mehr allzu viel ausrichten. zwei Nachbarn haben wir bereits gesprochen, bei anderen klingeln halte ich für nicht wirklich sinnvoll. Immerhin ist später Sonntagnachmittag, da wollen die Leute ihre Ruhe. Und in der Werbeagentur treffen wir frühestens morgen jemanden an. Und so bleibt uns nur, uns noch ein wenig auszuruhen und auf einen anstrengenden morgigen Tag vorzubereiten. Insgesamt ist das zwar nicht wirklich gut, denn gerade bei Entführungsfällen sind die ersten Stunden besonders kritisch und wichtig, aber als Laien haben wir da eben nicht die Möglichkeiten, die die Polizei hat.«

»Dann fahrt am besten heim und ruht euch aus.«, empfahl Rita. »Nehmt eine ordentliche Mütze Schlaf und Morgen holt ihr Sabine ihren Mann zurück.«

Wir nickten und da Fabian es nun überhaupt nicht mehr erwarten konnte loszufahren, verabschiedeten wir uns von Rita und machten uns auf den Heimweg. Da ich selbst keine Lust darauf hatte, den Chauffeur zu spielen und Fabian ohnehin durch seine ehemalige Taxifahrerlaufbahn die meiste Erfahrung darin hatte, durch die Stadt zu kutschieren, übernahm er das Fahren. Er setzte mich zu Hause ab.

»Dann machs mal gut Fabi, und treib es heute nicht mehr zu bunt. Wir sehen uns morgen früh um sieben zum Frühstück im Bierbrunnen. Okay?«

»Bierbrunnen klingt gut. Du zahlst.« Und noch ehe ich Widerworte geben konnte, fuhr er davon. Das hatte ich nun davon.

Nachts am Teufelsberg

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